Der mittelniederdeutsch-skandinavische Sprachkontakt zur Hansezeit (1300-1550)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

24 Seiten, Note: "-"


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1) Sprachliche, kulturelle und gesellschaftliche Bedingungen des mittelniederdeutsch-skandinavischen Kontaktes
1.1) Die wirtschaftliche Expansion der Hanse nach Skandinavien
1.2 ) Die Sprache der Hansekaufleute
1.3) Zu den sprachlichen Verhältnissen in Skandinavien
1.4) Vier mittelalterliche Phasen des deutsch-skand. Kontaktes

2) Die Kommunikation zwischen Skandinaviern und Deutschen zur Hansezeit
2.1) Voraussetzungen und Bedingungen
2.2) Semikommunikation
2.3) Verständigungsstrategien

3) Zum Ausmaß der mnd. Beeinflussung der skand. Sprachen

Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem mittelniederdeutsch-skandinavischen Sprachkontakt im Spätmittelalter sowie den daraus resultierenden Folgen für die Entwicklung der skandinavischen Sprachen, die in der heutigen sprachwissenschaftlichen Forschung allgemein als umfassend betrachtet werden. Nach Ansicht des norwegischen Sprachhistorikers Olav BRATTEGARD war der Einfluß des Mnd. auf die skandinavischen Sprachen sogar so stark, „dass ein Skandinave heute wohl kaum einen Satz sagen kann, ohne ein niederdeutsches Wort zu verwenden“[1]. Selbst für den Fall, daß diese Aussage BRATTEGARDs eine Übertreibung darstellen sollte, läßt sich daran doch das offenbar erhebliche Ausmaß des nd. Einflusses auf das Dänische, Schwedische und Norwegische ablesen.

Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, einen Überblick über die neueren Forschungserkenntnisse zu Art und Umfang des mnd.-skand. Sprachkontaktes zu geben, wozu auch die Vergegenwärtigung seiner äußeren Umstände gehört. Am Ende soll es auf dieser Basis möglich sein zu beurteilen, ob bzw. inwieweit die Einschätzung BRATTEGARDs als gerechtfertigt betrachtet werden kann.

Die zu diesem Thema etwa seit Ende des 19. Jahrhunderts[2] intensiv betriebene sprachwissenschaftliche Forschung hat zu einer Fülle von Publikationen geführt. Da es nicht Ziel dieser Hausarbeit ist und auch ihren Rahmen sprengen würde, sie hier in ihrer Gänze vorzustellen, will ich mich jedoch auf die Betrachtung der jüngeren und jüngsten Forschungsprojekte und der entsprechenden Literatur beschränken. Die im folgenden genannten Werke bilden auch die Grundlage des inhaltlichen Schwerpunktes dieser Arbeit, für die zwangsläufig eine gewisse Materialselektion durchgeführt werden musste. Was Untersuchungen älteren Datums angeht, so sei beispielsweise auf die entsprechenden Übersichtsdarstellungen von ROSENTHAL (1987) und PEDERSEN (1998) verwiesen.

Den Beginn der jüngsten Phase der Erforschung des deutsch-skandinavischen Sprachkontaktes markierte Mitte der 1980er Jahre das erste Symposion Niederdeutsch in Skandinavien, dessen Akten 1987 veröffentlicht wurden. Bis zum heutigen Tage folgten in dieser Reihe vier zusätzliche Publikationen in Anlehnung an die jeweiligen weiteren Symposien, die aktuellste davon stammt aus dem Jahre 2005[3]. Aus dieser Reihe widmet sich insbesondere der zweite Band dem niederdeutschen Einfluss auf die skandinavischen Sprachen, welchen das dazugehörigge Symposion zum Diskussionsthema hatte. Hier werden verschiedene Aufsätze präsentiert zu den übergeordneten Themen der sprachlichen Verwandschaft zwischen Niederdeutsch und den skandinavischen Sprachen, der Expansion des Niederdeutschen in Skandinavien sowie des nd. Einflusses auf die dortigen geschriebenen und gesprochenen Sprachen. Zu weiteren Spezialthemen beinhalten auch Band vier und fünf der Reihe einige relevante Aufsätze. Hauptherausgeber von Niederdeutsch in Skandinavien ist Kurt Erich SCHÖNDORF.

In den 1990er Jahren folgte das Hamburger Forschungsprojekt Das Mittelniederdeutsche und seine Rolle beim typologischen und lexikalischen Umbau der altskandinavischen Sprachen unter Leitung von Kurt BRAUNMÜLLER, dessen Ergebnisse unter dem Titel Niederdeutsch und die skandinavischen Sprachen in zwei Bänden dokumentiert wurden (1993 und 1995). Forschungsgegenstand des Projektes waren korpusbezogene Textanalysen zur lexikalischen und strukturellen Entlehnung aus dem Mittelniederdeutschen in die skandinavischen Sprachen, insbesondere ins Dänische und Schwedische. Hervorzuheben sind hierbei vor allem die Erkenntnisse zur Semikommunikation im Skandinavien der Hansezeit und zur Intensität des mnd-skand. Kontaktes sowie die computergestützten Untersuchungen zum Wortschatz und zu historischem Sprachverstehen.

Hinsichtlich der Beeinflussung des Dänischen durch das Mittelniederdeutsche haben in jüngerer Vergangenheit auch CHRISTENSEN und WINGE einige Arbeiten vorgelegt. Während letztere eher Übersichtsdarstellungen liefert, hat erstere verschiedene quellenbasierte Analysen angestellt zur Verwendung niederdeutscher Lehnwörter in dänischen Urkunden und Briefen. Bezüglich des Schwedischen liegt aus jüngerer Zeit eine Vielzahl von Aufsätzen vor, so u.a. die von BRAUNMÜLLER/DIERKS, ZEEVAERT, ELMEVIK, ROSENTHAL und KORLÉN[4]. Insbesondere JAHR, SCHÖNDORF und SIEMENSEN befassen sich mit dem niederdeutsch-norwegischen Kontakt, wobei erstgenannter im Rahmen des Forschungsprogrammes Norden und Europa (Forskningsprogrammet Norden og Europa) mehrere Titel herausgegeben hat[5]. Zudem fungierte JAHR als Herausgeber einer skandinavischen Übersetzung einiger Aufsätze des oben genannten Hamburger Projektes[6]. Letztlich sei noch die Arbeit von Agnete NESSE erwähnt, die eine Untersuchung des niederdeutschen Einflusses auf den Dialekt Bergens vorgenommen und deren Resultate im Jahre 2002 veröffentlicht hat.

Was die Inhalte betrifft, so hat seit den 1990er Jahren eine Verschiebung des Interesses stattgefunden. Ging es in der älteren Forschung meist um das Erstellen von Wortlisten und Übersichten z.B. zu niederdeutschen Lehnwörtern in den verschiedenen skandinavischen Sprachen, so hat insbesondere das Projekt Niederdeutsch und die skandinavischen Sprachen vornehmlich Wert auf die theoretische Fundierung der Erkenntnisse gelegt sowie auf die Klärung der Frage nach der Art und Weise des Srachkontaktes. Deshalb ging den dort vorgenommenen Untersuchungen eine umfangreiche Bildung von Hypothesen voraus, die dann größtenteils verifiziert werden konnten.[7]

Zur Quellenlage ist zu sagen, dass naturgemäß ein Rückgriff auf gesprochene Sprache nicht möglich ist. Herangezogen werden müssen somit die in relativ begrenzter Zahl überlieferten mittelalterlichen Schriftdokumente wie Urkunden, Briefe, Privilegien Übersetzungen u.ä. Bei der wissenschaftlichen Untersuchung dieser Dokumente sind stets in besonderer Weise deren Tauglichkeit sowie die Beschränktheit der Deutungsmöglichkeiten zu beachten. Zunächst besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen gesprochener und schriftlicher Sprache, so dass eine Übertragung von Untersuchungsergebnissen letzterer auf erstere mit Vorsicht durchzuführen ist. CHRISTENSEN bemerkt hierzu mit Bezug auf SKAUTRUP, dass sich noch am ehesten der Stil von privaten Briefen der gesprochenen Sprache annähere[8]. Bei der Analyse von Geschäftsbriefen u.ä. muss der häufige Einsatz professioneller Schreiber beachtet werden, der Forschungsresultate in ungewünschter Art und Weise beeinflussen kann. So ist es beispielsweise durchaus denkbar, daß ein schwedischer Kaufmann für die Abfassung eines Briefes auf Niederdeutsch einen deutschen Schreiber hinzuzog, so daß aus einem solchen Brief nicht ohne weiteres auf Sprachkenntnisse und Sprechverhalten des Schweden geschlossen werden kann. Außerdem sind bei der Analyse von schriftlichen Dokumenten stets Unterschiede zu berücksichtigen bezüglich Textgattung, Inhalt, Verfasser und Adressat. Die Sprache einer Urkunde ist naturgemäß anders als die eines geschäftlichen oder gar privaten Briefes. Folglich erfordern Bearbeitung, Untersuchung und Interpretation der verschiedenartigen Quellen vielerlei methodische Überlegungen. Für den sprachlichen Vergleich eignen sich insbesondere skand. Übersetzungen mnd. volkssprachlicher Texte.

Bevor ich mich mit den eigentlichen linguistischen Phänomenen des mnd.-skand. Sprachkontaktes beschäftige, möchte ich mich zunächst mit der Darstellung seiner verschiedenartigen äußeren Bedingungen befassen. Es soll erläutert werden, wie die sprachlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen des Kontaktes von Deutschen und Skandinaviern aussahen und wie dieser überhaupt zustande kam bzw. intensiviert wurde. Der darauffolgende Teil dieser Arbeit ist der linguistischen Frage gewidmet, wie eine Verständigung zwischen Deutschen und Skandinaviern im Mittelalter möglich war und auf welche Weise sie funktionierte. Schließlich werden noch zwei Untersuchungen bezüglich der Intensität und der Folgen des mnd.-skand. Sprachkontaktes behandelt.

1) Sprachliche, kulturelle und gesellschaftliche Bedingungen des mittelniederdeutsch-skandinavischen Kontaktes

1.1) Die wirtschaftliche Expansion der Hanse nach Skandinavien

Unmittelbar nach der Neugründung Lübecks intensivierte sich Anfang der 1160er Jahre der Handel deutscher Kaufleute auf Gotland sowie ab etwa 1180 via Gotland nach Nowgorod. In den folgenden knapp hundert Jahren gelang es der Gemeinschaft der Vereinigten Gotlandfahrer des Römischen Reiches[9], die Gotländer größtenteils aus dem Osthandel zu verdrängen[10]. Deutsche Händler, v.a. aus Lübeck und den anderen während der Deutschen Ostsiedlung neu gegründeten Städten wie Rostock (1218), Wismar (1226) und Stralsund (1234), beherrschten bald den Handel auf Nord- und Ostsee. Haupthandelszentren der Hansekaufleute in Skandinavien wurden zusätzlich zu Visby auf Gotland noch Schonen und Bergen, von wo man den während der christlichen Fastenzeit in ganz Europa massenhaft benötigten Fisch bezog. Im Austausch für Kabeljau (Stockfisch), Heringe sowie Tran und Lederprodukte lieferten die Deutschen vor allem Getreide, Bier, Tuch und Salz nach Skandinavien. Das hansische Kontor in Bergen, die ‚Tyske Brygge’, wurde in der Mitte des 14. Jahrhunderts eingerichtet und 1365 dem Hansetag unterstellt, Stockholm 1366 erstmals als Hansestadt erwähnt.

[...]


[1] BRATTEGARD, Olav: Niederdeutsch und Norwegisch am hansischen Kontor zu Bergen, In: NdJb. 86, S. 7-16 (S. 10)

[2] Eines der ersten Werke zum Thema lieferte TEGNÉR, Esaias: Tyska inflytelser på svenskan. Arkiv for nordisk filologi 5, S. 155-166 und 303-344, Lund 1889.

[3] Die vollständigen bibliographischen Angaben finden sich im Literaturverzeichnis.

[4] Die entsprechenden Titel finden sich mit folgender Ausnahme im Literaturverzeichnis: Elmevik, Lennart: Über den niederdeutschen Einfluss auf das Schwedische unter besonderer Berücksichtigung der Dialekte, In: Niederdeutsch in Skandinavien – Akten des 1. nordischen Symposions ‚Niederdeutsch in Skandinavien’ in Oslo, 27.2. – 1.3. 1985, unter Mitwirkung von Karl Hyldgaard-Jensen hrsg. von Kurt Erich Schöndorf und Kai-Erik Westergaard (Beihefte zur Zeitschrift für Deutsche Philologie 4), S. 14-24, Berlin 1987.

[5] Siehe Literaturverzeichnis.

[6] JAHR, Ernst Håkon: Nordisk und nedertysk. Språkkontakt og språkutvikling i seinmellomalderen, Oslo 1995. Das Werk enthält zudem einen zusätzlichen Artikel von SIMENSEN.

[7] Zur Hypothesenbildung siehe z.B. DIERKS/BRAUNMÜLLER, Entwicklung des nd.-skand. Sprachkontaktes, S. 10-29.

[8] Siehe CHRISTENSEN (1992) S. 37.

[9] Lat.: ‚Universitas mercantorum Romani imperii Gotlandiam frequentantium’.

[10] In diesem Zusammenhang ist der 1261 geschlossene Privilegienvertrag zwischen Heinrich dem Löwen und den Gotlandern zu nennen, der den deutschen Kaufleuten die gleichen Rechte auf Gotland zusicherte wie den Gotländern in Heinrichs Herrschaftsbereich. Dies war gewissermaßen ein Vorteil für die Deutschen, da ja der Handel nach Nowgorod über Gotland ging und nicht über Lübeck.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der mittelniederdeutsch-skandinavische Sprachkontakt zur Hansezeit (1300-1550)
Hochschule
Universität Hamburg
Veranstaltung
Seminar: Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit in Skandinavien
Note
"-"
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V126730
ISBN (eBook)
9783640413904
ISBN (Buch)
9783640411634
Dateigröße
457 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
mittelniederdeutsch, Sprachkontakt, Hanse, Hansezeit, Semikommunikation, Braunmüller, Mehrsprachigkeit, Skandinavien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Handel, Händler, Niederdeutsch, Hochdeutsch, Kaufleute, Kommunikation, Verständigung, Beeinflussung, Einfluss, Kontor, Deutsch, Schwedisch, Dänisch, Norwegisch, nedertysk, tysk, dansk, norsk, svenska, Schriftsprache, mittelalterlich, Mittelalter, Stockholm, Haithabu, Sprache, Sprachstruktur, Übernahme, Deutsche, Sprechen, Sprachkompetenz, Korrespondenz, altskandinavisch, skandinavisch, sprogkontakt, hansetid, hansatida, lehnwort, lehnwörter, ostsee, ostseeraum
Arbeit zitieren
Thorsten Schülke (Autor:in), 2005, Der mittelniederdeutsch-skandinavische Sprachkontakt zur Hansezeit (1300-1550), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126730

Kommentare

  • Katharina Schmitt am 5.12.2010

    Auf das Wesentliche gut zusammengefasste Arbeit. Jedoch stoeren diverse Komma- und Rechtschreibfehler das Bild, welches fuer eine Studienarbeit unabdingbar fehlerlos sein muss.

Blick ins Buch
Titel: Der mittelniederdeutsch-skandinavische Sprachkontakt zur Hansezeit (1300-1550)



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