Der EU-Vertrag von Nizza


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Hauptteil
2.1 Historischer Kontext
2.2 Der EU-Abschlussgipfel in Nizza
2.3 Eine Frage der Ehre
2.4 Das Verhandeln um die Macht
2.5 Der Vertrag und seine Bewertung

III Fazit

IV Anhang
4.1 Quellenverzeichnis
4.2 Literaturverzeichnis
4.3 Literaturverzeichnis ohne exakte Autorenermittlung
4.4 Bilderverzeichnis

I Einleitung

Für viele Touristen stellt das Mittelmeer ein attraktives Reiseziel dar.

Seine Küstenabschnitte, wie zum Beispiel die spanische Costa del Sol, die italienische Riviera oder die französische Côte d’Azur sind im Laufe der Jahre so begehrte Urlaubsziele geworden, dass es zu bestimmten Jahreszeiten schwer ist, überhaupt noch freie Hotelzimmer zu ergattern.

Die Hafenstadt Nizza liegt genau an dem oben genannten französischem Küstenabschnitt und bietet aufgrund ihrer geschützten Lage sogar noch den Vorteil, dass sie selbst im Winter noch zu einem der wärmsten Orte an der französischen Südküste zählt.

Genau das war vermutlich auch der Grund, warum der EU-Ratspräsident und französische Staatspräsident Jacques Chirac den EU-Abschlussgipfel vom 7. - 9. Dezember 2000 in dieser Stadt abhalten wollte.

Doch statt milder Temperaturen ging es auf dem Abschlussgipfel sprichwörtlich „heiß her“:

Immer wieder schwankte die Stimmung der 15 Staats- und Regierungschefs, die über einen neuen EU-Vertrag verhandeln sollten, zwischen hitzigen Diskussionen und kühlem Schweigen.

Und genauso wie der Strand von Nizza beschaffen ist, so war es ein steiniger und vor allem langer Weg, bis in den frühen Morgenstunden des 11. Dezembers 2000 ein sichtlich erschöpfter Chirac die frohe Botschaft einer Einigung verkündete.

Für die Medien stellte das neue Vertragswerk jedoch nicht den erhofften „große[n] Wurf“ dar.1

Stattdessen hatten sie während der Konferenz mitverfolgen können, wie nicht nur der einst so berühmte deutsch-französische „Motor“ versagt hatte, sondern wie auch beide Länder in einen neuen Tiefpunkt ihrer Beziehung gesteuert waren.

Doch wie lässt sich das erklären?

Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, wie erstens der Abschlussgipfel in Nizza verlaufen ist und zweitens wo bzw. warum die Konfliktpunkte und Probleme bei der Konferenz und den Teilnehmern auftraten.

Zunächst ist es jedoch notwendig, sowohl die Geschichte der Europäischen Gemeinschaft bzw. Union, wie auch die der deutsch-französischen Beziehung in einen historischen Kontext einzubetten, da beide Geschichten eng miteinander verbunden bzw. verflochten sind.

Die Vorgeschichte und die Inhalte diverser Zeitungs- und Internetartikel zeigen, dass

folgende Thesen zur Konferenz von Nizza 2000 aufgestellt werden können:

Der Nizza-Gipfel stellt nicht nur einen Tiefpunkt der deutsch-französischen Beziehungen dar, sondern mündete aufgrund der Unstimmigkeiten der Teilnehmer in einem Vertrag, der die bestehende EU-Verfassung zwar nur in wenigen Teilbereichen reformierte, aber dennoch als akzeptabel zu bewerten ist.

Kein Ziel dieser Arbeit ist es, den Inhalt des Vertrages in allen Einzelheiten darzulegen und zu kommentieren, da dies wohl den Umfang der vorliegenden Hausarbeit sprengen würde.

An dieser Stelle möchte ich ebenfalls zum besseren Verständnis kurz erwähnen, dass der Rat der Europäischen Union bzw. der Ministerrat, der in dieser Hausarbeit des Öfteren erwähnt wird, nicht mit dem Europäischen Rat oder dem Europarat zu verwechseln ist; alle drei Räte stellen unterschiedliche Organe bzw. Institutionen der Europäischen Union dar und beinhalten daher verständlicher Weise auch völlig verschiedene Aufgaben.

II Hauptteil

2.1 Historischer Kontext

Es sicherlich schwer, wenn nicht sogar unmöglich, ein genaues Datum für den Beginn der deutsch-französischen Beziehungen anzugeben, aber spätestens mit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870–1871 waren die Beziehungen beider Nationen auf ihrem Tiefpunkt angelangt: Frankreich verlor Elsass-Lothringen und Deutschland erntete dafür den Hass der Franzosen.

Gekennzeichnet durch eine sogenannte deutsch-französische Erbfeindschaft folgten Jahre später der Erste Weltkrieg und der daraus resultierende Friedensvertrag von Versailles,2 der Deutschland bzw. dem Deutschen Reich die alleinige Kriegsschuld zusprach und enorme Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen auferlegte. Im Deutschen Reich wurde der Vertrag schnell als „Schandfrieden“ oder „Schanddiktat von Versailles“ bekannt.

Der Zweite Weltkrieg brachte nicht nur die von der deutschen Bevölkerung geforderte Revision des Vertrages, sondern sogar ganz Frankreich zumindest zeitweise unter deutsche Kontrolle. Die Abneigung gegenüber Deutschland wuchs verständlicher Weise mit Dauer der Besatzung.

Nach Kriegsende übernahm Frankreich als eine der vier Siegermächte eine Besatzungszone in Deutschland und zielte zunächst bedingt durch die Erinnerungen des Krieges auf eine

dauerhafte wirtschaftliche und politische Schwächung des Erzfeindes ab.

Doch im Zuge des Kalten Krieges wurde der französischen Regierung recht schnell klar, dass

man für ein sicheres Europa ein souveränes Deutschland benötigte.

Mit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland fiel auch bald die Beschränkung der deutschen Kohle- und Stahlindustrie.

Am 9. Mai 1950 wurde der nach dem französischen Außenminister benannte Schuman-Plan von Deutschland und Frankreich unterzeichnet, der die Kohle- und Stahlproduktion beider Nationen einer gemeinsamen Behörde unterstellte.

Dies war sicherlich nicht nur der erste Schritt einer deutsch-französischen Annäherung nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern ist auch durchaus als Beginn der Europäischen Gemeinschaft zu sehen, da der Schuman-Plan nur ein Jahr später in die „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS) mündete, der sich neben den Gründerstaaten Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland auch Belgien, Italien, Luxemburg und die Niederlande anschlossen.

In den folgenden Jahren entstanden die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) und die „Europäische Atomgemeinschaft“ (EAG bzw. „Euratom“).

Eine „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) scheiterte an der Ablehnung Frankreichs, da man nicht gewillt war die französische „[...] Armee unter ein europäisches Oberkommando zu stellen.“.3

Es war mehr als nur ein Freundschaftsakt zweier Nationen, als am 22. Januar 1963, also 18 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Frankreich und Deutschland den Élysée-Vertrag unterzeichneten. Denn dieser verstärkte die deutsch-französische Zusammenarbeit gerade bei Fragen der Außen-, Sicherheits-, Jugend- und Kulturpolitik und stellte ohne Zweifel das

„[...] Ergebnis einer fast zwei Jahrzehnte andauernden Politik der Aussöhnung und Verständigung über die gemeinsamen Interessen in Europa [...]“ dar.4

Mit der Unterzeichnung eines Fusionsvertrages aller bisher geschaffenen Organe wurde am 8. April 1965 die „Europäische Gemeinschaft“ (EG) gegründet, der sich in den folgenden zwei Jahrzehnten die Staaten Dänemark, Großbritannien, Irland, Griechenland, Spanien und Portugal anschlossen.

Immer offensichtlicher wurde, dass gerade Deutschland und Frankreich als gleichberechtigte

Partner den europäischen Integrationsprozess voranbrachten; Deutschland und Frankreich

fungierten allmählich als sogenannter „Motor“ der Europäischen Gemeinschaft.

Auch die deutsch-französischen Beziehungen verbesserten sich ab 1974 nach dem eher kühlen Verhältnis von Kanzler Willy Brandt und dem französischen Präsidenten Georges Pompidou wieder und erreichten 1984 in Verdun einen ihrer Höhepunkte, als Helmut Kohl und François Mitterrand bei einer Erinnerungszeremonie Hand in Hand an die Kriegsopfer gedachten.

Mit der Aufnahme Österreichs, Finnlands und Schwedens war die Mitgliederanzahl der Europäischen Gemeinschaft, die seit dem Maastrichter Vertrag den Titel „Europäische Union“ (EU) trug, im Jahr 1995 auf stattliche 15 Staaten angewachsen.

Doch allmählich wurde ein Problem immer offensichtlicher:

Die Europäische Gemeinschaft wurde damals von sechs Mitgliedern gegründet und war dementsprechend strukturiert worden.

Betrachtet man die Europäische Gemeinschaft als eine Art Lokomotive, so war die Triebkraft der Lok ursprünglich also auf sechs Waggons ausgelegt worden. Im Laufe der Zeit vergrößerte sich die Anzahl auf fünfzehn Waggons.

Beschlüsse wurden jedoch seit je her im Rat der Europäischen Gemeinschaften bzw. seit 1993 im Rat der Europäischen Union, der wohl aufgrund der Entscheidungskraft über Gesetze und Haushalt bis heute als wichtigstes Gremium zählt, nach dem Prinzip der Einstimmigkeit gefällt. So kann man sich durchaus vorstellen, dass mit Zunahme der Teilnehmerzahl die Entscheidungsfindung immer schwieriger wurde.

Eine Konferenz in Amsterdam 1997 sollte genau dieses Problem aufgreifen und die Entscheidungsfindung des Rates effizienter und schneller gestalten.

Doch der Vertrag von Amsterdam fiel eher ernüchternd aus und so wurde das Prinzip der Einstimmigkeit wie schon im EU-Vertrag festgelegt in 72 Punkten beibehalten und die Lösung als eins der sogenannten “Amsterdamer-left-overs" einer neuen Konferenz zugeschrieben.5

Bis Februar 2000 war bezüglich einer EU-Reform wenig geschehen, doch die Zeit drängte allmählich, da nun Estland, Polen, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern, Bulgarien, Lettland, Litauen, die Slowakei, Rumänien und Malta als neue EU-Bewerber sprichwörtlich vor der Tür standen.

Da die „veraltete Lok“ aber keinesfalls „27 Waggons“ ziehen konnte, wurde am 14. Februar

2000 unter portugiesischem Vorsitz eine neue „[...]Regierungskonferenz über die institutionelle Reform offiziell und feierlich eröffnet.“

2.2 Der EU-Abschlussgipfel in Nizza

Ganz oben auf der ToDo-Liste standen natürlich die schon oben erwähnten „left-overs“ von Amsterdam, zu denen die Frage nach der Größe und Zusammensetzung der Europäischen Kommission, wie auch die der Stimmgewichtung und der Sitzverteilung im Europäischen Rat zählten. Zusammengefasst musste die neue Regierungskonferenz also dafür sorgen, dass die EU auch mit 27 Staaten noch handlungsfähig blieb.7

Der erste Zwischenbericht des portugiesischen Vorsitzes im Juni 2000 fiel allerdings eher nüchtern aus, da man bei keinem der oben genannten „left-overs“ eine Einigung erzielen konnte. Und auch die Bilanz von Biarritz, nun unter französischem Vorsitz, im Oktober 2000 zeigte deutlich, dass selbst nach neun Monaten Verhandlungsdauer in vielen Bereichen immer noch Uneinigkeit herrschte. Schlimmer noch, denn allmählich zeichnete sich eine „[...] immer stärker drohende Krise [...]“ ab.8 Eine erhoffte Lösung der „left-overs“ sollte wenn erst auf dem Abschlussgipfel in Nizza erfolgen.

Der Öffentlichkeit blieb diese Uneinigkeit in den Kernfragen natürlich nicht verborgen, so dass die Medien den Abschlussgipfel schon im Vorfeld als äußerst problematisch und kritisch darstellten.

Dann war es endlich soweit:

Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen versammelten sich die 15 EU-Staats- und Regierungschefs in Nizza um dort vom 7. bis zum 9. Dezember 2000 über den neuen EU-Vertrag zu verhandeln.

Hier an der Côte d'Azur wollte man nun unbedingt ein Ergebnis erzielen. Dies war auch deutlich an der Ansage des französischen Vorsitzes zu erkennen, man würde sogar die Uhren anhalten und sich so lange auseinandersetzen, bis ein Ergebnis vorzuweisen wäre. Die Bedeutung dieser Aussage lag allerdings weniger in ihrer Umsetzung, sondern trug „[...] natürlich nur symbolischen Charakter,“,9 da man die Uhren schon in vergangenen Krisen angehalten hatte.

Mit der politischen Spitze kamen natürlich auch die skeptischen Journalisten, die schon am

[...]


1 Didzoleit, Winfried / Koch, Dirk: Prestige und Profit, in: Der Spiegel, Nr. 51 / 2000, S. 30

2 vgl. http://www.vorkriegsgeschichte.de /content/view/13/29/: Die französisch-deutsche Rivalität 1872-1914 , 6. Mai 2008

3 Hohm, Franziska/Fisch, Stephan /u.a.: TaschenAtlas Europäische Union, 1.Aufl. Gotha 2004, S.148

4 Zervakis, Peter A./ Gossler, Sébastien von: 40 Jahre Elysée-Vertrag: Hat das deutsch-französische Tandem

noch eine Zukunft?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, hrsg.v. Bundeszentrale für politische Bildung,

Bonn 2003, S. 6

5 Schwarz, Oliver: Vertrag von Amsterdam, unter: http://www.europa-reden.de/info/amsterdam.htm, 7. Mai 2008

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der EU-Vertrag von Nizza
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Veranstaltung
Frankreich und Deutschland seit 1940: Gesellschaft, Politik und Kultur
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V126048
ISBN (eBook)
9783640314607
ISBN (Buch)
9783640318094
Dateigröße
430 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
EU-Vertrag, Nizza, Frankreich, Deutschland
Arbeit zitieren
André Miething (Autor:in), 2008, Der EU-Vertrag von Nizza, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126048

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