Italien auf dem Weg zum Föderalismus: 1989-2008


Seminararbeit, 2008

18 Seiten, Note: 5.5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Zusammenbruch der alten Strukturen
2.2 Die Regionen vor 1994
2.3 Die Lega Nord als Stein des Anstosses
2.4 Administrative Dezentralisierung
2.5 Die Verfassungsreform von
2.6 Der steinige Weg von der Theorie zur Praxis
2.6.1 Die Reform der Reform
2.7 Wo steht Italien heute
2.8 Vergleich Schweiz – Italien
2.8.1 Kommentar

3. Fazit

4. Bibliographie
4.1 Literatur
4.2 Internet

1. Einleitung

Das Thema meiner Arbeit, die Föderalismusbestrebungen im Italien der letzen 20 Jahre, mag auf den ersten Blick etwas verwundern – ist Italien doch seit 1948 in 20 Regionen[1] und (seit 2009 neu) 109 Provinzen gegliedert.

Diese Arbeit soll jedoch zeigen, dass nicht die territoriale Aufteilung eines Staates entscheidend ist für eine föderale Staatsform, sondern vielmehr ein föderales Denken und eine föderale Kultur, neben dem notwendigen rechtlichen Rahmen.

Italiens Suche nach dieser föderalen Kultur, seine Bestrebungen, die politische Macht zu dezentralisieren, stehen denn auch im Zentrum dieser Arbeit. Ich möchte zeigen, warum sich Italien trotz guten, rechtlichen Voraussetzungen nach wie vor schwer tut mit dieser föderalen Kultur, warum es dem Stiefel Europas auch nach dem Zusammen-bruch der ersten Republik nicht gelungen ist, seine Staatsstruktur grundlegend und nachhaltig zu reformieren.

Das Thema hat mich aus drei Gründen interessiert: Erstens habe ich als Journalist von Berufes wegen viel mit der Politik Italiens zu tun, zweitens ist die Schweiz seit 1848 ein föderaler Staat, insofern interessierte es mich, einen Vergleich zwischen den beiden Staaten zu ziehen. Und schliesslich besuche ich zurzeit die Vorlesung „Droit Public“ – Staatsrecht, weshalb mich auch der juristische Aspekt des Themas und vor allem die Verfassung Italiens interessierte.

Entsprechend habe ich versucht, alle diese Aspekte in die Arbeit einfliessen zu lassen: Die politischen Folgen des Zusammenbruchs der ersten Republik, die Reformjahre 1996-2001 auf Gesetzes- und Verfassungsebene und schliesslich ein Vergleich Italien – Schweiz mit einem persönlichen Kommentar.

2. Hauptteil

2.1 Zusammenbruch der alten Strukturen

Wenn man im Zusammenhang mit Italien von einem „Föderalisierungsprozess“ spricht, so hat dieser seinen Ursprung wohl im Jahre 1989, aus zwei Gründen: 1989 war einerseits das Gründungsjahr der Lega Nord, welche später im Föderalisierungsprozess Italiens eine entscheidende Rolle einnehmen wird (siehe dazu Kapitel 2.3). Viel wichtiger waren jedoch vorerst die weltweiten Geschehnisse: Dem Zerfall der Sowjetunion, dem Fall der Berliner Mauer und dem damit verbundenen Ende des kalten Krieges fiel auch das italienische Parteiensystem zum Opfer, welches seit 1948 in zwei grosse, vom Kalten Krieg geprägte Lager gespalten war.[2] Die Parteien verloren massiv an Wählerstimmen, was, zusammen mit den Schmiergeld-Aufdeckungen („Mani Pulite“ und „Tangentopoli“) der Jahre 1992 bis 1994 im Untergang der ersten Republik endete.[3]

Diese Aufdeckungen führten zu einer landesweiten Krise und erweckten damit die Diskussionen um die Staatsstruktur Italiens zu neuem Leben. Nicht zuletzt, weil wegen der Korruptions- und Schmiergeld-Aufdeckungen die Regierung in Rom delegitimiert wurde, worauf die Regionen, vorallem im Norden, mehr Zuständigkeiten forderten.

Bereits 1992 wurde eine erste parlamentarische Komission beider Kammern eingesetzt, die Comissione bicamerale per le riforme instituzionali, kurz Bicamerale I, mit dem Ziel, Vorschläge für eine Regierungs- und Staatsreform zu erarbeiten. Die Komission sah in ihrem Abschlussbericht im Oktober 1993 vor, den Regionen in weiten Gebieten ausschliessliche Gesetzgebungskompetenzen zu geben, ihnen die Kontrolle der regionalen Verwaltungen zu übertragen wie auch weitere finanzpolitische Kompetenzen bis hin zur Autonomie.[4]

Eine Reform des Staatsstruktur war auch im Interesse des Volkes; In einer Umfrage 1994 zu bevorzugten Reformen des Staatsaufbaus (siehe Abbildung 1), äusserte sich nur ein Drittel der Befragten zufrieden mit der gegenwärtigen Struktur.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Bevorzugte Reformen des Staatsaufbaus (Umfrage 1994)

Quelle: Barlucchi, M. Chiara, Quale secessione in Italia?, in: Rivista Italiana di Scienza Politica, Jg. 27, 1997, S. 351.

Dennoch wurden die Vorschläge der Bicamerale I nie umgesetzt; 1994 zerbrach die Regierung unter Ministerpräsident Carlo Azelio Ciampi und die neue Regierung unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi zeigte wenig Interesse an einer föderalen Reform Italiens.

2.2 Die Regionen vor 1994

Es wäre jedoch falsch, die Trägheit und Reformfeindlichkeit Italiens alleine dem Staat zuzuschieben. Denn bis 1994 machten auch die Regionen wenig Anstalten, mehr Gewicht zu erhalten – im Gegenteil: Sie mussten sich mehrheitlich “erhebliche Versäumnisse und politische Unzulänglichkeiten"[5] vorwerfen lassen.

Das grösste Manko war dabei in vielen Regionen die mangelnde Effizienz in der Administration. Grasse macht dazu folgendes Beispiel[6]: Die wirtschaftlich sehr erfolgreiche Region Lombardei beschäftigte 1990 einen Regionalbediensteten pro 1’890 Einwohner. Die Region Sizilien hingegen, trotz Sonderstatut[7] weit weniger erfolgreich, kam auf ein Verhältnis von 1:276. In anderen Worten, von knapp 300 Sizilianern war mindestens einer bei der Region angestellt. In ganz Italien betrug die Zahl der Regionalbediensteten 1990 rund 93’000.

Was Italiens Regionen vorerst nicht schafften – ihre Stellung gegenüber der Zentralregierung in Rom zu verbessern – gelang dafür auf internationaler Ebene: Mit dem Maastrichter Vertrag über die Europäische Union 1992 wurde unter anderem in Europa das Subsidiaritätsprinzip eingeführt, zudem wurden innerhalb der EU neue politische und administrative Handlungsräume für die Regionen geschaffen, welche sie stärker als bis dahin möglich aus dem Schatten ihrer jeweiligen Nationalstaaten heraustreten liess.[8]

2.3 Die Lega Nord als Stein des Anstosses

Auch wenn es, wie bisher gesehen, viele Faktoren gibt, welche in Italien zu Beginn der 90er Jahre die Diskussion um die Staatsstruktur zu neuem Leben erweckt haben, so gilt doch eine Gruppierung als eigentliche Auslöserin und bis heute als Motor der Föderalismusbestrebungen: Die Lega Nord, entstanden 1989 aus dem Zusammenschluss mehrerer kleiner Leghen in Norditalien.

Die Lega Nord und vor ihr die einzelnen regionalen Leghen verlangten von Anfang an mehr Autonomie für die Regionen des Nordens. So hiess es bereits im ersten Parteiprogramm der Lega Lombarda von 1982 im ersten Paragraph: “Für die Selbstregierung der Lombardei, die den zentralisierten Staat durch einen föderalen Staat, der alle zusammengeschlossenen Völker respektieren kann, überwindet.”[9]

Mit der Forderung der Lega Nord nach mehr Autonomie für die Regionen mit Normalstatut begann auch ihr Aufstieg: In den Wahlen unmittelbar nach dem Schmiergeldskandal 1992 errang die Lega 20 Prozent der Wählerstimmen (siehe Abbildung 2) und wurde damit hinter der Democrazia Cristiana (DC) die zweitstärkste Partei Italiens; mit 55 Abgeordnetensitzen sowie 25 Vertreter im Senat.

[...]


[1] Richtig ins Leben gerufen wurden die Regionen jedoch erst 1970, mit den ersten allgemeinen Wahlen der Regionalversammlungen.

[2] Vgl. Grasse, Alexander: Modernisierungsfaktor Region: Subnationale Politik und Föderalisierung in Italien, Wiesbaden, 2005, S. 19.

[3] Zum Zusammenbruch der ersten Republik, vgl. Jansen, Christian: Italien seit 1945, Göttingen, 2007.

[4] Vgl. Byungkee, Jung: Norditalienischer Leghismo als politischer Regionalismus; Freie Universität Berlin, 1999, S. 143.

[5] Grasse, Alexander: Modernisierungsfaktor Region: Subnationale Politik und Föderalisierung in Italien, Wiesbaden, 2005, S. 321.

[6] Vgl. Grasse, 2005, S. 322.

[7] Von den 20 Regionen Italiens besitzen fünf einen Sonderstatut: Sardinien, Sizilien, Friaul-Julisch Venezien, Trentino-Südtirol und Aostatal. Sie haben eine grössere, vorallem finanzielle Autonomie als die 15 Regionen mit Normalstatut und mehr Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen.

[8] Vgl. Grasse, Alexander: Modernisierungsfaktor Region: Subnationale Politik und Föderalisierung in Italien, Wiesbaden, 2005, S. 51.

[9] Übersetzung nach: Byungkee, Jung: Norditalienischer Leghismo als politischer Regionalismus; Freie Universität Berlin, 1999, S. 132.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Italien auf dem Weg zum Föderalismus: 1989-2008
Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)  (Lehrstuhl für Zeitgeschichte)
Veranstaltung
Proseminar: Italien zwischen I. und II Republik
Note
5.5
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V125951
ISBN (eBook)
9783640314133
ISBN (Buch)
9783640317806
Dateigröße
505 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schweizerische Benotung 5.5 entspricht einer 1.5 in Deutschland
Schlagworte
Italien, Föderalismus
Arbeit zitieren
Matthias Haymoz (Autor:in), 2008, Italien auf dem Weg zum Föderalismus: 1989-2008, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125951

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