Fremdheit als Grundkategorie in der Pädagogik?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2000

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt:

Einleitung

1. Vertrautheit statt Fremdheit - Die traditionelle Grundkategorie zum pädagogischen Bezug

2. Philosophische Anknüpfungspunkte für ‘Fremdheit’ als alternative Grundkategorie in der Pädagogik
a) „Ent-eignung“ als Auslieferung an das Fremde - Diltheys Hermeneutik
b) „An-eignung“ als Bändigung der Fremdheit - Hegels Dialektik
c) „So-sein-lassen“ von Eigenem und Fremdem - Adornos Negative Dialektik
d) Fremdes „nicht-im-Stich-lassen“ - Lévinas’ Humanismus des anderen Menschen

3. Folgerungen für eine pädagogische Theorie des Umgangs mit Fremdheit
a) Die sozialkonstruktivistische Sicht von Fremdheit …
b) … und „Fremdheitskompetenz“ als ihr Bewältigungsmodell

4. Kinder als Fremde „aus der Perspektive von Kindern“ verstehen? - Rückwirkungen auf das Konzept des pädagogischen Bezugs

Literatur

Einleitung

Der Begriff der „Fremdheit“ erscheint zunächst einmal gerade nicht als ein zentraler Sachverhalt in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion. Dies verwundert nicht, insofern man den Hervorgang der Pädagogik aus der familiären Erziehung zur Kenntnis nimmt. In den Anfängen der professionellen und wissenschaftlich reflektierten Erziehung wird davon ausgegangen, daß der (berufsmäßige) Erzieher in seiner pädagogischen Beziehung zum Kind freundschaftlich oder väterlich diesem begegnen solle (Vgl. Giesecke, S. 100f).

Unter dem Begriff des „pädagogischen Bezugs“ ist in der Erziehungswissenschaft das ausführlich diskutiert worden, was ich im Rahmen der hier vorliegenden Arbeit unter der Perspektive des Begriffs der „Fremdheit“ verhandeln und (das ergibt sich damit bereits aus der Themenstellung) kritisch hinterfragen und diskutierten möchte. Diese Auseinandersetzung geschieht in den folgenden Schritten: Zunächst sollen die Grundgedankengänge umrissen werden, die das Thema der pädagogischen Beziehung bestimmt haben. Aus der Kritik dieser Diskussion soll der Begriff der „Fremdheit“ als Element dieses Themas dargestellt und akzentuiert werden. Hierzu soll, zur kritisch-konstruktiven Entwicklung dieses Ansatzes, auf philosophische - insbesondere erkenntnistheoretische - Positionen Bezug genommen werden, welche es ermöglichen, dem Element der Fremdheit in der Erziehung eine profilierte Rolle und Aufgabe zuzuweisen, aber auch seine Grenzen zu benennen. Dieser Rückgriff erscheint m.E. auch dadurch erforderlich, daß eher phänomenologisch orientierte, deskriptive Annäherungen zwar zu einer Problematisierung des Sachverhalts beizutragen vermögen, weniger aber zu einer nachfolgenden (reflexiven) Konzeptionierung verhelfen. Damit dabei aber nicht der Bezug zum Feld pädagogischer Problemstellung verloren geht, muß entsprechend von der philosophisch-abstrakten Auseinandersetzung mit dem Thema der Blick stufenweise zunächst wieder auf die pädagogische Theorie allgemeinen und schließlich auf das Thema des pädagogischen Bezugs als Ausgangs­thema gerichtet werden.

Nun aber von vorn.

1. Vertrautheit statt Fremdheit - Die traditionelle Grundkategorie zum pädagogischen Bezug

Sehr treffend beschreibt Hermann Giesecke im zweiten Band seines Einführungsbuches in die Pädagogik, was unterschwellig im Grunde Generationen von erzieherisch tätigen Menschen in ihrem Selbstverständnis geprägt hat:

„Seit Pestalozzis ‘Stanser Brief’ gilt aber die familiäre bzw. familienanaloge Beziehungsstruktur als die Grundlage der ‘pädagogischen Beziehung’ überhaupt. (…) Das Familien-Modell als Grundlage jeder pädagogischen Beziehung mit Unmündigen war über Jahrzehnte so beherrschend, daß es auch außerhalb pädagogischer Felder seine Wirkung hatte (…), wo es als Gipfel des pädagogischen Formats galt, wenn der Meister oder Vorgesetzte nicht nur dienstlich streng sondern auch ‘väterlich’ mit seinen Untergebenen umging.“ (Giesecke, S. 100f.)

Die Problematik dieses Modells besteht nun weniger darin, daß sie sich aufgrund wohlgemeinter Anliegen entwickelt hatte. Pestalozzi beabsichtigte ja nüchtern ein Sozialmodell für marginalisierte Kinder zu verwirklichen, welches mit einer kleinbürgerlichen Familienromantik gar nichts gemeinsam hatte. Für Giesecke ist es daher wesentlich der Prozeß gesellschaftlicher Ausdifferenzierung, welcher eine Ideologisierung des Familienmodells als Grundlage jeglicher pädagogischer Beziehung begründete. (Vgl. Giesecke, S. 101) Allerdings: ein Ausdifferenzierungsprozeß muß nicht zwangsläufig zu einer ideologischen Überhöhung eines Konzepts führen. Viel­mehr müssen die Gründe darin gesucht werden, daß eine faktische Sozialkonstruktion, wie es die Familie früher war und (im Vergleich zu den übrigen gesellschaftlichen Entwicklungen) recht ähnlich immernoch ist, als normatives Modell für Erziehung herangezogen wurde. Diese unselige Verschränkung von Normativität und Faktizität, von Sein und Sollen, dürfte in diesem Falle weder der Familienwirklichkeit noch der Erziehungsrealität angemessen sein - weder heute noch gestern. An dieser Stelle ist auch im Rahmen unserer Überlegungen achtzugeben auf die Differenz von Gegebenem und zu Erstrebendem.

So ist es im Grunde genau diese Differenz, welche - zunächst einmal im Rahmen der Kinderforschung bzw. Kleinkindererziehung - zu der Feststellung geführt hat, daß in der pädagogischen Beziehung am Anfang eben nicht pathetische familienartige Vertrautheit und Nähe stehen, sondern Fremdheiten und Unterschiede.

2. Philosophische Anknüpfungspunkte für ‘Fremdheit’ als alternative Grundkategorie in der Pädagogik

Ist also somit festgehalten, daß „Fremdheit“ ein wesentliches Moment oder gar den Ausgangspunkt jeglicher pädagogischen Beziehung darstellt, so ergibt sich daraus die Frage nach dem (pädagogisch orientierten) Umgang mit der Fremdheit und Anders­artigkeit des Educanden. Käte Meyer-Drawe und Bernhard Waldenfels setzen sich in ihrem Aufsatz über die Fremdheit des Kindes mit unterschiedlichen aber grund­sätzlich möglichen und existierenden Konzepten im Umgang mit Fremdheit ausein­an­der. Entscheidende zugrundeliegende Erkenntnis der Autoren ist dabei, daß der Umgang mit Fremdheit eine Frage von Erfahrungen ist, und somit nicht unabhängig von einem Subjekt diskutiert werden kann. Umgang mit Fremdheit bedeutet für die Autoren daher immer ein In-Beziehung-Setzen von Fremdem und Eigenem. „Das Fremdartige … setzt eine bestimmte Form von Normalität voraus.“ (Meyer-Drawe / Waldenfels, S. 272)

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Fremdheit als Grundkategorie in der Pädagogik?
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar Aus der Perspektive von Kindern. Neue Ansätze der Kinderforschung
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
15
Katalognummer
V12567
ISBN (eBook)
9783638184212
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vertrautheit, Fremdheit, Erziehungsverhältnis, Generationenbezug, Philosophische Grundlagen
Arbeit zitieren
Markus Raschke (Autor:in), 2000, Fremdheit als Grundkategorie in der Pädagogik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12567

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