Strassenkinder in Deutschland, Lateinamerika und Afrika im Vergleich


Studienarbeit, 2001

51 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

A. Einleitung

B. Situation der Strassenkinder in Deutschland
1. Definition
2. Zahlen und Fakten
3. Ursachen
4. Einnahmequellen, Drogen, Prostitution, Kriminalität
4. 1. Einnahmequellen
4.2. Drogen
4.3. Prostitution
4.4. Kriminalität
5. Tagesablauf und Wohnmöglichkeiten
6. Schule und Zukunft
7. Hilfsprojekte

C. Situation der Strassenkinder in Lateinamerika
1. Definition
2. Zahlen und Fakten
3. Ursachen
4. Einnahmequellen, Drogen, Prostitution, Kriminalität
4.1. Einnahmequellen
4.2. Drogen
4. 3. Prostitution
4.4. Kriminalität
5. Tagesablauf und Wohnmöglichkeiten
6. Schule und Zukunft
7. Hilfsprojekte

D. Situation der Strassenkinder in Afrika
1. Definition
2. Zahlen und Fakten
3. Ursachen
4. Einnahmequellen, Drogen, Prostitution, Kriminalität
4.1. Einnahmequellen
4.2. Drogen
4.3. Prostitution
4.4. Kriminalität
5. Tagesablauf und Wohnmöglichkeiten
6. Schule und Zukunft
7. Hilfsprojekte

E. Vergleich
1. Gemeinsamkeiten
2. Unterschiede

F. Schlussbemerkung

G. Literaturverzeichnis

H. Erklärung

I. Tabelle

Einleitung

Wir kennen die Bilder aus Film, Fernsehen, aus der Zeitung und aus Zeitschriften – Die immer wiederkehrenden Bilder von Strassenkindern. Es gibt wohl keinen Platz auf Erden, an dem man sie nicht finden könnte. Die Zunahme der Kinder, die auf der Strasse leben, wird zum globalen Problem. Doch was treibt diese Kinder auf die Strasse? Wie verbringen sie ihren Alltag? Gibt es wesentliche Unterschiede im Leben der Strassenkinder in verschiedenen Ländern? All dies sind Fragen, auf die ich versuchen werde, in dieser Arbeit eine Anwort zu finden.

B. Situation der Strassenkinder in Deutschland

Obwohl es in Deutschland offiziell gar keine obdachlosen Kinder und Jugendlichen gibt heißt es von offizieller Seite, es gebe nur „weggelaufene Kinder“ die aufgegriffen und untergebracht werden müssen. Man verleugnet sie, will nicht wahrhaben dass sie trotz allem existieren.

Obwohl keine genauen Zahlen bekannt sind (die Dunkelziffer ist sehr hoch), wird ihre Anzahl auf 1500 bis 2500 geschätzt. Kinder bis zu 16 Jahren haben in Deutschland das Recht auf Obdach und können dies notfalls auch einklagen. Das Jugendamt ist nach § 42, Abs. 2, 3 KJHG verpflichtet ihnen Obhut zu gewähren.

§ 42 Abs.2: „Das Jugendamt ist verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet (...)“, Abs. 3:“ Das Jugendamt ist verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen, die Inobhutnahme erfordert.“

Ein Recht auf ein Leben auf der Strasse gibt es nicht.

1. Definition

Es gibt unterschiedliche Definitionen für Strassenkinder, doch die am plausibelsten erscheinende stammt von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der vereinten Nationen. Danach sind Strassenkinder

„Minderjährige, also Kinder und Jugendliche für die die Strasse im weitesten Wortsinn zum zentralen Aufenthalts- und Überlebensort wurde und die keinen entsprechenden Schutz genießen. Der Begriff „Strasse“ schließt hierbei verlassene oder heruntergekommene Gebäude mit ein“

Zu Strassenkindern werden nicht diejenigen gezählt, die nur kurz von zu hause ausreißen, auch nicht die, die nachts zwar zu hause schlafen, sich tagsüber aber auf der Strasse aufhalten.

2. Zahlen und Fakten

Die Zahl der Strassenkinder steigt stetig an. Derzeit wird sie Deutschlandweit auf 1500 bis 2500 geschätzt, was aus der Vermisstenstatistik des Bundeskriminalamtes hervorgeht[1].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

* Vernachlässigbar geringe Additionsungenauigkeiten in der Statistik des BKA ergeben sich aus sich ändernden Vermißtenzahlen während der Datenabfrage.

** Bei der Erhebung am 25.12.1993 ist zu bedenken, dass es sich um den Weihnachtsfeiertag handelt.

Allein in München lag die Zahl der vermißten Kinder und Jugendlichen 1999 bei 848, was sich aus der Statistik des Statistischen Amtes1 ergibt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hier läßt sich ersehen, dass sich die Anzahl der Mädchen und Jungen nahezu die Waage hält, wobei nach dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) eine Zunahme der Mädchen zu beobachten ist. Die Zahl der Strassenkinder in den neuen Bundesländern ist ebenfalls sehr hoch. Hierzu war jedoch leider keine Statistik aufzufinden.

Laut dem Gesetzgeber kann es Strassenkinder in Deutschland jedoch erst gar nicht geben. Nach offiziellem Sprachgebrauch sind sie bis zum 15. Lebensjahr „obhutlos“ und die Polizei bringt sie zu ihren Eltern zurück. Häufig weigern sich die Kinder, was dann meistens einen Heimaufenthalt für sie bedeutet.

Die Polizei nimmt lediglich Kinder unter 16 Jahren mit, die keine Papiere vorweisen können, was zu einer Überprüfung ihrer Identität führt. Sind sie als vermißt gemeldet oder können sie keine gültige Adresse vorweisen - werden sie zum Kinder- und Jugendnotdienst gebracht. Dort bleiben sie dann 2 - 3 Monate. Die Sozialarbeiter dort nehmen Kontakt zu den Eltern und zu den zuständigen Jugendämtern auf und versuchen in der Regel, die Familien wieder zusammenzuführen. Gegebenenfalls untersuchen sie, ob es für das Kind besser wäre, in einem Heim zu bleiben. Auf Dauer halten jedoch viele Kinder den Aufenthalt im Heim nicht aus und flüchten wieder auf die Strasse (sog. Treber).

Strassenkinder sind fast nie Kinder, sondern meist Jugendliche und junge Erwachsene. Zwar werden sie immer jünger – jedoch bilden Kinder unter 14 Jahren bisher die Ausnahme. Die Altersspanne reicht von unter 10jährigen bis weit über 60jährige. Der Anteil nicht-deutscher Strassenkinder ist gering.

Strassenkinder gehören zum Erscheinungsbild aller Großstädte (z. B. Berlin, Hamburg, Hannover, Köln, Frankfurt, Düsseldorf, Dortmund, Dresden, Leipzig, Nürnberg, München und Stuttgart). Viele kommen aus eher ländlichen Gegenden und suchen die Anonymität der Großstadt.

Das Verhältnis der Strassenkinder zur Polizei ist zwiespältig. Obwohl sie ständig „von den Bullen gejagt und verfolgt werden“, ist die Einhaltung eines gewissen „Gentlemen’s Agreement“ zu beobachten: „Tust du mir nichts, tu‘ ich dir nichts“. Ständig loten die Kinder aus, wie weit sie die Polizei reizen können, ohne Ärger zu bekommen.

Streßsituationen in den Szenen lösen die Kinder mit der Flucht in eine andere Stadt. Ein Ortswechsel lindert jedoch auch die Gefahr, von der Polizei aufgegriffen zu werden. Punker wechseln oft die Orte, um ihre Szenen an anderen Plätzen zu besuchen. Strichjungen verkehren durchaus mit Freiern an verschiedenen Orten.

Der eigene Körper hat für viele Kinder keine besondere Bedeutung. So trägt er offensichtlich die Anzeichen der Verwahrlosung: Dreck, Wunden und Infektionen gehören zum Erscheinungsbild der Kinder. Sie tätowieren sich mit Tinte und Rasierklingen und Piercen sich selbst.

Auch die Strassenkinder verfügen über ein System, gekennzeichnet durch Ordnung, Hierarchien, Abhängigkeiten und Vorherrschaft. Muß dieses System verteidigt werden, greifen auch die Mädchen häufig zu Gewalt.

3. Ursachen

Die Strassenkindergruppen sind sehr heterogen und so sind auch die Ursachen, Probleme und Konflikte unterschiedlich und vielschichtig. Die 3 Bereiche in denen die auslösenden Faktoren am häufigsten zu suchen sind, sind:

1. Armut: z. B. finanzielle Notlage und Arbeitslosigkeit der Herkunftsfamilie
2. Familienverhältnisse: z. B. Störungen oder Zusammenbrüche des Beziehungssystems
3. Strukturen der Jugendhilfe: z. B. Heime (ständig wechselnde Bezugspersonen)

Viele der Kinder fühlen sich von ihren Eltern vernachlässigt oder werden sexuell mißbraucht (vor allem bei Mädchen ist dies häufig der Auslöser, von zu hause auszureissen, weil sie Angst davor haben, sich jemandem anzuvertrauen). Die Jüngsten leben nach der Flucht von zu hause willkürlich nicht-bürgerliche Vorstellungen aus.

Einige Kinder planen ihr „Abhauen“, wählen u. U. sogar den Tag aus, an dem sie gehen. Andere entscheiden spontan aus der Situation heraus. Einige brauchen einen Anlauf, wieder andere unternehmen 2 Dutzend Anläufe, haben längere und kürzere Aufenthalte auf der Strasse, kehren aber immer wieder zu ihrer Familie zurück. Bei vielen kündigt sich das „Abhauen“ auch schon vorher durch unabgemeldetes Wegbleiben teilweise für eine Nacht oder auch ein ganzes Wochenende, durch Schule schwänzen und herumtreiben an. Häufig eröffnen Ältere den Kindern die Chance auf eine Strassenkarriere.

Für Heimkinder bedeutet die Flucht, daß es kein Zurück mehr gibt. Für viele Kinder ist das Abhauen die Lösung ihrer gegenwärtigen Probleme. Sie verbinden mit den Eltern oder dem Heim nur noch bedrückende und negative Gefühle, sie ertragen die Atmosphäre zu Hause nicht mehr. Die Kinder legen sich auf der Strasse eine neue Identität zu (die meisten rechnen damit, daß ihre Eltern eine Vermißtenanzeige aufgeben und melden sich deshalb erst gar nicht beim Einwohnermeldeamt an). Damit sind sie wiederum nicht in der Lage, Sozialhilfe oder andere Unterstützungen zu erhalten. Ca. 1/3 der Strassenkinder hatten vor ihrer Strassenkarriere mindestens einen Jugendhilfekontakt.

Das DJI (Deutsches Jugendinstitut) nennt 3 wesentliche Gründe für den Wechsel von einer Jugendhilfe zu einer Strassenkarriere:

1. Formale, institutionelle Gründe und Unsicherheiten in der Hilfeplanung und bei der Abklärung der erzieherischen Erfordernisse und Möglichkeiten die zu immer neuen Einrichtungswechseln und schließlich auf die Strasse führen.
2. Die Ausgrenzung von angeblich zu schwierigen Jugendlichen von den Einrichtungen
3. Die in Psychiatrischen Einrichtungen begonnenen Behandlungen werden in Heimen nicht fortgesetzt, weil deren pädagogischer Rahmen dies nicht erlaubt.

4. Einnahmequellen, Drogen, Prostitution, Kriminalität

4.1. Einnahmequellen

Strassenkinder verdienen sich ihr Geld meist durch Bettelei, Prostitution, Diebstählen oder auch durch Dealen. Diejenigen, die beim Einwohnermeldeamt gemeldet sind, haben oft die Chance, Sozialhilfe beziehen zu können.

4.2. Drogen

Auch Drogen sind eine Möglichkeit für die Kinder, sich zu finanzieren. Gerade Jüngere werden oft von Hehlern als Boten oder Drogenkuriere eingesetzt oder beginnen nicht selten damit, selbst zu dealen.

Nicht alle Strassenkinder nehmen Drogen, wenngleich die meisten Haschisch rauchen. Trotz der Tatsache, daß Alkohol neben Haschisch die Häufigste Droge ist, gibt es überraschend viele, die überhaupt keinen Alkohol trinken. Für Strassenkinder gehört jedoch das Angebot harter Drogen zum Alltag. Sie können auf der Strasse alles bekommen - von Heroin und Kokain halten sich die meisten dennoch fern, da sie die Gefahren kennen. Über Junkies haben die meisten nichts gutes zu sagen. Selbstverständlich gibt es auch hier einige Ausnahmen. So sehr das „Drücken“ einerseits abgelehnt wird, so sehr ist das „Einwerfen“ synthetischer Drogen (LSD) für viele Kinder Alltag. Die Pillen sind allgegenwärtig, die Kinder schlucken sie, wie andere Aspirin. Offenbar sind sie der Meinung, eine kleine Pille sei wie ein Medikament, das weiße Pulver Heroin oder Kokain (und deren Folgen) dagegen seien wesentlich schlimmer. Sie brauchen sie aber auch, um das Erlebte zu verdrängen, den trüben Alltag zu vergessen oder um ein wenig Schlaf zu bekommen, die Kälte, den Lärm oder den Dreck nicht zu spüren. Wenngleich die Probleme am nächsten Tag nicht verschwunden sind, wollen sie sich lediglich ein paar Stunden betäuben.

Crack (Steine, Rock, Freebase, also zum Rauchen aufbereitetes Kokain) gewinnt bei den Jugendlichen auf der Strasse immer mehr an Bedeutung. Der Rausch beginnt praktisch sofort nach dem Konsum, ist aber auch beinahe so schnell wieder vorbei. Der Konsum dieser Droge fördert aggressives Verhalten. Häufig verfallen sie nach dem Rausch in eine Depressionsphase, was wiederum zum sog. „nachlegen“ (weiterer Konsum von möglichst viel Crack) führt.

Da es bei Crack im Gegensatz zum Heroin keine „Sättigungsgrenze“ gibt, sind die Konsumenten permanent auf der Suche nach der Droge. Raum und Zeit verlieren vollständig an Bedeutung.

Viele der Kinder organisieren ihren Drogenkonsum in der Gruppe. Geht jemand auf den Strich und hat einmal besonders viel Geld, kauft er für die anderen mit - jedoch nur unter der unausgesprochenen Voraussetzung, beim nächsten Mal von den anderen versorgt zu werden.

Das Drogengeschäft ist selbstverständlich von der Illegalität des Schwarzmarktes geprägt. Die Preise richten sich nach dem lokalen Risiko. Wenn unmittelbare Gefahr droht, so hat dies umgehend Auswirkungen auf die Preise. Gleichzeitig entsteht ein Zeitdruck, der dem Käufer keine Bedenkzeit läßt. Unter solchen Umständen sagen stark abhängige auch bei überhöhten Preisen schnell Ja. So kann es durchaus vorkommen, daß Drogenabhängige Kids bis zu 300 DM pro Tag für die Drogen benötigen. Meistens finanzieren sie sich auch durch Dealen ihren Eigenverbrauch.

Bei längerem Aufenthalt auf der Strasse verzweifeln manche Kinder an ihrer Situation und versuchen den Kummer mit Speed, Kokain oder Heroin zu betäuben.

4.3. Prostitution

Viele der Mädchen (aber auch so mancher Junge) gehen auf den Strich, um sich ihr Geld für die Drogen zu beschaffen. Wenn sie kurz vor dem „Turkey“ (Szeneausdruck für körperliche Entzugserscheinungen) sind, gehen sie durchaus weit unter den Normalpreis oder sie verzichten gar ganz auf ein Kondom, wodurch sich natürlich auch das Risiko einer Aids-Infektion oder anderer Krankheiten erhöht.

Es gibt auch die sog. „verschleierte Prostitution“. Darunter ist zu verstehen, daß Männer Mädchen von der Strasse mitnehmen und ihnen ein Zimmer oder eine kleine Wohnung finanzieren. Dafür müssen die Mädchen den Männern aber auch jederzeit sexuell zur Verfügung stehen. Sie stehen so vor der Entscheidung, entweder wieder abzuhauen und auf der Strasse zu leben oder vieles erdulden zu müssen. Teilweise werden die Mädchen sexuell mißhandelt oder sogar eingesperrt. Der Mann entpuppt sich oft als Zuhälter.

Die Jungen gehen nahezu immer in der Öffentlichkeit auf den Strich und übernachten oft bei den Freiern zu Hause oder mit ihnen in Hotels.

4.4. Kriminalität

Kinder, die von zu Hause abhauen sind quasi-kriminalisiert, denn schon der Gesetzgeber verbietet ihnen, sich für ein Leben auf der Strasse zu entscheiden. Den meisten Kindern ist dieses Abseits, in das sie sich freiwillig begeben, klar. Nachdem man sie schon bereits mit dem Stigma des Kriminellen versehen hat, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als kriminell zu handeln .

Manche Kinder sind ständig an kleineren Geschäftchen beteiligt, bei denen es sich meist um Hehlerei handelt: Kleidung, Schuhe, Radios, Autozubehör u.v.a. Jedoch dominiert untereinander das Tauschgeschäft: Für einen Videorecorder bekommt man einige Gramm Haschisch - die Kleidung wird ohnehin häufig untereinander getauscht.

Denjenigen, die ihr Überleben mit Diebstählen sichern, droht stärker als allen anderen, die Gefahr, aufgegriffen zu werden. Dessen sind sie sich auch bewußt. Deshalb wird diese Geldquelle auch von nicht all zu vielen genutzt.

5. Tagesablauf, Übernachtungs- und Wohnmöglichkeiten

Der Tagesablauf der Strassenkinder ähnelt sich, egal ob sie von Bettelei, Prostitution, Diebstählen oder von der Dealerei leben. Vom frühen Nachmittag bis in den späten Abend halten sie sich in ihrer jeweiligen Szene auf und gehen mehr oder minder ihrer Erwerbstätigkeit nach.

Das Spektrum der Übernachtungsmöglichkeiten ist breit. Es reicht vom Liegeplatz unter freiem Himmel, in Parks, unter Brücken oder in Hauseingängen, Über Bauwagen, leerstehenden Häusern und Wohnungen.

In Berlin gibt es sog. „Wohnnester“, in ihnen werden Frauen und Mädchen untergebracht und verpflichtet, als Prostituierte zu arbeiten. Viele werden dafür nicht einmal bezahlt, statt dessen erhalten sie Unterkunft, Essen und Kleidung und werden so gezielt in Abhängigkeit gehalten. Diese Unterkünfte werden zunehmend dafür genutzt, mit den Mädchen kinderpornografische Videos zu drehen.

Viele wohnen auch in besetzten Häusern (am häufigsten sind dort 13 und 14jährige anzutreffen). Das sind verfallene, leerstehende Häuser und Ruinen. Sie bieten eine gute Möglichkeit zum Untertauchen - jedoch müssen sie auch ständig damit rechnen, nach einer Räumung am nächsten Tag auf der Strasse zu stehen.

Viele der Häuser gleichen geradezu Festungen und sind ein sichtbarer Ausdruck der radikalen Aussperrung der staatlichen und polizeilichen Organe. Die Erdgeschosse der Häuser sind mit Stahl, Metall und Eisengittern gesichert. Holztüren werden durch Eisentüren ersetzt oder zumindest von innen verstärkt. Wer dort hinein will, aber selbst nicht dort wohnt, muß klingeln, worauf im 1. Stock jemand aus einem Fenster hinuntersieht. Wer „autorisiert“ ist, bekommt einen Schlüssel hinuntergeworfen, welchen er oben wieder abgeben muß. Diese Festungen geben den Kindern ein gewisses Gefühl der Stärke und Unverletzbarkeit.

In den besetzten Häusern kämpft jeder für sich alleine. In wenigen Häusern herrscht noch ein Gemeinschaftsgefühl. Jeder bewahrt seine Lebensmittel im eigenen Zimmer auf - gemeinsames Kochen steht selten auf dem Tagesplan.

In manchen Städten gibt es auch sog. „Wagenburgen“. Hier leben oft mehrere hundert Personen auf abgegrenzten Gebieten in Anhängern und Bauwägen ohne fließend Wasser und Strom.

Findet sich einmal keine Übernachtungsmöglichkeit, so wird eben auf Schlaf verzichtet. Es gibt auch sog. „Notschlafstellen“, in denen sie anonym übernachten können – jedoch sind diese selten.

Viele der Kinder gestehen im Winter bei der Polizei auch häufig kleinere Vergehen, so daß sie die Möglichkeit bekommen, sich im Gefängnis aufzuwärmen, etwas zu essen und zu schlafen. Seit der Öffnung der EU-internen Grenzen reisen manche im Winter auch nach Spanien oder Portugal. Die in Deutschland verbleibenden Kinder verkriechen sich im Winter schon am frühen Nachmittag in ihren Verstecken.

Für viele ist der Hauptbahnhof zum Lebensmittelpunkt geworden – sowohl als Treffpunkt als auch als Arbeitsplatz. Hier vereinen sich alle Szenen (Prostitution, Dealerei, Hehlerei, Bettelei), außerdem ist eine grobe Versorgung mit Lebensmitteln gegeben. Der Bahnhof hält viele Verstecke und Fluchtmöglichkeiten für sie bereit. Alles was man zum Leben, mit oder ohne Drogen braucht, ist hier vereint.

Der Hauptbahnhof vermittelt die Illusion der Dazugehörigkeit. Es können leicht Kontakte geknüpft werden - es droht keine Ausgrenzung, alle haben ihren Platz - hier finden sie Ablenkung und manchmal auch die nötige Zerstreuung.

[...]


[1] Quelle: Bundeskriminalamt Wiesbaden, Pressestelle Stand: 02.07.1999 (Zahlen in Klammern: 23.08.1996 und 25.12.1993***)

[2] Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Zählung vom 31.12.97

Ende der Leseprobe aus 51 Seiten

Details

Titel
Strassenkinder in Deutschland, Lateinamerika und Afrika im Vergleich
Hochschule
Hochschule München  (Soziologie)
Note
1,5
Autor
Jahr
2001
Seiten
51
Katalognummer
V12563
ISBN (eBook)
9783638184175
ISBN (Buch)
9783640471997
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Arbeit zitieren
Martina Köppl (Autor:in), 2001, Strassenkinder in Deutschland, Lateinamerika und Afrika im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12563

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