Die Kritik der Postmoderne am anarchischen Konzept des Realismus / Neo-Realismus


Seminararbeit, 2002

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Realismus

Neo-Realismus

Kritik am anarchischen Konzept
Dichotomie von Anarchie und Souveränität
Statisches Konzept
Geschlossenes Konzept

Fazit

Literaturverzeichnis:

Einleitung

Seit den 1990er Jahren sprechen viele Wissenschaftler von der vierten großen Debatte innerhalb des Faches der Internationalen Beziehungen. Die etablierten Traditionen werden von Verfechtern alternativer Ansätze attackiert. Die Hauptpole der Debatte sind die realistische/neo-realistische Schule einerseits postmoderne Haltungen andererseits.

Die Realistische Schule wurde maßgeblich von Hans J. Morgenthau nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begründet. Bezugspunkt ihrer Analyse ist die anarchische Weltstruktur als staatliches Interaktionsfeld. Fragen der zwischenstaatlichen Hierarchiebildung und Machtbalance stehen im Vordergrund. Seit dem Ende der 1980er Jahre kam es durch neoliberale und behavioralistische Einflüsse vor allem durch Kenneth Waltz zu einer Neuinterpretation des Realismus. Die neuen Ansätze sind sehr vielfältig. Sie lassen sich jedoch unter dem Begriff Neo-Realismus zusammenfassen, wenn man einen vom realistischen Grundkonzept ausgehenden Konsens über ideengeschichtliche Ursprünge und bestimmte (aber nicht alle) Prämissen voraussetzt.

Den anderen Pol bilden neue Ansätze, deren Vertreter sich selbst als dissident scholars bezeichnen. Sie leiten aus der zunehmenden Internationalisierung und Globalisierung aller Lebenszusammenhänge einen fortschreitenden Funktionsverlust des Staates und eine De-Territorialisierung der Politik ab. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Gestalt und Funktionsweise einer globalen Ordnung jenseits der im Westfälischen Frieden 1648 begründeten Ordnung der Territorialstaaten.

Man kann nicht von einem zusammenhängenden „postmodernen“ Ansatz in den Internationalen Beziehungen ausgehen. Vielmehr handelt es sich um ein Konglomerat verschiedener Haltungen oder Ideen unterschiedlicher Richtungen. Bei aller Verschiedenheit lässt sich doch eine gemeinsame Richtung postmoderner Ansätze unterstellen: die aufklärerisch-kritische Hinterfragung sprachlich-textuell verfestigter Weltsichten, ihrer politischen Bedeutung und der etablierten Machtverhältnisse. Ziel ist, den meist realistischen/neo-realistischen mainstream der Theoriebildung von der Seite des Anders-Denkens her aufzurollen. Ein historisch determiniertes Weltbild innerhalb der Internationalen Beziehungen soll aufgelöst werden um so eine einseitig dominierende Lesart zu vermeiden. Weil die Wahrnehmung der Realität von kulturellen und historischen Kontexten abhängt, sind mehrere Konstruktionen von Welt möglich. Die Postmoderne ist eine Haltung, die Differenz und Vielheit anerkennt. Dabei wird sie teils von der dekonstruktivistischen Sprach- und Textanalyse der französischen Poststrukturalisten (Foucault, Derrida), teils von der kritischen Theorie der Frankfurter Schule (Adorno, Horkheimer, Habermas), dem Post-Behavioralismus und der feministischen Kritik beeinflusst.

Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Frage, welches Ziel die Kritiker verfolgen? Was kann die Kritik leisten? Bietet sie Alternativen?

Zuerst wird die realistische Schule anhand ihres Begründers Morgenthau vorgestellt. Danach folgt eine Zusammenfassung der wichtigsten Prämissen des neo-realistischen Vertreters Waltz. Die sich daran anschließenden Kritikpunkte beziehen sich nicht so sehr auf einzelne Prämissen oder Thesen, sondern vielmehr auf die realistische/neo-realistische Betrachtung- und Herangehensweise in Bezug auf den Untersuchungs-gegenstand Internationale Beziehungen. Den Hauptteil bilden drei der wichtigsten Kritikpunkte: der Dichotomie von Anarchie und Souveränität, das statische Konzept und das geschlossene Konzept des Realismus/Neo-Realismus. Die Untersuchung folgt vor allem den Kritiken Richard Ashleys, der bereits 1981 in Political Realism and Human Interests[1] den Realismus und damit indirekt auch den Neo-Realismus attackierte. Er kann wohl als Wegbereiter der alternativen Ansätze innerhalb des Faches Internationale Beziehungen gelten. Das Schlusskapitel widmet sich der Frage, was die Kritik an der anarchischen Weltstruktur leisten kann und ob Alternativen aufzeigbar sind.

Bezugspunkt der Untersuchung ist die anarchische Struktur der Staatenwelt und die realistischen/neo-realistischen Vorstellungen bezüglich dieser Anarchie. Der Begriff Anarchie stammt vom griechischen ánarchos »führerlos« und bezeichnet den Zustand der Herrschaftslosigkeit, Gesetzlosigkeit und das Nichtvorhandensein eines Gewaltmonopols.

Realismus

Der Realismus entstand als Kritik auf den gescheiterten liberalen Idealismus der 1920er Jahre. E. H. Carr betonte, dass es tiefe Interessenkonflikte zwischen den Staaten und auch zwischen den Menschen gäbe. Diese Ansicht folgte der anthropologisch begründeten Denktradition des Thukydides, Machiavelli und Hobbes. Hans. J. Morgenthau fasste die Ansichten des Realismus in drei wesentlichen Punkten zusammen.

Die menschliche Natur bilde die Grundlage der Internationalen Beziehungen genau so, wie jeder anderen Art menschlicher Beziehungen. Deren Selbsterhaltungstrieb, Eigeninteresse und Machtstreben stelle eine natürliche Gesetzmäßigkeit dar, die schnell zu Aggressionen führe.

Der zweite Punkt betrifft die Vorstellung, dass Politik unabhängig von anderen Zielen immer ein unmittelbarer Kampf um Macht wäre. Es gibt keine Weltregierung. Die atomisierten, souveränen Staaten handelten mangels Zentralgewalt in einem anarchischen Weltsystem, in dem die Nicht-Besitzenden in Interessenkonflikten für eine Veränderung der Situation kämpften. „Streben mehrere Nationen nach Macht, manche um Erhaltung, andere um Veränderung des Status quo bemüht, entsteht zwangsläufig eine Konstellation, die als Gleichgewicht der Mächte bezeichnet wird, und eine Politik, die ihre Erhaltung bezweckt.“[2] Verhandlungen und Diplomatie allein könnten nie zur Sicherheit und dem Überleben eines Staates führen.

Ein weiterer Aspekt ist die Ansicht, dass die Geschichte von Kontinuität und Wiederholung geprägt sei. Solange es souveräne Staaten gäbe, befänden sich diese wegen des Machtkampfes im Sicherheitsdilemma. Dem Realismus zufolge ist die nationale Verteidigungsmacht zur Abschreckung potentieller Gegner die zwangsläufige Lösung. Ist das Gleichgewicht der Mächte stabil, gäbe es friedliche Perioden. Bei jeder Gleichgewichtsverschiebung wäre ein Krieg wahrscheinlich.

Der klassische Realismus kombiniert ein pessimistisches Verständnis der menschlichen Natur mit der Machtpolitik von souveränen Staaten im anarchischen Weltsystem. Es bietet keine Aussicht auf Lösung der ewigen Kampf- und Gefahrensituation, in der sich die Staaten im anarchischen Weltsystem befinden, da die Machtpolitik immer das Zusammenspiel der souveränen Staaten bestimmen würde.

Neo-Realismus

In den folgenden Jahrzehnten forderten neoliberale und behavioralistische Tendenzen den klassischen Realismus heraus. Kenneth Waltz formulierte 1979 in seinem Buch „Theory of International Politics“ folgende ausgewählte Prämissen, die ein Grundverständnis seines Konzeptes ermöglichen:

Das internationale System ist ein anarchisches System, in dem es keine Weltregierung gibt: „the absence of agents with system-wide authority“ und „the lack of order and of organization“[3]. Die Anarchie birgt große Risiken, verursacht aber kaum Kosten im Gegensatz zu einer etablierten Hierarchie.

Es handelt sich um ein System, in dem die Staaten als selbstbezogene Einheiten die Struktur bilden. „States are self-regarding units.“[4] Die Selbstbezogenheit ist nach Waltz Ansicht ein notwendiges Handlungsprinzip im anarchischen Weltsystem. Jeder Staat ist auf sich selbst zurückgeworfen. Jeder Regierende vertritt innenpolitisch festgelegte Interessen.

[...]


[1] Ashley, Richard K. 1981: Political Realism and Human Interests, in: International Studies Quarterly 25:2, 204-236.

[2] Morgenthau, Hans J. 1963: Macht und Frieden. Grundlagen einer Theorie der internationalen Politik, Gütersloh, 145.

[3] Waltz, Kenneth N. 1979: Political Structures in: ders., Theory of International Politics. Reading. M.A., u.a. Addison-Wesley-Publication, 88f.

[4] Waltz, Kenneth 1986b: Reflections on Theory of International Politics: A Response to My Critics, in: Keohane, Robert O. (Hg.): Neo-Realism and its Critics, New York: Columbia UP, 329.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Kritik der Postmoderne am anarchischen Konzept des Realismus / Neo-Realismus
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Einführung in die Theorien der Internationalen Beziehungen
Note
2,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
17
Katalognummer
V12555
ISBN (eBook)
9783638184090
ISBN (Buch)
9783638787536
Dateigröße
477 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Postmoderne, Anarchie, Realismus, Souveränität, Konzept, Waltz, Ashley
Arbeit zitieren
Andrea Friemann (Autor:in), 2002, Die Kritik der Postmoderne am anarchischen Konzept des Realismus / Neo-Realismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12555

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