Widerstand im totalitären System - a priori chancenlos?


Seminararbeit, 2009

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Humanitäre Moral und das höhere Gebot

2. Der Nationalsozialismus als totalitäres System
2.1 Strukturmerkmale eines totalitären Systems
2.2 Der totalitäre Charakter des Nationalsozialismus

3. Art und Umfang des Widerstandes
3.1 Widerstand – ein facettenreicher Begriff
3.2 Umfang und Probleme des Widerstands
3.2.1 Die Träger des Widerstands
3.2.2 Die Probleme des Widerstands

4. Die Kontroverse um den 20. Juli 1944
4.1 Das Militär als einziger Träger effektiven Widerstands
4.2 Erfolgsfaktoren für effektiven Widerstand
4.2.1 Technisch-administrative Aspekte
4.2.2 Die Haltung des Auslandes
4.3 Motive für den Widerstand und deren Interpretation
4.3.1 Widerstand aus Moral und Ethik
4.3.2 Realpolitische Kalkulationen

5. Das faschistische Italien als Vorbild für erfolgreichen Widerstand

6. Der Widerstand und seine Erfolgschancen

Anhang

Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Humanitäre Moral und das höhere Gebot

In Sophokles’ Drama „Antigone“ findet sich ein Prinzip, das im Grunde genommen existiert, seit es Herrschaft gibt: Widerstand. Der Herrscher der Stadt Theben, Kreon, hat jemandem, der die Stadt angriff, die ehrenvolle Bestattung verweigert. Antigone befolgt diese Anordnung nicht und beruft sich dabei auf das Gesetz der Götter, das über dem menschlichen stehe.[1] Hier wird exemplarisch das Spannungsfeld von Herrschaft evident: Es ist zwar unumgänglich für die Konstituierung einer politischen und sozialen Ordnung, dass sich der Mensch Gesetzen unterwirft, aber eben darin liegt eine potenzielle Immanenz des Unrechts wie auch der Inhumanität. Wer schließlich garantiert, dass die positiven Gesetze immer gerecht sind? Diesen Gedanken vertieft Cicero: „Das vollends ist am dümmsten, zu glauben, alles sei gerecht, was in den Einrichtungen der Völker und den Gesetzen beschlossen sei. […]“ [2] Ciceros Gedanke ist insofern bedeutsam, indem er die Idee des Naturrechts in die politische Theorie einbringt und damit ein normatives Fundament für individuelles wie vor allem auch staatliches Handeln legt, das an einer höheren Gerechtigkeitsidee als der menschlichen orientiert sein soll. Eben dieses Naturrecht hat im Laufe der Geschichte immer wieder zur Ableitung von Widerstand beigetragen, wenn ungerechte Gesetze erlassen wurden.[3]

Wie aber soll sich das Individuum konkret verhalten, wenn von Seiten des Herrschers beziehungsweise des Staates Unrecht ausgeht? Die Frage nach humanitärer Moral und dem Befolgen höherer Gebote bis hin zur Frage nach Legitimation wie auch Possibilität des Widerstandes ist eine, die den Menschen durch die gesamte Geschichte begleitet und auch in unserer heutigen Zeit eine bedeutende Rolle spielt.

Gerade die totalitären Herrschaftssysteme des 20. Jahrhunderts spiegeln die Aktualität jener Frage in bisher noch nie da gewesener Intensität wider, denn hier ging es nicht wie bei Antigone um Gerechtigkeit für einen, sondern für Millionen, die unter dem Führerstaat und seinem Vernichtungskrieg enormes Leid erfuhren. Für jeden, für den Humanität nicht nur ein abstraktes Konstrukt, sondern ein staatliches Leitprinzip darstellt, ergibt sich die Frage, wie man ein derartig inhumanes Terrorregime stürzen kann.

Aus diesem Grund ist es das Anliegen der Arbeit, den Perspektiven für effektiven Widerstand in totalitären Systemen auf den Grund zu gehen. Unumstritten ist, dass sowohl der Nationalsozialismus als auch der Stalinismus totalitäre Systeme des 20. Jahrhunderts waren. Aufgrund der überwältigenden Forschungsfülle zu beiden kann in der Arbeit nur ein totalitäres Regime analysiert werden, für das exemplarisch der Nationalsozialismus stehen soll, denn im Gegensatz zum Stalinismus gab es in ihm einen nennenswerten Widerstand. Dessen Existenz wirft die Frage auf, inwiefern Dissidenz im totalitären System erfolgreich sein kann. Aus dem Begriff des totalitären resultiert implizit die Ausschaltung jeder Art von Widerstand, was in der Konsequenz erhebliche Obstruktionen für oppositionelle Gruppen bedeutet. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Leitfrage für die Arbeit, ob Widerstand in einem derartigen System a priori chancenlos ist oder nicht.

Die Untersuchung des Nationalsozialismus erfordert eine präzise historische Analyse, dabei muss jedoch eine Gratwanderung zwischen dieser und der politikwissenschaftlichen Relevanz der Arbeit erfolgen, die darin besteht, sich nicht auf das historische Interesse an sich zu fokussieren und zu akribisch in Details zu verlieren. Vielmehr soll die historische Betrachtungsweise lediglich als Mittel zum Zweck der Analyse politikwissenschaftlich relevanter Faktoren erfolgreichen Widerstands dienen.

Zu Beginn wird auf den Nationalsozialismus als totalitäres System eingegangen, wobei dessen charakteristische Strukturelemente untersucht werden sollen. Im folgenden Punkt erfolgt die Auseinandersetzung mit Art sowie Umfang des Widerstandes. Um den Begriff als solchen präzise erfassen zu können, muss er zunächst nominaldefinitorisch analysiert werden, bevor dann auf dessen Umfang und Probleme eingegangen werden kann. Hierbei wird gemäß den Strukturmerkmalen des Totalitarismus evident, welche personellen und organisatorischen Probleme daraus resultieren. Der sich anschließende Abschnitt der Arbeit befasst sich ferner mit der Kontroverse um Stauffenbergs Attentat am 20. Juli 1944. Innerhalb dieses Punktes wird zunächst begründet, warum nur das Militär für effektiven Widerstand in Frage kommt. Dann wird explizit auf die Erfolgsbedingungen des Widerstands eingegangen, wobei technisch-administrative Aspekte ebenso beleuchtet werden wie die Haltung des Auslandes. In der Geschichtswissenschaft entwickelte sich eine kontroverse Debatte über die Motive des Kreises um Stauffenberg. Diese soll kurz nachgezeichnet werden, weil die Motive Aufschluss darüber geben, ob der exogene Zusammenbruch des Systems für erfolgreichen Widerstand erforderlich ist oder nicht. Zuletzt soll die komparative Analyse der gelungenen italienischen Opposition aufzeigen, welche weiteren Faktoren für die Erfolgsaussicht von Widerstand bedeutsam sind, bevor dann die Frage nach der apriorischen Chancenlosigkeit evaluiert wird.

2. Der Nationalsozialismus als totalitäres System

2.1 Strukturmerkmale eines totalitären Systems

Ein grundlegendes Merkmal ist die Massenbewegung, die entweder von einer Person oder einer Minderheit autoritär geführt wird und einen Ausschließlichkeitsanspruch auf die Herrschaft erhebt. Um diesen durchsetzen zu können, verfügt sie über eine zentralistische wie zugleich bürokratische Herrschaftsapparatur, die zur zentralen Lenkung des politischen Systems beiträgt.[1] In den meisten Fällen geht später aus der Massenbewegung die totalitäre Partei hervor, welche dann der Mittelpunkt der Herrschaftsordnung wird, wobei sie wichtige Machtknotenpunkte wie Militär, Justiz und Wirtschaft beherrscht.[2]

Auf diese Weise verfügt das Herrschaftssystem über die Möglichkeit, den Staat mit der Gesellschaft gleichzuschalten, da es mit seiner Gestaltungsmacht alle relevanten sozialen Lebensbereiche wie Familie, Betrieb, Sport und Vereine unbegrenzt gemäß seinen Interessen und Zielen dominieren kann.[3] Als Resultat dessen existieren keine von der staatlichen Macht unberührt bleibenden Freiräume, weil es das Ziel der Machthaber ist, die Gesellschaft mittels totaler Durchdringung zu beherrschen. In einem derartigen System sind soziale Institutionen nichts weiter als „Satellitenorganisationen“[4].

Des Weiteren erfolgt auch die Zirkulation der Eliten allein gemäß den Interessen der totalitären Partei, die durch diese zentrale Ernennung zusätzliche Macht an sich bindet.[5] Einen weiteren Beitrag dazu leistet die zentral gelenkte und gleichgeschaltete Wirtschaftsverfassung. Um die errungene Macht zu sichern, setzen die politischen Führungskräfte auf eine terroristisch verfahrende Geheimpolizei sowie ein Waffenmonopol. Weitere bedeutende Strukturmerkmale sind die Gleichschaltung von allen Institutionen zur Bildung und Erziehung sowie jeglicher Massenmedien.[6] Auf diese Weise entstehen gleich zwei Monopole in Staatshand: das Erziehungsmonopol sowie das Nachrichten- und Informationsmonopol. Beiden kommt eine zentrale Bedeutung für die Vermittlung der Propaganda zu, mit welcher der Bürger im Sinne der herrschenden Ideologie manipuliert werden soll, um dem System überzeugt und effektiv zu dienen.

Vor diesem Hintergrund nimmt die Ideologie eine herausragende Rolle für die Manipulation der Bevölkerung ein.

In der Gesamtheit charakterisiert sich ein totalitäres System daher als politische Herrschaftsform, die „sowohl die Ausschließlichkeit des Herrschaftsanspruchs als auch die Unbegrenztheit des Herrschaftsbereiches“[1] mittels der Diktatur einer Monopolpartei durchsetzen will.

2.2 Der totalitäre Charakter des Nationalsozialismus

Hitler errichtete unverzüglich nach seinem Machtantritt schrittweise ein totalitäres System. Charakteristisch dafür ist neben vielen anderen das Gesetz vom 1.12.1933 zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, welches besagt, dass die NSDAP als Trägerin des deutschen Staatsgedankens mit diesem unlösbar verbunden sei.[2]

Simultan zur Konsolidierung der Macht auf politischer Ebene erfolgte die totalitäre Durchdringung der Gesellschaft mittels Gleichschaltung. Darunter lassen sich alle Maßnahmen subsumieren, die den Pluralismus aufheben und stattdessen die nationalsozialistische Ideologie durchsetzen sollten.[3] Ein Beispiel dafür sind Hitlerjugend sowie DAF. Wichtige Weichenstellungen erfolgten darüber hinaus im Bereich Kultur und Presse. Das am 13.3.1933 gegründete Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda hatte das Ziel, die Meinungsbildung des Volkes über die modernen Massenmedien zu beeinflussen. Das Schriftleitergesetz legitimierte in diesem Zusammenhang die Entfernung von als unzuverlässig angesehenen Redakteuren. Zudem wurden in der täglichen Reichspressekonferenz sämtliche journalistische Berichte bis ins Detail vorgeschrieben.[4] Im Kulturbereich setzt sich diese Politik unter anderem bei Büchern wie auch Kunst fort; es werden Werksverbote ausgesprochen und Bücherverbrennungen organisiert, um angeblich schädigende Einflüsse zu beseitigen. Ein weiterer Bereich der Propaganda war der systematisch aufgebaute Führerkult um Hitler. Zuletzt muss noch die Gestapo, die Geheime Staatspolizei, erwähnt werden, die mit Terror und Bespitzelung gegen politische Opponenten vorging.

Im Angesicht all dieser Maßnahmen erweist sich der Nationalsozialismus als totalitäres System. Unter Ausschaltung der Opposition wurde ein Einparteiensystem errichtet, das eine dogmatische Ideologie mit Ausschließlichkeitsanspruch verwirklichen wollte. Dazu wurde die Bevölkerung von der Geheimpolizei terrorisiert sowie von der Propaganda in allen gesellschaftlich relevanten Bereichen wie Medien, Kultur, Erziehung und Arbeitswelt manipuliert.

Vor diesem Hintergrund werden die Probleme für den Widerstand evident. Durch die Verbreitung der Propaganda ist es für den Einzelnen schwierig, sich der ideologischen Durchdringung zu entziehen, da auf diese Weise viele vom System vereinnahmt werden. Diejenigen, die sich dem widersetzen können, sind dem Problem des Überwachungsstaates ausgesetzt, der jede Art des Widerstandes sofort unterdrücken wird. So stellt sich die Ausgangsfrage, ob Widerstand in totalitären Systemen a priori chancenlos ist oder nicht. Um dieser Frage weiter nachzugehen, soll im Folgenden näher auf dessen Art und Umfang eingegangen werden.

3. Art und Umfang des Widerstandes

3.1 Widerstand – ein facettenreicher Begriff

Der Begriff des Widerstandes an sich ist ebenso vielfältig wie dessen Definitionen. Eine mögliche lautet: „Unter Widerstand wird jedes aktive oder passive Verhalten verstanden, das die Ablehnung des NS-Regimes oder eines Teilbereiches der NS-Ideologie erkennen lässt und mit gewissen Risiken verbunden war.“[1] Das Problematische an dieser Definition ist ihre sehr große Reichweite. So können auch überzeugte Imperialisten, welche die Ostexpansion befürworten und vielleicht sogar aktiv an ihr mitwirken, aber ein Problem mit der Judenbehandlung haben, zum Widerstand gezählt werden, weil sich „die Ablehnung […] eines Teilbereiches der NS-Ideologie erkennen lässt.“ Selbst wenn man dieses Paradox ausklammert und Widerstand demzufolge als „aktives oder passives Verhalten, das die Ablehnung des NS-Regimes erkennen lässt“ definiert, umfasst der Begriff noch sehr viele Facetten. Gemäß dessen kann bereits individueller Nonkonformismus wie zum Beispiel die Weigerung, die Hakenkreuzflagge zu hissen[2] oder den Hitlergruß zu vollführen, als Widerstand aufgefasst werden ebenso wie die ideelle Ablehnung jedes Bereiches der Ideologie. Dies ist für sich genommen auch berechtigt, da versucht wird, dem System zu widerstehen. In Relation zu anderen aktiven Widerstandsformen wie Verbreitung von Flugblättern, Sabotage oder Versuch des Attentats[3] würden passive Widerstandsformen jedoch gleichberechtigt mit den aktiven stehen, was aufgrund des höheren Einsatzes und Risikos des aktiven disrelational erscheint. Dazu kommt die Differenz im Wirkungsgrad: passiver Widerstand findet überwiegend auf individueller Ebene statt; er ändert nichts an den verbrecherischen Aktionen des Staates. Genau da setzt jedoch aktiver Widerstand an – durch Sabotage oder Attentate sollen die Aktionen der politischen Führung behindert oder ganz und gar abgestellt werden.

[...]


[1] Vgl. Sophokles: „Antigone“. Bearbeitet von Elke und Uwe Lehmann, Hamburger Lesehefte Verlag, Husum 2004, S. 7, 17 und 19

[2] Cicero, De legibus I, 48-49, übersetzt und zitiert in: Oberndörfer, Dieter und Rosenzweig, Beate. (Hrsg.) Klassische Staatsphilosophie. Verlag C.H. Beck, München 2000, S. 91 und 92

[3] Vgl. Hoffmann, Peter: Widerstand Staatsstreich Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler. R. Piper Verlag, München 1985, S. 9

[1] Vgl. Lieber, Hans-Joachim: Zur Theorie totalitärer Herrschaft. In: Lieber, Hans-Joachim (Hrsg): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1993, Schriftenreihe Band 299, S. 883

[2] Vgl. ebd., S. 884

[3] Vgl. ebd., S. 883

[4] ebd., S. 884

[5] Vgl. ebd.

[1] Lieber, Zur Theorie totalitärer Herrschaft, S. 885

[2] Vgl. Thamer, Hans-Ulrich: Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft. In: Nationalsozialismus I. Von den

Anfängen bis zur Festigung der Macht. Informationen zur politischen Bildung, Nr. 251/2003, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 47

[3] Vgl. Sellen, Albrecht: Geschichte 2 kurz und klar. 6. Auflage, Auer Verlag GmbH, Donauwörth 2005, S. 112

[4] Vgl. ebd., S. 114

[1] Jaeger, Harald und Rumschöttel, Hermann: Das Forschungsprojekt Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945, Archivalische Zeitschrift 73 (1977), S. 214, zitiert in: Kershaw, Ian: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 280

[2] Vgl. Sellen, Geschichte 2 kurz und klar, S. 127

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Widerstand im totalitären System - a priori chancenlos?
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften)
Veranstaltung
Theorie und Praxis totalitärer Herrschaft
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
21
Katalognummer
V125468
ISBN (eBook)
9783640311149
ISBN (Buch)
9783640310111
Dateigröße
741 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Widerstand, System, Theorie, Praxis, Herrschaft, Totalitarismus
Arbeit zitieren
Steffen Radtke (Autor:in), 2009, Widerstand im totalitären System - a priori chancenlos?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125468

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