Risikowahrnehmung und Risikoakzeptanz am Beispiel gentechnisch veränderter Nahrungsmittel


Diplomarbeit, 2000

109 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

2 Einleitung
2.1 Aktualität und Brisanz des Themas „Genfood“
2.2 Wichtige Publikationen
2.3 Gegenstand der vorliegenden Untersuchung
2.4 Begriffsbestimmung: Gentechnisch veränderte Nahrungsmittel
2.5 Anwendungsbereiche der Gentechnik bei der Nahrungsmittelproduktion
2.5.1 Gentechnik in der Pflanzenzüchtung
2.5.2 Beispiele für gentechnische Veränderungen bei Pflanzen
2.5.3 Gentechnik bei der Herstellung von Zusatzstoffen, Bakterien, Hefen, Pilzen und Enzymen
2.6 Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen und Lebensmittel
2.6.1 Gesundheitliche Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel
2.6.2 Ökologische Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen
2.7 Risikodefinition und Risikowahrnehmung
2.7.1 Formale Verfahren der „objektiven“ Risikobestimmung
2.7.2 Alltagspsychologische Risikoheuristiken
2.7.3 Qualitative Risikomerkmale als Einflussgrößen der Risikowahrnehmung und der Risikoakzeptanz
2.7.4 Auswirkungen alltagspsychologischer Risikoheuristiken auf die Risikowahrnehmung bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln
2.8 Hypothesen

3 Methoden
3.1 Versuchspersonen
3.2 Konstruktion des Fragebogens
3.2.1 Auswahl der Items für Risikowahrnehmung, Einstellung und Risikoakzeptanz
3.2.2 Überprüfung der Skalenhomogenität
3.2.3 Berechnung der Gesamtwerte der Variablen Risikowahrnehmung, Einstellung, Risikoakzeptanz und Präferenz für Öko-Nahrung
3.2.4 Auswahl der Items für die Variable Wissen und Berechnung des Gesamtwerts
3.2.5 Messung der Mediennutzung
3.2.6 Sonstige Variablen
3.3 Design des Experiments
3.4 Versuchsmaterial für die Informationskampagne
3.4.1 Informationsblätter
3.4.2 Informationsstand und Schautafel
3.4.3 Informations-Homepage
3.5 Durchführung des Experiments

4 Ergebnisse
4.1 Deskriptive Auswertung der Variablen Risikowahrnehmung, Einstellung und Risikoakzeptanz
4.2 Ergebnisse des Wissenstests
4.3 Zusammenhänge zwischen den Hauptvariablen
4.4 Unterschiede zwischen Männern und Frauen
4.5 Unterschiede zwischen den Studienfächern
4.6 Effekte der Informationskampagne
4.7 Ergebnisse der Mediennutzung
4.7.1 Mediennutzung allgemein
4.7.2 Effekte von früher gelesenem Informationsmaterial verschiedener Herausgeber
4.8 Ergebnisse sonstiger Variablen

5 Diskussion
5.1 Deskriptive Ergebnisse im Vergleich mit anderen Studien
5.2 Korrelationen der Hauptvariablen
5.2.1 Korrelationen von Risikowahrnehmung, Einstellung und Risikoakzeptanz
5.2.2 Korrelationen von „Präferenz für Öko-Nahrung“ mit den anderen Hauptvariablen 71 5.2.3 Korrelation von Wissen mit den Hauptvariablen
5.2.4 Regressionsanalyse für Risikoakzeptanz
5.3 Der Unterschied zwischen „Laien“ und „Experten“
5.4 Effekte der Informationskampagne
5.5 Geschlechtsunterschiede
5.6 Mediennutzung
5.6.1 Mediennutzung allgemein
5.6.2 Effekte von früher gelesenem Informationsmaterial verschiedener Herausgeber
5.7 Fazit und Ausblick
5.7.1 Das Konfliktpotential gentechnisch veränderter Nahrungsmittel
5.7.2 Möglichkeiten der Konfliktbewältigung

6 Literatur

Anhang A Übersicht über die im Fragebogen verwendeten Items, geordnet nach Kategorien, sowie positiver und negativer Formulierung

Anhang B Fragebogen (2. Messung)

Anhang C Informationsblätter

2 Einleitung

2.1 Aktualität und Brisanz des Themas „Genfood“

Die Debatte um die Nutzung der Gentechnik polarisiert seit einigen Jahren die deutsche Öffent- lichkeit. Auf der einen Seite stehen die Befürworter, die das ökonomische und wissenschaftliche Potential der Gentechnik betonen, auf der anderen Seite Kritiker, die primär ökologische und soziale Risiken der Gentechnik thematisieren. Während jedoch Gentechnik bei medizinischen Anwendungen von einer breiten Mehrheit allgemein akzeptiert wird, stößt Gentechnik bei Le- bensmitteln von allen Anwendungsmöglichkeiten auf die größte Ablehnung (vgl. Hampel & Renn, 1998). Die heftige Diskussion um gentechnisch veränderte Lebensmittel, die in vielen Ländern – nicht nur in Deutschland – entbrannt ist, hat zahlreiche politische Kontroversen auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene ausgelöst (vgl. Behrens; Meyer-Stumborg u.a., 1997), z.B. um die Novel Food-Verordnung (vgl. Europäisches Parlament, 1997), die die Kenn- zeichnung von gentechnisch veränderten oder hergestellten Lebensmitteln regelt und aufgrund dieser Kontroversen im April 2000 durch eine neue EU-Verordnung ergänzt wurde (vgl. Green- peace, 2000; Transgen, 2000a).

Spätestens seit Einführung von gentechnisch veränderten Soja-Bohnen im November 1996 ist das Thema „Genfood“ einer breiten Öffentlichkeit bewusst. Seitdem hat sich einiges getan: Im- mer mehr gentechnisch modifizierte Pflanzen (insbesondere in den USA) werden entwickelt, in Freilandversuchen getestet und zugelassen. In naher Zukunft werden sie in Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion nicht mehr wegzudenken sein. So schreibt Jany (1998): „Es kann angenommen werden, dass innerhalb der nächsten 20-30 Jahre kaum noch neue Nutzpflanzen- sorten auf den Markt kommen werden, die nicht in irgendeiner Weise mit der Gentechnik in Berührung gekommen sind.“ (Jany, 1998, S. 19; vgl. auch Brandt, 1995). Bereits „heute stammen rund 80 % aller Enzyme für die Lebensmittelverarbeitung aus gentechnischer Herstellung“ (Jungbluth, 2000, S. 22). Janssen (1998) weist auf die enorme wirtschaftliche Bedeutung hin, die die Gentechnik bereits heute für die Nahrungsmittelproduktion hat: „Die Lebensmittelindustrie ist der Zukunftsmarkt der Gentechnik. Der weltweite Markt für gentechnisch erzeugte Lebens- mittel wird auf etwa 73 Milliarden Dollar im Jahr 2000 geschätzt“ (Janssen, 1998, S. 29). Trotz dieser bedeutenden Rolle, die gentechnisch veränderte Lebensmittel in der Zukunft spielen wer- den, stoßen sie bei der Bevölkerung überwiegend auf Skepsis und offene Ablehnung.

2.2 Wichtige Publikationen

Zur Akzeptanz von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln wurden bereits zahlreiche Studi- en in Deutschland und im europäischen Ausland durchgeführt, z.B. Greenpeace / GfK, 9/96, Greenpeace, 1996; MORI-Institut 1/97 (Greenpeace, 1997); VFA/EMNID, 1996; etliche Studi- en der „Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg“ (wie Hampel, 1997; Hampel & Renn, 1998; Zwick, 1998); Millet, 1995; Williams, 1998. Hervorzuheben ist insbeson- dere das Euro-Barometer 35.1, ein europäisches Forschungsprojekt, bei dem insgesamt ca. 16 000 Personen aus allen EU-Staaten befragt wurden (vgl. Hampel, 1997). Laut dieser Studie ver- traten über 65 % der Befragten die Meinung, dass gentechnisch veränderte Pflanzen ein Risiko für Umwelt und Gesundheit darstellen.

Einige der Studien sind jedoch schon mehrere Jahre alt und sind deshalb keine zuverlässige Quelle mehr für die jetzige Haltung der Bevölkerung zu Genfood, da sich die Entwicklung im Bereich der Biotechnologie so rasch vollzieht, dass der Gegenstand der Befragung ein teilweise anderer ist als beispielsweise noch im Jahr 1995. Manche Untersuchungen bedienen sich eher

„weicher“ Methoden wie z.B. dem Semantischen Differential (z.B. Keck, 1998) oder Interviews (z.B. Zwick, 1998), die zwar den Vorteil einer großen Informationsfülle, aber dafür den Nachteil geringerer Objektivität und sehr kleiner Stichproben haben.

Teilweise wird in den Studien (z.B. Eurobarometer, 1997; Keck, 1998; Zwick, 1998) auch die Haltung zur Gentechnik allgemein (also auch zur medizinischen Diagnostik oder Therapie, zur Pharmaproduktion usw.) untersucht – nur wenige Fragen können sich daher gezielt mit der Haltung zu gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln befassen. Oft werden aus Zeit- und Ko- stengründen den Vpn nur wenige unspezifische Fragen gestellt, wie z.B. ob sie Genfood (bzw. Gentechnik allgemein) positiv oder negativ beurteilen (auf einer 5-Punkte-Skala), oder ob eher die Chancen oder die Risiken überwiegen und ob sie davon in Zukunft eher Verbesserungen oder Verschlechterungen erwarten.

Teilweise werden die Vpn sogar mit der beliebten aber ebenso pauschalen Allensbach-Frage „Ist die Gentechnik eher Segen oder Fluch?“ konfrontiert. Als Antwortmöglichkeiten werden ihnen dann die Optionen „eher Segen“, „eher Fluch“ und „gleichermaßen Segen wie Fluch“ vorgege- ben. Bei solchen Fragen kommt dann typischerweise das Ergebnis heraus, dass sich die Mehrzahl der Befragten gegen die reine „Fluch-Segen-Option“ entscheidet, und es wird daraus die Schluss- folgerung gezogen, dass die Mehrheit der Bevölkerung ein „ambivalentes“ Verhältnis zu Gen-

technik / Genfood hat. Doch was wird mit solch einer schwammigen Frage eigentlich genau gemessen? Ist es das wahrgenommene Risiko? Ist es die Einstellung zur Gentechnik oder sogar deren Akzeptanz?

Dies ist auch das Problem bei anderen globalen Fragen: Es findet keine Trennung statt zwischen Messung von Risikowahrnehmung, Einstellung und Risikoakzeptanz. Wo jedoch zwischen diesen Faktoren nicht unterschieden wird, kann als Ergebnis auch nur herauskommen, dass Vpn mehr oder weniger „dagegen“ sind. Für manche Zwecke, wie z.B. politische Entscheidungen, mögen solche Ergebnisse schon ausreichend und informativ genug sein. Aus psychologischer Sicht stellt sich jedoch die Frage nach dem „Warum“. Warum und in welchem Ausmaß werden gentech- nisch veränderte Nahrungsmittel als Risiko erlebt? Vor welchen spezifischen Gefahren fürchtet sich die Bevölkerung konkret? Was ist der Grund für ihre negative Einstellung zu Genfood? Was denken die Menschen darüber? Welche Empfindungen haben sie dabei? Welche Auswirkungen haben Risikowahrnehmung und Einstellung auf die Risikoakzeptanz von Genfood und welchen Einfluss haben wahrgenommene Vorteile?

2.3 Gegenstand der vorliegenden Untersuchung

Diesen Fragen ging die vorliegende Untersuchung nach, die an 503 Studierenden der Universität Regensburg durchgeführt wurde. In einem aufwendigen Fragebogen wurden die Variablen Risi- kowahrnehmung, Einstellung und Risikoakzeptanz getrennt erfasst und durch je zehn Items operationalisiert. So wurde z.B. Risikoakzeptanz durch die Bereitschaft operationalisiert, gen- technisch veränderte Produkte zu kaufen und zu essen. Dabei wurden verschiedene Kontextbe- dingungen berücksichtigt, wie z.B. Preis, Nährwert oder Geschmack von Genfood. Diese Vor- gehensweise bietet sich bei Lebensmitteln an; sie wird jedoch erst dadurch ermöglicht, dass sich der Untersuchungsgegenstand nicht auf Gentechnik im Allgemeinen bezieht, sondern einge- schränkt ist auf den Nahrungsmittelbereich. (Die Akzeptanz von der Gentechnik allgemein zu operationalisieren, ist eigentlich kaum möglich, da sie sich nur schwer an konkreten Verhaltens- weisen bzw. Verhaltensabsichten festmachen lässt.)

Zusätzlich werden noch zwei weitere wichtige Variablen erhoben, nämlich das Wissen über gentechnisch veränderte Nahrungsmittel und die Präferenz für Öko-Nahrung. Das Wissen ist insofern ein wichtiger Faktor, da das Verständnis von Zusammenhängen, von Ursachen und Wirkungen bei Risiken das wahrgenommene Risiko reduziert und die Risikoakzeptanz erhöht.

Dies betonen auch Böhm u.a. (1998): „Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Risikoperzeption wesentlich von kausalem Wissen beeinflusst wird.“ (Böhm u.a., 1998, S. 21)

Aus diesem Grund wurde das Wissen über gentechnisch veränderte Nahrungsmittel in der vor- liegenden Untersuchung mit Hilfe eines eigenen Wissenstests erfasst, wodurch Zusammenhänge mit anderen Variablen untersucht werden konnten. Die meisten Studien verzichten dagegen auf den Aufwand einer Wissensmessung vollständig oder begnügen sich mit einer wenig objektiven Selbsteinschätzung des Wissens durch die Vp selbst (z.B. Biotech-Survey, Hampel & Renn, 1997). Lediglich Keck (1998) machte sich die Mühe, diese Variable mit einem eigenen Test zu messen.

Die Variable „Präferenz für Öko-Nahrung“ misst die Vorliebe für Produkte aus ökologischem Anbau, aus dem Reformhaus und dem Bio-Laden. Sie ist insofern relevant, als angenommen werden kann, dass sie negativ korreliert mit der Akzeptanz von Genfood und dass sie auch Aus- druck eines bestimmten Lebensstils und Naturbildes (im Sinne Zwicks, 1998) ist.

Außerdem wurden die Vpn zu ihren Mediennutzungsgewohnheiten befragt, da die Medien für die Akzeptanz von Gentechnik eine entscheidende Rolle spielen (vgl. Analyse zur Wirkung der Berichterstattung über Gentechnik in den Medien von Pöss, 1999, sowie die Medienanalyse von Peters und Deisenroth, 1995). Dabei wurde untersucht, welche Medien die Vpn nutzen, um sich über gentechnisch veränderte Lebensmittel zu informieren. Besonderes Augenmerk galt der Fra- ge, inwieweit es einen Zusammenhang gibt zwischen früher gelesenem Informationsmaterial verschiedener Herausgeber (z.B. Umweltparteien und -verbände, staatliche Organisationen, Bio- technologie-Unternehmen usw.) und der Haltung zu Genfood.

Zusätzlich fand ein Experiment statt: Zu zwei Messzeitpunkten wurden an der Universität Re- gensburg Vpn mit Fragebögen befragt. Dazwischen fand eine Informationskampagne über gen- technisch veränderte Nahrungsmittel statt. Durch möglichst neutrale Sachinformation sollte das Wissen der Vpn über Genfood (= unabhängige Variable) erhöht werden und die Auswirkungen auf die anderen Variablen (Risikowahrnehmung, Einstellung und Risikoakzeptanz) gemessen werden.

2.4 Begriffsbestimmung: Gentechnisch veränderte Nah- rungsmittel

In der vorliegenden Arbeit werden unter gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln – aus Gründen besserer Lesbarkeit hier manchmal mit dem etwas populär klingenden Begriff

„Genfood“ abgekürzt – alle Produkte verstanden, bei deren Entstehungsprozess gentechnische Methoden eingesetzt wurden. Gentechnik ist definiert als die Summe aller Methoden zur Isolie- rung, Charakterisierung und gezielten Veränderung und Übertragung von Erbgut. Der Begriff Lebensmittel wird als Synonym für Nahrungsmittel verwendet. Was konkret als gentechnisch verändertes Nahrungsmittel (Lebensmittel) gilt und was nicht, regelt die Novel Food- Verordnung. Darunter fallen:

a) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die genetisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen bestehen;
b) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus genetisch veränderten Organismen hergestellt wurden;
c) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten mit neuer oder gezielt modifizierter primärer Moleku- larstruktur;

Novel Food-Verordnung, Artikel 1, a - c (vgl. Europäisches Parlament, 1997); für konkrete Bei- spiele vgl. die folgenden Punkte.

Gentechnisch veränderte Nutztiere (z.B. zur Fleisch- oder Milchproduktion) fallen ebenfalls unter diese Definition. Auf sie wurde jedoch in der durchgeführten Fragebogenuntersuchung nicht eingegangen, da sie bisher in der Lebensmittelproduktion praktisch keine Rolle spielen und da dies ein Thema ist, das als ethisch umstritten gilt und hochgradig emotionsgeladen diskutiert wird und daher nicht mit gentechnisch verändertem Obst und Gemüse in einen Topf geworfen werden sollte.

2.5 Anwendungsbereiche der Gentechnik bei der Nahrungs- mittelproduktion

2.5.1 Gentechnik in der Pflanzenzüchtung

Die Ziele der Gentechnik sind im Prinzip dieselben wie auch in der klassischen Züchtung. Seit der Mensch sesshaft wurde, betreibt er Pflanzenzüchtung zu seinem Nutzen. Doch erst seit etwa 100 Jahren werden die Vererbung pflanzlicher Merkmale wissenschaftlich erforscht und diese Erkenntnisse für die Land und Ernährungswirtschaft genutzt. Die Ziele der Pflanzenzüchtung sind in erster Linie, Anbauflächen effizienter zu nutzen und den Ertrag zu steigern. Außerdem soll die Qualität der verbessert werden (z.B. Geschmack, Konsistenz, Haltbarkeit), die Resistenz gegenüber Krankheiten (z.B. Viren, Pilze) und Schädlingen (z.B. Insekten und deren Larven) gesteigert werden. Damit verbunden ist auch der verringerte Einsatz von Spritzmitteln zur Ko- stenreduktion und Entlastung der Umwelt. Der Wuchs der Pflanzen soll optimiert werden (z.B. kurze, kräftige Halme beim Getreide als Schutz vor dem Umknicken durch Wind) und die Pflan- ze soll verschiedenen Standortansprüchen angepasst werden (z.B. Trockenheit, Temperatur, Licht). Damit verbunden ist auch das erst in den letzten Jahrzehnten hinzugekommene Ziel, die Welternährung zu sichern, indem Entwicklungsländern Nutzpflanzen zur Verfügung gestellt werden, die an die dortigen extremen klimatischen Bedingungen angepasst sind.

Die Merkmalsvielfalt der Pflanzen entsteht zum einen durch zufällige, genetische Veränderungen (Mutationen) und zum anderen durch Neukombination. Um ein bestimmtes Zuchtziel zu errei- chen, müssen deshalb einzelne Pflanzen mit der gewünschten Merkmalskombination ausgewählt und miteinander gekreuzt werden. Das Problem dabei ist, dass bei der Kreuzung zweier Pflanzen nicht nur das gewünschte Merkmal (z.B. Resistenz gegen eine bestimmte Krankheit) weiter- vererbt wird, sondern auch alle anderen – teilweise unerwünschten – Merkmale der Pflanze (z.B. geringer Ertrag, schlechter Geschmack, usw.) Deshalb sind Rückkreuzungen notwendig, um unerwünschte Eigenschaften wieder auszukreuzen. Aus diesem Grund sind Züchtungen sehr aufwendig, teuer und langwierig. Bis ein bestimmtes Züchtungsziel erreicht wird, vergehen Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte.

Die Gentechnik bietet Methoden, um diesen Vorgang drastisch zu verkürzen und effizienter zu gestalten. Mit Hilfe der Molekulardiagnostik ist es zum einen möglich, bestimmte Gene (z.B. für natürliche Schädlingsabwehr) in nahe verwandten Arten (z.B. wildlebende Verwandte) leicht aufzufinden und diese Gene für die weitere Zucht zu verwenden. Zum anderen ist es möglich, durch Züchtung erzeugte Arten mit Hilfe von Gentests darauf zu testen, ob sie bestimmte Gene

enthalten der nicht. Der Vorteil ist, das die Auslese unabhängig von Umwelteinflüssen erfolgt und dass dieses Verfahren eine große Arbeits- Platz- Kosten- und Zeitersparnis mit sich bringt (zwei Tage im Labor).

Der größte Vorteil der Gentechnik ist jedoch, dass durch sie einzelne Gene gezielt in Pflanzen übertragen werden können. Anders als bei der Kreuzungszüchtung werden dabei nicht viele an- dere Merkmale neu kombiniert, sondern nur diejenigen übertragen, die erwünscht sind. Die Gen-Übertragung kann dabei innerhalb von Artgrenzen (von einer Maissorte auf eine andere Maissorte) oder über Artgrenzen hinweg durchgeführt werden (z.B. von einem Bakterium auf Mais, wie beim sog. Bt-Mais). Gerade die Gen-Übertragung über Artgrenzen hinweg eröffnet neue Möglichkeiten, die bisher mit Hilfe der klassischen Züchtung nicht möglich waren.

Die Gentechnik ermöglicht es auch erstmals, Kontrolle auf den Züchtungsvorgang auszuüben, da bei Gentransfers bekannt ist, welche Gene in eine Pflanze eingebracht werden und welche Funktion sie ausüben. In der klassischen Züchtung wird dagegen immer nur nach Phänotypen (Aussehen der Pflanze) selektiert und gekreuzt. Der Genotyp (Erbgut) ist dabei unbekannt. Um den Züchtungsvorgang zu beschleunigen, werden dabei auch teilweise aggressive Chemikalien und Radioaktivität eingesetzt, um Mutationen am Erbgut herbeizuführen und dadurch die gene- tische Variabilität zu erhöhen. Welche Gene jedoch verändert werden und welche (möglicherweise unerwünschten oder schädlichen) Auswirkungen dies hat, bleibt in der klassi- schen Züchtung unbekannt und dem Zufall überlassen (vgl. Jany, 1998). Bei gentechnischen Methoden ist man jedoch auf solche Zufälligkeiten und Ungewissheiten nicht angewiesen.

Gentechnik ist eine von vielen Methoden der Biotechnologie, die zur Ergänzung der klassischen Züchtung eingesetzt werden (vgl. Jungbluth, 2000). „Die Gentechnik eröffnet der Züchtung neue und zielgerichtetere Wege zur Gewinnung von Nutzorganismen. Die Gentechnik ist per se weder gut noch schlecht“ (Jany, 1998, S. 16; vgl. auch Hammes, 1997; Lebensmittelchemische Gesellschaft, 1994).

Tabelle 1

Chancen der Gentechnik im Agrar- und Lebensmittelsektor:

Umsetzung ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse

- Optimierte Zusammensetzung von Makro- und Mikronährstoffen
- Verbesserter Erhalt von wertgebenden Inhaltsstoffen
- Erhöhung des Ballaststoffgehaltes
- Änderung im Fettsäuremuster
- Erhöhung des Gehaltes an natürlichen Antioxidantien und Vitaminen
- Eliminierung antinutritiver (ungesunder) Substanzen

Ausschaltung toxischer oder hygienischer Risiken im Produkt oder im Herstellungsverfahren

- Reduzierung von natürlich vorkommenden Toxinen
- Hemmung des Wachstums von pathogenen Keimen
- Reduzierung von mikrobiologischen Risiken

Entwicklung hypoallergener und diätischer Lebensmittel Verbesserung und Erweiterung von sensorischen Eigenschaften Verbesserte Haltbarkeit und Lagerfähigkeit von Lebensmitteln

- Unterdrückung der Fettoxidation
- Unterdrückung des Zellwandabbaus
- Hemmung des mikrobiellen Verderbs
- Minderung von Nachernteverlusten

Ressourcen- und Ertragssicherung

- Ausbildung von Resistenzen gegen Krankheitsbefall
- Verbesserte oder veränderte Rohstoff- und Reststoffverwertung

Entlastung der Umwelt

- Verringerung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln
- Verringerung des Energie- und Wasserverbrauchs
- Verringerung von „Abfallstoffen“ und Lösungsmitteln

Verfahrensoptimierung – Kosteneinsparung – Wettbewerbsfähigkeit

Quelle: (Jany, 1998, S. 23)

2.5.2 Beispiele für gentechnische Veränderungen bei Pflanzen

Resistenz gegen Schadinsekten:

- Mais. Der von der Firma Novartis entwickelte Bt-Mais enthält ein Gen des natürlich im Bo- den vorkommenden Bakteriums „Bacillus thuringiensis“ (Bt). Aufgrund dieses Gens produ- ziert die Maispflanze ein Eiweiß, das für die Raupen des Maiszünslers, einer Schmetterlingsart,

tödlich ist. Dadurch ist dieser Mais gegen seinen größten Fraßschädling resistent. Der Einsatz von Spritzmitteln kann dadurch stark reduziert werden.

- Kartoffel. Hersteller: Monsanto. Resistenz gegen den Kartoffelkäfer durch Bt-Toxin.

Resistenz gegen Unkrautvernichtungsmittel (Herbizide):

- Soja-Bohne. Hersteller: Monsanto. Resistenz gegen das Herbizid Roundup® (ebenfalls Mons- anto). Während alle „Unkräuter“ auf dem Feld eingehen, übersteht die resistente Sojapflanze den Spritzmitteleinsatz unbeschadet.

Anbaufläche weltweit (1999): 21,6 Mio ha.

- Mais. Hersteller: AgrEvo; Monsanto; Dekalb Genetics. Resistenz gegen Wirkstoffe Glufosinat und Glyphosat.

Anbaufläche weltweit (1999): 11,1 Mio ha.

Resistenzen gegen Viren:

- Zuckerrübe. Hersteller: AgrEvo; Novartis. Resistenz gegen Rizomania-Virus, Erreger einer Vi- ruserkrankung (Wurzelbärtigkeit), der jährlich 30 % der Zuckerrübenernte in Süddeutschland zum Opfer fällt.
- Zucchini. Hersteller: Asgrow Seed.
Resistenzen gegen Pilze:
- Kartoffel. Durch ein Gen aus dem Bodenbakterium „Bacillus amyloliquefaciens“ Resistenz ge- gen die Pilzkrankheit „Kraut- und Knollenfäule“, die jährlich zu 20 %igen Ertragsverlusten führt. Einsatz von Pilzbekämpfungsmitteln (Fungizide) kann dadurch stark reduziert werden.

Verbesserung des Geschmacks:

- Tomate. Hersteller: Calgene; DNA Plant Technology; Monsanto; Zeneca; Agritope. Bekannte- stes Produkt: Flavr Savr®-Tomate („Anti-Matsch-Tomate“) von Monsanto. Ein Gen, das für die Reifung – und damit für das Weichwerden – der Tomate verantwortlich ist wurde isoliert und zusätzlich in „umgekehrter Richtung“ wieder eingebaut. Der Reifungsvorgang wird somit hinausgezögert. Dadurch muss die Tomate nicht – wie sonst üblich – grün geerntet werden, sondern kann am Strauch reifen und ihr volles Aroma entfalten. Nach der Ernte bleibt sie dennoch transportfähig.

Veränderte Inhaltsstoffe:

- Raps. Veränderte Fettsäurezusammensetzung. In den USA wird bereits seit 1995 ein von Cal- gene (heute Monsanto) entwickelter Raps angebaut, der aufgrund eines eingeschleusten Fremdgens Laurinsäure bildet, eine Fettsäure, die normalerweise in Raps nicht enthalten ist. Aufgrund seiner veränderten Zusammensetzung weist dieses Rapsöl (Laurical®) besondere technologische Eigenschaften auf und wird in der Margarineherstellung, bei Süßwaren (Pralinen) oder bei Molkereiprodukten eingesetzt. Andere, bereits fortgeschrittene Ziele sind die Erhöhung des Anteils an langkettigen Fettsäuren (Wegfall des Härtens flüssiger Öle bei der Margarineproduktion oder ein höherer Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren (z.B. DHA), denen gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschrieben werden. Weitere Veränderun- gen sind die Anreicherung mit Beta-Carotin, einer Vorstufe von Vitamin A (für Bevölke- rungsgruppen mit Vitamin-A-Mangel) und die Anreicherung mit Aminosäuren, vor allem zur Optimierung als Futtermittel.
- Tomate. Erhöhung des Stärkegehalts und eine gleichzeitige Senkung des Wassergehalts (damit höheres Trockengewicht und Kosteneinsparungen bei der Verarbeitung von Tomatenpro- dukten). Ein anderes Ziel ist die Steigerung des Carotinoidgehalts.
- Reis. „Hypoallergener Reis“, d.h. eine Sorte, bei der auf gentechnischem Wege die Bildung eines bestimmten Proteins (AS-Albumin) unterdrückt wird, das als starkes Allergen bekannt ist. Dieser Reis kann auch von Menschen mit Reis-Allergie verzehrt werden (wichtig in asiati- schen Ländern, in denen Reis Hauptbestandteil der Nahrung ist).

Reis mit erhöhtem Eisengehalt* produziert durch ein Gen aus der Sojabohne dreimal so viel Eisen wie herkömmlicher Reis (wichtig zur Bekämpfung der Mangelernährung in der Dritten Welt).

Reis mit erhöhtem Provitamin A-Gehalt* kann ebenfalls dazu beitragen, Mangelernährung in der Dritten Welt zu bekämpfen und dadurch Fehlentwicklungen, Erblindung und erhöhter Sterblichkeit insbesondere bei Kindern vorzubeugen.

Alle aufgelisteten Produkte existieren bereits und sind alle zumindest in den USA zugelassen (mit Ausnahme der mit * gekennzeichneten). Teilweise sind sie auch in Europa zugelassen, teilweise werden sie in Europa noch in Freilandversuchen angebaut. Bei einigen Pflanzen (z.B. Soja, Mais, Raps) gibt es verschiedene Produkte (z.B. Resistenzen gegen Pilze, Viren, Schädlinge und Herbi- zide; veränderte Zusammensetzung der Inhaltsstoffe u.a.); sie wurden der Übersichtlichkeit hal- ber nicht in die Auswahl mit aufgenommen. Quellen: Ast & Sell, 1998; Dürkop & Dubbert,

1998; Jany 1998; DIE ZEIT, 1999; Monsanto, 1999; Novartis, 1997; Transgen, 2000; Gesell- schaft für Chemische Technik und Biotechnologie, 2000; Jungbluth, 2000; StMLU, 1998; BML, 1997; Nüsslein-Volhard 1998; Stampf, 1997; Tanner 1998b.

Die angeführten Beispiele sind lediglich eine kleine Auswahl, die bei weitem nicht vollständig ist. Eine sehr gute Übersicht über sämtliche gentechnisch veränderten Pflanzen mit Informationen über Freisetzungen, Zulassungen, Anbauflächen, vorgenommenen Veränderungen und Verwen- dung in Lebensmitteln findet sich unter: www.transgen.de/Suchen/index.html (Transgen, 2000).

2.5.3 Gentechnik bei der Herstellung von Zusatzstoffen, Bakterien, He- fen, Pilzen und Enzymen

Zusatzstoffe:

Zusatzstoffe werden in der Lebensmittelverarbeitung beispielsweise als Geschmacksverstärker, Süßstoffe, Aminosäuren, Vitamine, Aromen, Farbstoffe, Konservierungsmittel, Verdickungs- mittel und Emulgatoren eingesetzt (vgl. Janssen, 1998; Jungbluth, 2000). Beispiele für gentech- nisch hergestellte Zusatzstoffe sind Vitamin C, Vanillin und der Süßstoff Thaumatin.

Bakterien, Hefen, Pilze:

Mehr als ein Viertel der Nahrungsmittel (z.B. Milchprodukte, Sauergemüse, Rohwürste, Bier, Wein, Brot) werden mit Hilfe von Milchsäurebakterien oder Hefen hergestellt. Pilze sorgen für die Reifung und Geschmackentwicklung von Käse (z.B. Camenbert). Mikroorganismen werden in der Lebensmitteltechnologie als Starterkulturen eingesetzt, um gezielt chemische Zusammen- setzungen und Geschmack zu verändern, sowie als Schutzkulturen, um das Wachstum von Krankheitserregern und anderen störenden Keimen zu hemmen. Bei Back- und Bierhefen exi- stieren bereits einige gentechnisch hergestellten Sorten. Die meisten Produkte befinden sich je- doch noch in der Entwicklung oder sind noch nicht zugelassen.

Enzyme:

Enzyme sind Eiweißstoffe, die in allen Lebewesen in geringer Konzentrationen vorkommen. Sie katalysieren die spezifische Umwandlung von Stoffen mit hoher Umsatzrate unter gemäßigten Bedingungen, d.h. sie sind eine Art Reaktionsbeschleuniger. Sie sind biologisch abbaubar und daher im Endprodukt meist nicht mehr vorhanden (vgl. Jany, 1998; Jungbluth, 2000).

Enzyme werden benötigt für die Herstellung von Back- und Teigwaren (z.B. Amylasen, Gluca- nasen, Xylanasen), Stärke (z.B. Glucoamylase, Pullanasen), Bier und Wein (z.B. Amylasen, Pekti- nasen), Frucht- und Gemüsesäfte (z.B. Cellunasen, Arabinasen), Fleisch- und Wurstwaren (z.B. Proteinasen, Peptidasen) und Milchprodukten (z.B. Proteinase (= Chymosin), Lactase).

Heutzutage werden Enzyme in der Regel mit Hilfe von Mikroorganismen (z.B. Bakterien) ge- wonnen. Durch gentechnische Eingriffe können diese so verändert werden, dass sie das ge- wünschte Enzym in größerer Menge und höherer Reinheit produzieren. Dadurch können Res- sourcen und Zeit gespart, das Abfallaufkommen reduziert und Produktionsverfahren verbessert werden. Alle oben genannten Enzyme und viele andere werden mittlerweile mit Hilfe von Gen- technik produziert. „Heute stammen 80 % aller Enzyme für die Lebensmittelverarbeitung aus gentechnischer Herstellung.“ (Jungbluth, 2000, S. 22)

Ein bekanntes Beispiel für ein gentechnisch hergestelltes Enzym ist das Chymosin, das zur Kä- seherstellung benötigt wird (vgl. Janssen, 1998). Das Labferment wird traditionell aus zerkleiner- ten Kälbermägen gewonnen und dient der Dicklegung der Milch. Für die weltweite Käseproduk- tion müssen jährlich 70 Millionen Kälbermägen aufgearbeitet werden. Gentechnisch hergestelltes Chymosin aus Schimmelpilzkulturen dagegen (in Deutschland und 18 weiteren Nationen zuge- lassen) kann den Weltbedarf umweltfreundlich und kostengünstig decken. Es ist identisch mit der wirksamen Substanz im traditionell eingesetzten Kälbermagenlab und wird im Laufe der Kä- sereifung im Endprodukt Käse abgebaut. Gentechnisch hergestelltes Chymosin kann billig und in sehr hoher Reinheit produziert werden. Es enthält nur 1 % Verunreinigungen – im Gegensatz zu Chymosin aus Kälbermagenextrakt, das zu 95 % aus Verunreinigungen besteht. Damit kann der gentechnisch hergestellte Käse auch von Allergikern gegessen werden, die herkömmlichen Käse wegen allergener Substanzen im vergleichsweise hohen Anteil an Verunreinigungen nicht vertragen. In Großbritannien werben inzwischen sogar Tierschützer für die gentechnische Pro- duktion von Chymosin, mit dem Argument, dass somit weniger Kälber für die Käseproduktion geschlachtet werden müssten. Nachteile gentechnisch hergestellten Chymosins sind nicht be- kannt (vgl. Jungbluth, 2000).

2.6 Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen und Lebensmittel

2.6.1 Gesundheitliche Risiken gentechnisch veränderter Lebensmittel

In Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln werden unter anderem folgende Risiken für die menschliche Gesundheit diskutiert:

- erhöhtes Allergierisiko
- gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe (Toxine, Pathogene)
- Übertragung von Antibiotikaresistenzen (z.B. Markergene in Bt-Mais) auf Krankheitserreger des Menschen

Nach Meinung vieler Wissenschaftler reichen einfache toxikologische Standardtests für die Be- urteilung der gesundheitlichen Risiken gentechnisch veränderter Lebewesen nicht aus. Laut einer Pressemitteilung der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1999) erfordert Genfood heute neue, besser angepasste Analysemethoden (vgl. auch Bartsch & Haag, 1996). Ein aktuelles Beispiel für die kontroverse Diskussion um Gesundheitsschäden durch gentechnisch veränderte Lebensmit- tel stellt die Untersuchung des Rowett Research Institute (vgl. BBC News, 1999; Enserink, 1998; Rowett Research Institute, 1999) an gentechnisch veränderten Kartoffeln dar.

Viele andere Experten halten dagegen die von Genfood ausgehenden Gesundheitsrisiken für eher gering. Sie verweisen auf die hohen Sicherheitsvorschriften für gentechnisch hergestellte Lebensmittel und relativieren mögliche Gefahren an ohnehin immer möglichen Risiken, wie sie ebenso – bzw. noch wahrscheinlicher – bei herkömmlichen Lebensmitteln auftreten können (z.B. Allergien durch Pflanzen aus klassischer Züchtung). Anderen möglichen Problemen, wie der Übertragung von Antibiotikaresistenz-Genen wird argumentativ durch den Hinweis begeg- net, dass diese ohnehin durch Mikroorganismen in der natürlichen Umwelt weit verbreitet sind und beim Verzehr von frischem Obst und Gemüse ständig aufgenommen werden. Außerdem wird immer mit extrem geringen Wahrscheinlichkeiten von gesundheitlichen Schäden argumen- tiert.

Ein Beispiel für eine solche Argumentationsweise bietet Jany (1998):

„Alle transgenen Pflanzen und die daraus gewonnenen Erzeugnisse werden umfassend und inten- siv einer staatlichen Sicherheitsbewertung unterzogen. Erst wenn die Unbedenklichkeit für Mensch und Natur auf wissenschaftlicher Basis festgestellt wurde, dürfen Pflanzen frei angebaut und ihre Erzeugnisse frei in den Verkehr gebracht werden. Bislang wurden noch keine neuen Pflanzensor- ten und keine Lebensmittel so umfassend untersucht wie die gentechnisch modifizierten. Insbe-

sondere stellen Lebensmittel aus transgenen Pflanzen hinsichtlich Allergien die bestuntersuchten und sichersten Erzeugnisse dar. Im Gegensatz zu den traditionellen Verfahren ist bei der Gentech- nik das neu eingeführte Protein bekannt und sein allergenes Potential überprüft worden. Die ge- genwärtig in der EU zugelassenen Erzeugnisse, sei es aus herbizidtoleranten Sojabohnen, Raps oder insektentolerantem Mais, entsprechen den traditionellen Produkten. Sie sind genauso sicher und gesund wie diese; es besteht kein neues oder anderes Gefährdungspotential.“ (Jany, 1998, S. 16)

Vgl. dazu auch Hammes (1997); Lebensmittelchemische Gesellschaft (1994).

2.6.2 Ökologische Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen

Als ökologische Risiken, also Gefahren für Natur und Umwelt, werden am häufigsten genannt:

- Gentransfer durch Pollenflug auf verwandte Pflanzen, wodurch die Fitness der Wildpflanzen erhöht werden kann
- Unkontrollierte Übertragung eingefügter Gene und (z.B. Antibiotikaresistenzen) auf andere Organismen (z.B. Bakterien)
- Resistenzentwicklung bei Unkräutern, pflanzlichen Krankheitserregern (Pathogenen) und Schadinsekten
- Unerwünschte Effekte auf Nichtzielorganismen, wie z.B. Bestäuber, räuberische Insekten, und seltene Arten durch Abwehrstoffe, die die Pflanze selber produziert
- Verminderung der Artenvielfalt, Verdrängung konkurrenzschwacher Arten
- unvorhersehbare Langzeitfolgen

(Vgl. Mellon & Rissler, 1995; Tappeser, 1998).

In Ökosystemen ist bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen grundsätzlich mit unvorhersehbaren, indirekten und stark zeitverzögert auftretenden Effekten zu rechnen, die sy- stembedingt und nur schwer zu kontrollieren sind (vgl. Metaanalyse von Mellon & Rissler, 1995; UBA, 1998).

Bei Nöh (in: Bartsch & Haag, 1996) heißt es unter anderem, dass die Abschätzung des ökologi- schen Risikos von Freisetzungen und des Inverkehrbringens gentechnisch veränderter Organis- men derzeit nicht zuletzt wegen der großen Wissenslücken über ökosystemare Zusammenhänge noch Probleme bereite und die Datenlage insgesamt unzureichend sei. Sukopp (in: Bartsch & Haag, 1996) gibt zu bedenken, dass es zu weitreichenden Veränderungen in der Struktur und in

den Funktionen naturnaher und natürlicher Ökosysteme kommen könne, falls eine unkontrol- lierte Übertragung von Genen zwischen gentechnisch veränderten und „normalen“ Organismen stattfände. Forschungsergebnisse der ETH Zürich (vgl. Freese, 1999) und des Scottish Crop Research Institute (vgl. Williams, 1998) belegen z.B., dass beim Anbau gentechnisch veränderter herbizidresistenter Pflanzen nicht nur die Schädlinge, sondern auch deren natürliche Feinde in ihrem Fortbestand gefährdet werden können.

Zu allen genannten Gefahren gibt es aber auch entsprechende Gegenargumente, die je nach Forscher und Studie die möglichen negativen Auswirkungen gentechnisch veränderter Pflanzen auf das Ökosystem für viel geringer einschätzen oder mit dem Verweis auf andere Gefahren re- lativieren. Welches Risiko genveränderte Pflanzen für die Umwelt darstellen, darüber existieren in der Biologie unter Experten seit längerem große Differenzen, die im Zusammenhang mit die- ser Studie jedoch nicht so wichtig sind. Es kann aber gesagt werden, dass es bei den möglichen negativen Auswirkungen gentechnisch veränderter Pflanzen auf das Ökosystem weit mehr Un- klarheiten gibt als bei möglichen negativen Auswirkungen von Genfood auf die Gesundheit des Menschen.

2.7 Risikodefinition und Risikowahrnehmung

2.7.1 Formale Verfahren der „objektiven“ Risikobestimmung

In der gesellschaftlichen Debatte um Risiken, lassen sich generell zwei grundsätzlich verschiede- ne Risikokonzepte unterscheiden: Auf der einen Seite naturwissenschaftliche sogenannte

„objektive“ Risikokonzepte, wie sie Experten verwenden, und auf der anderen Seite alltagspsy- chologische, qualitative Risikoheuristiken, wie sie im allgemeinen Laien verwenden. Diese unter- schiedlichen Strategien tragen entscheidend dazu bei, dass Risiken von Experten teilweise völlig anders eingeschätzt werden als von Laien (vgl. Jungermann & Slovic, 1993a; Kaplan & Garrick, 1993; Renn & Zwick, 1997).

Bei naturwissenschaftlichen Risikokonzepten wird ein Risiko als Produkt von Eintrittswahr- scheinlichkeit und Schadensschwere definiert. Technische Risikoexperten setzen damit Risiko mit durchschnittlicher Verlusterwartung pro Zeiteinheit gleich. Diese Operationalisierung, wie sie

v.a. Versicherungen verwenden, ist zwar für mittlere Schadensfälle, die häufig auftreten und für die es zahlreiche Erfahrungswerte aus der Vergangenheit gibt, praktikabel, bei Groß- und Risi- kotechnologien, wie z.B. Atomenergie oder Gentechnik, stoßen sie jedoch an Grenzen. Denn

gerade für neuartige Technologien wie die Gentechnik gibt es keine Erfahrungswerte, die Wahr- scheinlichkeiten von Katastrophen (z.B. Auskreuzen von Genen mit schädlicher Wirkung o.ä.) sind teilweise sehr gering, aber mögliche Schäden sehr groß (z.B. Gesundheitsschäden bei Mil- lionen von Menschen durch den Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel; ökologische Schäden).

Aus diesem Grund ist man bei Risiken wie Gentechnik auf induktive Risikomodelle angewiesen, bei denen sehr seltene oder bislang nie eingetretene Schadensfälle modellhaft aus den Fehler- wahrscheinlichkeiten der Einzelkomponenten geschätzt werden müssen. Diese induktiven Ver- fahren sind jedoch im Vergleich mit statistisch extrapolierten Fällen mit großer Häufigkeit (z.B. Verkehrsunfälle) mit sehr großen Unsicherheiten behaftet.

„Die Schwierigkeit ist, dass es keine objektiven, quantitativen Methoden gibt, die gewährleisten könnten, dass alle möglichen Ereignisabläufe, die zur Katastrophe führen, erkannt und sicherheit- stechnisch abgedeckt sind und dass die Sicherheitseinrichtungen, wenn sie benötigt werden, in je- dem Fall, wie geplant, funktionieren [...] Nicht einmal prinzipiell gibt es eine objektive und quanti- tative Methode, die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit von Unfällen zu berechnen.“ (C. Beck, AEC Brookhaven National Laboratory, zitiert in Kollert, 1993, S. 29)

So ist es beispielsweise schlichtweg unmöglich, objektiv die Wahrscheinlichkeit anzugeben, mit der ein Antibiotikaresistenz-Gen (z.B. aus dem Bt-Mais) auf Bakterien in der Darmflora des Menschen übertragen wird. Schlimmer noch: Es besteht unter Experten noch nicht einmal Ei- nigkeit darüber, wie negativ dieses Ereignis eigentlich wäre. So kam es z.B. beim herbizidresi- stenten Raps (Resistenz gegen Unkrautvernichtungsmittel Roundup®) bereits zu einer Übertra- gung des Resistenzgens auf wildlebende Rapsarten (vgl. Jany, 1998), doch bei der Beurteilung die- ses Vorgangs scheiden sich die Geister: Während für die einen Experten die Übertragung von Herbizidresistenz-Genen auf wildlebende Arten als eine Art „GAU“ gilt, da dadurch

„Superunkräuter“ entstehen können, ist dies für andere Experten kein großes Problem. Sie ar- gumentieren, dass der einzige Lebensraum, in dem die Wildpflanze aufgrund ihrer neu gewonne- nen Herbizidresistenz einen Überlebensvorteil besitzt, der Acker ist, auf dem das Unkrautver- nichtungsmittel ausgebracht wird. Somit hätte der Landwirt das gleiche Problem, das er ohne die Einführung der herbititresistenten transgenen Nutzpflanze ohnehin hat. In der freien Natur dagegen bietet die Resistenz gegen ein Unkrautvernichtungsmittel einer Pflanze gar keinen Se- lektionsvorteil, da dieses Gift dort nicht vorkommt. Deswegen werden sich dort die Resistenz- gene nicht weiter ausbreiten (vgl. Tanner, 1998b). Das Beispiel zeigt, warum es so schwierig ist, objektive Risikoabschätzungen zu geben: Nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Schadens ist sehr schwierig zu bestimmen, auch über die Bewertung eines Schadens gibt es völlig

verschiedene Ansichten. Auf diesen Punkt weist auch Novitzki (1993) hin, indem er sagt, Risiko- abschätzungen seien grundsätzlich immer standort- und wertgebunden.

„Risiken sind keine objektiven Tatbestände, die unabhängig von der Meinung der Menschen existieren. Sie sind einem sozialen Kommunikationsprozess ausgeliefert und werden [...] dort festgelegt.“ (Novitzki, 1993, S. 126) Eine voraussetzungslose Risikoabschätzung ist schon allein aus diesem Grund nicht möglich.

Hinzu kommt, dass in der Praxis hinter jeder Risikoabschätzung auch unterschiedliche Interes- sen derer stecken, die eine solche Studie in Auftrag geben oder selbst durchführen. So wundert es auch nicht, dass bezüglich von ökologischen Risiken transgener Pflanzen Untersuchungen des Umweltbundesamtes zu anderen Ergebnissen kommen als Untersuchungen, bei denen Mons- anto oder Novartis ihre eigenen Produkte untersuchen. Dies liegt daran, dass je nach Stand- punkt, theoretischem Hintergrund und eigenen Zielen, unterschiedliche Fragestellungen unter- sucht und unterschiedliche Methoden verwendet werden. Daraus können leicht unterschiedliche Risikoeinschätzungen resultieren, obwohl alle Studien gleichermaßen nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt wurden (zu Expertendilemma vgl. Fischhoff u.a., 1993; Nennen & Gar- be, 1996).

2.7.2 Alltagspsychologische Risikoheuristiken

Im Gegensatz zu technischen Risikoexperten nehmen Laien Risiken als ein komplexes, mehrdi- mensionales Phänomen wahr. Subjektive Verlusterwartungen (geschweige denn statistisch ge- messene Verlusterwartungen) spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Die Größe des wahr- genommenen Risikos wird vielmehr entscheidend vom Kontext einer riskanten Situation beein- flusst.

Unterschiede zwischen wahrgenommenen und statistisch berechneten Verlusterwartungen kön- nen u.a. durch folgende Prinzipien erklärt werden:

- Je mehr Risiken mental verfügbar sind (d.h. je stärker sie im Gedächtnis repräsentiert sind), desto eher wird ihre Wahrscheinlichkeit überschätzt
- Je mehr Risiken Assoziationen mit bereits bekannten Ereignissen wecken, desto eher wird ihre Wahrscheinlichkeit überschätzt.
- Je kontinuierlicher und gleichförmiger Verluste bei Risikoquellen auftreten und je eher kata- strophale Auswirkungen ausgeschlossen sind, desto eher wird das Ausmaß der durchschnittli- chen Verluste unterschätzt.
- Je mehr Unsicherheit über die Verlusterwartungen bestehen, desto eher erfolgt eine Abschät- zung der durchschnittlichen Verluste in der Nähe des Medians aller bekannten Verlusterwar- tungen. Daher kommt es oft zu einer Überschätzung von Verlusterwartungen bei objektiv ge- ringfügigen Risiken und zu einer Unterschätzung der Risiken bei rechnerisch hohen Risiken.

(Vgl. Renn & Zwick, 1997, S. 90)

Die Über- bzw. Unterschätzung von Verlusterwartungen ist jedoch nicht das entscheidende Kriterium. Viel wichtiger für die Risikoeinschätzung bei Laien ist die Kontextabhängigkeit, für die v.a. qualitative Risikomerkmale in Betracht gezogen werden müssen.

2.7.3 Qualitative Risikomerkmale als Einflussgrößen der Risikowahr- nehmung und der Risikoakzeptanz

Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über die in der Literatur am häufigsten genannten Risikomerkmale, die dazu beitragen, dass Risiken systematisch über- bzw. unterschätzt werden.

Tabelle 2

Die Auswirkung qualitativer Risikomerkmale auf die Risikowahrnehmung

In der rechten Spalte der Tabelle steht links vom Schrägstrich die Bedingung, die zu einer Erhöhung des wahrgenommenen Risikos führt, und rechts vom Schrägstrich die Bedingung, die zu einer Verrin- gerung führt.

Quellen: Bobis-Seidenschwanz & Wiedemann (1993), zitiert in Renn & Zwick (1997), S. 92; Junger- mann & Slovic, 1993b, S. 171-181; Zimmer (1994), S. 10

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.7.4 Auswirkungen alltagspsychologischer Risikoheuristiken auf die Risikowahrnehmung bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln

Für die Risikobeurteilung von Genfood spielen etliche der genannten Faktoren eine wichtige Rolle. Bei fast allen Faktoren sind die Bedingungen so, dass sie zu einer Überschätzung des tat- sächlichen Risikos führen. So handelt es sich beispielsweise bei Gentechnik um eine völlig neue Technologie (= Vertrautheit) unter der sich nur wenige Menschen etwas vorstellen können. Ei- nige Risiken (z.B. alle Langzeitfolgen, aufgrund der Aktualität der Technologie; ökologische Schäden aufgrund der Komplexität von Ökosystemen) sind auch Wissenschaftlern unbekannt (= Unsicherheit) und dem Laien fehlt ohnehin ein Verständnis dafür, wie durch Gentechnik kon- kret Schäden entstehen können (bzw. wodurch keine entstehen können), da ihnen das biologi- sche Grundlagenwissen fehlt (= Verständnis der Schadenswirkung). Bei freigesetzten transgenen Pflanzen gelten für die Öffentlichkeit die Risiken als nicht beherrschbar (= Beherrschbarkeit).

Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass das Risiko gentechnisch veränderter Lebensmittel vom Ver- braucher nicht freiwillig (= Freiwilligkeit der Risikoübernahme) auf sich genommen wird (wie

z.B. das Rauchen), sondern dass jeder gezwungen ist, zu essen (= persönliche Betroffenheit). Wenn aber bei vielen oder den meisten Lebensmitteln Gentechnik am Entstehungsprozess be-

teiligt war, dann hat er gar keine andere Wahl, als auch diese Produkte zu essen. Dieses wahrge- nommene Risiko wird noch zusätzlich dadurch erhöht, dass er aufgrund unzureichend empfun- dener Kennzeichnungsvorschriften nicht die Möglichkeit hat, gezielt solche Produkte zu meiden (= persönliche Kontrollierbarkeit).

Die möglichen negativen Folgen von transgenen Pflanzen / Lebensmitteln werden in der Öf- fentlichkeit als eher groß wahrgenommen. Während bei der Beurteilung von Schadensfällen (= Katastrophenpotential eines Schadensfalles) unter Experten unterschiedliche Ansichten beste- hen (vgl. Punkt 2.7.1), wirken auf einige Laien mögliche Risiken von Genfood als stark furchtin- duzierend (= Schrecklichkeit); sie rechnen beim Verzehr von genmodifizierter Nahrung mit schlimmen Folgen (z.B. Übertragung von gefährlichen Genen auf den Menschen, toxische Stof- fe, Allergien, Krebs). Zu dieser empfundenen Schrecklichkeit trägt ganz gewiss auch das negative Image bei, das die Gentechnik allgemein in der Öffentlichkeit hat. So wird z.B. oft die Gentech- nik bei Pflanzen in einen Topf geworfen mit anderen gentechnischen Anwendungsmöglichkei- ten, die – wenn auch kaum in der Wissenschaft, so doch umso mehr in den Medien – ein heiß diskutiertes Thema sind, wie Krebsmäuse, Frösche ohne Kopf, beliebige genetische Program- mierbarkeit des Menschen, Züchtung des perfekten Menschen, geklonte Menschen als Ersatz- teillager für Organspenden und dergleichen. Assoziationen mit diesen Anwendungen haben auch Auswirkungen auf die moralischen Beurteilung des Genfood-Risikos (= moralische Bedeutsam- keit des Risikos). Viele Menschen lehnen Eingriffe in das Erbgut von Lebewesen ab, mit der Begründung, dass sie „unnatürlich“ und/oder ein Eingriff in die „natürliche (gottgegebene) Ord- nung“ sind und finden es verwerflich, dass der Mensch sich anmaßt, selber Schöpfer zu spielen (vgl. Zwick, 1998).

Das Thema spielt in der Berichterstattung der Medien eine relativ große Rolle (= Beachtung in den Medien); Gentechnik allgemein ist eines der Themengebiete aus dem Bereich Wissenschaft, über das zur Zeit am meisten berichtet wird. Alle mit Genfood zusammenhängenden Risiken sind zudem vom Menschen gemacht (= Natürlichkeit der Risikoquelle). Im Gegensatz zu natür- lichen Risikoquellen (z.B. Todesfälle durch giftige Pilze oder Beeren; Tote durch wetterbedingte Hungersnöte) werden sie als besonders schlimm wahrgenommen, da sie erst durch menschliches Handeln geschaffen wurden und damit leicht vermeidbar wären. Außerdem ist für die Öffent- lichkeit nicht erkennbar, welche Vorteile sie selbst von gentechnisch veränderten Nahrungsmit- teln hat (= Nutzen). Denn bisher kommen die meisten gentechnischen Innovationen bei Le- bensmitteln entweder den Biotechnologie-Unternehmen, den Landwirten oder der lebensmittel- verarbeitenden Industrie zugute. Dadurch sehen sich Verbraucher in der Rolle der Dummen, die eventuelle Risiken zu tragen haben, während andere den Vorteil haben (= Verteilung von Nut- zen und Risiko). Alle diese Faktoren tragen dazu bei, dass in der Öffentlichkeit die Risiken gen-

technisch veränderter Lebensmittel überschätzt werden und eine geringe Akzeptanz für diese Produkte vorhanden ist.

2.8 Hypothesen

In dieser Untersuchung soll folgenden Fragestellungen und Hypothesen nachgegangen werden:

- Wie hoch schätzen Vpn das Risiko ein, das von gentechnisch veränderten Lebensmitteln aus- geht (Risikowahrnehmung)?
- Wie groß ist die Bereitschaft, solche Produkte zu kaufen und zu essen (Risikoakzeptanz)?
- Wie ist die Einstellung zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln?
- Es besteht die Annahme, dass die Variablen Risikowahrnehmung und Risikoakzeptanz von den Variablen Wissen, Einstellung und Präferenz für Produkte aus ökologischem Anbau ent- scheidend beeinflusst werden. Ziel ist es, den genauen Zusammenhang zwischen diesen fünf Hauptvariablen herauszufinden.

Die wichtigsten Annahmen dabei sind:

- Je größer das Wissen einer Vp über gentechnisch veränderte Lebensmittel ist, desto geringer schätzt sie das Risiko ein, das von diesen Nahrungsmitteln ausgeht, und desto größer ist ihre Risikoakzeptanz.
- Je höher die Risikowahrnehmung ist, desto geringer ist die Risikoakzeptanz und desto negativer ist die Einstellung zu Genfood.
- Je größer die Präferenz für Produkte aus ökologischem Anbau, desto größer ist die Ri- sikowahrnehmung, desto geringer die Risikoakzeptanz und desto negativer die Ein- stellung zu Genfood.
Zu den Hypothesen über die Zusammenhänge zwischen den Hauptvariablen vgl. Abbil- dung 1.
- Welche Variable ist der stärkste Prädiktor für die Risikoakzeptanz?
- Es wird angenommen, dass neutral gehaltene Information, die den Vpn durch die Informati- onskampagne zur Verfügung gestellt wird, eine Zunahme des Wissens über Genfood bewirkt.
- Es wird angenommen, dass eine durch die Informationskampagne erzielte Wissenszunahme eine Verringerung der Risikowahrnehmung und eine Erhöhung der Risikoakzeptanz bewirkt.
- Wie unterscheiden sich Männer und Frauen bezüglich der fünf Hauptvariablen voneinander? Es wird vermutet, dass Frauen eine höhere Risikowahrnehmung und eine geringere Risikoak- zeptanz als Männer haben.
- Gibt es bezüglich der fünf Hauptvariablen zwischen den Studierenden verschiedener Studien- fächer Unterschiede? Es wird vermutet, dass sich Studierende der Biologie / Biochemie, die aufgrund ihres Studienfaches gute Kenntnisse über die Grundlagen der Biotechnologie besit- zen, sich von den Studierenden anderer Studienfächer unterscheiden.
- Welcher Zusammenhang besteht zwischen den Mediennutzungsgewohnheiten der Vpn und ihrem Wissen? Dabei ist insbesondere von Interesse, wie früher gelesenes Informationsmate- rial verschiedener Herausgeber das Wissen, die Risikowahrnehmung, die Einstellung und die Risikoakzeptanz der Vpn beeinflusst.

[...]

Ende der Leseprobe aus 109 Seiten

Details

Titel
Risikowahrnehmung und Risikoakzeptanz am Beispiel gentechnisch veränderter Nahrungsmittel
Hochschule
Universität Regensburg  (Psychologie)
Note
1
Autor
Jahr
2000
Seiten
109
Katalognummer
V1254
ISBN (eBook)
9783638107884
Dateigröße
873 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Risikowahrnehmung, Risikoakzeptanz, Genfood, Gentechnik, Lebensmittel
Arbeit zitieren
Martin Gründl (Autor:in), 2000, Risikowahrnehmung und Risikoakzeptanz am Beispiel gentechnisch veränderter Nahrungsmittel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1254

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