Präverbale Interaktion als Wegbereiter für den Erstspracherwerb


Bachelorarbeit, 2008

37 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was ist Sprache ?

3. Die vier wichtigsten Positionen der Spracherwerbstheorie
3.1 Behaviorismus
3.2 Nativismus
3.3 Kognitivismus
3.4 Interaktionismus
3.5 Abgrenzungen der interaktionistischen Ansätze

4. Grundlagen der präverbalen Kommunikation
4.1 Die Kompetenzen des Säuglings als Interaktionspartner
4.2 Die Kompetenzen der Erwachsenen als Interaktionspartner

5. Präverbale Austauschprozesse zum Spracherwerb
5.1 Die an das Baby gerichtete Sprache
5.2 Nachahmung
5.3 Mimischer Ausdruck

6. Entwicklung kommunikativer Grundqualifikationen
6.1 Selbstkonzept
6.2 Rollenverhalten im Dialog
6.3 Intentionalität
6.4 Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken

7. Der Übergang zur verbalen Kommunikation

8. Entwicklung der verbalen Kommunikation

9. Entwicklung des Wortschatzes
9.1 Wortschatzerwerb mittels kommunikativer Kompetenzen
9.2 Wortschatzerwerb mittels kognitiver Lernstrategien
9.3 Spracherwerb ist implizites Lernen

10. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Der Erstspracherwerb ist mitunter die wohl faszinierendste aber auch komplexeste Erntwicklung, die ein während des Wachstums durchläuft.

Alle treusorgenden Eltern fiebern nach dem ersten Schrei bei der Geburt, dem Tag entgegen, an dem ihr Schützling das erste muttersprachlich klingende Wort verlauten lässt. Ab diesem Zeitpunk wissen sie, dass das Kind mit dem Spracherwerb beginnt. Schon bald werden sie jeden Morgen neben einem freudestrahlenden Lächeln, mit einem ausdrucksvollen „Mama“ oder „Papa“ begrüßt. Ihr Kind hat den entscheidenden Punkt in seiner Entwicklung erreicht, der es endlich zum menschlichen Ausdrucksmittel, der Sprache, hinführt und schon bald eine Kommunikation mit ihm ermöglicht. Aber können die Menschen erst miteinander kommunizieren, wenn sie eine Sprache beherrschen? Gibt es nicht andere Mittel und Wege seine Bedürfnisse, Gefühle und Absichten den Mitmenschen mitzuteilen? Verfügt das Kleinkind unter Umständen bereits vor dem Sprechen der Muttersprache über Möglichkeiten auch auf andere Art und Weise mit der Umwelt zu kommunizieren? Wenn das der Fall ist, wie erwirbt es diese Fähigkeiten und welche Rolle spielen sie im Hinblick auf das Sprachelernen?

Die Sichtweise, den Startschuss für den Erstspracherwerb eines Kindes mit dem ersten Wort festzulegen, ist in dieser Hinsicht zu sehr eingeschränkt. Das Baby hat bereits nach dem ersten Schrei eine grundlegende Entwicklung durchlaufen, in der es sich auf das erste Wort und den Sprachlernprozess vorbereitet hat. In seinem ersten Lebensabschnitt hat es in Zusammenarbeit mit den fürsorglichen Eltern eine Basis aufgebaut, die zum Lernen der Muttersprache notwendig ist. Diese Basis besteht unter anderem aus einer Reihe von kognitiven und sozialen Fähigkeiten, die es ohne Unterstützung von betreuenden Personen gar nicht erwerben könnte. Indem das Kind im ständigen Kontakt mit einer direkten sprachlichen Umwelt und in beständiger Interaktion mit den Bezugspersonen steht, kann es diese notwendigen Kompetenzen erwerben.

Im Rahmen dieser Bachelorarbeit sollen die oben aufgeführten Fragen unter dem Aspekt der Interaktion, das heißt dem gemeinsamen und wechselseitigen Handeln der Bezugspersonen mit dem Kind, geklärt werden. Um das System Sprache vor dem Hintergrund der Kommunikation zu betrachten, wird aus diesem Grund zunächst erläutert, was Sprache überhaupt ist und in welchem Zusammenhang sie mit menschlicher Kommunikation steht.

Im Weiteren werden einige Grundgedanken der bedeutendsten Spracherwerbstheorien dargestellt. Die des Behaviorismus, des Nativismus, des Kognitivismus und abschließend die des Interaktionismus. Der interaktionistische Ansatz wird dabei hervorgehoben. Seine Idee, das sich Kommunikations- und Sprachelernen mit Hilfe der Interaktion zwischen Kind und Bezugsperson vollzieht, dient als Grundlage für den weiteren Verlauf dieser Arbeit.

Im Hauptteil wird die vorsprachliche oder präverbale Entwicklung der Kommunikation behandelt. Welche Qualifikationen besitzt ein Kind bereits, welche werden direkt nach der Geburt erlernt und welche Rolle spielen dabei die Eltern? Die präverbalen Austauschprozesse werden dabei als Lehrphase für die kommunikativen Kompetenzen gesehen. Kommunikative Kompetenzen sind in diesem Zusammenhang unter anderem die pragmatischen Mittel der menschlichen Sprache. Sie werden in der Phase vor dem eigentlichen Spracherwerb durch den sozialen Kontakt, die Interaktion, vorbereitet.

Im Anschluss daran wird der Übergang zur verbalen Kommunikation, das heißt der Sprache im eigentlichen Sinne thematisiert. Dabei soll deutlich werden, inwiefern der vorausgegangene Entwicklungsprozess als Wegbereiter für die anschließende sprachliche Entwicklung dient. Wie nutzen Kinder die erworbenen Kompetenzen beispielsweise zur Ausbildung des Wortschatzes?

Der Wortschatzerwerb hinsichtlich der Ausbildung eines mentalen Lexikons, wird als letzter Aspekt in dieser Arbeit ansatzweise behandelt. Anhand einiger Beispiele soll deutlich werden, wie auch dazu die kommunikativen Kompetenzen und kognitiven Fähigkeiten des Kindes als Vorraussetzung dienen.

Im abschließenden Fazit werden rückwirkend die auftretenden Problematiken aufgeführt welche sich aus dem Zusammenhang der Ausarbeitung dieses Themas ergeben und auch für die Sprachwissenschaftler gilt.

2. Was ist Sprache?

Frei von einer manifestierten Definition, bedienen sich sämtliche Wissenschaften ihrer eigenen Vorstellung davon, was Sprache ist. Sie ist anthropologisch fundiert und basiert auf den physikalischen Parametern der Sinneswahrnehmung. Sprache unterliegt einem zeitlichen Faktor, einer Evolution, indem sie sich entwickelt und verändert. Beim Menschen und auch im Tierreich ist Sprache ein Mittel zum Austausch von Informationen, ein Kommunikationssystem um anderen etwas mitzuteilen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Interaktion, eines Kontaktes zwischen den Lebewesen die miteinander kommunizieren.

Aber ist Kommunikation gleich Sprache? Sind die Drohgebärden eines verängstigten Tieres oder der Tanz der Bienen mit der Sprache, wie Menschen sie benutzen, gleichzusetzen? Neben der verbalisierten Sprache bedienen sich Menschen auch anderer Möglichkeiten um miteinander zu kommunizieren. Die nonverbalen Ausdrucksmittel wie Mimik, Gestik, Körperhaltung und Stimmlage gehören ebenso zur menschlichen Kommunikation dazu. Dabei geht es in erster Linie darum, Emotionen und innere Zustände den Kontaktpersonen darzustellen. Die spielen besonders im Hinblick auf die Entwicklung eines neugeborenen Kindes eine große Rolle.

Sprache ist für den Menschen im Alltag allgegenwärtig. Tag für Tag und rund um die Uhr nimmt ein Mensch sprachliche Informationen auf und übermittelt welche. Die Rezeption und Produktion von Sprache ist für den gesunden Menschen selbstverständlich. Darüber hinaus ist er in der Lage, ohne Worte mit anderen zu kommunizieren. Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick (1967) schreibt jeder Art von Verhalten des Menschen einen Mitteilungscharakter zu. Demnach ist jedes Lachen, jede Körperhaltung und jede Bewegung innerhalb eines bestimmten Kontextes eine Form von Informationsaustausch. Weiterhin folgert Watzlawick, dass der Mensch sich „nicht nicht verhalten kann“[1] und der Mensch somit „nicht nicht kommunizieren kann“[2]

„Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alle Mitteilungscharakter: Sie beeinflussen andere, und diese anderen können

ihrerseits nicht nicht auf diese Kommunikation reagieren und kommunizieren damit selbst.“[3]

Demnach kommunizieren Menschen in jeder Situation, unabhängig davon ob sie etwas sagen möchten oder nicht.

Die linguistische Auffassung von Sprache differenziert an dieser Stelle jedoch ganz klar die nonverbale Kommunikation zum Ausdruck von Emotionen, von der „eigentlichen“, gesprochenen Sprache. Diese weist grundlegende Merkmale auf, welche sie von anderen Kommunikationssystemen unterscheidet. Szagun beruft sich an dieser Stelle auf die folgenden Merkmale:

- Sprache ist ein Symbolsystem, das willkürliche Symbole benutzt
- Sprache ist kontextfrei
- Sprache wird kulturell vermittelt
- Sprache ist ein kombinatorisches System in dem Sinne, dass sich Symbole regelhaft immer neu miteinander kombinieren lassen [4]

Jede gesprochene Sprache stützt sich auf willkürliche, unabhängig vom Bezeichneten gewählte, Symbole. Diese Symbole, welche das Vokabular ausmachen, sind allgemeingültig und bieten somit die Möglichkeit über Realitäten zu sprechen, die zu dem Zeitpunkt eines Gesprächs nicht physisch anwesend sind. Weiterhin wird die Sprache dem Menschen nicht in die Wiege gelegt, sondern muss innerhalb einer Kultur erlernt werden. Kleinkinder lernen ihre Muttersprache indem sie in Kontakt mit anderen Personen ihrer jeweiligen Kultur stehen und diese mit ihnen sprechen. Das wohl prägnanteste Merkmal der Sprache des Menschen ist ihre Systemhaftigkeit. Ein festgelegtes System aus grammatischen, morphologischen, semantischen und pragmatischen Regeln ermöglicht eine fast unendliche Bandbreite an Kombinationsmöglichkeiten der einzelnen Zeichen.

Aufgrund dieser Aspekte sieht Szagun es als notwendig, die gesprochene Sprache der Menschen von nonverbalen oder tierischen Kommunikationssystemen zu unterscheiden und den Begriff „Sprache“ ausschließlich für diese grammatikalisierte Form der Kommunikation zu verwenden.[5]

Im Hinblick auf die im Folgenden behandelte Thematik, muss jedoch an dieser Stelle erwähnt werden, dass eben diese, von Szagun definierte Sprache, aus der vorsprachlichen Kommunikation heraus entsteht. Im weiteren Verlauf soll darum die sogenannte kommunikative Fähigkeit als Wegbereiter für die verbalisierte, grammatikalisierte Sprache herausgestellt werden. Bei dieser Kommunikation handelt es sich wiederum in erster Linie um die emotional gesteuerte, nonverbale Kommunikation. In Abgrenzung zu Szagun wird aus diesem Grund der Termini „Sprache“ auch für die Kommunikation zwischen dem sprachelernenden Kind und seinen Bezugspersonen angewandt.

3. Die vier wichtigsten Positionen der Spracherwerbstheorie

In diesem Abschnitt sollen die Grundgedanken der bedeutendsten Theorien zum Erstspracherwerb dargestellt werden. Diese Spracherwerbsmodelle bauen teileweise aufeinander auf und ergänzen sich. Aus diesem Grund werden die unterschiedlichen Sichtweisen und Herangehensweisen der Modelle des Bahviorismus, des Nativismus und des Kognitivismus im Vergleich zu interaktionistischen Theorien zunächst vorgestellt und im Anschluss voneinander abgegrenzt.

3.1 Behaviorismus

Die Denkweisen des Behaviorismus dienten lange Zeit als Grundannahmen in der Verhaltenspsychologie und der Spracherwerbsforschung. Die Grundidee der behavioristischen Wissenschaftler ist, dass jedes Verhalten, somit auch die Sprache durch bestimmte Mechanismen erlernt werden kann und es keine biologische Prädisposition beim Menschen oder Tier für diese Verhaltensweisen gibt. [6]

Hauptvertreter dieses Ansatzes war der amerikanische Psychologe B.F. Skinner (1957). Dieser hat den Versuch angestellt, dass Sprachlernen beim Kind mit denselben Prinzipien zu erklären, mit denen er das Verhalten beim Lernen von Tieren in Käfigen belegte.[7] Dieser sogenannte Vorgang der Konditionierung basiert auf der These, dass ein Tier lernt, indem es auf einen gegebenen Reiz (Stimulus) die gewünschte Reaktion (Response) zeigt.[8] Erhält das Tier im Anschluss an die gewünschte Reaktion eine Belohnung, kann dieser Vorgang so oft wiederholt werden, bis Reiz und Reaktion zu einer festen Gewohnheit geworden sind.

Skinner überträgt diesen Lernvorgang auf das Sprachlernen beim Kleinkind, welches demnach nicht auf inneren, geistigen Fähigkeiten des Kindes beruht, sondern durch äußere Umweltreize ausgelöst wird. Kinder erwerben eine Sprache indem sie die sprachlichen Ausdrücke der Erwachsenen nachahmen und im Anschluss durch eine bestimmte verstärkende Belohnung verinnerlichen.[9]

3.2 Nativismus

„Sprache wird nicht gelernt, Sprache ist.“ [10]

Mit dieser Grundidee entwickelte Noam Chomsky (1959) in kritischer Auseinandersetzung mit Skinners behavioristischen Erklärungsversuchen, den nativistischen Ansatz zum Spracherwerb. Er vertritt die Ansicht, dass Sprache zu komplex sei, als dass sie ein Kleinkind, innerhalb von wenigen Jahren allein durch Imitation und Verstärkung erlernen könnte. Chomsky geht in seinen Theorien davon aus, dass der menschliche Organismus über eine genetische bedingte Anlage und Empfänglichkeit zum erlernen von Sprache und Grammatik verfügt.[11]

Er nimmt an, dass „jedes Kind von Anfang an ein Wissen um Grammatik hat.“[12] Dabei handelt es sich um eine Art „Universalgrammatik“ (UG), welche es ermöglicht, jede beliebige Sprache der Menschen zu lernen. In seinen Spracherwerbsmodellen, dem LAD - und dem P&P – Modell formuliert Chomsky, welche Vorraussetzungen ein Kind mitbringen muss, um die Grammatik einer natürlichen Sprache zu verinnerlichen. Wie bereits erwähnt handelt es sich dabei nicht um ein „einzelsprachspezifisches Wissen“, sondern es enthält generelle Informationen über die Substanz und Form von Sprache.[13] Ein Kleinkind muss lediglich in der Lage sein, den Input an Äußerungen seiner Umwelt zu erkennen und die richtigen Parameter herauszufiltern. Die Bezugspersonen haben somit nur eine auslösende Funktion und tragen zum Spracherwerb nur wenig bei.

Sprachliche Äußerungen sind Realisierungen eines zugrundeliegenden, abstrakten Kenntnissystems, der sprachlichen Kompetenz[14]

3.3 Kognitivismus

Die kognitivistischen Erklärungsmodelle sehen die sprachliche Entwicklung des Kindes im engen Zusammenhang mit den kognitiven Kompetenzen.[15] Wichtigster Vertreter des Kognitivismus ist der Biologe und Entwicklungspsychologe Jean Piaget.

Intelligenz und menschliches Denken sind bei Piaget eng an aktives Handeln gebunden. „ Denken entspringt dem Handeln und ist selbst eine besondere Form des Handelns.[16] Durch aktives Handeln kann das Kind seine kognitiven Fähigkeiten erweitern und so auch das Sprechen Schritt für Schritt erlernen.

Charakteristisch für Piagets Theorie ist die Annahme, dass das Kind erst Denken kann und daraus die Fähigkeit zum Sprechen entwickelt.[17] Die Sprache dient dabei als Ausdrucksmedium, um Gedanken dem sozialen Umfeld kommunikativ mitzuteilen und somit die Möglichkeiten des Denkens zu erweitern. Anders gesagt erfüllt Sprache die Funktionen, das eigene Denken zu repräsentieren und durch Kommunikation den Kontakt mit dem sozialen Umfeld zu sichern. [18]

Die vom Kind aktiv selbst gesteuerte Entwicklung, sowie die Genese der Intelligenz vollziehen sich laut Piagets Theorie in gleichmäßig aufeinanderfolgenden Stufen.[19]

Das bedeutet, dass sich die geistige und biologische Entwicklung der Kinder nicht sprunghaft, sondern für alle gleich, in systematisch aufeinander aufbauenden Stadien verläuft.

3.4 Interaktionismus

Die interaktionistischen Erklärungsansätze verfolgen im Wesentlichen die These, „ dass Spracherwerb sich in einem Kind-Umwelt-System vollzieht.“[20] Nach Klann-Delius gibt es vier bedeutende Faktoren, welche von sämtlichen Konzeptionen zum Erstspracherwerb berücksichtigt werden. Als erster Punkt wäre dabei der Austausch des Kindes mit der sozialen Umwelt zu nennen. Die Entwicklung sämtlicher kindlicher Kompetenzen, wie Kognition, Motorik und Affekt, wird demnach nicht durch gegebene genetische Codes oder reine kognitive Prozesse bedingt, sondern durch die Interaktion des Kindes mit den Hauptbezugspersonen.[21] Bei diesen handelt es sich in den meisten Fällen um die Mutter oder den Vater. Weiterhin handelt es sich um eine bidirektionale Entwicklung.[22] Das heißt, dass der Austauschprozess nicht nur von der Bezugsperson auf das Kind, sondern auch von dem Kind auf die Bezugsperson abzielt. Auch die Erwachsenen werden in ihrem Verhalten gegenüber dem Kind von diesem mit beeinflusst. Somit vollzieht sich der Spracherwerb nicht in einer Autoregulation ausschließlich vom Kind ausgehend, wie Piaget es beschrieben hat, sondern in einer wechselseitigen Regulation mit der sozialen Umgebung.

Weitere Grundzüge der interaktionistischen Erklärungsmodelle wurden bereits in den dreißiger Jahren von dem Psychologen Lew Semjonowitsch Wygotski herausgestellt. Seine Grundidee war, dass sich die höheren geistigen Funktionen, somit auch das Sprechen, des Kleinkindes durch „intramentale“ Austauschprozesse mit der belebten Umwelt herausbilden.[23] Durch die Interaktion werden die notwendigen „intramentalen“ Prozesse zur Herausbildung der eigenen Individualität, inklusive der Sprache, in Gang gesetzt.[24] Der sogenannte „Egozentrismus“ bedeutet für Wygotski das „ Übergangsphänomen von den interpsychischen Funktionen zu den intrapsychischen.[25]

Die Entstehung der inneren Prozesse wird demnach nicht wie bei Piaget durch Erfahrungen mit Gegenständen sondern durch den Kontakt mit dem lebendigen Umfeld ausgelöst. Bereits nach der Geburt zeigen sich feste Kommunikationselemente zwischen Mutter und Kind, welche darauf hinweisen, das eine feste Einheit zur geistigen, sozialen und auch körperlichen Entwicklung besteht.[26]

Die Bezugspersonen passen sich in ihrem Verhalten gegenüber dem Heranwachsenden an. Dabei agieren sie stets einen Schritt über dem Niveau des kindlichen Entwicklungsstandes, wodurch die Kinder angehalten werden sich daran anzupassen. Wygotski bezeichnet dieses Konzept als „ Zone der nächsten Entwicklung “.[27]

3.5 Abgrenzung der interaktionistischen Ansätze zu den anderen Theorien

Anders als die bereits erwähnten behavioristischen, nativistischen und kognitiven Spracherwerbstheorien, setzen sich die interaktionistischen Erklärungsmodelle aus den Beiträgen verschiedener Wissenschaften zusammen. Es fließen Forschungen aus der Verhaltenspsychologie, der Entwicklungsbiologie, der Systemtheorie, der Kinderheilkunde und der Psycholinguistik zusammen.[28] Aus den Erkenntnissen dieser zum Teil sehr verschiedenen Forschungsrichtungen, haben sich sehr komplexe Modelle des Interaktionismus entwickelt und werden stetig weiterentwickelt. Aufgrund der „Offenheit“ der Konzepte, bieten die interaktionistischen Spracherwerbsmodelle die Möglichkeit sie zu erweitern und durch neue Erkenntnisse zu verfeinern, da auch die Bestehenden bei weitem nicht perfekt und ausgeschöpft sind. An dieser Stelle muss noch einmal der Evolutions-Charakter von Sprache betont werden. Eine Sprache entwickelt sich stetig weiter. Sei es innerhalb einer kulturellen Gruppierung oder bei der Betrachtung des einzelnen Individuums einer Gesellschaft. Je nach Fokus des Interesses durchläuft die menschliche Sprache Entwicklungsstufen und weiterführende Veränderungen, welche es zu erkennen, zu beschreiben und später zu benennen gilt.

Die Beobachtungen und Erklärungen des Interaktionismus zielen auf diese Gesamtentwicklung des Individuums ab und erlangen somit eine größere Plausibilität als die anderen, „geschlossenen“ Theorieansätze.

Im Folgenden werden aus diesem Grund die Sprachentwicklungsprozesse beim Kind unter besonderer Berücksichtigung der interaktionistischen Grundgedanken genauer dargestellt.

[...]


[1] Watzlawick, „Menschliche Kommunikation“(2003), S.51

[2] Watzlawick, „Menschliche Kommunikation“(2003), S.51

[3] Watzlawick (2003), Menschliche Kommunikation (2003), S.51

[4] Szagun (2006), Sprachentwicklung beim Kind (2006), S.17

[5] Vgl. ebd. S. 19

[6] Vgl. Strassmann, Theorien zu Sprachlernprozessen, S.89 aus: 2006 Sprache Und Soziale Faktoren Anhang

[7] Vgl. Szagun (1983), Sprachentwicklung beim Kind, S.20- 21

[8] Vgl. Szagun (1983), Sprachentwicklung beim Kind, S.20- 21

[9] Vgl. Strassmann, Theorien zu Sprachlernprozessen, S.89 aus:2006 Sprache Und Soziale Faktoren Anhang

[10] Klann-Delius (1999), Spracherwerb, S. 53

[11] Vgl. ebd. S.50

[12] Ebd., S. 50

[13] Vgl. ebd. S.50-53

[14] Klann-Delius, (1999), Spracherwerb, S. 54

[15] Vgl. ebd. S. 93

[16] Ebd., S.93

[17] Vgl. ebd. S.94-98

[18] Vgl. ebd. S. 94

[19] Vgl. ebd. S. 98

[20] Klann-Delius, (1999), Spracherwerb, S. 137

[21] Vgl. ebd. S.136

[22] Vgl. ebd.

[23] Wygotski, (1969), Sprechen und Denken, S. 317

[24] Vgl. ebd. S.317

[25] Ebd. S.317

[26] Vgl. Reimann, Im Dialog von Anfang an, S.4

[27] Vgl. Wygotski, (1969), Sprechen und Denken, S.335

[28] Vgl. Klann-Delius, (1999), Spracherwerb, S.138

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Präverbale Interaktion als Wegbereiter für den Erstspracherwerb
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
37
Katalognummer
V125293
ISBN (eBook)
9783640300648
Dateigröße
642 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Präverbale, Interaktion, Wegbereiter, Erstspracherwerb
Arbeit zitieren
Silja Witting (Autor:in), 2008, Präverbale Interaktion als Wegbereiter für den Erstspracherwerb , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125293

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