Gott hatte sich keineswegs väterlich bewiesen

Das Problem der Theodizee in Goethes Faust


Studienarbeit, 2009

47 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Erschütterung des Glaubens?
1. Das Erdbeben von Lissabon
2. „Kommst du nur immer anzuklagen?“ – Historie der Theodizee
3. „Glaubst du an Gott?“ – Goethes Religion
4. „Fluch der Hoffnung! Fluch dem Glauben!“
Theodizee-Verarbeitung im Faust

III. „So dumm läuft es am Ende doch hinaus.“
Fazit der Theodizee im Faust

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Im August 2005 brachte der Hurrikan Katrina 1800 unschuldigen, oft gläubigen Menschen den Tod. Wie kann ein allgütiger, allgerechter Gott dieses zulassen? Das Thema der Theodizee ist heute so präsent wie damals. Es war immer schon eine Herausforderung für die Angreifer wie für die Verteidiger einer Religion, sich mit Gottes Gerechtigkeit auseinander zusetzen. Dabei muss der Glaube vielem Stand halten. „Jeder Zweifel gegen eine solche Religion ist ihr tödlich. Zur Überzeugung kann man zurückkehren, aber nicht zum Glauben.“[1] Schon in der Antike wird das Thema im Dialog Timaeus von Platon aufgeworfen.[2] Seinen Höhepunkt hat die Thematik im 18. Jahrhundert. Im Zentrum steht das Erdbeben von Lissabon, welches irrtümlicherweise oft als Ende der Theodizee bezeichnet wird. Erst Friedrich Wilhelm Joseph Schelling bringt 1809 den vordergründigen Abschluss oder „die Vollendung.“[3] Doch was hat Goethe mit der Theodizee zu tun? Er hat nie etwas bestimmtes zu ihr verfasst und hatte seinen eigenen Aussagen nach „kein Organ“[4] für die Philosophie. Doch Goethe lebt und schafft im 18. Jahrhundert, im Jahrhundert der Theodizee. Er übernimmt philosophische Konzepte von Leibniz und Schelling, womit er seinen Glauben modifiziert und besonders das Erdbeben von Lissabon hat ihn stark beeinflusst. Sollte dieses alles an seinem „ernste[n] Scherze“ vorbei gehen?[5] Beschäftigt sich der Faust, der gerade in seiner Rahmenhandlung stark an den Hiobtext angelegt ist, auch mit dem Zwiespalt zwischen der Gerechtigkeit Gottes und dem Übel in der Welt? Was hat es mit dem Prolog und der scheinbaren Wette zwischen dem Teufel, der den Mensch auf seine Straße sacht hinab führen darf[6], und dem Herrn, der nur zuzuschauen scheint, auf sich? Was ist mit dem Verderben, dass das chauvinistische Duo über Margarete und andere bringt? Wie ist dieses alles vereinbar unter dem Aspekt der Theodizee?

Der Faust ist ein komplexes Werk, welches der Leser – wenn überhaupt nur partiell – begreift. Goethe selbst nannte ihn „[...] ein so seltsames Individuum, dass nur wenige Menschen seine inneren Zustände nachempfinden können.“[7]

In der vorliegenden Arbeit wird zuerst der historische Kern, das viel diskutierte Erdbeben von Lissabon, im Vordergrund stehen, wie es von den Zeitgenossen aufgefasst worden ist und wie Goethe die kindlichen Schreckensereignisse verarbeitet. Danach geht der Blick auf die Theodizeeproblematik im 18. Jahrhundert, um zu zeigen wo und wie Goethe philosophische Konzepte übernimmt oder abändert. In III. wird Goethes Religiosität im Vordergrund stehen, welche die Grundlage ebnet für die Theodizee und ihre Lösung. Am Ende muss bei der Faustdichtung selber aufgezeigt werden, was für Ansätze, Leerstellen oder Lösungsvorschläge gemacht werden.

II. Erschütterung des Glaubens?

II.1 Das Erdbeben von Lissabon

„Durch ein außerordentliches Weltereignis wurde jedoch die Gemütsruhe des Knaben zum ersten Mal im tiefsten erschüttert. Am 1. November 1755 ereignete sich das Erdbeben von Lissabon und verbreitete über die in Frieden und Ruhe schon eingewohnte Welt einen ungeheuren Schrecken. [...] Der Knabe, der alles dieses wiederholt vernehmen musste, war nicht wenig betroffen. Gott der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden,[...] hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen.“[8]

Goethes „Gott, von dem das alte Testament so viel überliefert“[9], wird hier durch die Auffassung einer Ungerechtigkeit schon im kindlichen Alter gebrochen.[10] Die Gottesfigur verliert ihren Rückhalt und ihre Glaubwürdigkeit, da sie eine „schrankenlose Willkür“[11] zeigt und Bestrafung ausübt, wie das Erdbeben von vielen Gläubigen gesehen wurde, die allen Menschen widerfährt.

Goethe beschreibt treffend in seiner Biographie das Gefühl des Kindes, welches stellvertretend für die Lage und die Ratlosigkeit in ganz Europa gesehen werden kann. Das Erdbeben von Lissabon, bei welchem 30.000 bis 100.000 Menschen ihr Leben ließen, wird oft als Ereignis gewertet, das mithalf die leibnizsche und wollfsche Orthodoxie zu stürzen.[12] Es wurde anders aufgenommen als heute, da es im 18. Jahrhundert eher als ein religiöses, apokalyptisches Weltgeschehen gedeutet wurde.[13] Auf der einen Seite wurde der Optimismus zwar stark erschüttert, auf der anderen Seite rief es aber auch eine Apologetik hervor, so dass der gute Gott jetzt noch mehr verteidigt werden musste. Dieses „außerordentliche Weltereignis“[14] erregte in der öffentlichen Welt großes Aufsehen, so publizierten Gegner wie Voltaire (Candide), aber auch Unterstützer des Glaubens wie Kant verschiedene Schriften, die das Ereignis verständlicher machen sollten. Kants Erdbebenschrift, die noch zu seiner vorkritischen Phase zählt, zeigt jedoch eher Trostgründe für Philosophen.[15] Man musste eingestehen, dass sich nach dem Erdbeben die traditionellen Denkmuster als nicht mehr tragfähig erwiesen, dabei hilft auch Kants Frömmigkeitsbezug nichts, um die alten Werte zu erhalten.[16] Die Erschütterung war zu tief.

Das zentrale Problem war, dass sich die „Welterfahrung [...] der optimistischen Totalreflexion auf das Weltganze [widersetzte].“[17] Es ist ein Bruch im religiösen Verständnis, denn Gottes Güte kann nicht „durch apriorische Erfahrung konstituiert werden.“[18] Jedoch ist es falsch zu behaupten, der Optimismus von Wolff und Leibniz sei vollkommen zerstört, man kann es wohl eher als eine Art Relativierung ansehen. Der Glaube an die Harmonie „des durch Gott gut geordneten Weltganzen[...]“[19] ist brüchig geworden.

Nicht viele sind so hellsichtig, wie der junge Goethe sich darstellt.[20] Dieser erkennt, dass hier eine unaufhaltsame Kraft in das Leben bricht, die nicht mehr erklärbar ist durch Vernunft. Hier ist ein Bruch zwischen dem Reich der heiteren Vernunftfreiheit und dem Glauben. Der tödliche Schrecken, die Naturgewalt, das Mysthische, „Nicht-Begreifbare“ tritt in die Welt.[21] Goethe wird es später als „das Dämonische“ bezeichnen. Auch der Part, der angegriffen wurde, wusste das Ereignis zu Propagandazwecken zu nutzen. So sah die protestantische Kirche im Erbeben eine Art Strafe, wie bei Sodom und Gomorra.[22] Das Ereignis „Erdbeben“ gibt es ebenso im Faust – auch wenn nicht direkt angesprochen. Es zeigt sich als physisches Übel mit zwei verschiedenen Herangehensweisen. Einmal die christliche Sicht, dabei ist das Erdbeben ein Übel, welches von Mephisto, der mit den Elementen im Bunde steht, „mit Wellen, Stürmen, Schütteln [und] Brand“[23] gebracht wird. Die andere Sicht ist die der Antike. Hier ist das Übel ein Phänomen, das die göttliche Natur zeigt. Seismos bringt im Faust II vollkommen natürlich ohne Bosheit oder Hintergedanken das Erbeben hervor, welches als Naturgewalt sogar sinnvoll und produktiv ist.

„Und hätt ich nicht geschüttelt und gerüttelt, / Wie wäre diese Welt so schön?“[24]

Das Erdbeben von Lissabon steht, auch wenn Goethe es nicht explizit anspricht, in dem Zentrum nach der Frage um die Gerechtigkeit Gottes. Das Theodizee-Problem, welches der Faust eigentlich schon vom Hiob-Text in die Wiege gelegt bekommen hat, bleibt damit präsent. Doch hat Goethe das Problem im Faust wirklich aktiv ausgeführt und vielleicht sogar gelöst? Geht es in dieser Weltliteratur nicht eher um den Genußtrieb eines unaufhaltsamen Geistes, der alles mit sich hinunter reist in einer „immer höhere[n] Tätigkeit bis ans Ende?“[25] Faust verhält sich nicht wie Hiob, er greift Gott nicht an und bringt damit das Problem zur Sprache.[26]

Die Anklage gegen Gott und die Frage nach seiner Gerechtigkeit wird unterschwellig aufgeworfen und schwingt im ganzen Drama mit. Es gibt nur wenige Stellen, an denen die Theodizee auffällig durch das Menscheitsparadigma Faust bricht und Gott aktiv handelt.[27] Eine der wichtigsten dieser Szenen ist jene, die die Rahmenhandlung des Dramas einführt: Der Prolog im Himmel. Bei dieser Szene bringen die Engel, Mephisto und teilweise der Herr ihre Vorwürfe und Verteidigungen über die Theodizee vor. Michael spricht das malum physicum im Sinne der Naturkatastrophen direkt an.

„Und Stürme brausen um die Wette, / Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer / Und bildend wütend eine Kette / Der tiefsten Wirkung rings umher. / Da flammt ein blitzenes Verheeren / Dem Pfade vor des Donnerschlags; Doch deine Boten, Herr, verehren / Das sanfte Wandeln deines Tags.“[28]

Die Position der Engel ist die der Nicht-Zweifler und Nicht-Nachfrager, welche sich als unwissend gegen Gott ansehen und jede Reflexion verneinen. Dieses zeigt der letzte Vers deutlich. Trotz der grausamen Katastrophen wird der Wandel des göttlichen Tages verehrt.[29] Noch deutlicher sieht man ihr Verhalten aber in Vers 268: „Da keiner dich ergründen mag.“ Diese Stelle läßt sich fast parallel zum Hiob lesen: „Gottes Handeln ist unserem Wissen unbegreiflich.“[30] Und auch Goethe scheint es ähnlich zu sehen, wenn er in Dichtung und Wahrheit sagt, „dass Gottes Ratschlüsse unerforschlich seien.“[31] Es wird hier keine Nachfrage an Gottes Gerechtigkeit gestellt. Vielleicht sehen die Engel das Übel des Menschen nicht, weil sie der Welt zu entrückt sind. Mephisto dagegen kennt die Leiden der Menschen, so spricht er das malum morale an .[32]

Das Übel hat Platz in Gottes Werk. Mephisto bezieht sich also auf den Menschen, den die Erzengel ausgespart haben. Hierbei ist der Teufel, der wie die Engel Teil des Planes ist, unwissend:

„Von Sonn' und Welt weiß ich nichts zusagen / Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.“[33] Diese jedoch sieht er, indem er ironisch die pathetische Sprache der Engel aufnimmt, als „wunderlich wie am ersten Tag.“[34]

In Mephistos Schilderung bleibt die Verantwortung nicht beim Menschen[35], sondern bei dem Herrn, der dem Menschen die Vernunft, „den Schein des Himmelslichts“[36], gegeben hat. Er greift Gott mit einem traditionellen Argument an, welches schon Cicero aufzeigte.[37] Gott erschuf den Menschen (Jämmerlich, kläglich, erbärmlich), also ist Gott auch für sein Leid verantwortlich. Vernunft ist hier der Urquell allen Übels. Wenn die Menschen denken können, dann können sie auch Übel ausrichten, denn „Bosheit ist eine schlau und betrügerisch auf den Schaden anderer ausgehende Berechnung.“[38] Es wäre also nach Cicero besser, wenn die Menschen keine Vernunft hätten, so könnten sie auch keinen Schaden anrichten. Die Vernunft ist ein „göttliches Geschenk des klaren Denkens“[39], doch sie ist auch ein Werkzeug des Übels. Die Bosheit kommt aus dem Menschen, aber verantwortlich ist Gott. Der Herr geht auf dieses Argument nicht ein, entweder weil er sich nicht mit niedrigen Gestalten unterhält oder weil es keine Antwort gibt. Er verweist nur auf die Allgemeine Schönheit, ein Harmonieargument, so dass man für das große Gute die kleinen Übel in Kauf nehmen muss. Der Herr verurteilt die Anklage und verwirft sie mit einer Gegenfrage: „Kommst du nur immer anzuklagen? / Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?“[40]

Durch den Herrn sehen wir, dass die Engel und Mephisto gleich wenig oder viel verstehen, beide können weder den Menschen und sein Schicksal noch die Übel fassen. „Das Böse“ wird nur sichtbar im menschlichen Blickwinkel[41], da es Zerstörung und Vernichtung ist, aber es ist notwendig, auch wenn diese Not-wendigkeit nur der Herr sieht. Mephisto kann es nicht erkennen, er ist zu viel Verstand, so versteht er nichts Emotionales. „[Er ist kein Dämon], er ist viel zu negatives Wesen.“[42] Das Göttliche, welches man vor den Richterstuhl der Vernunft bringen könnte, wird im Drama fast ausschließlich in der Rahmenhandlung bedient. Ausnahmen sind der Chor vor dem Ostersonntag[43] und am Ende von Faust I die Rettung Margaretes durch die Stimme von oben.[44]

II.2. „Kommst du nur immer anzuklagen?“

Historie der Theodizee: Leibniz – Kant – Schelling

„Was ich [...] späterhin Fichten, Schellingen, Hegeln, den Gebrüdern Humboldt und Schlegeln schuldig geworden bin, möchte künftig dankbar zu entwickeln sein, [...].“[45]

Das Buch Hiob, welches wir schon in einer nahen Verbindung zum Faust gesehen haben, ist wohl eines der ersten Texte, welche sich mit dem Problem der Theodizee auseinander setzt. Auch wenn dieses nicht philosophisch getan wird. In der alttestamentarischen Geschichte wird Hiob von Gott, der sich auf eine fragwürdige Wette mit dem Satan einlässt, geprüft. Das Dogma des Textes ist, dass Gott nicht angezweifelt werden darf. Er ist die oberste Instanz und ihm ist alle Gerechtigkeit vorbehalten, doch genau hier kommt auch das Problem auf, welches sich durch die beginnende Rationalisierung bildet. Es wird zwar noch keine Frage nach dem Ursprung des Übels gestellt, aber nach der Vereinbarkeit von gerechtem Gott und gutem Gott.

„Gott gibt mich dem Bösen preis, / In die Hand der Frevler stößt er mich. In Ruhe lebte ich, da hat er mich erschüttert, / Mich im Nacken gepackt, mich zerschmettert, / Mich als Zielscheibe für sich aufgestellt.“[46]

Es wird in der vorrationalisierten Zeit noch von einem direkten Zusammenhang von physischem Übel und Frömmigkeit (Kausal nexus) ausgegangen.[47] Die Lösung der Theodizee erfolgt ganz simpel; Gott beweist durch Taten und Worte seine Allmacht und weist den Mensch in seine Schranken. Die Lösung ist jedoch fragwürdig, da Gott unberechenbar wirkt und seine Handlungen uneinsichtig für den Menschen scheinen: „Gottes Handeln ist unserem Wissen unbegreiflich.“[48] Auch die Engel im Prolog drücken es ähnlich aus. Goethe scheint dieser Ansicht teilweise zuzustimmen. „[...]Wir gelangten doch nur zuletzt auf das vernünftig notwendige Resultat, dass Gottes Ratschlüsse unerforschlich seien.“[49] Diese Lösung ist für die Philosophie der Neuzeit, welche schon eine zu große Rationalisierung erfahren hat, nicht mehr mög-lich. Die Vernunft stellt zu hohe Ansprüche an Gott. Man muss sich davon lösen, dass es ein Individuum ist, welches einen Gedanken entwickelt. Meist ist es ein Gang, den der Gedanke durch die Geschichte macht. Der Gedanke entwickelt sich weiter über mehrere Gelehrte bis ihn einer radikal ausspricht. Durch die Jahrhunderte hindurch wurde die Theodizee-Frage immer wieder in der Antike von Platon und Cicero behandelt. In der Spätantike befassten sich Markion (2 Jhr. n, Chr.) oder im Mittelalter Anselm von Canterbury, der unseren heutigen Gottesgedanken weitgehend mit prägte, mit dem Problem. Nach ihm kann über Gott nichts Größeres hinaus gedacht werden („Et quidem credimus te esse aliquid, quo nihil maius cogitari possit.“).[50] Das höchste Denkbare muss gut, mächtig und gerecht sein, aber dieses steht im Konflikt mit dem weltlichen Übel. Anselm schafft hier eine große Herausforderung für die Theodizee der nächsten Jahrhunderte.

Leibniz

Ich gehe nicht weiter auf die Vorgeschichte der Theodizee ein, da sie ihren Höhepunkt und ihre Komplexität mit ihren Hauptvertretern erst im 18. Jahrhundert erreicht. Den Anfang bildet der Streit zwischen Pierre Bayle und Gottfried Wilhelm Leibniz. Ein Streit um die Vereinbarkeit von Vernunft und Glaube, der auch noch zu Goethes Zeit fortgeführt wurde.[51] Es wird die Frage aufgeworfen „[...] wieviel Anteil die Vernunft, wieviel die Empfindung an solchen [religiösen] Überzeugungen haben könne und dürfte.“[52] Leibniz' Schrift über die Theodizee ist vielleicht nicht sein bestes Werk, jedoch sein Populärstes. Sie bringt die Theodizee-Frage wieder in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Leider wird das Werk dadurch oft mehr schlecht popularisiert, als es ihm angemessen ist.

1710 erscheint Essais de Théodicée sur la Bonté de Dieu, la Liberté de l'Homme et l'Origine du Mal. Die Generalthese in diesem Buch ist die Vermittlung zwischen Vernunft und Offenbarung. Gott soll freigesprochen werden von der Anklage der Vernunft, wegen erwiesener Unschuld. Leibniz zeichnet Gott – wie auch Bayle – rational. Unsere Welt wurde von Gott gewählt, weil sie die bestmögliche Welt darstellt.[53] Das genau ist die Rechtfertigung Gottes. Man kann ihm keinen Vorwurf machen, denn das vorhandene Übel ist notwendig, da es keine bessere Welt gibt. Dieses impliziert, dass auch eine Welt ohne Übel nicht besser gewesen wäre. Die Alternative wäre gar keine Welt.[54] Goethe übernimmt weniger diese These der Theodizee, sondern mehr Leibnizens Monadenlehre, die er seinen Vorstellungen anpasst. In der „prästabilierten Harmonie“, dieses ist Leibniz' Antwort auf den ontologischen Dualismus von Descartes, schafft Gott am „Anfang der Tage“ die Harmonie von den zwei Substanzen, Leib und Seele, so dass es zwar scheint, als wirken sie zusammen, aber in Wahrheit kein Zusammenhang zwischen ihnen besteht.

Leibniz gebraucht 1698 den Begriff „Monade“ (Einheit, Seelen analoge Wesen), um die prästabilierte Harmonie näher zu erläutern. Diesen Begriff nimmt dann Goethe wieder auf. Für ihn sind Monaden die zentralen Haltepunkte der Welterklärung. Ihre Kraft ist wie von selbst, sie sind „nichts Mechanisches, nichts Materielles [...], nichts Teilbares, oder Ausgedehntes“[55], deshalb kann auch nichts von außen auf sie einwirken. „Das Höchste, was wir von Gott [bekommen haben, sind] Monas.“[56]

Bei Leibniz muss Gott also rational mit Allprädikaten ausgezeichnet werden[57], nur so kann die Vernunft ihn denken. Der logische Schluss ist, dass man nun die Welt als bestmögliche Welt denken muss, da Gott in seiner Vernunft/Güte die beste Welt wählen muss, dabei unterliegt er einer moralischen Notwendigkeit. Es ist also moralisch unausweichlich die bestmögliche aller Welten zu nehmen. Er kann keine schlechte wählen, da es nicht seinem Wesen entspräche. Wo kommen aber nun die Übel her? Hier zeigt Leibniz' Schrift Schwächen. Er sieht den Ursprung des metaphysischen Übels in den ewigen Wahrheiten. Die ewigen Wahrheiten, die in Gottes Verstand liegen, will Gott nicht. Da es aber ewige Wahrheiten sind ist jedes Gegenteil widersprüchlich, somit kann auch Gott die Wahrheiten nicht ändern.[58] Das Übel entsteht damit aus den abstrakten Formen selbst. Es sind Ideen, die Gott nicht wollte, so wenig wie er Zahlen und Figuren wollte. Damit scheint er entlastet zu sein, da das Übel nicht sein Wille war. Doch Leibniz zeigt erst gar nicht wie aus den ewigen Wahrheiten Übel hervor gehen kann. Gott bleibt allwissende Kraft, die vor der Zeit das Uhrwerk Mensch anstellt, so weiß er immer, wie sich der Mensch verhält oder verhalten wird. Er erkennt, dass wir notwendig handeln, auch wenn wir es aus unserer Perspektive nicht sehen. Dieses zeigt sich auch beim Faust, in dem der Herr weiß, „[...] [wann] das Bäumchen grünt,[...].“[59] Die Klarheit kennt somit nur Gott, Faust muss erst durch sein Streben dahin geführt werden.[60]

[...]


[1]. Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, sämtliche Werke ., Bd.9, Erich Trunz (Hrsg.), München, 1998, Buch 4.

[2]. Vgl. Platon, Sämtliche Werke, Bd. 7, Darmstadt 1972, 28a.

[3]. Vgl. Friedrich Hermanni, Die letzte Entlastung, 1998.

[4]. Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, sämtliche Werke, WA n 11, S. 47.

[5]. Vgl. Goethe, sämtliche Briefe, HA, Bd. 4, Karl Robert Mandelkow (Hrsg.), München 1988, S.480.

[6]. Vgl. Goethe, Werke, Bd 3, V.314.

[7]. Vgl. Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe, Otto Schönberger (Hrsg.) Stuttgart, 1998, S.142. Ich bin mir bewusst, dass die Quelle „Eckermann“ nicht unbedingt unproblematisch ist, jedoch sind viele Gedanken, die gerade zum Thema Theodizee und Religion passen hier erwähnt.

[8]. Vgl. Goethe, Werke, Bd.9, Buch 1, S.29ff.

[9]. ebd. S.31.

[10]. ebd. S.32.

[11]. ebd. S.30

[12]. Vgl. Ulrich Löffler, Lissabons Fall, Erlangen 1999, S. 11.

[13]. ebd. S.87.

[14]. Vgl. Goethe, Werke, Bd.9, Buch 1, S.33.

[15]. Vgl. Löffler, Lissabons Fall, S.60ff.

[16]. ebd. S.35.

[17]. ebd. S.35. Dieser Optimismus wurde oft eben aus Leibniz' Theodizee heraus gelesen. Man sah sich sicher in einer „best möglichen Welt.“

[18]. ebd. S.34. Diese Ansicht macht Kant später stark und sieht hier die Lösung der Theodizee-Frage.

[19]. ebd. S.30.

[20]. Vgl. Goethe, Werke, Bd.9, Buch 1, S.37.

[21]. Vgl. Löffler, Lissabons Fall, S.40.

[22]. ebd. S.50ff. Gerade die protestantische Kirsche sah dieses so, da des Erdbeben auf den Allerheiligen Tag fiel.

[23]. Vgl. Goethe, Werke, Bd 3, V. 1367.

[24]. ebd. V.7552-7553. In der Antike stellt sich das Problem der Theodizee nicht. Dieses kann an der minderen Rationalisierung der Religion liegen oder an dem Polytheismus an sich.

[25]. Vgl. Eckermann, Gespräche mit Goethe, S.520.

[26]. Vgl. Hiob 16,11-14.

[27]. Vier Szenen sind dabei zu nennen: Prolog im Himmel, Osterabend/Engelgesang, Kerker mit der Stimme von oben und die Bergschluchtenszene, diese werde ich im Punkt V. noch genauer erläutern.

[28]. Vgl. Goethe, Werke, Bd 3. V. 259-266. Der Mensch ist hier entlastet, ihm können die Naturkatastrophen nicht zugerechnet werden. Doch liegt dann die Verantwortung nicht bei Gott, der die Natur erschuf?

[29]. ebd. V. 266.

[30]. Vgl. Hiob 11,6.

[31]. Vgl. Goethe, Werke, Bd.10, Buch 16, S. 91.

[32]. Vgl. Henrich Rickert. Goethes Faust, Tübingen 1932. S.65. Hier ist genau auch Mephistos Handlungsraum, mit dem moralischen Bösen arbeitet er, dieses erkennt man an der Gretchentragödie, aber auch bei Philemon und Baucis. Mephisto steht den Menschen in einem gewissen Sinne näher, durch das Leid, das er ihnen bringt.

[33]. Vgl. Goethe, Werke, Bd 3, V.279.

[34]. ebd. V.282.

[35]. Vgl. Rickert. Goethes Faust, S.62-68.

[36]. Vgl. Goethe, Werke, Bd. 3, V.287.

[37]. Vgl. Cicero. De natura Deorum. Buch III, 75.

[38]. ebd. Bei Cicero ist es ein Dialog und der Autor läßt eine literarische Person wie Sokrates reden, es muss also nicht unbedingt die Meinung Ciceros sein.

[39]. ebd. 76.

[40]. Vgl. Goethe, Werke, Bd.3 , V.298-299. Mephisto ist hier das genaue Gegenteil zu den Engeln, so unreflektiert wie sie loben so unreflektiert negiert Mephisto alles.

[41]. ebd. V. 1342ff.

[42]. Vgl. Eckermann, Gespräche mit Goethe. S.486.

[43]. Vgl. Goethe, Werke, Bd.3, V.737-807.

[44]. ebd. V.4611.

[45]. Vgl. Goethe, Werke, W II, 11, S. 47-53.

[46]. Vgl. Hiob 16,11-14. Man sieht, dass Gott und Satan hier problemlos nebeneinander existieren können.

[47]. ebd. 4,1-8.

[48]. ebd. 11,6.

[49]. Vgl. Goethe, Werke, Bd.9, Buch 16, S. 760.

[50]. Vgl. Anslm von Canterbury Proslogion, Robert Theis (Hrsg.). Stuttgart 2005 Kapitel I.

[51]. Vgl. Goethe, Werke, HA, Bd.9, Buch 17. S. 744.

[51]. ebd. Buch 8, S 334.

[53]. Leibniz, philosophische Werke, Bd.4, Arthur Buchenau (Hrsg.) Hamburg 1996, S. 96. Wir müssen unsere Welt als die bestmögliche annehmen, da unsere Vernunft es uns so vorschreibt, wenn wir den Gottesgedanken richtig denken wollen.

[54]. ebd. S.97. Die Probleme dieser These ist Leibniz Modifikation des Schöpfungsgedanken oder das logische Problem der Wahl aus unendlichen vielen Möglichkeiten.

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Gott hatte sich keineswegs väterlich bewiesen
Untertitel
Das Problem der Theodizee in Goethes Faust
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Goethes Faust I/II
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
47
Katalognummer
V125108
ISBN (eBook)
9783640308095
ISBN (Buch)
9783640306251
Dateigröße
609 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gott, Goethes, Faust, I/II
Arbeit zitieren
Kevin Liggieri (Autor:in), 2009, Gott hatte sich keineswegs väterlich bewiesen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125108

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