Accessibility von Internet-Inhalten


Diploma Thesis, 2003

130 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhalt

1 Einleitung

2 Das Leitmotiv „Accessibility“
2.1 Accessibility
2.2 Universal Design
2.3 Accessibility im Internet
2.4 Assistive Technology
2.5 Usability
2.6 Accessibility und Usability

3 Behinderungen und Computer
3.1 Sehbehinderte und Blinde
3.1.1 Nutzung des Computers
3.1.2 Nutzung des Internets
3.2 Hörbehinderungen
3.3 Körperbehinderungen
3.3.1 Nutzung des Computers
3.3.2 Nutzung des Internets
3.4 Lernbehinderungen
3.5 Geistige Behinderungen
3.6 Zusammenfassung

4 Gesetze und Standards
4.1 World Wide Web Konsortium
4.1.1 Barrierefreie Inhalte
4.1.2 Barrierefreie Erstellung von Inhalten
4.1.3 Barrierefreie Endgeräte und Browser
4.2 Deutschland
4.2.1 Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen
4.2.2 Die Umsetzungsverordnung zum BGG (BITV)
4.3 Europäische Union
4.4 USA
4.4.1 Americans with Disabilities Act
4.4.2 Section 508 of the Rehabilitation Act
4.4.3 Section 255 of the Telecommunications Act
4.5 Vorgaben der Industrie
4.6 Zusammenfassung

5 Assistive Technology
5.1 Technische Hilfsmittel
5.1.1 Braille-Schrift
5.1.2 Braille-Zeilen
5.1.3 Screen Reader
5.1.4 Screen Magnifier
5.2 Unterstützung durch Betriebssysteme
5.2.1 Windows XP
5.2.2 Mac OS
5.2.3 Linux
5.3 Fazit

6 Erstellen barrierefreier Inhalte
6.1 Web Content Accessibility Guidelines
6.2 HTML 4.0
6.2.1 Layout
6.2.2 Navigation
6.2.3 Textgestaltung
6.2.4 Alternative Texte
6.2.5 Grafiken
6.2.6 Formulare
6.2.7 Tabellen
6.2.8 Frames
6.2.9 Cascading Style Sheets
6.2.10 Links
6.2.11 Nur-Text
6.3 DHTML und JavaScript
6.4 Adobe PDF
6.5 Macromedia Flash
6.6 Java

7 Optimierung eines Informationsangebotes
7.1 Accessibility-Test
7.2 Tools zur Evaluation
7.2.1 Bobby
7.2.2 WAVE
7.2.3 A-Prompt
7.2.4 Lynx
7.3 Unterstützung durch Software
7.3.1 Adobe GoLive 6
7.3.2 Macromedia Dreamweaver MX
7.3.3 Microsoft Frontpage
7.3.4 Add-ons
7.4 Fazit

8 Analyse
8.1 Zielsetzung
8.2 Systematik der Analyse
8.2.1 Analyse-Werkzeuge
8.2.2 Screen Reader/Voice Browser
8.3 Bewertungskriterien
8.4 Vorstellung der Websites
8.4.1 Informationsangebot www.bundesregierung.de
8.4.2 Informationsangebot www.auswaertiges-amt.de
8.5 Szenarien
8.6 Testumgebung
8.7 Ergebnisse
8.7.1 Analyse mit Bobby
8.7.2 Analyse mit WAVE
8.7.3 Praxistest mit JAWS
8.7.4 Praxistest mit IBM Home Page Reader
8.8 Zusammenfassung der Ergebnisse
8.9 Beurteilung
8.10 Empfehlungen

9 Fazit

10 Literaturverzeichnis
10.1 Bücher
10.2 Artikel
10.3 Spezifikationen, Richtlinien und Gesetze

11 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

12 Abkürzungsverzeichnis

Anhang A

Anhang B

Anhang C

Anhang D

Anhang E

1 Einleitung

“From the point of view of a computer, all human users are handicapped.“1

Blinde und Internet -- ein Widerspruch? Auf den ersten Blick vielleicht. Aber sicherlich nicht, wenn es nach der Meinung des Gesetzgebers in Deutschland geht.

Das Internet ist das Massenmedium unserer Zeit. Es bietet Dienstleistungen, Informationen, Kommunikation und Entertainment. Seit einigen Jahren existieren Vorgaben und technische Möglichkeiten, um Menschen mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang zum Internet zu ermöglichen, doch werden sie bisher nur zögernd umgesetzt.

Im Zentrum dieser Diplomarbeit stehen Menschen -- Menschen, die erblindet oder sehbehindert sind. Diese Eingrenzung innerhalb der Gruppe der Behinderten wurde bewusst vorgenommen, da Sehbehinderungen in einem besonders großen Widerspruch zu den grafischen Inhalten des Internets zu stehen scheinen.

Oftmals wird der barrierefreie Zugang zum Internet ausschließlich auf die Erstellung von behin- dertengerechten Webseiten reduziert. Doch um die Nutzung des Internets zu ermöglichen, müssen verschiedene Faktoren, von denen die Barrierefreiheit abhängt, bedacht werden:

- Barrierefreie Computer
- Barrierefreie Software
- Barrierefreie Inhalte
- Barrierefreie Autorenwerkzeuge

Erfüllt einer dieser Punkte nicht die Anforderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit, so ist die Barrierefreiheit des gesamten Mediums Internet für diese Person in Frage gestellt.

In der Bundesrepublik Deutschland leben rund 82 Millionen Menschen, von denen ca. 35 Millio- nen, etwa 43 % der Bevölkerung, über einen Zugang zum Internet verfügen.2 Da leider keine Zahlen über behinderte Internet-Nutzer vorliegen, lässt sich deren Anzahl nur schätzen: Ausgehend von etwa 6,6 Millionen Menschen mit einer Behinderung in Deutschland3 würde das bei einer Penetrationsrate von 43 % auf rund 2,8 Millionen Internet-Nutzer mit einer Behinde- rung schließen lassen.

Daher steht die Frage, wie eine Ausgrenzung dieser Gruppe vom Informationszeitalter zu ver- hindern ist, im Mittelpunkt dieser Diplomarbeit.

Zu Beginn möchte ich aufzeigen, welche Probleme Behinderte, insbesondere Sehbehinderte und Blinde, bei der Nutzung des Computers und des Internets haben und wie sie diese mit Hilfe modernster Technik meistern oder zumindest lindern können.

Daraufhin werden die Gesetze und Vorgaben, die für die Barrierefreiheit im Internet relevant sind, vorgestellt und gezeigt, wie diese in der Praxis umgesetzt werden können.

Abschließend soll am Beispiel ausgewählter Internetseiten des Bundes untersucht werden, wie es momentan um die Barrierefreiheit bestellt ist und wie weit Gesetze und Verordnungen be- reits umgesetzt werden. Dies umfasst die Analyse der Internet-Seiten, die Darstellung gefunde- ner Barrieren und Vorschläge, wie die Seiten hinsichtlich der Anforderungen an die Barrierefrei- heit optimiert werden können.

2 Das Leitmotiv „Accessibility“

In diesem Kapitel möchte ich die Begrifflichkeiten klären und darstellen, welche Grundgedanken und Ziele hinter Accessibility und den damit verbundenen Überlegungen stehen.

Was versteht man unter dem englischsprachigen Begriff „Accessibility“, der sich am besten mit

„Zugänglichkeit“ oder, wesentlich freier, mit „Barrierefreiheit“ übersetzen lässt? Der Begriff

„Accessibility“ setzt sich aus den Worten „Access“ und „Ability“ zusammen, also „Zugang“ und

„Fähigkeit“, und bezeichnet damit die Eigenschaft einer Sache, einen Zugang bereitzustellen.

2.1 Accessibility

Spricht man im Allgemeinen von Accessibility, so ist damit der barrierefreie Zugang für Men- schen mit einer Behinderung gemeint. Dabei kann es sich beispielsweise um den rollstuhlge- rechten Zugang zu einem Gebäude oder zum öffentlichen Nahverkehr handeln. Die Norm ISO TS 16071 definiert Accessibility wie folgt:

“The usability of a product, service, environment or facility by people with the widest range of capabilities.”4

Accessibility meint somit auch den barrierefreien Zugang zu Dienstleistungen und Kommunika- tionsmitteln wie dem Internet. Der Leitgedanke der Accessibility ist, Menschen mit besonderen Einschränkungen und den daraus resultierenden Bedürfnissen die Möglichkeit zu geben, an den grundlegenden Dingen des Alltages teilhaben und Produkte, Dienstleistungen und Informatio- nen im gleichen Umfang nutzen zu können wie Menschen ohne Behinderung.

2.2 Universal Design

Das Anliegen bei der Realisierung der Barrierefreiheit ist es, eine Gesellschaft für alle Menschen zu schaffen. Bei der Umsetzung dieses Ziels möchte man sich am so genannten „Universal Design“ orientieren.

Gregg Vanderheiden, einer der Verfasser der Accessibility-Richtlinien für das Internet, gibt die folgende Definition von Universal Design:

“Universal design is the process of creating products [...] which are usable by people with the widest possible range of abilities, operating within the widest possible range of situations[…], as it is commercially practical.”5

Der Anspruch des universellen Designs ist es, Produkte, Lösungen oder Dienstleistungen mit Kenntnis über die Fähigkeiten der Nutzer zu entwickeln. Daraus ergibt sich, dass möglichst viele Menschen diese Produkte nutzen können. Es ist erkennbar, dass es sich bei Universal Design nicht um eine Lösung, sondern um eine Überlegung der Produktentwicklung, eine Geisteshal- tung innerhalb des Entstehungsprozesses, handelt.6

Betrachtet man den Gedanken des Universal Designs, so stellt man fest, dass es bei der Um- setzung nicht darum geht, Sonderlösungen für besondere Zielgruppen zu schaffen. Diese sind ausschließlich für den Fall, dass eine Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse nicht möglich erscheint, vorbehalten.

Bezieht man die Überlegungen des Universal Designs auf die Entwicklung von Internet-Inhalten und –angeboten, so wird deutlich, dass es nur eine Lösung geben soll, die den Anforderungen und Bedürfnissen aller Nutzer gerecht wird. Um dies zu erreichen, muss ein universelles Design speziell für das Internet geschaffen werden, damit die Accessibility schon während der Konzep- tion von Webinhalten berücksichtigt wird.

Nach dem Willen der Politik und der Behindertenverbände soll sich diese Philosophie durchset- zen. Die Europäische Kommission hat sich dazu entschlossen, generell bei der Schaffung einer barrierefreien Gesellschaft den Leitgedanken des Universal Designs zu vertreten.7

2.3 Accessibility im Internet

Shawn Lawton Henry schlägt die folgende Definition von Accessibility im Internet vor:

“Accessibility can be defined as the quality of a web site that makes it possible for peo- ple to use it - to find it navigable and understandable - even when they are working un- der limiting conditions or constraints.”8

Oftmals wird allerdings der Begriff „barrierefreies Internet“ analog zu dem Begriff „behinderten- gerechtes Internet“ verwendet. Dies wird jedoch dem Ansatz der Barrierefreiheit nicht gerecht. Das Ziel der Barrierefreiheit ist es nicht, ein Internet für Behinderte zu schaffen, sondern ein Internet, das einen barrierefreien Zugang für alle, mit und ohne Behinderung, bietet. Der Begriff der „Barriere“ bezieht sich daher nicht ausschließlich auf Hindernisse, die durch eine Behinde- rung entstehen, sondern auch auf äußere Einflüsse, die Auswirkungen auf die Nutzung des Internets haben. So kann es für den Nutzer bereits eine Barriere sein, wenn er einen Schwarz- Weiß-Monitor zum Betrachten von Webseiten verwendet.

John Slatin, selbst erblindet, sieht Accessibility im Internet nicht als das bloße Erfüllen vorgege- bener Richtlinien und Checklisten, sondern als einen ganzheitlichen Prozess bei der Erstellung von Internetinhalten. Er kritisiert, dass vielerorts nur das Einhalten der rechtlichen Vorgaben im Vordergrund stehe, aber das Bewusstsein für Accessibility nicht vorhanden sei. Dabei sei es wichtig, bei allen, Entwicklern und Nutzern, ob von Behinderung betroffen oder nicht, das Be- wusstsein zu schaffen, dass ein barrierefreies Internet keine Sonderlösung, sondern der Stan- dard sein sollte. Bei der Schaffung der Accessibility ist nach Meinung von Slatin das Ziel erst dann erreicht, wenn bei jedem, der Internet-Inhalte entwickelt, das Bewusstsein für Barriere- freiheit geschaffen worden sei.9

In den Anfangstagen des Internets gab es keinerlei Unterstützung der Bedürfnisse behinderter Nutzer, erste Interessengruppen wie die Web Accessibility Initiative (WAI) formierten sich erst 1997. Ursächlich für die fehlende Berücksichtigung behinderter Nutzer ist sicherlich der sehr technische, militärische Ursprung der Technologie „Internet“. Das primäre Ziel der Entwickler war es, die Technik weiterzuentwickeln und die Verbreitung des Internets voranzutreiben. Die Interessen behinderter Menschen waren hierbei von untergeordneter Bedeutung. Als sich jedoch das Internet zum Massenmedium entwickelte, stellte sich heraus, dass es auch für Behinderte ungeahnte Möglichkeiten und somit einen Gewinn an Unabhängigkeit und Lebens- qualität bieten kann.

Betrachtet man die demografische Entwicklung in Deutschland, so wird deutlich, dass in Zukunft die Zahl älterer Menschen kontinuierlich steigen wird. Betrug der Anteil der über 65- jährigen an der Bevölkerung 1950 noch 10 %, waren es 2000 bereits 28 %; im Jahr 2050 werden es 30 % sein.10 Ursache für diese Entwicklung sind zum einen geburtenstarke Jahrgänge, zum anderen der hohe Lebensstandard, der die Lebenserwartung in allen Industrieländern der westlichen Welt weiter steigen lässt.11

Angesichts dieser Zahlen sind zwei Entwicklungen deutlich abzusehen: gibt es in der Gesell- schaft mehr alte Menschen, so ist damit zu rechnen, dass auch die Zahl der Menschen, die unter altersbedingten Behinderungen wie z.B. Sehschwäche oder Einschränkung der Mobilität leiden, steigen wird. Absehbar ist auch, dass es zukünftig mehr ältere Internet-Nutzer geben wird. Auch diese Gruppen werden von barrierefreien Internet-Inhalten profitieren.

Für die Betreiber einer Website kann es durchaus von Vorteil sein, wenn sie ihr Informationsan- gebot im Internet barrierefrei gestalten. In den Gesprächen, die ich mit Betroffenen geführt habe, hat sich gezeigt, dass im Kreis der Blinden ein reger Austausch über ausgesprochen gut oder schlecht zu nutzende Webseiten stattfindet.

Man geht von einer Steigerung des Marktanteils einer barrierefrei gestalteten Webseite aus, da sie nun auch für Nutzer ohne Behinderung leichter zu bedienen ist und dies die Wahrscheinlich- keit, dass mehr Menschen das Angebot nutzen, erhöht.

Accessibility kann aber auch Einfluss auf weitere Faktoren haben, die es möglich machen, neue Nutzergruppen zu erschließen:12

- Unterstützung von Leseschwierigkeiten
- Optimierung für Suchmaschinen durch strukturierte Informationen
- Schnelle, erfolgreiche Suche macht es für den Kunden leichter, die gewünschten Infor- mationen zu finden.
- Erstellung von Inhalten für verschiedene Endgeräte
- Unterstützung der Internationalisierung des WWW
- Bereitstellung eines Zugangs für Nutzer mit geringer Bandbreite

Wichtig für die Umsetzung des barrierefreien Internets seitens der Unternehmen ist jedoch auch, dass das Bewusstsein für Accessibility vom Management in das gesamte Unternehmen13 getragen wird, da sonst die Umsetzung scheitern kann.14

2.4 Assistive Technology

Spricht man von Accessibility, so spricht man auch von „Assistive Technology“. Die Bedeutung dieser „unterstützenden Techniken“ wird meist unterschätzt, lässt sich aber an einem einfachen Beispiel verdeutlichen: Die rollstuhlgerechte Zufahrt zu einer U-Bahn-Station ist für einen Kör- perbehinderten keine Hilfe, wenn er über keinen Rollstuhl verfügt.

Die Lücke zwischen den individuellen Fähigkeiten des Behinderten und der Umgebung schließt die Assistive Technology. Unter diesen unterstützenden Geräten kann man, im einfachsten Sinne, alle Hilfsmittel zusammenfassen, die es Behinderten erleichtern, Probleme des Alltags zu bewältigen und so die Auswirkungen der Behinderung zu abschwächen.

Auch eine barrierefrei gestaltete Webseite kann von einem Blinden alleine mit einem Computer nicht genutzt werden. Er benötigt Hilfsmittel, die seinen Computer so erweitern, dass er ihn mit seinen Fähigkeiten bestmöglich nutzen kann. Diese Hilfsmittel sind meist Hard- und Software, die Hilfe und Unterstützung bei der Nutzung mit alternativen Endgeräten anbieten. Auf die Möglichkeiten, die die modernen Hilfsmittel bieten, möchte ich in Kapitel 5 detailliert eingehen.

Die Anpassung der Assistive Technology an den Computer und an die individuellen Fähigkeiten des Nutzers ist der Schlüssel, um überhaupt das Internet erfolgreich nutzen zu können. Daher sollte Assistive Technology, wenn es nach der Meinung der Blindenverbände geht, die gleiche Bedeutung wie den herkömmlichen Eingabegeräten Maus und Tastatur oder Ausgabegeräten wie dem Monitor beigemessen werden. Nur so ließe sich eine bestmögliche Integration von Lösungen in Standardsoftware realisieren und barrierefreies Design würde mit Assistive Techno- logy eine Einheit bilden.

2.5 Usability

Der Begriff der „Usability“ lässt sich in der deutschen Sprache am Ehesten mit „Gebrauchstaug- lichkeit“ umschreiben. Das Wort „Usability“ selbst ist ein Portmanteau aus den Worten „Use“ und „Ability“, zu deutsch „Nutzen“ und „Fähigkeit“.

Gebrauchstauglichkeit wird laut Norm EN ISO 9241-11 in Bezug auf die Gestaltung von Bild- schirmoberflächen als

„das Ausmaß, in dem ein Produkt durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nut- zungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufrie- denstellend zu erreichen“ 15

definiert.

Was ist damit genau gemeint?

- Effektivität meint „die Genauigkeit und Vollständigkeit, mit der Benutzer ein bestimmtes Ziel erreichen“.
- Effizienz meint den „im Verhältnis zur Genauigkeit und Vollständigkeit eingesetzten Aufwand, mit dem Benutzer ein bestimmtes Ziel erreichen“.
- Zufriedenstellung meint die „Freiheit von Beeinträchtigungen und positive Einstellungen gegenüber dem Produkt“.16

Jakob Nielsen sieht neben diesen drei Aspekten noch weitere Eigenschaften, die die Usability einer Webseite beeinflussen:

- Erlernbarkeit

Eine Messgröße über die Dauer, die ein neuer Nutzer zum Kennenlernen benötigt, bevor er in der Lage ist, einfache Aufgaben auszuführen.

- Merkbarkeit

Eine Messgröße darüber, ob ein Nutzer, der das System vorher schon einmal benutzt hat, sich an Eigenheiten erinnern kann und es nun wesentlich effektiver benutzen kann.17

Betrachtet man diese fünf verschiedenen Komponenten, mit denen Usability gemessen werden kann, so wird deutlich, wie vielschichtig die Anforderungen an eine Webseite, die „usable“ ist, sind.

Die einfache Handhabung einer Webseite alleine ist jedoch noch kein Garant für ihren Erfolg, da auch der Nutzwert einer Website hierfür relevant ist. Dieses Zusammenspiel von Handhabung und Nutzwert erschwert die Aufstellung fester Usability-Richtlinien, da die Kriterien der Usability immer auch von den Zielen einer Site und den Erwartungen der Nutzer abhängen. Beispielswei- se gelten für eine Entertainment-Website, die in erster Linie unterhalten möchte, andere Regeln als für die Website eines Online-Shops, der seine Besucher zum Kaufen bewegen möchte.

2.6 Accessibility und Usability

Generell sollte es das Ziel beim Erstellen von Internet-Inhalten sein, eine möglichst hohe Usabi- lity anbieten zu können. Zu den Anforderungen der Usability kommen die der Accessibility hinzu. In wieweit besteht eine Verbindung zwischen Usability und Accessibility, gibt es Gemein- samkeiten, wo liegen die Unterschiede?

Die enge Verknüpfung von Acessibility und Usability wird schon in der Definition der US- amerikanischen Human Factors and Ergonomics Society deutlich:

“Accessibility means maximizing the number of people who can use computer systems by taking into account that varying physical and sensory capabilities of users. By this definition, accessibility is simply a category of usability.”18

Usability wird hier als Grundlage der Accessibility betrachtet; Accessibility stellt somit eine Untermenge von Usability dar. Denn Accessibility und Usability verfolgen ein gemeinsames Ziel: die größtmögliche Zufriedenheit der Nutzer. Jedoch liegt der Unterschied in der Spezifikation der Zielgruppe: während sich Usability an den Bedürfnissen der gesamte Gruppe möglicher Nutzer orientiert, liegt bei Accessibility der besondere Augenmerk auf einer speziellen Zielgrup- pe, den Nutzern mit einer Behinderung. Ziel der Accessibility ist es, die Zielgruppe der Informa- tionsangebote im Internet zu erweitern, wo hingegen Usability das „Erfolgserlebnis“ aller Nutzer einer Webseite optimieren möchte.19

Es lässt sich somit sagen, dass alle Bestrebungen, den Anforderungen hinsichtlich Accessibilty zu genügen, auch dem Ziel einer möglichst hohen Usability entgegenkommen. Ein Beispiel dafür ist die Vorgabe des World Wide Web Konsortiums, eine möglichst übersichtliche Navigation bereitzustellen.20 Ist dies der Fall, so profitieren davon die Nutzer mit einer Behinderung genau- so wie die Nutzer ohne Behinderung.

3 Behinderungen und Computer

Ein sehender Mensch kann den Inhalt einer Webseite und ihre Struktur innerhalb weniger Sekunden auf dem Bildschirm erfassen. Eine Blinder dagegen bekommt in demselben Zeitraum vielleicht 15 Wörter, einen Bruchteil der Informationen, vom Computer als Sprache ausgegeben. Es wird schnell deutlich, dass beide zwar das gleiche Medium nutzen, jedoch nur dann effizient, wenn sie sich eine unterschiedliche Methodik aneignen.

In diesem Kapitel soll die Zielgruppe des barrierefreien Internets, die Behinderten, näher be- trachtet werden. Ich möchte zeigen, welche Arten von Behinderungen auftreten können und welchen Einfluss sie auf die Betroffenen haben können. Aufbauend auf der Beschreibung der Behinderungen werden die Auswirkungen auf die Nutzung des Computers und speziell des Internets geschildert. Auch hier soll der Hauptaugenmerk auf den Blinden bzw. den stark Seh- behinderten liegen.

Die grundsätzliche Frage, wer eigentlich als behindert gilt, beantwortet § 3 des Behinderten- gleichstellungsgesetzes:

„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder see- lische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Stand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“21

Die Besonderheit dieser Definition ist die Tatsache, dass hier nicht mehr das durch die Behinde- rung vorhandene tatsächliche Defizit, sondern die Einschränkung der Teilnahme am gesell- schaftlichen Leben, die Partizipation,22 das ausschlaggebende Kriterium darstellt. Diese Fest- stellung weicht somit von der bisherigen Bestimmung einer Behinderung ab und stellt den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt.

In der Bundesrepublik Deutschland gab es Ende 1999, zum Zeitpunkt der letzten statistischen Erhebung, rund 6,6 Millionen Menschen mit schweren Behinderungen.23 Als Schwerbehinderte gelten Menschen, deren Funktionsbeeinträchtigung größer als 50 % ist. Die Schwere einer Beeinträchtigung wird durch den Grad der Behinderung wiedergegeben. Die Beurteilung, wel- cher Grad der Behinderung bei einem Menschen vorliegt, wird von den Versorgungsämtern vorgenommen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Behindertenstatistik für Deutschland, Stand: 31.12.1999 (Quelle: Statistisches Bundesamt)

Betrachtet man zudem auch die Verteilung der Behinderten auf die verschiedenen Altersgrup- pen, so ist festzustellen, dass über 3,4 Millionen, also mehr als die Hälfte der Behinderten

65 Jahre oder älter sind.

Exakte, aktuelle Zahlen über die Internetnutzung durch behinderte Menschen sind leider nicht zu erhalten. 1998 fand eine Untersuchung der Georgia Tech University die folgende Verteilung heraus:24

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Anteile behinderter Surfer (1998, nach GVU)

3.1 Sehbehinderte und Blinde

Das Sehvermögen wird in der Medizin als die Fähigkeit, die Anwesenheit von Licht wahrzuneh- men und die Form, Größe, Gestalt und Farbe des visuellen Reizes zu erkennen, beschrieben. Ein Mensch hat eine Sehbehinderung, wenn seine Sehkraft trotz Korrekturen nicht die gewöhn- lichen Werte erreicht. Ab einem Restsehvermögen von 33 % spricht man von einer Sehbehinde- rung, bei einer Sehschärfe von weniger als 5 % liegt eine hochgradige Sehbehinderung vor.

Nach dem Bundessozialhilfegesetz gelten neben den Menschen, die über kein Sehvermögen verfügen, auch die Menschen, deren Sehkraft auf dem besseren Auge weniger als 2 % beträgt, als blind.25

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes leben in der Bundesrepublik Deutschland rund 330 000 Menschen mit Sehbehinderungen, davon gelten rund 78 000 als blind und 33 000 als hochgradig sehbehindert. Im Vergleich zu 1990 sank diese Zahl um ca. 0,4 %,26 was zum einen auf die medizinischen Fortschritte, zum anderen aber auch auf die abnehmende Zahl der Kriegs- blinden zurückzuführen ist.

Sehbehinderungen können eine unterschiedliche Ausprägung haben: neben einer starken Herabsetzung der Sehkraft kann es sich beispielsweise auch um Einschränkungen des Blickfel- des handeln. In diesem Fall kann der Betroffene nur Ausschnitte, beispielsweise die Mitte (Tunnelblick) oder die Ränder des Blickfeldes sehen. Auch eine hohe Blendungsempfindlichkeit gilt als Sehbehinderung ist, die sich jedoch nicht exakt messen lässt.27

Ein besonders häufiger Grund für eine Erblindung ist die altersabhängige Netzhautablösung, die in etwa 30 % der Fälle auftritt. Eine weitere Ursache ist eine im Alter verstärkt auftretende Diabetes, was die Altersverteilung in der Gruppe der Sehbehinderten, in der die Zahl der Alters- blinden besonders groß ist, erklärt.28

Sehbehinderungen und Blindheit haben unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der Betroffe- nen. Die Einschränkungen durch die Behinderung wiegen umso schwerer, da visuelle Elemente überall in unserer Gesellschaft anzutreffen sind. Sie sind wesentlicher Bestandteil unseres Lebens, die von den Betroffenen nur schwer beziehungsweise gar nicht erfasst werden können. Durch diese Einschränkungen treten Probleme zu Tage: der Mensch ist in seiner Motorik einge- schränkt, da er seine Umgebung nur teilweise wahrnehmen kann. Nur in einer gut bekannten Umgebung kann er sich relativ selbständig bewegen, in einem unbekannten Umfeld ist er meist auf die Hilfe Dritter angewiesen. Die Folgen einer Behinderung können aber auch sozialer Art sein: da der Sehbehinderte oder Blinde Elemente der nonverbalen Kommunikation, wie z.B. die Körpersprache seines Gesprächpartners, nicht erkennen und interpretieren kann, treten oftmals Probleme bei der Kommunikation mit anderen Menschen auf.29

Entscheidend für das Verhalten der Blinden ist nach Meinung von Helga Weinläder auch der Zeitpunkt der Erblindung. So stellte sich heraus, dass bei einer Erblindung im fortgeschrittenen Alter die Bereitschaft, neue Dinge zu erlernen und sich so wieder einen Weg zur Integration in die Gesellschaft zu ebnen, abnimmt.30 Nach Weinländer existieren in unserer Gesellschaft zwei Stereotypen: dem einen Stereotyp nach ist der Blinde ein absolut hilfloser Mensch, der von fremder Hilfe abhängig ist. Der andere Stereotyp hingegen beschreibt einen Blinden, der beina- he über übersinnliche Fähigkeiten verfügt. Jede Handlung eines Blinden werde in dieses Schema eingeordnet und somit das Bild der beiden Stereotypen, unabhängig vom einzelnen Menschen, bestätigt.31 Dieses Bild unserer Gesellschaft von blinden Menschen konnten mir Betroffene in Gesprächen bestätigen.

Dazu passt der Eindruck Sehender, dass ein Blinder aufgrund seiner Behinderung über eine Schärfung der verbleibenden Sinne verfügt und gerade die auditiven und taktilen Fähigkeiten besser als bei einem Sehenden ausgeprägt sind. Jedoch hätten Studien gezeigt, dass nicht die Wahrnehmung besser ist, sondern ausschließlich die kognitive Leistung des Blinden.32

Grundsätzlich kann man sagen, dass die Weiterentwicklung der Technologien aus Sicht der Blinden Vor- und Nachteile hat. So gibt es immer weniger klassische Arbeitsplätze für Blinde,

z.B. in der Telefonvermittlung oder bei Schreibdiensten. In einem Gespräch äußerte ein Mitar- beiter eines Hilfsmittelherstellers, dass mittlerweile eine Kluft innerhalb der Gruppe der Sehbe- hinderten zu beobachten sei: nur für einige, äußerst hoch qualifizierte Blinde, sei auch ein Angebot an Arbeitsplätzen vorhanden. Andererseits sinke der Grad der Qualifikation, d.h. die Anforderungen einiger Arbeitsplätze wie in Call-Centern der Deutschen Telekom, die für Blinde geeignet wären, sind zu hoch.

Computer und Internet ermöglichen Blinden den, zumindest theoretisch, unbegrenzten Zugriff auf Informationen. Sie erhalten die Möglichkeit, auf die gleichen Resourcen wie Sehende zu- zugreifen. Einschränkungen wie beispielsweise die begrenzte Zahl an Print-Publikationen, die auch als Audio-Cassetten veröffentlich werden und schon zum Zeitpunkt der Produktion inhalt- lich überholt waren, gehören der Vergangenheit an.

Nach Meinung von Marca Bristo, Vorsitzender des US-amerikanischen „National Council on Disabiliy“, sollte man jedoch die Vorschritte der technologischen Entwicklung differenzierter betrachten. So bringe der Zugang zum Internet sicherlich „revolutionäre“ Entwicklungen mit sich, die behinderten Menschen nie da gewesene Möglichkeiten eröffnet. Jedoch sollte dabei nicht vergessen werden, dass jeder technologische Fortschritt gleichzeitig auch neue, unüber- windbare Probleme bedeuten kann, wenn die Grundregeln der Accessibility nicht beachtet würden.33

3.1.1 Nutzung des Computers

Viele Menschen können sich nur schwer vorstellen, wie ein Blinder einen Computer effizient nutzen kann. Der Widerspruch zwischen der Vielzahl bunter Bilder auf der einen und dem feh- lenden Sehvermögen auf der anderen Seite scheint besonders eklatant. Außenstehenden fällt auch die Diskrepanz zwischen der Eingabe und der Ausgabe von Informationen auf, die man bei Blinden und Sehbehinderten beobachten kann: Die Eingabe über die Tastatur bereitet den Blinden meist keine Schwierigkeiten und erfolgt schnell und sicher. Nur die Ausgabe der Infor- mationen bereitet Probleme.

Die Nutzung des Computers durch Blinde hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Dies ist durch die technische Weiterentwicklung bedingt, liegt aber auch daran, dass der Com- puter mittlerweile eine hohe Verbreitung in der Bevölkerung erreicht hat.34

In den 80er-Jahren dominierten textbasierte Betriebssysteme wie DOS, bei denen der Nutzer alle Eingaben über die Kommandozeile oder textbasierte Menüs vornahm und der Computer sämtliche Rückmeldungen und Statusanzeigen über diese Kommandozeile ausgab. Die Kom- mandozeile hatte eine Länge von 80 Zeichen, der gesamte Bildschirm bestand aus 25 einzelnen Zeilen. Dieser Bildschirminhalt von 80 x 25 Zeichen war mit Hilfe von Braille-Zeilen, die eine einzelne Zeile des Bildschirmes darstellen konnten, relativ leicht zu erfassen ist, da er nur aus Textzeichen bestand. Somit war es dem Blinden möglich, mit 25 Schritten den gesamten Bild- schirminhalt von oben nach unten zu betrachten.

Ein Novum für alle Computernutzer waren die grafischen Benutzeroberflächen (GUI),35 die sich gegen Ende der 80er-Jahre immer stärker durchsetzten und heute nicht mehr wegzudenken sind. Sie bieten die Möglichkeit, die Benutzerumgebung grafisch durch Icons und andere Ele- mente wie Fenster darzustellen. Der Nutzer kann diese Elemente unmittelbar ändern und be- kommt sofort das Feedback des Computers in Form einer sichtbaren Veränderung.

Gorny fasst die Vorteile eines GUIs zusammen:

- Die Verwendung von Metaphern in Form von Icons, die Referenzen zu Datenstrukturen, Programmen und Funktionen sind.
- Direkte Manipulation der Icons und unmittelbares Feedback für alle Aktionen.
- Einfach Bedienung gleichzeitig vorhandener Programme und Funktionen.
- Icons können auf dem Bildschirm strukturiert und organisiert werden, Lage und Ausse- hen können verändert werden.36

Mit der Verbreitung der GUIs wuchsen auch die Probleme der blinden Computer-Nutzer. Die bisher verwendeten Braille-Zeilen und Sprachausgaben waren für die Ausgabe von Textzeichen entwickelt und daher für die neuen, grafischen Bedienoberflächen ungeeignet.

Boyd benennt drei Barrieren, auf die der blinden Nutzer stößt, wenn er mit einem GUI auf die gleiche Weise arbeiten möchte wie der sehende Nutzer:

- Die Pixel-Barriere besteht darin, dass der Bildschirminhalt nun nicht mehr zeilenweise, sondern pixelweise aufgebaut ist. Die Pixel, die sich im Speicher befinden, stehen un- tereinander in keinerlei Bezug zueinander und können daher nicht mit einer herkömmli- chen Sprachausgabe für textbasierte Systeme wiedergegeben werden.
- Die Maus-Barriere bezieht sich darauf, dass der Blinde die Maus nicht effizient als Ein- gabegerät nutzen kann. Dabei handelt es sich um ein psychomotorisches Problem, da dem blinden Nutzer das Feedback, also die sichtbare Bewegung des Cursors auf dem Bildschirm, für sein Handeln fehlt, weil eine „Hand-Auge-Koordination“ nicht möglich ist.
- Die Grafik-Barriere liegt in der Natur der grafischen Benutzeroberflächen: alle grafischen Elemente eines GUIs wie z.B. Icons enthalten Informationen, die vom Betrachter inter- pretiert und aufgrund ihrer Eigenschaften wie Zustand und Lage von ihm bewertet wer- den. Diese grafischen Informationen anders darzustellen wäre immer mit einem Verlust an Informationen verbunden, da die Beschreibung eines Bildes durch einen Text länger, ungenauer und komplizierter ist.37

Ein weiteres Problem für Blinde resultiert nach Alan Holst aus der parallelen visuellen Wahr- nehmung des GUIs: der sehende Nutzer kann mehrere Dinge gleichzeitig wahrnehmen, bei- spielsweise eine Handlung und ihr Ergebnis. Diese Möglichkeit hat der blinde Nutzer nicht, da immer nur eine Information über Braille-Zeile und Screen Reader ausgegeben werden kann.38 Auch die mehrdimensionale Präsentation auf dem Bildschirm erschwert nach Meinung von Holst die Benutzung durch Blinde: weil nur eine eindimensionale, serielle Ausgabe zur Verfü- gung steht, müssen die Informationen linear dargestellt werden, bevor sie mittels Screen Rea- der oder Braille-Zeile ausgegeben werden. Diesen Vorgang nennt man Linearisierung.

Gorny sieht besonders in der Grafik-Barriere eine nahezu unüberwindbare Herausforderung, für die es momentan noch keine Lösung gebe. So existiere beispielsweise keine Möglichkeit, Grafiken für Blinde so aufzubereiten, dass der volle Informationsgehalt erhalten bleibe.39 Auf- grund der verbleibenden Fähigkeiten hat der Blinde drei verschiedene Wege, die grafischen Elemente eines GUIs zu erfassen:

- Taktil
- Auditiv
- Sprachliche Umsetzung der grafischen Informationen

Auf diese drei Ausgabemöglichkeiten konzentrieren sich die Entwickler der Hilfsmittel, der Assistive Technology. Um den Blinden bestmögliche Unterstützung bieten zu können, muss das Nutzerverhalten analysiert und mit dem eines sehenden Nutzers verglichen werden. Hierzu bedient sich die Wissenschaft so genannter mentaler Modelle. Diese Modelle beschreiben das sich angeeignete menschliche Wissen über Handlungen oder Objekte sowie deren Beziehungen zueinander.40

Für einen Sehenden sind grafische Benutzeroberflächen eine Ansammlung von sichtbaren Objekten, die in einem grafisch dargestellten Raum zusammen mit Menüs, Icons und Buttons angeordnet sind und dem Nutzer die Eingabe lange Befehle an der Kommandozeile ersparen. Doch wie sieht das Bild von einem GUI aus, das bei einem blinden Nutzer entsteht?

Holst vermutet, dass es zwei unterschiedliche Herangehensweisen der Blinden gibt: Eine Grup- pe weiß nicht, wie der Bildschirm aussieht und merkt sich daher eine große Anzahl an Befehlen, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Dieses Modell ist sehr starr und erfordert ein gutes Erinnerungsvermögen. Die andere Gruppe der blinden Nutzer hingegen verfügt über ein kogniti- ves Modell des Bildschirms: sie haben sich durch die Nutzung des Computers mit Braille-Zeile und Screen Reader ihr eigenes Bild vom Inhalt des Bildschirms gemacht, auf das sie nun zu- rückgreifen.41

Die Ergebnisse einer Studie mit fünf blinden Nutzern der Universität Manchester veranschau- licht die Ausprägung dieser Modelle: drei Nutzer hatten ein so genanntes strukturiertes menta- les Modell ausgebildet. Für sie hatte das Icon einer jeden Anwendung eine feste Lage auf dem Bildschirm. Ein anderer Nutzer verknüpfte jede Anwendung mit einer Tastenkombination, die nötig war, um das Programm zu starten. Er hatte sich ein so genanntes funktionales Modell zu eigen gemacht. Diese starren mentalen Modelle bereiten dem Nutzer jedoch bei unvorhergese- henen Ereignissen Probleme. Passen die Informationen, die sie erhalten, nicht zu ihrem menta- len Modell, so sind sie im ersten Moment hilflos und müssen sich mit der Situation arrangieren. Der fünfte Nutzer hatte eine Mischform beider Modelle entwickelt, da er sowohl Tastenkombi- nationen als auch Icons verwendete.42

3.1.2 Nutzung des Internets

Das Internet bietet Menschen mit geringer oder keiner Sehkraft ein wesentliches Mehr an Lebensqualität. Sie erhalten die Möglichkeit, Tätigkeiten des Alltages, die bisher schier unmög- lich erschienen, zu bewältigen. Die Grundlage all dieser Verbesserungen ist jedoch, dass der Zugriff auf die Informationen im Internet problemlos möglich ist.

Eine spürbare Verbesserung ist beispielsweise die Bereitstellung von hörbaren Zeitungen. Diese wurden früher auf Audio-Kassetten verschickt und enthielten somit veraltete Informationen. Mit Hilfe des Internets ist es nun möglich, die aktuellen Nachrichten des Tages als Sound-Datei aus dem Internet herunterladen und am Computer abzuspielen.

Auch im Arbeitsleben eines Sehbehinderten kann die Nutzung des Internets ungeahnte Vorteile bringen. Da ein Großteil der geschäftlichen Kommunikation mittels E-Mail abgewickelt wird, ist es nun wesentlich einfacher, Informationen für einen nicht Sehenden aufzubereiten, da sie bereits in elektronischer Form vorliegen. Dies war zu einer Zeit, in der alle Kommunikation auf dem Postweg stattfand, nur schwer möglich, der Blinde war letztlich ausgegrenzt, da es ihm nicht möglich war, die auf Papier gedruckten Dokumente zu erfassen.

Eine Aussage, wie viele Nutzer mit Hilfsmitteln wie einem Screen Reader auf ein Informations- angebot zugreifen, lässt sich grundsätzlich nicht treffen. Dies ist durch die Tatsache begründet, dass es technisch nicht möglich ist, zu erkennen, dass der Nutzer sich eines Hilfsmittels be- dient. Somit finden sich Blinde, die den Microsoft Internet Explorer und einen Screen Reader verwenden, in den Statistiken der Webserver nur als Nutzer des Internet Explorers wieder.

Somit sind Erhebungen über die Nutzung einer Webseite durch Blinde immer auf eine direkte Befragung der Zielgruppe angewiesen.

Im Rahmen dieser Diplomarbeit hatte ich die Möglichkeit, mit Betroffenen zu sprechen, die das Internet regelmäßig nutzen. In diesen Gesprächen kristallisierten sich verschiedene Probleme, welche die Benutzung des Internets massiv erschweren können, heraus:

Das grundsätzliche Problem bei der Nutzung des Computers im Allgemeinen und des Internets im Speziellen ist die Tatsache, dass es sich überwiegend um visuelle Informationen handelt, die die Möglichkeit der Selektion bieten. Einem Sehenden ist es beispielsweise möglich, die Struk- tur und den Inhalt einer Webseite innerhalb kurzer Zeit zu erfassen. Er hat die gesamte Seite vor Augen und kann jederzeit selektiv den gewünschten Inhalt auswählen.

Der blinde Nutzer hingegen hat diese Möglichkeit der Selektion nicht. Er kann die Seite nur mittels Screen Reader „betrachten“, die Abfolge beim Vorlesen ist dabei vom Layout der Seite abhängig. Durch die Sprachausgabe kann er sich immer nur an einem einzelnen Punkt der Webseite aufhalten und ist quasi gezwungen, sich zu merken, welche Inhalte oder Navigations- möglichkeiten ihm bereits genannt wurden. Erschwerend für den Nutzer kommt hinzu, dass alle Gestaltungselemente wie Layout, Stil und Schriften für ihn nicht sichtbar und somit auch nicht nutzbar sind. Rückschlüsse auf einen gleichen oder ähnlichen Aufbau, beispielsweise durch das einheitliche Erscheinungsbild einer Seite, sind für den Blinden nicht möglich; jede Seite scheint für ihn gleich zu sein, als sehe er sie zum allerersten Mal.43

Nach Aussagen Betroffener ist daher gerade die Anfangszeit für Blinde im Internet sehr an- strengend, da das effiziente Surfen mit Screen Reader und Braille-Zeile eine gewisse Erfahrung voraussetze und sehr hohe Anforderungen an die geistige Leistungsfähigkeit, besonders das Erinnerungsvermögen, stelle. Der Erfahrungsschatz aber wachse mit jeder Webseite, insbeson- dere durch die fehlerhaft programmierten. Man bekäme mit der Zeit ein Gefühl, wie HTML, gut oder schlecht programmiert, und der Screen Reader zusammenarbeiten würden.

Die Probleme sehbehinderter Menschen bei der Nutzung des Internets liegen weniger im tech- nischen Bereich, meist sind sie durch Design und Layout einer Webseite begründet. Die meisten Web-Designer gehen bei der Seitengestaltung davon aus, dass dem Surfer mindestens ein 17- Zoll-Monitor zur Verfügung steht und konzipieren ihre Websites für eine Auflösung von

1024 x 768 Pixel oder höher. Dies hat wesentliche Nachteile für Sehbehinderte, die auf eine Bildschirmvergrößerung angewiesen sind. Durch die vergrößerte Darstellung reduziert sich die Größe des Bildschirmausschnittes -- je größer eine Webseite ist, desto kleiner wird der Teilaus- schnitt in Relation zur gesamten Seite. Ein weiteres Problem von Sehbehinderten ist die Wahr- nehmung von Farben und Kontrast: Informationen, die mittels Farbe ausgedrückt werden, sind kaum wahrnehmbar, wenn der Nutzer Farben nicht wahrnehmen kann oder den Bildschirminhalt zur Steigerung des Kontrastes schwarz-weiß darstellen lässt.44

Über das Verhalten behinderter, blinder und sehbehinderter Internetnutzer gibt es nur wenige Untersuchungen und Studien. Im Oktober 2001 veröffentlichte die Nielsen Norman Group die Studie „Beyond ALT Text: Making the Web Easy to Use for Users with Disabilities“. Dabei handelt es sich nach eigenen Angaben um die erste Studie, die untersucht, wie sehbehinderte und blinde Menschen das Internet mit Hilfe von Assistive Technology nutzen.

Im Rahmen der Studie wurde das Nutzerverhalten von 104 Personen in den USA und Japan analysiert, davon hatten 84 eine Behinderung; die übrigen 20 Personen ohne Behinderungen dienten als Kontrollgruppe. Diese Personen wurden in drei verschiedene Gruppen eingeteilt, die sich anhand der verwendeten Hilfsmittel bei der Nutzung des Internets unterschieden:

eine Gruppe bestand aus stark Sehbehinderten und Blinden, die es gewohnt waren, mittels Screen Reader den Computer zu nutzen. Die andere Gruppe wurde von Screen Magnifiern unterstützt, wo hingegen die Kontrollgruppe auf keinerlei technische Hilfsmittel angewiesen war. Den Teilnehmern wurden verschiedene Aufgaben gestellt, die es mit Hilfe des Internets zu lösen galt.

Zusammenfassend kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass sehende Nutzer das Internet drei- mal schneller zu nutzen können als Blinde oder Sehbehinderte. Interessant ist auch die gewon- nene Erkenntnis, dass es bei der Bewertung der Usability im Gesamtresultat keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, die Hilfsmittel verwendeten, gab. Zudem stellte sich im Verlauf der Studie heraus, dass die Nutzer, die auf Hilfsmittel angewiesen waren, bei der Nutzung des Internets eher frustriert, unzufriedener und weniger überzeugt sind als die Nutzer ohne Sehbe- hinderungen.45

Aufgrund der Studie erstellten Coyne und Nielsen 75 Regeln, die nach ihrer Ansicht wesentlich dazu beitragen sollen, die Usability einer Internetseite für Behinderte zu gewährleisten. Diese Regeln sind wesentlich detaillierter als die bekannten Richtlinien und speziell auf die Bedürfnis- se Blinder und Sehbehinderter zugeschnitten.46

In der im Jahr 2000 in den USA durchgeführten Harris-Umfrage, wurden Menschen nach ihren Gründen für die Nutzung des Internets gefragt. Dabei stellte sich heraus, dass die Hälfte der Befragten, die an einer Behinderung leiden, sagten, dass sich durch den Zugang zum Internet ihre Lebensqualität verbessert habe, was von der Gruppe ohne Behinderung nur ein Viertel der Befragten behaupten konnte. Nach der Studie nannten die Behinderten die folgenden Gründe: 47

- 75 % nutzen das Internet für E-Mail
- 64 % nutzen das Internet zur Informationsbeschaffung
- 59 % gaben an, dass sie durch das Internet das Gefühl hätten, besser über das Geschehen in der Welt informiert zu sein
- 58 % nutzen das Internet 16 Stunden und mehr in der Woche, im Gegensatz zu 37 % der Nichtbehinderten
- 49 % gaben an, dass ihnen das Internet dabei helfe, mit Freunde und Verwandten zu kommunizieren
- 45 % nutzen das Internet um Informationen zu Nachrichten, Wetter etc. zu erhalten
- 44 % meinten, durch das Internet eine „Verbindung zur Welt“ zu haben
- 43 % nutzen das Internet für berufliche Zwecke
- 42 % gaben an, dass ihnen das Internet auf der Suche nach Menschen mit gleichen Interessen oder Erfahrungen helfe
- 34 % nutzen das Internet zur Weiterbildung, Studium oder Schule
- 22 % nutzen das Internet um einzukaufen
- 17 % nutzen das Internet zur Jobsuche

3.2 Hörbehinderungen

Das Erscheinungsbild von Hörbehinderungen lässt sich sehr stark einschränken, die häufigsten Formen sind Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit. Als Schwerhörige werden gemeinhin Men- schen bezeichnet, die eine verminderte Hörfähigkeit besitzen, jedoch noch in der Lage sind, mittels technischer Hilfsmittel wie Hörgeräten akustische Reize wahrzunehmen. Im Gegensatz dazu spricht man bei Menschen, deren Hörverlust größer als 90 dB ist, von Gehörlosigkeit. Hier besteht meist nur die Möglichkeit, mittels geschriebenem Text oder Gebärdensprache zu kom- munizieren.48

Die zu erwartenden Einschränkungen durch Hörbehinderungen halten sich bei der Nutzung des Computers und des Internets in Grenzen. Aufgrund der Behinderung stellen jedoch audio- basierende Inhalte eine Barriere dar. Für diese Inhalte, beispielsweise Video-Streamings oder multimediale Animationen, sollte daher ein äquivalenter Inhalt bereitgestellt werden. Dies kann in Form von Untertiteln oder eines Transkriptes geschehen. Für Menschen, die noch über ein begrenztes Hörvermögen verfügen, ist es hilfreich, wenn es innerhalb von Audio-Wiedergaben Möglichkeit zur schnellen, individuellen Anpassung der Lautstärke gibt.49

3.3 Körperbehinderungen

Die Ausprägung einer körperlichen Behinderung kann sehr verschieden sein. Besonders häufig sind Schädigungen des zentralen Nervenssystems, die sich in Form einer Querschnittslähmung, einer Bewegungsstörung wie z.B. Spastik, Multipler Sklerose oder Parkinson äußern. Eine andere Ursache können Schädigungen oder Fehlbildungen des Skeletts sein, beispielsweise Fehlstellungen von Gelenken oder der Wirbelsäule. Erkrankungen der Muskeln und der Knochen können ein weiterer Grund einer Köperbehinderung sein, bekannt sind hier Krankheitsbilder wie Muskelschwund oder Arthritis. Letztlich kann auch der Verlust von Gliedmaßen, bedingt durch einen Unfall oder eine Erkrankung, die Ursache für körperliche Behinderungen sein.

Am häufigsten ist eine eingeschränkte Funktion der Beine, was meist des Einsatzes eines Roll- stuhls oder einer Gehhilfe bedarf. Neben den Menschen, die mit einer Behinderung geboren wurden, finden sich in der Gruppe der Körperbehinderten besonders viele, deren Behinderung durch das Alter oder durch einen Unfall bedingt ist.50

3.3.1 Nutzung des Computers

Ist die Körperbehinderung so ausgeprägt, dass sie die Bedienung des Computers einschränkt, so bieten sich verschiedene Hilfsmittel an, die trotzdem die Eingabe ermöglichen. So sind beispielsweise spezielle Mäuse und Tastaturen erhältlich, die an den Bewegungsradius des Nutzers angepasst werden. Auch die Spracheingabe und die Sprachsteuerung des Computers können eine Hilfe sein. Besonders Körperbehinderte sind auf Tastaturkürzel angewiesen, mit denen sich die Befehle eines Programms auch ohne Maus ausführen lassen.

3.3.2 Nutzung des Internets

Für Körperbehinderte sind Webseiten, die viele Interaktionen und Eingaben erfordern, beson- ders schwer zu nutzen. Besonders problematisch für Körperbehinderte sind Schaltflächen. Sind sie zu klein, ist es sehr schwer sie zu nutzen, da der Nutzer vor der Auswahl erst aufwändig

„zielen“ muss. Erschwerend kommt hinzu, dass der Abstand zwischen zwei Schaltflächen meist sehr gering ist.

3.4 Lernbehinderungen

Der Begriff der Lernbehinderungen lässt sich nur schwer fassen, da das Erscheinungsbild der Behinderung sehr unterschiedlich sein kann. Meist äußert sich eine Lernbehinderung im schuli- schen Umfeld, indem sich herausstellt, dass der Betroffene den Anforderungen, die dort an ihn gestellt werden, nicht gerecht wird. Grundsätzlich kann daher aber nicht die Schlussfolgerung getroffen werden, dass ein Zusammenhang zwischen dem Intelligenzquotienten des Betroffenen und seiner Lernbehinderung besteht. Jedoch wird immer noch davon ausgegangen, dass meist ein IQ von 60 bis 85 vorliegt, wenn eine Lernbehinderung vorhanden ist.

Die Auswirkungen einer Lernbehinderung lassen sich, verglichen mit Seh- oder Hörbehinderun- gen, nur bedingt durch den Einsatz technischer Hilfsmittel lindern. Vielmehr besteht die Heraus- forderung darin, die Informationen so zu konzipieren, dass sie der Behinderte trotz seiner Lern- schwäche aufnehmen und verarbeiten kann. Beispielsweise kommt es einem Menschen mit einer Lernschwäche sehr entgegen, wenn die Informationen übersichtlich und strukturiert sind. Auch die inhaltlichen Aspekte sollten nicht vernachlässigt werden: ein Text sollte so einfach wie möglich sein, um für jedermann verständlich zu sein. Ein weiterer Lösungsansatz kann die Ausgabe des Textes als Sprache sein, da das Zuhören nicht eine so hohe Aufmerksamkeit erfordert wie das Ablesen vom Bildschirm.

3.5 Geistige Behinderungen

Die Gruppe der geistigen Behinderungen erscheint sicherlich als die vielschichtigste der Behin- derungen. Es handelt sich hier um eine Gruppe, deren Eigenschaften nicht fest umschrieben werden können, da die Ausprägungen einer geistigen Behinderung sehr stark variieren können. Zu den geistigen Behinderungen zählen Autismus, Down-Syndrom, Schizophrenie und Demenz. Da die Auswirkungen und die durch geistige Behinderungen entstehenden Bedürfnisse sehr individuell und kaum erforscht sind, ist die Berücksichtigung der Bedürfnisse dieser Menschen besonders schwer. Dies gilt auch für die Auswirkungen auf die Fähigkeit der geistig Behinder- ten, auf Informationen aus dem Internet zuzugreifen.51

In bezug auf die Konzeption von Internet-Inhalten, die für geistig Behinderte barrierefrei sind, lässt dies nur den Schluss zu, die Seite so leicht bedienbar und lesbar wie möglich zu gestalten. Auch Nutzung eines Screen Readers sollte unterstützt werden, da es für manche Behinderte einfacher ist, auditive Inhalte aufzunehmen, weil sie beim Lesen von Text schnell ermüden.

3.6 Zusammenfassung

Es zeigt sich, dass es verhältnismäßig einfach erscheint, die Behinderungen, die rein körperli- chen Ursprungs sind, mit den technischen Mitteln, die zur Verfügung stehen, in einem großen Maße zu lindern. So gibt es für Sehbehinderte, Blinde und Körperbehinderte geeignete Lösun- gen, die eine Bewältigung des Alltags und auch die Nutzung des Computers ermöglichen. Diese Hilfen müssen dabei natürlich an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden.

Ungleich schwerer ist diese Aufgabe bei Behinderungen, die psychischer Natur sind. Hier kann man sich leider nur einer Lösung annähern, ohne jedoch die Behinderung mit Hilfsmitteln außer Kraft setzen zu können.

4 Gesetze und Standards

In diesem Kapitel erläutere ich die rechtliche Grundlage der Barrierefreiheit in Deutschland und der Europäischen Union. Anschließend wird ein Ausblick über die Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika gegeben und aufgezeigt, inwieweit hier Parallelen und Unterschiede vor- liegen.

Eine rechtliche Grundlage für die Berücksichtigung der Belange behinderter Menschen zu schaf- fen erschien notwendig, da die bestehenden technischen Möglichkeiten, die bereits seit einiger Zeit verfügbar sind, nur unzureichende Beachtung gefunden haben.

4.1 World Wide Web Konsortium

Das „World Wide Web Konsortium“ (W3C), ein internationaler, unabhängiger Zusammenschluss von über 400 Unternehmen und Organisationen, legt die im Internet verwendeten Standards fest und wacht über deren Einhaltung. Ziel des W3C ist, neben der Weiterentwicklung der Technologie, die Verbreitung des Internets zu fördern.52

Innerhalb des W3C ist die „Web Accessibility Initiative“ (WAI) organisiert, eine Arbeitsgruppe, deren Ziel es ist, den barrierefreien Zugang zum Internet für alle zu realisieren. Die Aufgabe der WAI innerhalb des W3C ist es, sicherzustellen, dass Technologien des Internets Accessibility unterstützen und Richtlinien für Accessibility sowie entsprechenden Evaluations-Tools zu entwi- ckeln. Aufgabe der WAI ist auch, die Information und die Verbreitung der Richtlinien zu fördern und die Zusammenarbeit mit der Industrie zu koordinieren.53

1999 veröffentlichte die WAI erste Vorgaben für die Gestaltung eines barrierefreien Internets. Diese als „Web Content Accessibility Guidelines 1.0“ (WCAG) bezeichneten Richtlinien sind mit ihren insgesamt 14 allgemein formulierten Richtlinien, die in 66 Checkpoints unterteilt sind, das umfangreichste Regelwerk.54 Sie gelten als De-Facto-Standard für die Realisierung eines barrie- refreien Internets und sind daher weltweit anerkannt. Viele Länder haben sich bei der Gesetz- gebung von diesen Richtlinien leiten lassen und sie übernommen.55

Es war die Absicht der WAI, die Richtlinien unabhängig von der verwendeten Technologie zu formulieren. Sie enthalten daher keine Information zu Besonderheiten verschiedener Software- produkte, die möglicherweise relevant erscheinen könnten.

Das Ziel der WAI ist es, den Entwicklern mit den WCAG eine Hilfestellung dabei zu geben, ihre Webseiten den Bedürfnissen Behinderter entsprechend und somit für diese zugänglich zu gestalten. Die WCAG vereinen die Bedürfnisse aller Arten von Behinderung, der Schwerpunkt ist jedoch in besonderen Anforderungen der Sehbehinderten und Blinden erkennbar, da diese Nutzergruppe mit Abstand die größten Schwierigkeiten hat, das World Wide Web zu nutzen.56 Die WAI trägt den Anforderungen behinderter Nutzer Rechnung und entwickelte nicht nur Richtlinien für die Inhalte, sondern auch für die Software zum Erstellen und zum Betrachten der Internetinhalte. So gibt es weitere Richtlinien, die sich zum einen an die Hersteller von Web- Browsern und anderen Clients, zum anderen aber auch an die Hersteller von Autorenwerkzeu- gen für Webseiten wenden.

4.1.1 Barrierefreie Inhalte

Die Web Content Accessibility Guidelines 1.0 (WCAG) wurden am 5.Mai 1999 als eine Empfeh- lung des W3C veröffentlicht. In den WCAG und den dazugehörigen Dokumenten wird darge- stellt, wie auf Basis der bekannten Technologien des Internets barrierefreie Inhalte erstellt werden können. Werden diese Richtlinien eingehalten und wie beschrieben umgesetzt, so ist sichergestellt, dass niemand von Informationen im Internet ausgegrenzt wird.

Um die Entwickler zu unterstützen, hat die WAI ergänzend zu den Richtlinien weitere Dokumen- te veröffentlicht, die detailliert beschreiben, auf welche Kriterien hin eine Webseite überprüft werden soll und wie Fehler beseitigt werden können.57 Allerdings ist anzumerken, dass diese Informationen gute HTML-Kenntnisse voraussetzen.

4.1.2 Barrierefreie Erstellung von Inhalten

Die im Februar 2000 veröffentlichten Authoring Tool Accessibility Guidelines 1.0 (ATAG) richten sich an die Softwareentwickler von Autorenwerkzeugen zum Erstellen von Internet-Inhalten.

Die ATAG verfolgen zwei Ziele: zum einen, die Software so gestalten, dass sie barrierefrei zu bedienen ist, zum anderen, soll die Software den Autor bei der Produktion von barrierefreien Inhalten unterstützen und barrierefreien, konformen HTML 4-Code entsprechend der WCAG 1.0 erzeugen. Eine Umsetzung dieser Guidelines soll die Verbreitung der Autorenwerkzeuge und die Verbreitung von barrierefreien Inhalten fördern.58

4.1.3 Barrierefreie Endgeräte und Browser

Die User Agent Accessibility Guidelines 1.0 (UAAG) veröffentlichte die WAI, um den Entwicklern von User Agents, also der Software, die den Nutzern den Zugriff auf die Informationsangebote des Internets ermöglicht,59 eine Hilfestellung zu geben. Ziel soll es sein, barrierefrei zu bedie- nende User Agents zu schaffen, die barrierefreie Inhalte wie beabsichtigt wiedergeben. Ein UUAG-konformer User Agent ist selbst barrierefrei zu nutzen und nutzt dabei auch die Möglich- keiten, mit anderen Technologien zu kommunizieren.60

4.2 Deutschland

Der Schutz Behinderter vor Diskriminierung ist bereits seit 1994 im Grundgesetz der Bundesre- publik verankert. Dort heißt es:

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“61

Durch dieses Benachteiligungsverbot erhielt der Schutz der Rechte Behinderter zum ersten Mal eine besondere Gewichtung, da er nun als Verfassungswert der demokratischen Grundordnung, mit anderen Zielen des Staates wie der freien Entfaltung der Persönlichkeit oder dem Recht auf freie Meinungsäußerung gleichwertig ist.

Einen weiteren Schritt zur Integration Behinderter ging die Gesetzgebung jedoch erst im Jahr 2002. Nach jahrelangem Ringen mit den Behindertenverbänden wurde erstmalig in der

Bundesrepublik ein Gesetz verabschiedet, das den Rechten und den Bedürfnissen behinderter Menschen in besonderem Umfang Nachdruck verleiht und die Verwirklichung einer gleichbe- rechtigten Gesellschaft anstrebt.

4.2.1 Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen

Im Mai 2002 trat das „Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen“, auch als Behinderten- gleichstellungsgesetz (BGG) bezeichnet, in Kraft.

Kerninhalt des Gesetzes ist die Gleichstellung Behinderter in allen Bereichen unserer Gesell- schaft. Durch das Gesetz soll sichergestellt werden, dass jegliche Benachteiligungen beseitigt werden und den besonderen Bedürfnissen Behinderter Rechnung getragen wird.

Vieles in unserer Gesellschaft ist durch Gesetze und Vorschriften reglementiert. Daher umfasst das BGG überwiegend Änderungen bestehender Gesetze wie beispielsweise dem Gaststätten- gesetz, um die rechtliche Grundlage für die Gleichstellung der Behinderten in diesen Bereichen zu schaffen.62

Betrachtet man den Gesetzestext genauer, so stellt man fest, dass besonders die folgenden Paragraphen von Bedeutung sind, um den Zugang Behinderter zu den „Neuen Medien“ sicher- zustellen:

- § 1, der das Ziel des Gesetzes, die Gleichstellung Behinderter in unserer Gesellschaft, definiert.
- § 3, in dem Behinderung als Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft definiert wird.
- § 4, der eine Definition der Barrierefreiheit als für Behinderte gleichwertig zu nutzende Einrichtungen und Dienste gibt.
- § 5, der beschreibt, dass es Zielvereinbarungen zwischen den Verbänden und der Wirt- schaft geben soll, die die Umsetzung des Gesetzes regeln.
- § 11, der die barrierefreie Informationstechnik von Bundesbehörden fordert.

Auf Basis dieses Gesetzes, insbesondere aufgrund § 11, entstand ein Rechtsanspruch behinder- ter Menschen auf ein barrierefreies Informationsangebot des Bundes. Behinderte hätten, rein theoretisch, auf Grundlage des Gesetzes die Möglichkeit, bei objektiv nicht vorhandener Barrie- refreiheit den Anbieter, den Bund, rechtlich zu belangen.

[...]


1 McMillan (1994), S.144.

2 Quelle: Eurostat/EU-Kommission (Eurobarometer Juni 2002).

3 Siehe Kapitel 3.

4 ISO TS 16071.

5 Vanderheiden (1996).

6 Vgl.: http://www.design.ncsu.edu:8120/cud/univ_design/princ_overview.htm.

7 siehe auch Kapitel 4.3.

8 Thatcher (2002), S.10.

9 Vgl.: Slatin/Rush (2002), S.6, S.10.

10 Quelle: Statistisches Bundesamt, 2000.

11 BRD: (1950/2000): Männer 64,6/74,7 Jahre, Frauen 68,5/80,7 Jahre, Quelle: Statistisches Bundesamt, 2002.

12 Vgl.: W3C/WAI (2002a).

13 und nicht nur in die für die Entwicklung der Websites verantwortlichen Bereiche.

14 Vgl.: Slatin/Rush (2002), S.130.

15 CEN: EN ISO 9141-11, 1998, S.4.

16 CEN: EN ISO 9141-11, 1998, S.4.

17 Nielsen (1993), S.26f, auch: Thatcher (2002), S.7f.

18 HFES (1996), S.327.

19 Vgl.: Thatcher (2002), S.10; Slatin/Rush (2002), S.11.

20 Vgl.: W3C/WAI (1999) Checkpoints 13.4 und 13.5.

21 BGG, § 3.

22 Definition nach WHO: Partizipation ist die Teilnahme oder Teilhabe einer Person in einen Lebensbereich bzw. einer Lebenssituation vor dem Hintergrund ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Verfassung, ihrer Körperfunktionen und -strukturen, ihrer Aktivitäten und ihrer Kontextfaktoren (personbezogene Faktoren und Umweltfaktoren). Eine Beeinträchtigung der Partizipation ist ein nach Art und Ausmaß bestehendes Problem einer Person bezüglich ihrer Teilhabe in einen Lebensbereich bzw. einer Lebenssituation.

23 Quelle: Statistisches Bundesamt (2000).

24 GVU’s 10th WWW User Survey (October 1998), http://www.gvu.gatech.edu/user_surveys/survey-1998-

10/graphs/general/q12.htm.

25 Vgl.: Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in der Fassung vom 07.08.1974, § 24 Absatz 1 Satz 1.

26 Quelle: Statistisches Bundesamt (2000).

27 Vgl.: Gunderson (1994), S. 382; auch: http://www.trace.wisc.edu/docs/population/populat.htm#visual.

28 Anteil Blinde mit einem Alter >65 Jahre: 50 %, Quelle: Statistisches Bundesamt (2000).

29 Vgl.: Borchert (2000), S.104ff.

30 Vgl.: Weinläder (1985), S.526.

31 Vgl.: Weinläder (1985), S.527.

32 Vgl.: Weinläder (1985), S.521.

33 National Council on Disability (2001).

34 Deutschland 43,7 %, EU-Schnitt: 40,4 %, Quelle: Eurobarometer Juni 2002.

35 GUI: Graphical User Interface.

36 Vgl.: Gorny, (2000), S.253.

37 Vgl.: Boyd (1990).

38 Vgl.: Holst (1999); auch: Thatcher (2002), S.54.

39 Vgl.: Gorny (2000), S.253f.

40 Vgl.: Herczeg (2001), S.112.

41 Vgl.: Holst (1999).

42 Vgl.: Kurniawan/Sutcliffe (2002), S.569f.

43 Vgl.: Harper, Goble (2000), S.11.

44 Vgl.: W3C/WAI (2001a)

45 Vgl.: Coyne/Nielsen (2001), S.5, S.10.

46 Vgl.: Coyne/Nielsen (2001), S.33ff.

47 Vgl.: Taylor (2002).

48 Vgl.: Borchart (2000), S114ff.

49 Vgl.: Nielsen (2001), S.308.

50 Vgl.: Emiliani (2000), S.99, auch Borchert (2000), S.76ff.

51 Vgl.: Borchert (2000), S.60ff.

52 Vgl.: W3C: http://w3.org/Consortium/.

53 Vgl.: http://www.w3.org/WAI/about.html.

54 Siehe auch Kapitel 6.1

55 Vgl.: http://www.w3c.org/wai/WAI/Policy.

56 Vgl.: Harper (2002), S.11.

57 Checklist/Techniques For Web Accessiility Guidelines 1.0.

58 W3C/WAI (2000a).

59 Definition der W3C/WAI (2002b): “Any software that retrieves and renders Web content for users. This may include Web browsers, media players, plug-ins, and other programs – including assistive technologies - that help in retrieving and rendering Web content.”

60 Vgl.:W3C/WAI (2002b).

61 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (i. d. Fassung v. 26.07.2002), Art. 3, Abs.3, Satz 2.

62 Vgl.: BGG, Artikel 41.

Excerpt out of 130 pages

Details

Title
Accessibility von Internet-Inhalten
College
University of Applied Sciences Hanover  (Fachbereich Informations- und Kommunikationswesen)
Grade
1,0
Author
Year
2003
Pages
130
Catalog Number
V12505
ISBN (eBook)
9783638183727
File size
5472 KB
Language
German
Keywords
Accessibility, Internet-Inhalten
Quote paper
Daniel Weist (Author), 2003, Accessibility von Internet-Inhalten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12505

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