Die Konzeption der Risikogesellschaft in ihren Kernthesen

Eine Einführung


Hausarbeit, 2008

23 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Risikogesellschaft als Konzeption

I. Risiko und Moderne
1. Nebenfolgen der Moderne
2. Soziale Rationalität
3. Klassengesellschaft und Risikogesellschaft

II. Individualisierung
1. Halbierte Moderne
2. Mobilität
3. Dimensionen der Individualisierung
4. Geschlechterrollen und Familie

III. Krise der Wissenschaft
1. Reflexive Verwissenschaftlichung
2. Politisierung der Wissenschaft

IV. Neue Politik
1. Gespaltene Gesellschaft
2. Politische Kultur

V. Fazit

Literaturverzeichnis

Risikogesellschaft als Konzeption

Die Konzeption der Risikogesellschaft von Ulrich Beck erscheint 1986 erstmals mit dem Untertitel „Auf dem Weg in eine andere Moderne“. In diesem Werk nähert sich der Autor der modernen Gesellschaft analytisch auf neue Weise an, indem er sie als zunehmend reflexiv in ihren Denk− und Handlungsmustern begreift. Es ist der Weg in eine andere Moderne, der ihn beschäftigt, der Abschied von der ersten Moderne, die in Gestalt der Industrie− und Klassengesellschaft das Bewusstsein bestimmt. Die zweite, die andere Moderne kennt Risiken in bislang unbekannter Dimension, neue Unsicherheiten durch „die Erfahrung eines beschleunigten Strukturwandels“ (Bonß, 2000, 25).

Die Analyse der Gesellschaft zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts baut Beck auf breiter Grundlage auf. Es entsteht dabei das Bild einer „noch weitgehend unbegriffene[n] Epoche des Industrialismus“ (Beck, 1991, 98), das vor allem die Dimension der ökologischen Risiken und Gefahren durch technisch−wissenschaftliche Entwicklungen der Moderne in die Analyse der Gesellschaft einbezieht.

Der technologisch−ökologischen Seite des Fortschritts und der damit verbundenen Risiken widmet er weite Teile seines Werkes, das durch den zeitnahen Reaktorunfall von Tschernobyl ungeahnte Aktualität erfährt. Ökologie und Technologie beschäftigen Beck und in der Auseinandersetzung mit diesen Themen nimmt sein Werk bisweilen fortschritts− und wissenschaftskritische Züge an.

Am stärksten greifen die neuen Unsicherheiten der zweiten Moderne auf das Individuum über und bestimmen alle Bereiche seiner Lebenswelt. Die „Erosion, Verflüssigung und Auflösung tradierter Bindungen“ (Bonß, 2000, 27), die neue Suche nach Identität und die damit verbundene Umdeutung sozialer Strukturen „[j]enseits von Klasse und Schicht“ (Beck, 1986, 121) kennzeichnen die Biografien der reflexiven Moderne.

Risikogesellschaft wird so zu einem allumfassenden Phänomen, das Individuen wie Institutionen erfasst und etablierte Denk− und Funktionsweisen der Gesellschaft in Frage stellt. Damit wandeln sich auch Bedeutung und Inhalt von Politik, entsteht eine eigenartige Verschiebung politischer Einflusssphären und Kompetenzen − weg vom Zentrum und von den Rändern, hin zu etwas Neuem, einem Raum der „Subpolitik“ (Ebd., 304).

In Auseinandersetzung mit der breit angelegten Konzeption der Risikogesellschaft befasst sich die nachfolgende Abhandlung im Wesentlichen mit vier Kernthesen: der Bedeutungszunahme von Risiken für die (post−)moderne Gesellschaft, der Individualisierung der Gesellschaft durch neue Unsicherheiten, der Krise der Wissenschaft durch den Verlust ihres Rationalitätsmonopols und der Entstehung einer neuartigen Sphäre der Subpolitik.

Im Vordergrund steht dabei die Suche nach einer Essenz der Beckschen Konzeption, die seit 1986 weiterentwickelt wurde, und die Frage, wodurch sich die Risikogesellschaft im Wesentlichen kennzeichnet.

I. Risiko und Moderne

Mit der fortgeschrittenen Moderne setzen die Überlegungen zur Risikogesellschaft an. Während die Industriegesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in ihrem Kern als Mangelgesellschaft verstanden wird, in der Reichtum und dessen Verteilung die soziale Struktur determinieren, so rückt im späten 20. Jahrhundert ein neuer Aspekt in den Vordergrund: Risiken, deren Produktion, Verteilung und Wahrnehmung. Dieser Übergang bestimmt die Konzeption der Risikogesellschaft. Im Sinne Becks sind Risikogesellschaften zu verstehen als „Gesellschaften, die zunächst verdeckt, dann immer offensichtlicher mit den Herausforderungen der selbstgeschaffenen Selbstvernichtungsmöglichkeiten (…) kon− frontiert sind“ (Beck, 1988, 109). Doch wie lassen sich diese Selbstvernichtungspotentiale erklären?

Für den Übergang in die andere Moderne ist charakteristisch, dass die Überwindung individuell erlebter Not, die einst Leben und Handeln bestimmte, durch die Konfrontation und Auseinandersetzung mit den Modernisierungsprozessen selbst und den daraus entstehenden Risiken ergänzt werden muss. „Der Modernisierungsprozess wird »reflexiv«, sich selbst zum Thema und Problem“ (Beck, 1986, 26). Modernisierung in diesem Sinne ist ein weites Feld. Sie erfasst sowohl die Bereiche industrieller, technischer Rationalisierung und gesellschaftlicher Organisation, als auch soziale Strukturen bis hinein in individuelle Biografien. Beide Bereiche, der technisch−wissenschaftliche und der sozial−lebensweltliche stehen zunehmend in besonderer Weise im Fokus ökologischer Bedrohungen und Risiken, die durch das „Projekt der technischen Unterwerfung und Perfektionierung der Natur“ (Beck, 1988, 48) ihren Weg letztlich bis in die intimsten Winkel menschlicher Lebenswelt finden.

Der Gesellschaftswandel, von dem hier die Rede ist, kommt folglich auch in Gestalt von

„Modernisierungskritik“ (Beck, 1986, 27) daher, drückt sich in einer zunehmenden Auseinandersetzung der Moderne mit sich selbst aus. Dies geschieht nur allmählich, denn die Kategorien des Denkens und Handelns der einfachen und der reflexiven Moderne überlagern sich, schließen sich nicht aus. In den Worten Ulrich Becks: „Wir leben noch nicht in einer Risikogesellschaft, aber auch nicht mehr nur in Verteilungskonflikten der Mangel− gesellschaften“ (Ebd., 27).

1) Nebenfolgen der Moderne

Durch Prozesse der ersten Moderne treten Nebenfolgen auf. Nebenfolgen der modernen Industriegesellschaft erscheinen auf der Tagesordnung, die − nicht intendiert und dennoch real − die Gesellschaft in allen ihren Bereichen maßgeblich bestimmen. Dabei unterscheiden sich nach Beck die heutigen Risiken und Gefährdungen, die aus den Nebenfolgen erwachsen, „wesentlich von den äußerlich oft ähnlichen des Mittelalters durch die Globalität ihrer Bedrohung (…) und ihre modernen Ursachen“ (Beck, 1986, 29). Die Errungenschaften der modernen Industriegesellschaft, deren Ziel und Zweck letztlich immer die Überwindung materieller Not und die Verbesserung menschlicher Lebensbedingungen unter den Voraussetzungen des Marktes und des modernen Wohlfahrtsstaates war, verlieren im Lichte der Risikogesellschaft ihren Nimbus der Unfehlbarkeit.

Dazu ist es jedoch zunächst erforderlich, ein Bewusstsein für Risiken zu schaffen, einen „sozialen Anerkennungsprozess“ (Ebd., 45) zu durchlaufen. Geschieht dies nicht, bleiben Nebenwirkungen latent und somit durch fehlende Absicht unverbindlich. „Das Denkschema der »latenten Nebenfolge« steht also für eine Art Freibrief“ (Ebd., 45).

Doch der Sachverhalt ist weitaus komplexer. Jeder industrielle Prozess hat zum einen die intendierten Folgen in Form von Produkten, Erkenntnissen, Dienstleistungen und zum anderen nicht intendierte Nebenfolgen wie Umweltverschmutzungen, Schadstoff− belastungen in der Nahrung oder die Zerstörung des sozialen Gefüges. Darüber hinaus sind außerdem „die sozialen, ökonomischen und politischen Nebenfolgen dieser Nebenfolgen“ (Ebd., 103) zu beobachten, die sich im Grunde in neuen Konflikten um die Bewältigung der Nebenfolgen manifestieren. Diese Entwicklung läuft auf „eine partielle Neuverteilung der Macht“ (Ebd., 104) hinaus, auf „ein Stück Systemveränderung“ (Ebd., 105), gar auf eine Bedrohung des politischen Systems in seinem Bestand. Die Folge ist eine eigenartige Verlagerung der Sphären des Politischen und des Nichtpolitischen, von der noch die Rede sein soll.

2) Soziale Rationalität

In der Definition und Wahrnehmung von Risiken sieht Beck ein zentrales Problem. Zum einen sind Risiken „offen für soziale Definitionsprozesse“ (Ebd., 30), was beim Umgang mit ihnen eine Vielzahl von Akteuren auf den Plan ruft: Politik, Medien, Wissenschaft, Individuen und soziale Gruppen. Im Umgang mit Risiken scheint das „Rationalitätsmonopol der Wissenschaften gebrochen“ (Beck, 1986, 38). Die Unklarheit von Betroffenheit und Ver− ursachung lässt Risiken in einer öffentlichen, allgegenwärtigen Dimension erscheinen. Es tritt eine „soziale Rationalität“ (Ebd., 39) auf den Plan, die mit der wissenschaftlichen nur schwer vereinbar ist.

Zum anderen wohnt modernen Risiken ein unabsehbares Potential inne, das von den einst ehernen Toren der Klassengesellschaft nicht länger zurückgehalten werden kann. Risiken in diesem Sinne betreffen jeden, was eine Veränderung im Bewusstsein bewirkt. Beck bringt es auf den Punkt: „In Klassen− und Schichtlagen bestimmt das Sein das Bewusstsein, während in Gefährdungslagen das Bewusstsein das Sein bestimmt“ (Ebd., 31). Die Komplexität der modernen Gesellschaft und industrieller Prozesse erlaubt es selbst nicht mehr, Risiken in Kausalitätsketten zu überführen und einer exakt ermittelbaren Ursache zuzuordnen. „Jeder ist Ursache und Wirkung und damit Nicht ursache“ (Ebd., 43). Die Konsequenzen von Handlungen, gar deren Moralität gerät im Alltag aus dem Blickfeld, dem Handeln fehlt die immanente Verantwortung. Anders ausgedrückt: „Der generalisierte Andere − das System − handelt in einem und durch einen selbst hindurch“ (Ebd., 43). Zivilisationsrisiken und deren Interpretationen scheinen so überkomplex, die Möglichkeiten der Einzelinterpretationen sind unüberschaubar vielfältig. Risiken „haftet (..) damit etwas Irreales an“ (Ebd., 44). Das produziert gesellschaftliche Unsicherheiten und Ängste, die neuer Formen des Umgangs bedürfen. Auch hier wird deutlich, wie sehr der Umgang mit modernen Zivilisationsrisiken einen Zugang für eine neue Politisierung der Gesellschaft ermöglicht und erfordert.

Gibt es aber eine Zuständigkeit im Umgang mit Risiken? Die Globalität und Allgegenwart moderner Zivilisationsrisiken macht den potentiell Betroffenen „fremdwissensabhängig“ (Ebd., 70). Das Bewusstsein für Risiken schärft sich, führt zu einem „Verlust der Latenz“ (Ebd., 71), lässt die Frage nach dem Umgang mit Risiken zu einem Politikum werden. Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher und sozialer Rationalität kommt hier schmerzlich zum Vorschein, da erstere den Zustand der Betroffenheit nicht ausreichend kennt. „Überall hinkt die wissenschaftliche Risikoforschung der sozialen Umwelt−, Fortschritts− und Kulturkritik am Industriesystem hinterher“ (Ebd., 77). Wissenschaft wähnt sich über den Köpfen der Gesellschaft und versagt gleichzeitig bei der sozialen Bewältigung von Problemen, die sie selbst nur in den Kategorien ihrer Messinstrumente erfassen kann. So ist die Wissenschaft in ihrer einstigen Sphäre nicht mehr sicher. „Die Geschichte der Bewusstwerdung und sozialen Anerkennung von Risiken fällt zusammen mit der De mystifizierung der Wissenschaften“ (Beck, 1986, 79), sagt Beck. Es ist die Betroffenheit, die den Wissenschaften fehlt, die aber notwendige Voraussetzung ist für ein Wissen um Risiken und ein entsprechendes Bewusstsein. An dieser Kluft zwischen wissenschaftlicher und sozialer Rationalität als Produkt der Industriegesellschaft lässt sich bereits eine Krise der Wissenschaft für den Übergang in die Postmoderne erahnen, die noch Gegenstand der Betrachtung sein soll.

3) Klassengesellschaft und Risikogesellschaft

Die moderne Industriegesellschaft kennt noch Klassen und Schichten, ist in ihrer sozialen Struktur determiniert durch Einkommen, Bildung, Beruf und Prestige. Die reflexive Moderne lässt diese Strukturen zumindest brüchig werden. Klassen− und Risikogesellschaft schließen sich nicht aus, doch sind sie nicht identisch. Durchaus real ist das „»Gesetz« der klassenspezifischen Verteilung von Risiken“ (Ebd., 46), was bestehende Klassengegensätze noch verstärkt. Die Globalität moderner Zivilisationsrisiken allerdings überwindet bereits die Bahnen, in denen die Klassen− oder Schichtengesellschaft gedacht wird, zumal die ökologische Dimension ohnehin global begriffen werden muss. „In diesem Sinne sind Risikogesellschaften gerade keine Klassengesellschaften“ (Ebd., 48). Das „Gefährdungs − Schicksal in der entwickelten Zivilisation“ (Ebd., 54) wird zum Bestandteil des modernen Menschseins und ist somit über etablierte soziale Kategorien weitgehend erhaben.

[...]


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Details

Titel
Die Konzeption der Risikogesellschaft in ihren Kernthesen
Untertitel
Eine Einführung
Autor
Jahr
2008
Seiten
23
Katalognummer
V124517
ISBN (eBook)
9783640297474
ISBN (Buch)
9783640302864
Dateigröße
594 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konzeption, Risikogesellschaft, Kernthesen
Arbeit zitieren
Thomas Koch (Autor:in), 2008, Die Konzeption der Risikogesellschaft in ihren Kernthesen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124517

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