Das Rezipientenpassiv im Deutschen


Zwischenprüfungsarbeit, 2008

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Erläuterung der Begriffe
2.1 Genus verbi
2.2 Passiv
2.3 Das Rezipientenpassiv

3. Der umstrittene Status des Rezipientenpassivs
3.1 Unterschiede zum Vorgangspassiv
3.1.1 Prädikative Beziehung
3.1.2 Semantik des Rezipientenpassivs
3.2 Argumente für den Passivstatus
3.2.1 Prädikativ- oder Passivkonstruktion?
3.2.2 Grammatikalisierung
3.2.3 Testverfahren
3.2.4 Kritik an Gegenargumenten

4. Schlussbetrachtungen

5. Bibliographie

1. Einleitung

Lange Zeit wurde in der linguistischen Literatur das sog. Vorgangspassiv, auch werden -Passiv genannt, als die einzige passivische Konstruktion im Deutschen angesehen. Grund dafür war das Streben, viele grammatische Erscheinungen mit den Regeln der lateinischen Grammatik zu erklären. Da das Latein nur ein Passiv kennt, galt auch die Meinung, dies treffe auch für das Deutsche zu.

Erst als viele kontrastive Analysen gezeigt haben, dass es Sprachen mit mehr als einem Passiv gibt (vor allem in den slawischen und skandinavischen, aber auch einigen asiatischen Sprachen), fing man an, auch in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur von verschiedenen Arten des Passivs zu reden: Zustandspassiv, bekommen -Passiv, bleiben -Passiv, haben -Passiv, gehören -Passiv. Besonders viele Diskussionen hat die Frage des Status des Razipientenpassivs hervorgerufen.

Aus der geschichtlichen Sicht lässt sich zuerst das Verb kriegen als eine Komponente des Rezipientenpassivs nachweisen. Das spätere Erscheinen des Verbs erhalten in dieser Funktion kann man mit dem Verhältnis zwischen bekommen und erhalten erklären: Es ist immer durchaus möglich, erhalten durch bekommen zu ersetzen, aber nicht immer ist bekommen durch erhalten substituierbar (Mihailova 2003: 145-146).

Der Grund für die Diskussion über den Status des Rezipientenpassivs in der Literatur ist, dass die Verben, mit denen diese Art des Passivs gebildet wird, relativ viel eigenständige Semantik haben: Es ist schwer, die Hilfsverben bekommen, kriegen und erhalten von den entsprechenden Vollverben zu unterscheiden (Pittner/Berman 2004: 74).

Anfangs konnte man der Konstruktion bekommen/kriegen/erhalten + Partizip II nur im Zusammenhang mit sog. Verben des Gebens begegnen. In letzter Zeit treten sie jedoch immer öfter in Sätzen auf, deren Vollverb gerade das Gegenteil von geben ausdrückt (Mihailova 2003: 146). Solche Sätze werden trotzdem oft für markiert oder ungrammatisch gehalten, z.B.:

Er bekam/* erhielt das Fahrrad gestohlen.

Er ?bekam/*erhielt seinen Führerschein abgenommen (Pittner/Berman 2004: 75).

Ein wichtiger Grund der Kontroverse um das bekommen -Passiv ist auch die Tatsache, dass der Kasus des Akkusativobjekts nicht als Nominativ realisiert wird: Das Objekt im Akkusativ bleibt erhalten, z. B.:

Man schenkt dem Freund ein Buch (AKK).

Ein Buch (NOM) wird dem Freund geschenkt.

Der Freund bekommt ein Buch (AKK) geschenkt (Zifonun 1997: 1827).

Die vorliegende Arbeit hat die Untersuchung verschiedener Einstellungen zum Status des Rezipientenpassivs zum Ziel. Dabei sollen die folgenden Aspekte beleuchtet werden: Als erstes werden die Begriffe des Genus verbi, des Passivs im Allgemeinen und des Rezipientenpassivs erläutert und der Gegenstand der Kontroverse deutlich gemacht. Schließlich werden unterschiedliche Meinungen verschiedener Linguisten und ihre Argumente zum Status des bekommen -Passivs dargestellt.

2. Erläuterung der Begriffe

Bevor man an die tatsächliche Besprechung des Rezipientenpassivs herangeht, müssen einige Begriffe in diesem Bereich erläutert werden, damit das Verständnis des Folgenden vereinfacht wird.

2.1 Genus verbi

Zu den Flexionskategorien, die das Verb im Deutschen kennzeichnen, gehören Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus verbi. Die Ausdrücke wie z. B. Tempus und Person geben uns einen Hinweis darauf, wo der Bedeutungsunterschied zwischen den Formen der zugehörigen Kategorien liegen könnte. Genus verbi ("Art des Verbs") als Name der Einheitskategorisierung dagegen nicht. Unter diesem Begriff werden Aktiv und Passiv zusammengefasst. Der wichtigste Unterschied bei Aktiv- und Passivkonstruktionen eines Verbs liegt in der Darstellung eines Sachverhaltes: Ein und dasselbe Geschehen wird aus unterschiedlichen Perspektiven beschrieben (Eisenberg 2004: 124).

2.2 Passiv

Der prototypische Passivsatz wird mit dem Hilfsverb werden und dem Partizip II gebildet. Diese Konstruktion wird Vorgangspassiv oder werden -Passiv genannt.

Das Haus wird gebaut.

Bei der Bildung von Perfekt, Plusquamperfekt und Futurum II werden ausschließlich Formen von sein verwendet, da werden selbst alle Formen mit sein bildet:

Das Haus ist gebaut worden.

Das Haus war gebaut worden.

Das Haus wird gebaut worden sein.

Jeder prototypische Passivsatz enthält ein transitives Verb und besteht aus Subjekt, Prädikat und präpositionaler Ergänzung mit von oder durch. Dem Subjekt des Aktivsatzes entspricht eine fakultative präpositionale Ergänzung im Passivsatz, dem direkten Objekt des Aktivsatzes entspricht das Subjekt des Passivsatzes, z. B.:

Ich schreibe einen Aufsatz.

Der Aufsatz wird (von mir) geschrieben.

Dies bedeutet, dass in einem Aktivsatz und dem ihm entsprechenden Passivsatz dieselben semantischen Rollen über unterschiedliche syntaktische Funktionen kodiert werden. Aus diesem Grund wird gesagt, dass der Passivsatz “im Wesentlichen” dasselbe wie der Aktivsatz bedeute. In diesem Zusammenhang spricht man dann auch

von den Diathesen (Konstruktionen mit gleicher Bedeutung, aber unterschiedlicher Argument- und Komplementstruktur) eines Verbs (Eisenberg 2004: 124-126).

Falls das Verb im Aktiv kein Akkusativobjekt fordert, kann die Passivdiathese trotzdem gebildet werden. In diesem Passivsatz fehlt dann ein Subjekt (unpersönliches Passiv), z. B.:

Man spielt viel mit den Kindern.

Mit den Kindern wird viel gespielt.

Als Ziel der Verwendung der Passivkonstruktionen wird, wie im Kap. 2.1 schon erwähnt, insbesondere der Perspektivenwechsel angesehen: Im Aktivsatz wird das Ereignis aus der Handlungs- und im Passivsatz aus der Geschehensperspektive betrachtet. Die Verbsituation richtet sich in beiden Diathesen auf das Patiens, aber im Aktiv wird das Ereignis aus der Sicht des Agens und im Passiv vom Patiens her wiedergegeben.

Außer dem prototypischen Vorgangspassiv wird in der Linguistik auch vom Zustands- und Rezipientenpassiv gesprochen (Pittner/Berman 2004: 68-70). Auf das Letzte wird im Folgenden genauer eingegangen.

2.3 Das Rezipientenpassiv

Das Rezipientenpassiv (auch Dativ- oder bekommen -Passiv genannt) ist inzwischen eine sehr verbreitete Passivdiathese, die durch Grammatikalisierung[1] der Besitzverben bekommen, kriegen und erhalten entstanden ist. In der geschriebenen Sprache wird meistens bekommen und in der gesprochenen kriegen verwendet (Eisenberg 2004: 133). Bei der Bildung eines Rezipientenpassivsatzes wird das Subjekt zur von- Phrase und das Dativobjekt zum Subjekt des entsprechenden Aktivsatzes, das Akkusativobjekt bleibt hingegen unverändert, z.B.:

Sie liest ihm das Buch vor.

Er bekommt/kriegt das Buch von ihr vorgelesen (Pittner/Berman 2004: 74).

Insbesondere wird das Rezipientenpassiv von dreistelligen Verben gebildet, die Agens, Rezipient und Patiens zulassen (Eisenberg 2004: 133). Der Rezipient (das Dativobjekt des Aktivsatzes) wird als Subjekt realisiert, wobei das Subjekt des Aktivsatzes die thematische Rolle Agens erfüllt (Pittner/Berman 2004: 74).

a. erklären (dreistellig): NOM, AKK, DAT:

Sie erklärt ihm den Weg.

Er bekommt von ihr die Regeln erklärt.

beibringen (dreistellig): NOM, AKK, DAT:

Er bringt ihr das Tanzen bei.

Sie bekommt von ihm das Tanzen beigebracht.

b. gelingen (zweistellig): NOM, DAT:

Die Arbeit ist ihm gut gelungen.

*Er bekam die Arbeit gut gelungen.

Die Rezipientenpassivkonstruktionen mit den Verben ohne direktes Objekt sind selten zu treffen, aber durchaus möglich:

Renate kriegt von Rainer gedroht.

Ich bekomme vom Lehrer geholfen (Eisenberg 2004: 134).

Beim Rezipientenpassiv gibt es keine Möglichkeit, ein unpersönliches Passiv zu bilden:

*Heute bekam verziehen.

*Natürlich bekam den Weg erklärt (Pittner/Berman 2004: 74).

Wie es schon in der Einleitung erwähnt wurde, ist der Status des Rezipientenpassivs in der Linguistik sehr umstritten. Der Grund dafür ist aber nicht nur die Tatsache, dass die Hilfsverben, mit denen diese Konstruktionen gebildet werden,

auf Grund ihrer eigenständigen Semantik schwer von den entsprechenden Vollverben zu unterscheiden sind. Haider (1984) macht darauf aufmerksam, dass es mehrere Argumente gegen den Passivstatus des Rezipientenpassivs gibt. Darauf wird im Kap. 3.1 genauer eingegangen.

Die Kenntnisse der oben erwähnten Begriffe vorausgesetzt kann man nun das Rezipientenpassiv näher betrachten.

[...]


[1] Als Grammatikalisierung wird der Übergang von lexikalischen zu grammatischen Formen bezeichnet (Heine 1993: 27). Mehr dazu im Kap. 3.2.2.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Rezipientenpassiv im Deutschen
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
21
Katalognummer
V124498
ISBN (eBook)
9783640297337
ISBN (Buch)
9783640302741
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rezipientenpassiv, Deutschen
Arbeit zitieren
Kateryna Buzun (Autor:in), 2008, Das Rezipientenpassiv im Deutschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124498

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