Können Tiere improvisieren?

Verknüpfung der philosophischen Ansätze mit einer Erkenntnisperspektive aus der Literatur


Studienarbeit, 2008

22 Seiten, Note: 3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Exposition der Problemstellung und methodologische Erörterung

2. Können Tiere improvisieren?
2.1. Verstand und Vernunft als Grundlage für Improvisation
2.1.1. Besitzen Tiere Verstand?
2.1.2. Begriff der Vernunft in der Tierwelt bei Hume, Schopenhauer und Kant
2.1.3. Sind Tiere nach heutigen Erkenntnissen vernunftbegabte Wesen?

3. Betrachtungen zu Franz Kafkas Forschungen eines Hundes
3.1. Erläuterungen zum Verstand des Tieres
3.2. Besitzt das Tier im Text Vernunft?
3.3. Inwiefern improvisiert das Tier im Text?

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1 Exposition der Problemstellung und methodologische Erörterung

Das Tier nimmt eine immer zentraler werdende Rolle in der Philosophie ein. Doch die Tendenz, neben den Menschen auch die Tiere in philosophische Kontexte zu stellen, zeichnet sich bereits bei David Hume, Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer ab, welche sich explizit zu Tieren, hinsichtlich ihres Verstandes und ihrer Vernunft, in ihren Arbeiten äußerten.

Aber auch die Literatur sieht das Tier aus verschiedenen Blickwinkeln. In Texten, wie beispielsweise Kafkas Forschungen eines Hundes oder Ein Bericht für eine Akademie, besteht die Möglichkeit, das Tier nicht nur aus seinen biologischen Anlagen heraus zu betrachten, sondern es zu einer literarischen Figur werden zu lassen, welche teilweise menschliche Charakterzüge annehmen kann.

In dieser Arbeit verknüpfe ich die philosophischen Ansätze mit einer Erkenntnisperspektive aus der Literatur, um der Frage auf den Grund zu gehen, ob Tiere in der Lage sind zu improvisieren. Die philosophischen Ausarbeitungen werde ich durch ausgewählte Aspekte der Verhaltensbiologie ergänzen, da diese entscheidende Grundlagen für neuere Erkenntnisse im Bereich der Philosophie darstellen.

Der Begriff der Improvisation wird in der Arbeit zu keinem Zeitpunkt definiert werden, da dies unmöglich scheint. Aber ich möchte mich auf eine Unterscheidung zweier Improvisationsarten nach Björn Alterhaug beziehen:

First, improvisation as an emergency measure, as in „the plans failed and hence I had to improvise“ [...] Second, improvisation as an acute state of readiness, internalised skills and practice; a highly rated way of acting.[1]

Diese Unterscheidung soll auch grundlegend für die Bearbeitung des Themas dieser Arbeit sein.

Wenn man die Frage beantworten will, ob Tiere tatsächlich improvisieren können, muss geklärt werden, ob sie über die Voraussetzung der Improvisation verfügen: über Verstand und Vernunft. Verstand ist die Grundlage dafür, dass Tiere zu Reparaturimprovisation fähig sind. Um jedoch auch Produktionsimprovisation betreiben zu können, benötigen sie Vernunft, denn im Gegensatz zur Reparaturimprovisation ist Produktimprovisation sehr stark zukunftsorientiert. Aber sind Tiere überhaupt zukunftsorientiert oder leben sie nur in und für die Gegenwart? Diese Fragestellung impliziert wiederum, ob Tiere über ihre Handlungen reflektieren können. Menschen reflektieren in Gedanken, welche sie mit Hilfe des Sprachsystems bilden. Tiere haben jedoch keine für uns verständliche Sprache. Bereits Ludwig Wittgenstein betonte: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“.[2] Doch trifft das auch auf Tiere zu? Können sie wirklich nicht denken, nur weil sie kein Kommunikationssystem haben, welches unserem ähnlich ist? Mit diesen Fragestellungen soll sich der erste Teil der Arbeit beschäftigen. Die Grundlage der Auseinandersetzung mit dem Problem, ob Tiere Verstand und Vernunft haben, bilden neben eigenen Beobachtungen die Arbeiten von Hume, Kant und Schopenhauer, sowie neuere Werke der Tierphilosophie, u.a. von Markus Wild.

An diesen Teil schließt der literarische Teil an. An dieser Stelle soll, anhand der Erzählung Forschungen eines Hundes von Franz Kafka, ebenfalls der Frage nachgegangen werden, ob Tiere improvisieren können. Hierbei darf man jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass es sich bei dem Hund im Text um ein literarisches Wesen handelt, welches ein völlig anderes ist, als das biologische Wesen. Dieser Teil der Arbeit wird sich auf die Frage beschränken, ob die Literatur dem Hund die Improvisationsfähigkeit zuschreibt. Wichtig hierbei ist auch die Betrachtung, ob der Hund im Text für den Menschen stellvertretend steht oder nicht, denn nur so kann eingeschätzt werden, ob es sich um wirkliche Improvisation der Tiere handelt oder, ob sie durch menschliche Züge verfälscht wird und somit eher der „Mensch im literarischen Tier“ improvisiert.

Am Ende möchte ich in einem Fazit meine Gedankengänge und Ergebnisse reflektieren. Ich möchte darstellen, was ich im Laufe des Recherchierens für meine Arbeit herausgefunden habe und was meine Schlussfolgerungen aus diesen Erkenntnissen sind. Des Weiteren möchte ich die Fragen, die mir am Anfang und im Laufe des Arbeitens entstanden sind, unter anderem, ob Tiere denken können und ob sie wirklich keine Sprache besitzen, versuchen zu klären und eine Antwort darauf geben.

2 Können Tiere improvisieren?

2.1 Verstand und Vernunft als Grundlage für Improvisation

In der Philosophie versteht man unter dem Verstand die Erkenntnisfähigkeit, um einen logischen Zusammenhang zwischen Zweck und Mittel herstellen zu können. Bei Immanuel Kant stellt der Verstand die materielle Grundlage zur Fähigkeit vernünftigen Handelns dar. Im Unterschied zur Vernunft, welche bei ihm das Vermögen der Prinzipien darstellt, ist der Verstand das Vermögen der Regeln.

2.1.1 Besitzen Tiere Verstand?

Bereits Arthur Schopenhauer war der Ansicht, dass alle Tiere Verstand besitzen, „selbst die unvollkommensten: denn sie alle erkennen Objekte, und diese Erkenntniß bestimmt als Motiv ihre Bewegungen. – Der Verstand ist in allen Thieren und allen Menschen der nämliche, hat überall die selbe einfache Form: Erkenntniß der Kausalität, Uebergang von Wirkung auf Ursache und von Ursache auf Wirkung, und nichts außerdem.“[3]

Dieser Auffassung, dass Tiere Verstand besitzen, schließt sich auch die herrschende Meinung, sowohl aus der Biologie, als auch aus der Philosophie, an. Biologische Untersuchungen zeigen oftmals erstaunliche Leistungen des tierischen Gehirns auf. Beispielsweise der Bienentanz wäre ein Argument, dass Bienen über die Leistung des Gehirns, mithilfe der Bewegungen, kommunizieren und genaue Auskunft über Futterquellen geben können. Auch die Philosophie ist davon überzeugt, dass Tiere zu kognitiven Fähigkeiten in der Lage sein müssen. Das lässt sich mit Hilfe folgender zwei Argumente begründen:

1. Tiere sind in der Lage zu lernen.

Alle Tiere betreten die Schule des Lebens mit einem zentralen Instrument zur Aneignung von Wissen. Dieses Werkzeug reicht hin, um Assoziationen zu bilden, zu deduzieren und durch Versuch und Irrtum zu lernen. Viele Tiere lernen obendrein auch durch soziale Interaktionen.[4]

Diese Fähigkeit des Lernens setzt ein Mindestmaß an Verstand voraus, denn es müssen Bezüge aus der Vergangenheit in die Gegenwart übertragen werden, um beispielsweise einen Fehler nicht zu wiederholen.

2. Tiere sind in der Lage Werkzeuge gezielt zur Problembewältigung einzusetzen. Diese

These lässt sich mit einer Vielzahl an Beispielen begründen, an dieser Stelle jedoch nur eines: Verhaltensforscher fanden heraus, dass ein Affe, um eine Banane zu gelangen, die ohne Werkzeug für ihn unerreichbar ist, einen Stock zur Hilfe nimmt. Wenn ihm die Banane so noch immer vergönnt bleibt, verwendet er zusätzlich zum Stock einen Gegenstand zum Darraufstellen, bis er schließlich im Besitz der Banane ist. Diese Leistung impliziert die Fähigkeit einen Zusammenhang zwischen Mittel und Zweck herzustellen, welche zweifelsfrei Verstand erfordert.

Die Frage, die man sich jedoch heute noch stellt, ist, wie denken Tiere? Die Gedanken des Menschen gestalten sich aus Wörtern, deshalb wird partiell noch immer die These vertreten, dass Tiere nicht denken können, aufgrund dessen, dass sie keine Sprache besitzen.[5] Doch zweifeln wir daran, dass Kleinkinder, die die Sprache noch nicht beherrschen, Verstand besitzen? – Nein. Also muss es weitere Formen des Denkens geben. Jerry Fodor vertritt die These, dass es eine Sprache des Geistes, eine Mentalsprache geben müsse, bei welcher es sich um ein System von bedeutungstragenden Symbolen handle. In diesem Medium des Symbolsystems können Menschen und Tiere denken, sagt Fodor.[6] Es exsistiert jedoch auch die These, dass ein Denken ganz ohne Sprache möglich ist.[7] Dies scheint mir jedoch problematisch, denn Gedanken haben einen Inhalt. Es muss ein sinnvoller Zusammenhang zwischen den Dingen geschaffen werden, über welche man nachdenkt. Dies ist aber ohne ein Denken mit Sprache oder einem sinnvollen Symbolsystem nicht möglich. Aus diesem Grund muss die Frage, in welchen Kategorien Tiere denken, zunächst unbeantwortet bleiben.

2.1.2 Begriff der Vernunft in der Tierwelt bei Hume, Schopenhauer und Kant

Humes Auffassung zufolge lernen Tiere aus Erfahrungen, wonach die selben Ereignisse stets auf die gleiche Ursache folgen.[8] Es ist dabei jedoch „unmöglich, dass die Folgerung des Tieres auf einem Vernunftsschluß beruhen kann, wonach es schließt, daß gleiche Ereignisse aus gleichen Gegenständen folgen müssen und daß der Naturprozeß stets regelmäßig verlaufen wird.“[9] Er sagt jedoch auch, dass es nicht nur die Tiere seien, die bei diesen Folgerungen nicht durch die Vernunft gelenkt seien, sondern auch die Kinder, der Großteil der Menschen, selbst die Philosophen nennt er in seiner Aufzählung.[10] Mit dieser Aussage entsteht eine Kluft zwischen der Fähigkeit zur vernünftigen Handlung und dem vernünftigen Handeln selbst. Er macht hier deutlich, dass die Begabung zur Vernunft, nicht impliziert, dass sie auch das Handeln bestimmt. Dennoch wird ebenfalls deutlich, dass er dem Tier keine Vernunft zuschreibt, denn er sagt: „Gewohnheit allein bestimmt die Tiere, von jedem Gegenstand, der ihren Sinnen begegnet, auf seine übliche Begleiterscheinung zu schleißen [...]“[11] Einige Autoren, u.a. Markus Wild, betonen bei Hume sei nichts „offenkundiger, als dass Tiere ebenso mit Gedanken und Vernunft begabt seien wie Menschen“[12]. Mit dieser Aussage entsteht eine Kluft zum bisher Gesagten. Dies lässt sich folgender Maßen begründen: Für meine Ausarbeitungen bezog ich mich auf Humes Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Wild hingegen stützt diese Aussage auf Humes Traktat über die menschliche Natur. Davon möchte ich jedoch Abstand nehmen, denn Hume schrieb dieses Werk sehr früh und änderte seine Meinung. Er schreibt zu Beginn seines Werkes Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand:

[...]


[1] Björn Alterhaug: Improvisation on a triple theme: Creativity, Jazz Improvisation and Communication. In: Studia Musicologica Norvegica 30 (2004), S. 97f.

[2] Ludwig Wittgenstein: Logisch-philosophische Abhandlung. Traktatum logico-philosophicus. Brian McGuinness; Joachim Schulte (Hrsg.). Frankfurt am Main, 1989, S.134.

[3] Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Band 1. Ditzlingen 2004, S.58f.

[4] Marc D. Hauser: Wilde Intelligenz. Was Tiere wirklich denken. München 2001, S.181.

[5] Vgl.: Dominik Perler; Markus Wild (Hrsg.): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt am Main 2005, S. 136.

[6] Markus Wild: Tierphilosophie. Zur Einführung. Dresden 2008, S.81.

[7] Ebd.

[8] Vgl.: David Hume: eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Herbert Herring (Hrsg.). Ditzingen 2006, S. 136.

[9] Ebd., S.137.

[10] Vgl.: Ebd.

[11] Ebd., S. 138.

[12] Markus Wild: Tierphilosophie (Anm. 6), S.13.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Können Tiere improvisieren?
Untertitel
Verknüpfung der philosophischen Ansätze mit einer Erkenntnisperspektive aus der Literatur
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Literatur und Improvisation
Note
3
Autor
Jahr
2008
Seiten
22
Katalognummer
V124069
ISBN (eBook)
9783640288793
Dateigröße
516 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tiere Bei Hume, Tiere bei Schopenhauer, Tiere bei Kant, Vernunft bei Tieren, Verstand bei Tieren, Kafka Forschungen eines Hundes
Arbeit zitieren
Marjana Schäftlein (Autor:in), 2008, Können Tiere improvisieren?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124069

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