Von Afrika nach Brasilien - Über drei Jahrhunderte Sklaverei und ihre Folgen


Seminararbeit, 2005

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historische Vorbedingungen
2.1. Portugal vor dem 16. Jahrhundert
2.2. Entstehung des atlantischen Sklavenhandels
2.3. Afrikanischer Widerstand

3. Das Leben der Sklaven in Brasilien
3.1. Die Überfahrt
3.2. Arbeit, Leben und soziale Stellung der Sklaven

4. Nach der Abolição – Die Rassenfrage in Brasilien
4.1. Die Bedeutung der Kultur bei Gilberto Freyre
4.2. Die Escola Paulista
4.3. Der brasilianische Rassismus

5. Fazit

1. Einleitung

Ist in Brasilien das Rassenproblem tatsächlich gelöst, so wie Stefan Zweig dies in den dreißiger Jahren äußerte?1 Als in den 1550er Jahren Brasiliens erste Zuckerrohrplantagen geboren worden waren, begann damit auch die massive Einfuhr von Sklaven aus Afrika. Über drei Jahrhunderte sollte dieser Handel andauern, in denen ihre Arbeitskraft ausgebeutet wurde und ihnen jegliche Menschenrechte abgesprochen wurden. Nach der Abolição (Abschaffung der Sklaverei) 1888 entwickelte sich ein neues kapitalistisch orientiertes Gesellschaftssystem.

Welche soziale Stellung kam den befreiten Sklaven, den Afro-Brasilianern in dieser Gesellschaftsordnung zu? In Brasilien hat es nach der Abolição keine rassistische Gesetzgebung gegeben. Dennoch gibt es kritische Stimmen, die der Auffassung sind, dass der Rassismus auf eine subtile Weise in das brasilianische Sozialsystem eingebettet worden sei und deswegen besonders schwer zu bekämpfen sei.2

Die folgende Arbeit bringt zunächst einen historischen Abriss über die Vorbedingungen und den Entwicklungsprozess des atlantischen Sklavenhandels Portugals. Auch soll die Geschichte im Hinblick auf die ökonomische, soziale und politische Rolle der Afrikaner/Afro-Brasilianer während der Zeit des Sklavenhandels sowie innerhalb der brasilianischen Sklavengesellschaft kritisch betrachtet werden.

Der Schlussteil beschäftigt sich mit der questão racial, der Rassenfrage in Brasilien. Es werden die zwei wissenschaftlichen Hauptströmungen, der Rassismus aus der Perspektive der Kulturwissenschaften mit Gilberto Freyre sowie die Escola Paulista mit dem Soziologen Florestan Fernandes, diskutiert, um schließlich zu verdeutlichen, dass die Rassenfrage in Brasilien keineswegs geklärt ist, sondern vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Angst besteht, die sozialen Unterschiede zwischen „Schwarzen“ und „Weißen“ zu benennen.

2. Historische Vorbedingungen

2.1. Portugal vor dem 16. Jahrhundert

Obwohl ihr nur eingeschränkte Bedeutung zukam, existierte Sklaverei 1492 noch in Europa. Jedoch obgleich viele europäische Gesellschaften vor dem 15. Jahrhundert Sklaven hielten, waren diese in den meisten Fällen nicht entscheidend für den Produktionsprozess. Komplexe Gesellschaften stützten sich hauptsächlich auf die Arbeit der bäuerlichen Bevölkerung, während Sklaven für sehr spezielle Arbeit z. B. im Haushalt der Oberschichten oder für die gefährliche Minenarbeit genutzt wurden. Damit Sklaven einen derart dominanten Faktor in einer Gesellschaft bilden konnten, wie dies der Fall im Europa des 16. bis 19. Jahrhunderts war, mussten gewisse Bedingungen erfüllt werden wie das Vorhandensein einer wichtigen Marktwirtschaft auf nationaler und internationaler Ebene, ein bedeutender Anteil der Produktion musste durch nicht-bäuerliche Erzeuger gestellt werden, und Sklavenarbeit musste zu einem entscheidenden Faktor in dieser Produktion werden. All diese Bedingungen wurden vor der kolonialen Sklaverei nur zwei Jahrhunderte vor der christlichen Ära im Römischen Reich erfüllt.3

Aufgrund dieser Parallele geht Herbert S. Klein davon aus, dass das Römische Recht und der Brauch im Bezug auf Sklavenarbeit, so beispielsweise die Definition des rechtlichen Status´ der Sklaven, die amerikanische Sklavengesellschaft tief greifend beeinflusst habe.4 Auch Florestan Fernandes nimmt an, dass die Portugiesen bzw. die Brasilianer die Ausformung der Institution „Sklaverei“ direkt aus dem römischen Recht abgeleitet haben.5 Detlev Schelsky indessen vermutet vielmehr ein arabisches Vorbild. Er argumentiert, dass die arabische Sklavengesellschaft keinerlei Bewusstsein für Hautfarbe oder Rasse gehabt habe und dass dies sehr den Eigenschaften ähneln würde, die Gilberto Freyre für die brasilianische Form der Sklaverei aufgeführt hat. Außerdem sei gleichfalls zu fragen, ob die „manumission“, d.h. die Freilassung von Sklaven zu besonderen Anlässen, welche es in Brasilien, hingegen nicht in den USA gab, nicht mozarabischen Ursprungs sei.6 Ob jedoch Freyres Ausführungen in „Herrenhaus und Sklavenhütte“ über die Eigenschaften der brasilianischen Gesellschaft tatsächlich zutreffend sind, zweifelt u. a. Fernandes an. So spricht er von einem Mythos der „democracia racial“.7

Das traditionelle Problem expandierender Märkte bei begrenztem Angebot an Arbeitskräften bildet die ideale Voraussetzung für den Einsatz von Sklaven, wenn die Machthaber die Möglichkeit und den Willen dazu haben.8

Im Portugal des 16. Jahrhunderts traf genau dies zu.

Das späte 15. und das frühe 16. Jh. stellten eine Periode rasanten wirtschaftlichen Wachstums in Europa dar, während das Bevölkerungswachstum seit dem Ende der Pest im 14. Jh. relativ gering war. Steigende Löhne spiegelten die steigende Knappheit auf dem Arbeitsmarkt wider. Die bäuerliche Bevölkerung, die erst kürzlich von der Leibeigenschaft befreit worden war, hielt noch Einzug in die städtischen Ballungsgebiete oder besiedelte freies Land innerhalb Europas, welches zu diesem Zeitpunkt noch relativ günstig war. Zudem bot der Aufstieg der atlantischen und west-mediterranen Handelsgesellschaften noch nie da gewesene ökonomische und soziale Möglichkeiten in Europa selbst. Letztlich führte die Notwendigkeit professionellen Militärs aufgrund von lang anhaltenden Kriegen mit den islamischen Staaten und der Zunahme kriegerischer Auseinandersetzungen innerhalb Europas wegen religiöser Abspaltungen zu einem Abzug von Arbeitskräften. Auch zu bedenken waren für potentielle Siedler die hohen Kosten und die Unsicherheit der Reise in die Neue Welt. So kam es, dass relativ geringes Interesse in der portugiesischen und der europäischen Bevölkerung bestand, das Risiko einer Reise nach Brasilien einzugehen.9 So boten sich Afrikaner, die sich als Arbeiter in der Zuckerproduktion auf den atlantischen Inseln bewähren sollten, als relativ günstige Alternative für Brasilien an.

Als die portugiesischen Eroberer Anfang des 14. Jahrhunderts an der subsaharischen Küste Afrikas ankamen, lag ihr primäres Interesse darin, die nordafrikanisch-saharischen Handelswege zu kontrollieren. Solange sie sich auf die Regionen von Mauretanien, Senegal und Gambia beschränkten, integrierten sie sich größtenteils in das bereits existierende Netzwerk der muslimischen Händler. Diese betrieben schon seit dem 9. Jahrhundert einen ziemlich beständigen internationalen Sklavenhandel, dabei setzte sich dieser zum größten Teil aus Frauen und Kindern zusammen. In dem Zeitraum 800 n. Chr. bis 1600 wurden auf diese Weise bereits zwischen 5 000 und 10 000 Sklaven jährlich transportiert.

Doch der Sklavenhandel interessierte die Portugiesen vorerst nur sekundär. Ihr Hauptanliegen war ganz im Sinne des Merkantilismus das afrikanische Gold. Selbst als sie 1444 die ersten Sklaven verschifften, wurden diese hauptsächlich nach Europa gebracht, um dort als Hausbedienstete zu arbeiten. An der afrikanischen Küste selbst betrieben die Portugiesen Sklavenhandel, um den inner-afrikanischen Sklavenmarkt zu bedienen und im Austausch dafür Gold zu erhalten. Obwohl der portugiesische Sklavenhandel mit ungefähr 800 Sklaven pro Jahr langsam begann, steigerte er sich stetig und erreichte in den 1480er und 1490er Jahren ein Niveau von über 2000 Sklaven jährlich, von denen aber ca. ein Drittel an Afrikaner selbst verkauft wurden.10

Erst mit der Einführung der Zuckerproduktion auf den atlantischen Inseln und dem Beginn intensiver Handelsbeziehungen mit dem Königreich Kongo vollzog sich ein struktureller Wandel und der Sklavenhandel erlangte für die Portugiesen eine andere Bedeutung.

2.2. Entstehung des atlantischen Sklavenhandels

Die Kongolesen waren ansässig an dem Fluss Kongo und standen vor der Ankunft der Portugiesen mit dem muslimischen Handel nicht in Verbindung. Das Königreich Kongo strebte eine enge Beziehung zu den Portugiesen an, auch um den Handel unter seine Kontrolle zu bringen. In der Folge sandte Portugal Priester und Berater zum kongolesischen Königshof und Repräsentanten des Königs wurden auf Sao Tomé platziert. Zeitgleich eroberten die Spanier die Karibischen Inseln und Portugals Besiedlung Brasiliens befand sich in den Anfängen, womit der amerikanische Markt für Sklaven geöffnet war. Als in den 1560er Jahren das Königreich Kongo von afrikanischen Stämmen angegriffen wurde, leistete Portugal militärische Unterstützung, was 1576 zu einer festen Ansiedlung am Hafen Luandas führte. Von nun an wurden Sklaven nicht länger über die Zwischenstation Sao Tomé, sondern direkt vom Festland aus verschifft. Um 1600 überschritt schließlich der atlantische Sklavenhandel das Volumen des nördlichen und östlichen Sklavenexports, jedoch sollte es bis 1700 dauern, bis Sklaven alle anderen afrikanischen Exporte übertrafen.11

2.3. Afrikanischer Widerstand

Auffällig ist, dass der Großteil der Literatur, die sich mit dem atlantischen Sklavenhandel beschäftigt, die Betonung auf die Zahlen und Fakten des Handels legt.12 Oft vernachlässigt werden dabei die Sklaven selbst, ihr Erleben der gewaltsamen Trennung von ihren Familien und Gemeinden, die Beraubung jeglichen Rechts und die Verschleppung in ihnen vollkommen fremde Welten. Es entsteht häufig der Eindruck, als ob die Afrikaner sich widerstandslos ihrem Schicksal ergeben hätten.13 Abgesehen von einigen Ethnien, insbesondere deren sozial dominanten Schichten, die mit den portugiesischen Kolonialverwaltern kollaborierten, gab es auch ethnische Gruppen, die niemals den Kampf gegen die europäischen Eindringlinge aufgaben, so z.B. die legendäre Königin Nzinga aus dem Angolaraum im 17. Jh., deren Figur bis heute in der afro-brasilianischen Folklore überlebte.14

Die betroffenen afrikanischen Gemeinden und Stämme entwickelten verschiedene defensive wie auch offensive Strategien, um sich vor der Versklavung zu schützen. In Benin beispielsweise, so Elisée Soumonni, nutzten die Bewohner der seenreichen Gebiete die Landschaft als Schutz, indem sie Dörfer auf Stelzen am Rand oder auch in der Mitte von Seen ansiedelten, wodurch sie sich annähernde Angreifer frühzeitig sehen konnten, um dann entsprechende Maßnahmen einzuleiten.15 Auch andere landschaftliche Gegebenheiten wurden genutzt, um sich vor den Sklavenhändlern zu schützen, wie Thierno Bah mit seinen Forschungen unter anderem in Nigeria in der Sokoto Region herausfand. Gebirge, Höhlen, unterirdische Tunnel und Sumpfgebiete wurden durch Wälle und Festungen verstärkt, und giftige sowie dornige Bäume und Büsche wurden zur Abwehr gepflanzt, um Eindringlinge abzuwenden.16 Auffällig ist, dass diese Art der Abwehr den Beschreibungen der Verteidigungstaktiken der brasilianischen Quilombos, von geflüchteten Sklaven im Hinterland errichtete Dörfer, ähnelt.17

Nicht nur defensive sondern auch offensive Strategien wurden entwickelt, um sich gegen die Sklavenhändler zu verteidigen. John N. Oriji vermutet, dass im Gebiet des heutigen Nigerias Jugendliche militärische Ausbildungen absolvierten, um später Mitglied in der lokalen Miliz zu werden, die u. a. verantwortlich für die Verteidigung gegen Sklaventreiber war.18 Ausgerüstet waren sie mit Schießwaffen, Pfeil und Bogen, Schwertern und Speeren.

Detlef Schelsky verweist darauf, dass es keine Informationen darüber gibt, ob die Sklaverei in den Ursprungsgesellschaften der Sklaven als Institution allgemein akzeptiert gewesen ist, und dass geringes Wissen darüber besteht, wie das Verhältnis der Sklaven zu dieser Institution war.19 Aufgrund der Strategien, die die afrikanischen Gemeinden gegen den Sklavenhandel entwickelt und angewandt hatten, bezweifelt Oriji jedoch, dass der Sklavenhandel in Afrika eine normale kommerzielle Transaktion darstellte.20 Auch, dass Sklaven aufgrund der Kenntnis der Institution Sklaverei weniger Abneigung gegen dieselbe hatten, ist sehr fraglich.

[...]


1 Vgl. Zweig (1981: 157), zit. nach Schelsky (1994: 269)

2 Vgl. Hofbauer (1989: 30)

3 Siehe Klein (1999: 1 ff)

4 Ebd. S. 4

5 Vgl. Fernandes (1971: 96), zit. nach Schelsky (1994:277)

6 Vgl. Schelsky (1994: 277-278)

7 Fernandes (1978: 249), zit. nach Schelsky (1994: 271)

8 Vgl. Klein (1999: 4)

9 Vgl. ebd. S. 15

10 Ebd. S.10

11 Ebd. S.11

12 Vgl. Diouf (2003: ix)

13 Ebd.

14 Vgl. Hofbauer (1989: 11)

15 Siehe Soumonni (2003: 4 ff.)

16 Siehe Bah (2003: 16 ff.)

17 Siehe Hofbauer (1989: 15 ff.)

18 Siehe Oriji (2003: 123 ff.)

19 Vgl. Schelsky (1994: 278)

20 Vgl. Oriji (2003: 123)

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Von Afrika nach Brasilien - Über drei Jahrhunderte Sklaverei und ihre Folgen
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für romanische Sprachen und Literaturen)
Veranstaltung
Vom Afrikaner zum Afro-Brasilianer? Darstellungen in der brasilianischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V123904
ISBN (eBook)
9783640295753
ISBN (Buch)
9783640301683
Dateigröße
435 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Afrika, Brasilien, Jahrhunderte, Sklaverei, Folgen, Afrikaner, Afro-Brasilianer, Darstellungen, Literatur, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
Katharina Frank (Autor:in), 2005, Von Afrika nach Brasilien - Über drei Jahrhunderte Sklaverei und ihre Folgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123904

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