Physikalische Grundlagen im Berufsbildungsprozess für MalerInnen und LackiererInnen

Wahrnehmung und Verständigung als eine Basis für die Entwicklung von Handlungskompetenz


Examensarbeit, 2005

110 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Auswahl, Begründung und Darstellung des Unterrichtsgegenstandes
2.1 Das Lernfeld 1: Metallische Untergründe bearbeiten
2.2 Verarbeitungs- und Umgebungsbedingungen: Tauwasserbildung auf Beschichtungsuntergründen
2.3 Verarbeitungs- und Umgebungsbedingungen in der Norm, den Richtlinien und den Merkblättern
2.4 Das Wasser und seine Zustandsformen
2.4.1 Das Wassermolekül und die zwischenmolekularen Kräfte
2.4.2 Phasenübergang des Wassers I: Die Verdunstung
2.4.3 Phasenübergang des Wassers II: Die Kondensation
2.4.4 Die entscheidenden Einflussfaktoren für die Entstehung von Tauwasser
2.5 Die Bestimmung des Taupunktes bei Beschichtungsarbeiten
2.6 Der exemplarische Charakter des Unterrichtsgegenstandes Tauwasserbildung

3 Wahrnehmungs- und Lernpsychologische Voraussetzungen
3.1 Menschliche Wahrnehmungsprozesse
3.2 Begriffe: Resultat von Klassifikationen und Grundlage der Verständigung
3.3 Intention: Die Idee der ästhetischen Bildung in Berufsbildungsprozessen

4. Ästhetische Berufsbildungsprozesse: Ideenskizze für die Gestaltung einer konkreten Lernsituation am Beispiel des Unterrichtsgegenstandes T a u w a s s e r a u s f a l l
4.1 Schülerbezogene Planungsfaktoren
4.2 Unterrichtsziele
4.3 Der Unterrichtseinstieg
4.4 Die Erarbeitung durch die Lernenden
4.5 Der Transfer auf die bauliche Situation
4.6 Transfermöglichkeiten des Unterrichtsgegenstandes in weitere Lernfelder und Lernsituationen
4.6.1 Der ‚Taupunkt’ in literarisch-mythologischer Darstellung
4.6.2 ‚Schauer auf Bestellung’: Wasser als lebenswichtiger Rohstoff und begrenzte Ressource
4.6.3 Relative, maximale und tatsächliche Luftfeuchtigkeit als Gegenstand des Mathematikunterrichtes
4.6.4 Wärmebildaufnahme einer Fassade: Ermittlung der Ursachen für Algenbildung

5 Resümee

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

Berufliches Handeln ist primär an Frage- und Problemstellungen der Arbeitswirklichkeit orientiert. Dies bedeutet, dass das berufliche Handlungswissen in der direkten Lösung konkreter Problemsituationen entwickelt und anschließend zu routinierten Verfahrensweisen in den Arbeits- und Produktionsprozessen verfestigt wird. Durch die Neuordnung der Berufsbildungsprozesse in Lernfelder wird diesem Umstand entsprochen, indem angehenden Facharbeitern die Möglichkeit gegeben wird, sich berufliches Handlungswissen anhand der Bearbeitung konkreter beruflicher Problemstellungen anzueignen.

Der offensichtliche Vorteil dieser Vorgehensweise liegt darin, dass es den Lernenden im Rahmen der Wissensaneignung möglich ist, Bezüge zu den Ergebnissen ihrer subjektiven Auseinandersetzung mit der Arbeitswirklichkeit herzustellen und so einer Ablösung des berufsfachlichen Wissens von den beruflichen Handlungen entgegen- zuwirken. Der Nachteil einer engen Bindung des berufsfachlichen Wissens an ganz konkrete berufliche Situationen liegt in dem Risiko, dass die gewonnenen Erkenntnisse und das Handlungswissen durch die Lernenden eng mit der einen beispielhaften Problemsituation verknüpft werden. In solchen Fällen eignen sich die Auszubildenden kein Handlungs- und Problemlösungswissen sondern vielmehr schema- tisches Musterwissen an. Ein solches Fachwissen ist allein nicht ausreichend, um auf die komplexer werdenden Anforderungen der Arbeits- und Lebenswelt angemessen reagieren zu können. Angemessen reagieren meint in diesem Zusammenhang das Vermögen, sich auch in unbekannten beruflichen und privaten Problemsituationen kreativ, sozial und eigenständig handelnd bewähren zu können.

In Berufsbildungsprozessen müssen daher die Fähigkeiten geschult werden, Probleme zu erkennen, sie gezielt nach ihrem grundsätzlichen Wesen zu befragen und sich über Handlungsmöglichkeiten in der Gruppe zu verständigen. Nur so können die Auszubildenden darauf vorbereitet werden, kompetent und verantwortungsbewusst mit beruflichen und privaten Problemsituationen umzugehen. Die Fähigkeit, die Umwelt bewusst wahrzunehmen und das Vermögen zu einer sinnvollen Verständigung über die subjektiven Interpretationen dieser Wahrnehmungserfahrungen bilden eine wesentliche Basis für die Entwicklung von Handlungskompetenz.

In der folgenden Arbeit sollen anhand eines exemplarischen Unterrichts- gegenstands Wege und Möglichkeiten der Vermittlung aufgezeigt werden. Im Zentrum steht hierbei der Ansatz, den Lernenden Raum und Zeit zu geben, sich intensiv mit Wahrnehmungserfahrungen auseinander zusetzen und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Unter Bezugnahme auf ein berufliches Handlungsfeld von Malern- und Lackierern und Bauten- und Objektbeschichtern soll aus einer komplexen farbtechnischen Problemsituation das zugrunde liegende physikalische Phänomen erschlossen, als Unterrichtsgegenstand benannt und begründet werden. Für die Vermittlung dieses Unterrichtsgegenstandes sollen Methoden erarbeitet werden, bei denen Wahrnehmung, Kreativität und Abstraktionsvermögen der Lernenden gefordert und gefördert werden.

Die Auswahl, Begründung und Darstellung des Unterrichtsgegenstandes erfolgt im zweiten Kapitel der Arbeit. Es werden das berufliche Handlungsfeld sowie die didaktische Aufbereitung im entsprechenden Lernfeld dargestellt. Als Unterrichtsgegenstand werden wesentliche physikalische Grundlagen herausgearbeitet und unter Gesichtspunkten der Vermittlung im Berufsbildungsprozess untersucht. Im dritten Kapitel der Hausarbeit werden grundlegende wahrnehmungs- und lernpsychologische Fragestellungen erörtert. Im wesentlichen geht es hierbei um die Zusammenhänge menschlicher Wahrnehmungsprozesse mit der Entwicklung von Begriffen. Auch die Verständigungsmöglichkeiten zwischen Individuen mit Begriffen über Begriffe und über die - den Begriffen zugrunde liegenden - Wahrnehmungsgegenstände werden im Rahmen dieses Kapitels erörtert. Im vierten Kapitel werden Möglichkeiten der Vermittlung des Unterrichtsgegenstandes skizziert. Dies geschieht zum Einen, indem eine konkrete Lehr-Lernsituation entwickelt, geplant und dargestellt wird. Zum Anderen werden Möglichkeiten aufgezeigt, anhand des gegebenen Unterrichtsgegenstands verschiedene, ursprünglich fachsystematische, Themenbereiche durch Lernende erarbeiten zu lassen.

Der Form halber wird darauf hingewiesen, dass - aus Gründen der Lesbarkeit - bei der Nennung von Personen und Titeln die weibliche Form im Folgenden nicht explizit ausgeschrieben wird (z.B. Maler/-innen und Lackierer/-innen). Sie gilt jedoch als berücksichtigt.

2 Auswahl, Begründung und Darstellung des Unterrichtsgegenstandes

„Der didaktisch noch gar nicht qualifizierte, vieldeutige Inhalt [...] wird erst im Lichte bestimmter, auf den Schüler bezogener Fragestellungen zum Unterrichts- thema“ (Klafki 1996, 260)

Im folgenden Kapitel werden anhand eines beruflichen Handlungsfeldes von Malern und Lackierern sowie Bauten- und Objektbeschichtern1 wesentliche physikalische Grundlagen herausgearbeitet und als Unterrichtsgegenstand für die Vermittlung in einem entsprechenden Lernfeld präzisiert. Daran anschließend werden die physikalischen Grundlagen hinsichtlich ihrer naturwissenschaftlichen Gesetzmäßig- keiten erörtert und so grundlegende Planungsfaktoren für die Gestaltung einer Lehr-Lernsituation geschaffen.

2.1 Das Lernfeld 1: Metallische Untergründe bearbeiten

Die vorliegende Planung einer Lehr-Lernsituation ist ausgelegt für angehende Maler und Lackierer sowie Bauten- und Objektbeschichter im ersten Lehrjahr. Die Auswahl des Unterrichtsgegenstandes orientiert sich an dem beruflichen Handlungsfeld des ‚ Ausführens von Korrosionsschutzarbeiten’ und damit des Beschichtens von metallischen und eisenmetallischen Untergründen. Das berufliche Handlungsfeld ist im Rahmenlehrplan für Maler und Lackierer sowie Bauten- und Objektbeschichter als Lernfeld Eins2: „Metallische Untergründe bearbeiten“ aufgeführt. Der Zeitrichtwert des Lernfeldes beträgt 60 Stunden; die Ziele3 sind im Rahmenlehrplan folgendermaßen definiert:

“Die Schülerinnen und Schüler planen nach Kundenauftrag die Bearbeitung metallischer Untergründe und führen diese aus. Sie informieren sich über das Zusammenwirken der an der Auftragsplanung und -Abwicklung Beteiligten. Die Schülerinnen und Schüler beachten betriebliche Gegebenheiten. Sie informieren sich aus Arbeitsanweisungen und planen Arbeitsabläufe im Team. Die Schülerinnen und Schüler unterscheiden und prüfen metallische Untergründe und wählen Bearbeitungsmaßnahmen aus. Sie ermitteln Kennwerte und Daten aus technischen Plänen und Merkblättern. Die Schülerinnen und Schüler richten den Arbeitsplatz unter Beachtung der Arbeitsschutzvorschriften und des Umweltschutzes ein. Sie verarbeiten Werk-, Hilfs- und Beschichtungsstoffe, setzen Werkzeuge und Geräte ein, warten und pflegen diese. Die Schülerinnen und Schüler beachten Unfallverhütungsvorschriften, Grundsätze des Transports, der Lagerung und Entsorgung von Materialien. Sie berücksichtigen ökonomische Aspekte und den Schutz von Mensch und Umwelt bei der Ausführung. Sie vergleichen und bewerten Arbeitsergebnisse. Die Schülerinnen und Schüler dokumentieren und präsentieren Ergebnisse und nutzen Datenverarbeitung” (KMK 2003, 9).

Zusätzlich zu den Zielformulierungen sind im Rahmenlehrplan vorgesehene Inhalte des Lernfeldes aufgeführt. Mit ihnen wird eine “didaktisch begründete Auswahl der berufsfachlichen Inhalte” benannt, welche den “Mindestumfang beschreiben, der zur Erfüllung des Ausbildungsziels im Lernfeld erforderlich ist” (KMK 2000, 16). Mit den formulierten Inhalten wird durch die KULTUSMINISTERKONFERENZ keine fachsystematische Vollständigkeit angestrebt, jedoch durchaus der Anspruch auf sachlogischen Aufbau der „berufsfachlichen Inhalte“ erhoben (vgl. ebd., 17). Folgende Inhalte werden für das Lernfeld Eins aufgeführt:

“Untergrundmängel

Reinigungs- und Entrostungsverfahren

Chemische und physikalische Bedingungen

Merkblätter, Technische Richtlinien und Normen Bedienungsanleitungen

Applikationsverfahren Abdeckarbeiten

Gefahrstoffverordnung

Ordnung am Arbeitsplatz Materialbedarf

Zeitbedarf”

(vgl. KMK 2003, 9).

Die vorgesehene Auswahl und Begründung des Unterrichts- gegenstandes Tau wasse rbi ldun g sowie die Planung von Ver- mittlungsmöglichkeiten, ist an folgenden Zielformulierungen orientiert:

1. Die Auszubildenden „informieren sich aus Arbeitsanweisungen und planen Arbeitsabläufe im Team“,
2. Die Auszubildenden „prüfen metallische Untergründe“ und „ermitteln Kennwerte und Daten aus technischen Plänen und Merkblättern“.
3. Die Auszubildenden „dokumentieren und präsentieren Ergebnisse“.

(KMK 2003, 9).

In Anlehnung an die Richtlinien der KULTUSMINISTERKONFERENZ werden die folgenden berufsfachlichen Inhalte für die Auswahl des Unterrichtsgegenstandes zugrundegelegt:

- „Chemische und physikalische Bedingungen“
- „Merkblätter, Technische Richtlinien und Normen“
- „Bedienungsanleitungen“

(KMK 2003, 9).

2.2 Verarbeitungs- und Umgebungsbedingungen:

Tauwasserbildung auf Beschichtungsuntergründen

Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf den Planungsprozess des Malers und Lackierers sowie Bauten und Objektbeschichters, der zwischen dem Vorbereiten und dem Beschichten eines Untergrundes stattfindet. Ein wesentlicher Teil dieses Planungsprozesses besteht in der Auseinandersetzung des Facharbeiters mit dem ausgewählten Beschichtungsstoff. Die vom Hersteller formulierten Eigenschaften und Anforderungen an den Beschichtungsuntergrund und die während der Verarbeitung geforderten Untergrund- und Umgebungsbedingungen müssen durch den ausführenden Facharbeiter im Vorfeld der Arbeiten berücksichtigt werden. Nur so kann ein fach- und normgerechtes, ökonomisch und ökologisch nachhaltiges Arbeitsergebnis erzielt werden.

Für das berufliche Handlungsfeld des Ausführens von Korrosionsschutzarbeiten stellt das Risiko von Tau- bzw. Kondenswasserbildung auf dem Beschichtungsuntergrund einen maßgeblichen Planungsfaktor dar. Tauwasserausfall während der Beschichtungsarbeiten oder im Trocknungszeitraum des Anstrichstoffes kann dazu führen, dass die Stabilität des gesamten Beschichtungssystems beeinträchtigt wird. Der direkte Kontakt mit Wasser bildet stets eine Belastung für Baukonstruktionen, Werkund Baustoffe. Dies gilt besonders für eisenmetallische Untergründe und die - durch Einfluss von Wasser begünstigten - Auslösung von Korrosionsprozessen. Kaum wahrnehmbare Schichten kondensierten Wassers wirken sich negativ auf die Anhaftung des Beschichtungsstoffes aus und führen langfristig zu Unterrostung, Blasenbildung und zur Ablösung der Farbe. Der Ausfall von Taufeuchte auf metallischen Beschichtungs- untergründen ist daher zu verhindern. Ist dies nicht möglich, so darf es nicht zu Beschichtungsarbeiten kommen. Ausnahmen - wie z.B. der Einsatz von Taufeuchtfarben - sind möglich. Sie sind jedoch nicht die Regel und werden im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft. (vgl. CEN 1998, 5).

2.3 Verarbeitungs- und Umgebungsbedingungen in der Norm, den Richtlinien und den Merkblättern

Für die Durchführung von Korrosionsschutzmaßnahmen ist die EN ISO 12944: ‚Korrosionsschutz von Stahlbauteilen durch Beschichtungssysteme’ maßgeblich. In Teil 7 der EN ISO 12944 ist die ‚ Ausführung und Überwachung der Beschichtungsarbeiten an Stahlbauten im Werk oder auf der Baustelle’ geregelt. Dieser Teil der Norm hat keine Gültigkeit für die Oberflächenvorbereitung im Vorfeld der Beschichtungsarbeiten (EN ISO 12944-4), das Aufbringen von Überzügen4 oder die Durchführung spezieller Vorbehandlungsverfahren, wie Phosphatieren und Chromatieren5 (vgl. CEN 1998, 3)6. Die EN ISO 12944-7 bezieht sich auf die Verarbeitungsbedingungen und die Verfahren der Beschichtung. Des Weiteren gibt die Norm Auskunft über Art und Weise des Messens, Prüfens und Bewertens von Untergrund, Beschichtungsstoff und -system.

Sowohl in der EN ISO 12944-7, als auch in den Technischen Merkblättern der Hersteller von Beschichtungsstoffen für eisenmetallische Untergründe finden sich Hinweise auf das naturwissenschaftliche Phänomen der Entste hung von Ta u- wasser auf Beschichtungsuntergründe und die negativen Folgen, die dieser Vorgang für Beschichtungssysteme haben kann. Gemäß den Richtlinien und Merkblättern gilt es, die Entstehung von Tauwasser zu vermeiden bzw. auf die Beschichtungsarbeiten zunächst zu verzichten, sollte sich Feuchtigkeit auf dem Untergrund bilden:

- „Auf taufeuchte Oberflächen dürfen nur solche Beschichtungsstoffe aufgetragen werden, die im technischen Datenblatt oder nach Zustimmung des Herstellers hierfür zugelassen sind“ (CEN 1998, 5)
- „Beschichtungsstoffe dürfen nicht auf Oberflächen aufgetragen werden, wenn die Temperatur der Oberfläche weniger als 3°C über dem Taupunkt der Luft […] liegt“ (CEN 1998, 5),
- „Taupunkt während Verarbeitung und Antrocknung beachten, Taupunktabstand > 3K“ (PERMATEX 2003, 2),
- „Taupunkttemperatur beachten“ (BRILLUX 2004, 2).

Der Taupunkt

„Überall sind es die Operationen, welche die Begriffe definieren, und der Unterricht muß daher den Schüler dazu bringen, diese Operationen zu vollziehen […]. Bevor der Lehrer also die Aufgabe der praktischen Verwirklichung einer Unterrichtseinheit beginnt, muß er sich darüber klar werden, welche Operationen denBegriffen zugrunde liegen, die er die Schüler erwerben lassen will“ (AEBLI 1976, 87).

Als Taupunkt wird der Schwellenwert beim Phasenübergang des Wassers vom gasförmigen in den flüssigen Zustand bezeichnet. Der Taupunkt der Luft wird als Temperatur in Grad Celsius gemessen und beschreibt einen bestimmten energetischen Zustand der Luft. Um sinnvolle Wege und Möglichkeiten der Vermittlung dieses naturwissenschaftlichen Phänomens im Berufsbildungsprozess entwickeln zu können, muss das spezifische Verhalten des Wassers in Abhängigkeit von Wärmeenergie geklärt und präzisiert werden.

2.4 Das Wasser und seine Zustandsformen

„Wenn man behauptet, Wasser sei eine höchst ungewöhnliche Flüssigkeit, mag das absurd erscheinen - etwa so, als bezeichne man Brot als höchst ungewöhnliches Nahrungsmittel. Wasser ist doch gewiß die vertrauteste und am meisten verbreitete aller Flüssigkeiten?“

(BALL 2001, 197)7

Wasser tritt in drei Aggregatzuständen auf: In flüssiger Form, in fester Form als Eis und in gasförmiger Phase als Wasserdampf. Der Übergang des Wassers von der flüssigen in die gasförmige Form wird Verdunstung, der umgekehrte Prozess Kondensation genannt. Wird gefrorenes Wasser zu flüssigem Wasser, so wird vom Schmelzen gesprochen, der Weg vom flüssigen Wasser zum Eis heißt Gef rieren. Ohne den Weg über die flüssige Phase zu nehmen, kann Eis direkt zu Wasserdampf sublimie re n. Die direkte Um- wandlung von Wasserdampf zu Eis wiederum heißt De position (vgl. BLOCK 2002, 40).

Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen soll der Phasenübergang des Wassers von der flüssigen in die gasförmige Form und umgekehrt stehen. Da die Bindungsart und -stärke der Moleküle untereinander für die Aggregatzustände von Stoffen und die Phasenübergänge entscheidend ist, soll im Folgenden das Augenmerk auf die Wasser- moleküle und ihre Bindungsformen in verschiedenen Energiezuständen gelenkt werden.

2.4.1 Das Wassermolekül und die zwischenmolekularen Kräfte

„Ihre Hände sind die Wasserstoffatome, Ihre Fußknöchel die freien Elektronenpaare des Sauerstoffs. Stellen Sie die Beine auseinander (wenn Sie einen Winkel von etwa 109° hinbekommen, ist das sehr gut - aber Sie sollten nichts erzwingen). Drehen Sie sich in der Hüfte um 90° und strecken Sie die Arme aus - schon sind Sie H2O. Für die wechselseitige Anlagerung von Wassermolekülen gibt es nur eine Regel: Hände können Knöchel ergreifen und sonst nichts. Dieser Griff ist eine Wasserstoffbrücke“

(BALL 2001, 214).

Das Wassermolekül H2O bildet sich aus der Sauerstoffverbindung des Wasserstoffs. Die physikalische Bezeichnung lautet Wasserstoffoxid. Das Wassermolekül besteht aus einem Sauerstoff und zwei Wasserstoffatomen. Das Sauerstoffatom hat zwei Bindungsrichtungen, die in einem Winkel von ca. 105° zueinander stehen. Aus diesem Winkel ergibt sich für das Wassermolekül die Form eines annähernd gleichmäßigen Tetraeders.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Wassermolekül (http://www-computerlabor.math.uni- kiel.de/~xrendtel/meerstr/eigen/tex/eigenli1.html (03.10.2005))

Zwei der vier Ecken dieses dreiseitigen Körpers werden durch die Wasserstoffatome, die anderen beiden durch jeweils zwei Elektronen besetzt. Es handelt sich dabei um Elektronen aus der äußeren Hülle des Sauerstoffatoms, die nicht an der Bindung zwischen „den Atomen des Moleküls beteiligt sind, aber dennoch irgendwo hinmüssen“ (BALL 2001, 211). Zwischen Wasserstoff- und Sauerstoffatom herrscht eine große Elektronegativitätsdifferenz, sie bedingt eine starke Polarisierung der Wassermoleküle.

Als Elektronegativität wird ein Maß für das Bestreben eines Atoms bezeichnet, innerhalb eines Moleküls Bindungselektronen an sich zu ziehen. Die Elektronegativität ist eine dimensionslose Zahl, dem Atom mit der höchsten Elektronegativität, dem Fluoratom, wird willkürlich die EN 4,0 zugeordnet, die Werte aller anderen Atome beziehen sich auf diesen Wert. Die Elektronegativität von Sauerstoff beträgt 3,5, die des Wasserstoffs 2,1 (vgl. DUDEN 2001, 110). Dies bedeutet, dass das Sauerstoffatom die beiden bindenden Elektronenpaare stärker an sich zieht. Die Elektronenwolke des Moleküls ist daher unsymmetrisch. Das gesamte Molekül trägt an der Seite des Wasserstoffs eine positive Partialladung (ä+), an der S eite des S auers toffs eine negative Partialladung (ä-). Ein solches Molekül wird als Dipolmolekül bezeichnet, da es einen positiven und einen negativen Pol besitzt (vgl. ANDERS 1983, 8).

Befinden sich zwei polare Moleküle nebeneinander, so richten sie sich entsprechend ihrer Polarität (+-+-) zueinander aus und ziehen sich, wie Magnete, mit polaren Kräften gegenseitig an. Solche Bindungen werden nicht als Atom-, sondern als Wasserstoffbrückenbindungen bezeichnet. Wasserstoffbrücken- bindungen zählen zu den Dipol-Dipol-Kräften. Sie bewirken den Zusammenhalt der Moleküle in größeren Aggregaten, wie z.B. in Kristallen oder Flüssigkeiten. Solche intermolekularen Kräfte beeinflussen die Höhe des Siede- und Schmelzpunktes sowie die

Löslichkeit von Verbindungen (vgl. DUDEN 2001, 434).

Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den einzelnen H2O- Molekülen bewirken, dass Wasser einen - für seine molekulare Struktur - ungewöhnlich hohen Schmelz- und Siedepunkt hat. Ohne die hohen Bindungskräfte der Wasserstoffbrückenbindungen, würde Wasser nicht bei 0°C schmelzen und bei 100°C sieden. Beide Phasenübergänge würden bereits bei zwei- bis dreistelligen Minustemperaturen stattfinden. Die Folge wäre, dass es auf der Erde kein gefrorenes Eis und kein flüssiges Wasser, sondern lediglich gasförmigen Wasserdampf gäbe. Das Leben auf der Erde könnte unter diesen Bedingungen in der heutigen Form nicht existieren (vgl. BALL 2001, 212).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: flüssiges Wasser (vgl. www-computerlabor.math.uni- kiel.de/~xrendtel/meerstr/eigen/tex/eigenli1.html).

2.4.2 Phasenübergang des Wassers I: Die Verdunstung

„Die drei Zustandsformen - fest, flüssig, gasförmig - kann man sich wie verschiedene Länder auf einer Karte vorstellen, und bei einer Reise von einem zum anderen muß man Grenzen überschreiten, die geographisch genau festgelegt sind“

(BALL 2001, 198).

Eine Situation, in der die Wassermoleküle ihren flüssigen Zustand durch Lösung der Wasserstoffbrückenbindungen aufgeben und als Einzelmoleküle in den gasförmigen Zustand übergehen, wird als Verdampfen oder Verdunsten von Wasser bezeichnet. Der Übergang des Wassers von der flüssigen in die gasförmige Phase findet immer statt, wenn Wasser und Luft in direktem Kontakt zueinander stehen. Oberhalb des Siedepunktes von Wasser (100°C) durch V e r d a m p f e n , unterhalb des Siedepunktes durch Verdunsten. Der Unterschied zwischen Verdunsten und

Verdampfen besteht darin, dass die Verdunstung allein an der Oberfläche des Wassers stattfindet, während bei dem Verdampfen das Gesamtvolumen der Flüssigkeit betroffen ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: gasförmiges Wasser

(vgl. www-computerlabor.math.uni-

kiel.de/~xrendtel/meerstr/eigen/tex/eigenli1.html).

Um die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen zwei Molekülen zu lösen, müssen diese durch Arbeit überwunden werden. Die Arbeitsintensität innerhalb eines Stoffes entsteht aus der Bewegung seiner Moleküle. Diese ist abhängig von seinem Energiezustand. Die mechanische Energie der Molekül- bewegungen wird als Wärmemenge eines Stoffes beschrieben (vgl. STUART/KLAGES 2000, 83). Ist die Geschwindigkeit der Schwingungen einzelner Moleküle in der Flüssigkeit über- durchschnittlich hoch und analog zu der Bewegungsintensität von Molekülen im Gasraum, so wechseln die Moleküle von der flüssigen in die gasförmige Phase. Begründet ist dieser Vorgang dadurch, dass die polaren Kräfte zwischen den Molekülen nur auf eine sehr kurze Distanz wirksam sind. Mit zunehmender Schwingungsintensität vergrößert sich dieser Abstand so weit, dass die polaren Anziehungskräfte ihre Wirksamkeit verlieren und die Moleküle einzeln und ungebunden in den Luftraum über der Flüssigkeit übergehen können (vgl. STUART/KLAGES 2000, 99/ 105).

Die benötigte Energie zur Erhöhung der Schwingungsintensität einzelner Wassermoleküle wird der Wärmemenge der direkten Umgebung einer verdunstenden Flüssigkeit entzogen, so dass sie abkühlt. Diese Abkühlung kann an der direkten Verdunstungs- umgebung gemessen und wahrgenommen werden. Durch die Umwandlung von Wärmeenergie in mechanische Energie der Wassermoleküle, ist im Dampfraum allerdings keine Temperaturerhöhung messbar. Dieser Vorgang wird als Speicherung von latenter8 Wärme bezeichnet (vgl. DUDEN 1974, 237).

2.4.3 Phasenübergang des Wassers II: Die Kondensation

„Die Wärme, die das Gas beim Übergang vom flüssigen Zustand aufnimmt, heißt latente (verborgene) Wärme, weil sie versteckt scheint und sich nicht in erhöhter Temperatur äußert. Die latente Wärme wird wieder frei, wenn ein Gas zu Flüssigkeit kondensiert“

(BALL 2001, 199).

Kondensation von Wasser aus der Luft wird durch Abkühlung der Luft verursacht. Diese Abkühlung hat ihre Ursache in einem Energiegefälle vom Luftraum zu dessen direkter Umgebung. Dies ist der Fall, wenn Luft mit einem kalten Gegenstand in Kontakt kommt. Um einen Energieausgleich innerhalb des Systems beider Stoffe herzustellen, wird die latente Energie der schwingenden Wassermoleküle als Wärme an die kältere Umgebung abgegeben. Hierbei nimmt die Bewegungsenergie der Wassermoleküle ab. Durch die reduzierte Schwingungsintensität der Moleküle können die polaren Anziehungskräfte zwischen den Molekülen wieder in Kraft treten, die Wasserstoffbrückenbindungen werden erneut aufgenommen - flüssiges Wasser entsteht und lagert sich in feinsten Tropfen an K o n d e n s a t i o n s k e r n e n ab. Kondensations- kerne können feinste Schwebstoffe, Staub- und Schmutzpartikel in der Luft oder größere Flächen und Körper sein (vgl. BALL 2001, 199).

Mit der Abkühlung der Luft verringert sich ebenfalls das Volumen des abgekühlten Luftraumes. Damit ist ein zunehmend eingeschränktes Vermögen der abkühlenden Luft verbunden, Wassermoleküle aufnehmen zu können. Luft kann nur eine bestimmte Menge Wasserdampf pro Kubikmeter aufnehmen; dieses Vermögen steht in direkter Abhängigkeit von der Lufttemperatur. Wird die maximale Wasserdampfaufnahme- kapazität der Luft überschritten, wird die Luft als gesättigt bezeichnet (vgl. STUART/KLAGES 2000, 105).

Aus der folgenden Tabelle wird die Abhängigkeit der Wasserdampfaufnahmekapazität von der Lufttemperatur deutlich:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Luftfeuchte in Abhängigkeit von der Temperatur (vgl. BABLICK/FEDERL 1997, 109)

2.4.4 Die entscheidenden Einflussfaktoren für die Entstehung von Tauwasser

„Die relative Luftfeuchte bezeichnet das Verhältnis zwischen in der Luft vorhandener Wasserdampfmenge […] zur höchstmöglichen Aufnahmemenge bei einer bestimmten Temperatur“

(BLOCK 2002, 37)

Mit der m axima len Lu f tfe uchtigkeit wird die größtmögliche Menge Wasserdampf, die in einem Kubikmeter Luft enthalten sein kann, beschrieben. Die maximale Luftfeuchtigkeit ist abhängig von der Temperatur der Luft. Warme Luft kann eine größere Menge Wasserdampf aufnehmen, als kalte Luft. Die in einer bestimmten Situation tatsächlich gemessene Menge des Wasserdampfes in Gramm pro Kubikmeter Luft wird tatsächliche oder ab sol ute Luftfeuchtigkeit (vgl. BABLICK/FEDERL 1997, 108f; BLOCK 2002, 38) genannt.

Aus dem Verhältnis der maximalen und der tatsächlichen Luftfeuchtigkeit zueinander ergibt sich die relative Luftfeuchtigkeit. Mit der relativen Luftfeuchtigkeit wird angegeben, zu wie viel Prozent ein Kubikmeter Luft mit Wasserdampf gesättigt ist (BLOCK 2002, 37). Wenn die Luft maximal mit Wasserdampf gesättigt ist, beträgt die relative Luftfeuchtigkeit 100%. Der Da mpfsättig ungspun kt der Luft ist erreicht und es kommt zum Ausfall von Wasser aus der Luft. Der Punkt, an dem dies geschieht, wird als Kondensationspunkt oder Tau punkt bezeichnet.

Mit Blick auf das naturwissenschaftliche Phänomen der Entstehung von Tauwasser und die wesentlichen Vermittlungsinhalte im Berufsbildungsprozess können folgenden Aussagen festgehalten werden:

- Das Wasseraufnahmevermögen der Luft ist abhängig von der Lufttemperatur. Kalte Luft kann weniger Wasser in dampfförmiger Form aufnehmen, als warme Luft.
- Die relative Luftfeuchtigkeit gibt an, zu wie viel Prozent das Wasseraufnahmevermögen der Luft im Moment des Messens ausgeschöpft ist.
- Wird Luft bei gleich bleibendem Wassergehalt über einen bestimmten Schwellenwert hinaus abgekühlt, so fällt Tauoder Kondenswasser aus der Luft aus. Dieser Schwellenwert heißt Tau punkt.
- Wenn Wasser kondensiert, wird Wärmeenergie an die Umgebung abgegeben, wenn es verdunstet, wird der Umgebung Wärmeenergie entzogen.

2.5 Die Bestimmung des Taupunktes bei Beschichtungsarbeiten

Nach der EN ISO 8502-4: „Prüfungen zum Beurteilen der

Oberflächenreinheit“ wird das Auftreten von Tauwasserbildung am Beschichtungsuntergrund nach dem Grad der ‚Wahrscheinlichkeit’ eingeschätzt. Dies ist dadurch begründet, dass die Taubildung und das Verdunsten von Wasser durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird. Zu diesen zählen unter anderem die Wärmeleitfähigkeit der Konstruktion, Sonnenbestrahlung der Oberfläche, die Bewegung der die Konstruktion umgebenden Luft oder die Verunreinigung der Oberfläche durch hygroskopische1Substanzen (vgl. CEN 1999, 3). Diese Wahrscheinlichkeit wird anhand der Lufttemperatur, der relativen Luftfeuchtigkeit und der Oberflächentemperatur des Beschichtungsuntergrundes ermittelt.

Um die Wahrscheinlichkeit von Tauwasserbildung auf dem Beschichtungsuntergrund einschätzen zu können, müssen von Facharbeitern folgende Messungen am Arbeitsplatz vorgenommen werden:

- Die Temperatur der Luft in °C,
- Die relative Luftfeuchtigkeit in %,
- Die Temperatur der Oberfläche des Beschichtungsuntergrundes in °C.

Gemäß EN ISO 8502-4 sollen für die Messung der Lufttemperatur Quecksilberthermometer oder digitale elektronische Thermometer, die auf +/-0,5°C genau anzeigen, verwendet werden. Für die Messung der relativen Luftfeuchtigkeit dürfen Aspirations-Psychrometer und Schleuderhygrometer sowie digitale elektronische Hygrometer verwendet werden, sofern sie eine Messgenauigkeit auf +/-3% aufweisen. Für die Messung der Oberflächentemperatur werden digitale elektronische Thermometer eingesetzt, die eine Messgenauigkeit von +/-0,5°C haben. Magnetische Oberflächenthermometer dürfen dann verwendet werden, wenn sie solange auf der Oberfläche angebracht sind, dass sie die Temperatur des Beschichtungsuntergrundes annehmen und somit eine hinreichende Genauigkeit in der Messung gewährleisten (vgl. CEN 1999, 3) Einige kombinierte Messgeräte, mit denen gleichzeitig die Lufttemperatur, die relative Luftfeuchtigkeit, die Oberflächentemperatur und die Taupunkttemperatur bestimmt werden können, sind im Anhang dargestellt (siehe Anhang: „Messgeräte zur Ermittlung des Taupunktes“, S.76,77 ). Anhand der Messwerte kann der Taupunkt der Luft aus der Taupunkttabelle gemäß EN ISO 8502-4 abgelesen werden. Parameter sind hierfür die Lufttemperatur und die relative Luftfeuchtigkeit:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Auszug aus der Taupunkttabelle (vgl. CEN 1999, 5ff)

Wie diese Tabelle zu lesen ist, soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden. Bei einer Lufttemperatur von 10°C und einer relativen Luftfeuchte von 80% liegt der Taupunkt bei 6,7°C. Dieser Wert gibt an, auf welche Temperatur die 10°C warme und zu 80% gesättigte Luft abkühlen muss, um eine relative Luftfeuchtigkeit von 100% zu erreichen und den Ausfall von Tauwasser zu bewirken. Kalte Beschichtungs- untergründe und Objekte können diese Abkühlung der Luft bewirken und bieten sich gleichzeitig als Kondensationskörper an. Nach der EN ISO 8502-4 und der EN ISO 12944-7 muss die Oberflächentemperatur des Beschichtungsuntergrundes mindestens 3°C über der Taupunkttemperatur liegen, sofern nicht ein Arbeiten mit Beschichtungsstoffen vorgesehen ist, die Feuchtigkeit auf der zu beschichtenden Oberfläche vertragen (vgl. CEN 1999, 3ff).

Beträgt die Differenz zwischen Oberflächentemperatur und Taupunkttemperatur mehr als die geforderten 3°C, so kann die Wahrscheinlichkeit von Tauwasserbildung als gering eingeschätzt werden.,Beträgt sie weniger als 3°C, so sollte die Wahrscheinlichkeit von Tauwasserbildung als hoch eingeschätzt werden (vgl. CEN 1999, 3). Weiterhin ist es wichtig, dass durch den ausführenden Facharbeiter eingeschätzt wird, ob die Temperatur im Laufe des Beschichtens oder innerhalb der Trocknungszeit der Beschichtung soweit fallen kann, dass es zum Ausfall von Tauwasser kommt. Beschichtungsarbeiten bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 85% und höher sind stets als kritisch zu bewerten, da der Taupunkt bei einer solchen Luftfeuchtigkeit nur 2,5°C oder weniger von der Lufttemperatur entfernt ist. Ab einer Luftfeuchtigkeit von 92%, bzw. einer Differenz zwischen Taupunkttemperatur und Lufttemperatur von 1,3°C und weniger, sollte nur beschichtet werden, wenn sicher ist, dass die Bedingungen konstant bleiben oder sich verbessern (vgl. CEN 1999, 3).

Vor und während der Beschichtungsarbeiten werden die benötigten Messwerte mit Hilfe spezieller Messgeräte ermittelt. Dies können magnetisch haftende Oberflächenthermometer und Hygrometer sein, die gleichzeitig die Taupunkttemperatur mit angeben, so dass der Blick in die Taupunkttabelle am Arbeitsplatz nicht notwendig ist.

2.6 Der exemplarische Charakter des Unterrichtsgegenstandes Tauwasserbildung

Die Bedeutung des naturwissenschaftlichen Phänomens der Tauwasserbildung beschränkt sich nicht auf das berufliche Handlungsfeld des Ausführens von Korrosionsschutzmaßnahmen, da der Einfluss von Wasser stets eine Belastung für Werkstoffe und Beschichtungssysteme darstellt. Sowohl im Innen-, als auch im Außenbereich kann die Entstehung von Tauwasser zu erheblichen Schäden führen. Schäden können Schimmelpilzbefall, Algenbildung, verstärkte Staubablagerung und Verschmutzung der Oberfläche, Korrosion, Abbau von Gipsputzen und ein ungesundes Raumklima sein (vgl. FEDERL 2001, 670). Diese Schäden entstehen in baulichen Situationen, in denen Luft unter ihre Taupunkttemperatur abgekühlt wird, so dass diese Bereiche regelmäßigem Einfluss von Feuchtigkeit ausgesetzt sind (siehe Anhang: „Schimmelbildung“, S. 79).

Schäden durch Tauwasserbildung entstehen hauptsächlich in Raumecken, schlecht gedämmten Wandbereichen oder hinter Möbeln, Bildern etc., also in Bereichen, an denen ein ausreichender Luftwechsel nicht möglich und ein Abtrocknen des Tauwassers verzögert wird. Algenbildung im Außenbereich kann an gedämmten Außenfassaden entstehen. Durch die Dämmung sind diese kühl, so dass sich Tauwasser an ihnen niederschlägt und - ebenfalls durch die relative Kälte - schlecht wieder abtrocknen kann.

Die Luftfeuchtigkeit kann sich nicht allein auf Oberflächen niederschlagen, sondern ebenso in ihnen. Dies gilt für poröse Baustoffe, in deren feinen Kapillaren es zur Kapillarkondensation von Wasser kommt. Aufgrund des geringen Durchmessers der Kapillaren, verringert sich der Sättigungsdampfdruck in ihnen, so dass poröse Baustoffe Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen, noch bevor sich auf der Oberfläche Tauwasser bildet. Für die Arbeit von Malern und Lackierern sowie Bauten- und Objektbeschichtern ist es wichtig, diese kritischen Bereiche zu erkennen und zu wissen, wie sie zu behandeln sind, um mögliche Schäden vermeiden zu können.

„Bei niedriger Temperatur und/oder höherer Luftfeuchtigkeit längere Trocknungszeit berücksichtigen“ (Brillux 2004, 2).

Neben dem Auftreten diverser Schadensbilder, spielt das Wissen um die Begriffe der Luftfeuchtigkeit und die damit einhergehenden chemischen und physikalischen Prozesse eine wesentliche Rolle im täglichen Umgang von Malern und Lackierern sowie Bauten- und Objektbeschichtern mit den Beschichtungsstoffen. Das Prinzip der physikalischen Trocknung von Beschichtungsstoffen durch die Verdunstung des Lösemittels und ihre wesentlichen Einflussfaktoren am Arbeitsplatz sind unmittelbar bedeutsam für die zeitliche Planung der aufeinander folgenden Arbeitsschritte des Aufbaus eines Beschichtungssystems. Die Trocknungszeiten der Beschichtungsstoffe hängen wesentlich von der relativen Luftfeuchtigkeit und den Temperaturen am Ort der Beschichtungsarbeiten ab.

Die Erkenntnis, dass Tauwasserbildung nicht zufällig stattfindet, sondern nur in ganz bestimmten Situationen auftritt, ermöglicht es dem Facharbeiter, gefährdete Bereiche frühzeitig wahrzunehmen und sein Handeln darauf auszurichten, um späteren Schäden vorzubeugen. Das Wissen um das naturwissenschaftliche Phänomen der Tauwasserbildung kann somit als grundlegend und bedeutsam für eine fachgerechte Ausführung von Beschichtungs- und Gestaltungsarbeiten betrachtet werden.

[...]


1 Die Berufsausbildung zum Maler und Lackierer ist seit August 2003 dahingehend verändert worden, dass zwei unterschiedlich qualifizierte Abschlussmöglichkeiten bestehen. Die Ausbildungsdauer für den neu geschaffenen Beruf des Bauten- und Objektbeschichters beträgt zwei Jahre, die Ausbildungsdauer bis zum Abschluss als Maler und Lackierer beträgt nach wie vor drei Jahre.

2 Lernfelder werden durch die KULTUSMINISTERKONFERENZ als „durch Zielformulierungen, Inhalte und Zeitrichtwerte beschriebene thematische Einheiten, die an beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungsabläufen orientiert sind“ (KMK 2000, 14), definiert.

3 Mit den Zielen werden die Kompetenzen und Qualifikationen beschrieben, die “am Ende des schulischen Lernprozesses in einem Lernfeld erwartet werden” (KMK 2000, 16).

4 Überzüge bezeichnen Schichten aus Metall.

5 Beim Phosphatieren und Chromatieren werden dichte, beständige Reaktionsschichten (Eisenphosphat-, Zinkphosphat-, Chromschichten auf der Metalloberfläche erzeugt (vgl. FÖRSTER/LOSERT 2001, 79).

6 CEN (Comité Européen de Normalisation) (1998): EN ISO 12944-7 Beschichtungsstoffe Korrosionsschutz von Stahlbauten durch BeschichtungssystemeTeil 7: Ausführung und Überwachung der Beschichtungsarbeiten (ISO 12944-7: 1998); Deutsche Fassung EN ISO 12944-7: 1998.

7 BALL, Philip (2001): H2O Biographie des Wassers. München, 2001.

8 latent = versteckt

Ende der Leseprobe aus 110 Seiten

Details

Titel
Physikalische Grundlagen im Berufsbildungsprozess für MalerInnen und LackiererInnen
Untertitel
Wahrnehmung und Verständigung als eine Basis für die Entwicklung von Handlungskompetenz
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1
Autor
Jahr
2005
Seiten
110
Katalognummer
V123903
ISBN (eBook)
9783668330665
ISBN (Buch)
9783668330672
Dateigröße
1110 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
physikalische, grundlagen, berufsbildungsprozess, malerinnen, lackiererinnen, wahrnehmung, verständigung, basis, entwicklung, handlungskompetenz
Arbeit zitieren
Gösta vom Felde (Autor:in), 2005, Physikalische Grundlagen im Berufsbildungsprozess für MalerInnen und LackiererInnen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123903

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