El jardin de senderos que se bifurcan - Borges und das Rhizom nach Deleuze und Guattari


Hausarbeit, 2009

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1. Das Rhizom und seine sechs Prinzipien
2.2. Borges und das Rhizom

3. Schlussbemerkung

4. Spanischer Abstract

5. Bibliographie

1. Einleitung

Im folgenden Beitrag werde ich das von Gilles Deleuze und Félix Guattari eingeführte Denkbild des Rhizoms erläutern und anhand der Kurzgeschichte „El Jardín De Senderos Que Se Bifurcan“[1] von Jorge Luis Borges in einen literarischen Kontext einbetten.

Der französische Philosoph Gilles Deleuze und sein Freund und Kollege Félix Guattari, der als Psychiater und Psychoanalytiker tätig war, gehören ohne Frage zu den bedeutendsten postmodernen Denkern des 20. Jahrhunderts. Der Begriff Postmoderne wird in diesem Zusammenhang im Sinne de Toro’s verstanden:

“La postmodernidad […] es la posibilidad de una nueva organización del pensamiento y del conocimiento en una forma realmente ‚abierta’ a causa de la relativización de los paradigmas totalitarios, de la descentración del gran DISCURSO, de la gran HISTORIA y de la VERDAD.”

(de Toro 1997: 11)[2]

In Zusammenhang mit ihrer Kritik am Rationalismus, Essentialismus und Kapitalismus haben Deleuze und Guattari in ihren zahlreichen Werken und Veröffentlichungen neue Ideen, Impulse und Konzepte geliefert, die unter anderem traditionelle Wissenskonzepte und –organisation in Frage stellen und auf eine neue Art und Weise zu beschreiben versuchen. Von Deleuze stehen umfangreiche Publikationen zu Themen wie Philosophie, Literatur, Film und Kunst zur Verfügung. Als herausragende Werke sind vor allem „Différence et répétition“, „Logique du sens“, „L'Anti-Oedipe“ und „Mille plateaux“ zu nennen, die letzten beiden entstanden in Zusammenarbeit mit Félix Guattari.

Im Rahmen des Seminars „Boom- Postboom: Crack!“ spielen die Postmoderne an sich und damit verbundene Begriffe wie Rhizom, différance und Dekonstruktion eine entscheidende Rolle bei der Untersuchung von literarischen Werken, die durch ihre neuen literarischen Verfahren paradigmenbildend waren. In Borges’ oevre sind ebendiese Bilder, Techniken und Ideen bereits Jahrzehnte vor den Veröffentlichungen von Deleuze und Guattari enthalten. Borges galt Deleuze und Guattari geradezu als Inspiration und Referenz für die Entwicklung ihrer Rhizom- Theorie. Das von ihnen entwickelte Modell des Rhizoms ist Teil eines neuen und geradezu revolutionären Verständnisses der Strukturen und Funktionsweisen unserer eigenen Gesellschaft, als auch der Organisation von Wissen und Macht. Die gewaltige Rezeption ihrer Werke bis zum heutigen Tage bestätigt die Universalität des Denkmodells „Rhizom“, welches sich unter anderem anwenden lässt auf soziale, gesellschaftliche, politische, biologische, psychologische Kontexte und Systeme, sowie auf wissenschaftliche Bereiche jeder Art. Dieses Konzept fand und findet dementsprechend auch weit über die Philosophie hinaus Anklang, so z.B. in der Literaturwissenschaft, den Cultural Studies, den Gender Studies und der Medientheorie. Zur näheren Erläuterung des Rhizoms habe ich mich vor allem auf die 2002 erschienene deutsche Ausgabe[3] ihres Werkes „Capitalisme et Schizophrénie II. Mille Plateaux“ konzentriert und Sekundärliteratur unter anderem von de Toro (1997) ausgewertet. Das Rhizom- Modell soll nun im folgenden ausführlich beschrieben werden, um es dann im nächsten Schritt anhand eines Textbeispiels zu veranschaulichen.

2. Hauptteil

2.1 Das Rhizom und seine sechs Prinzipien

In diesem Kapitel beziehe ich mich vor allem auf das von Deleuze und Guattari gemeinsam verfasste Werk „Kapitalismus und Schizophrenie: Tausend Plateaus“, welches in der Einleitung das Modell des Rhizoms vorstellt und erläutert. Das Modell beschreibt zunächst einmal ein offenes, sich ständig veränderndes dynamisches Netzwerk aus vielen Linien, die sich an bestimmten Punkten in sogenannten Plateaus zusammenballen. „Es besteht nicht aus Einheiten, sondern aus Dimensionen, oder vielmehr aus beweglichen Richtungen. Es hat weder Anfang noch Ende, aber immer eine Mitte, von der aus es wächst und sich ausbreitet.“ (Deleuze/ Guattari 2002: 36) Mit diesem Denkbild geht die Einleitung eines Paradigmas einher, welches eine Perspektive beschreibt, die sich nicht mehr auf eine monarchische Wissenschaft, das Denken in binären Oppositionen und hierarchischen Systemen stützt, sondern eben das Vergängliche, Prozesshafte und Widersprüchliche betont und beinhaltet. Das Wort „Rhizom“ ist ursprünglich ein Begriff aus der Biologie, es leitet sich aus dem Griechischen ab und bezeichnet im Allgemeinen das Wurzelgeflecht einer Pflanze und im Speziellen z.B. das Geflecht einer Ingwerknolle oder einer Maniokpflanze. Bei Deleuze und Guattari dient das Rhizom als Modell zur Beschreibung von Wissensorganisation und Machtstrukturen, aber auch von sozialen, kulturellen, politischen oder anderen Systemen. Dieses Denkbild beinhaltet charakteristische zentrale Ideen der Postmoderne, wie z.B. fragile, sich ständig verändernde fragmentarische Zusammenhänge, die Feststellung, dass es keine absolute Wahrheit mehr gibt, das Aufgeben von Dichotomien und Denken in binären Oppositionen wie Zentrum- Peripherie, Okzident- Orient, Subjekt- Objekt, Autor- Leser und damit einhergehend das Propagieren von Heterogenität und Mannigfaltigkeit. Darüber hinaus ist das Rhizom ein System, dass sich selbst erfindet und generiert, a-hierarchisch organisiert und asignifikant ist. In Bezug auf die Literatur beschreibt Deleuze die zentrale Problematik in einem Interview von 1965 mit Roland Barthes, André Breton und Raymond Federman folgendermaßen:

„Es gibt zwei Arten, ein Buch zu lesen: Entweder man betrachtet es als Schachtel, die auf ein Innen verweist, und man sucht also seine Signifikate und macht sich daran, wenn man noch perverser oder korrumpierter ist, auf die Suche nach dem Signifikanten. Auch das nächste Buch behandelt man wie eine Schachtel, die in der vorhergehenden enthalten ist oder sie ihrerseits enthält. Und man kommentiert, interpretiert, verlangt Erklärungen; man schreibt das Buch des Buches, bis ins Unendliche. Oder aber man liest auf die andere Art: Man nimmt das Buch als kleine asignifikante Maschine. Das einzige Problem ist, ob und wie sie funktioniert. Wie funktioniert sie für Euch? Wenn sie nicht funktioniert, wenn nichts passiert, muss man zu einem anderen Buch greifen. Jene andere Lektüre ist intensiv. Entweder kommt was rüber oder nicht, passiert etwas oder passiert nichts. Es gibt nichts zu erklären, zu verstehen, zu interpretieren. Wie bei elektrischen Schaltungen. „ (Deleuze 1965)[4]

Um den Ursprung und die Bedeutung des Konzepts des Rhizoms zu verstehen muss man zunächst näher auf ein traditionelles abendländisches Denkmodell eingehen, welches bereits seit dem 6. Jahrhundert exisitiert und unter anderem auf Ideen von Aristoteles zurückgeht. Es handelt sich hierbei um den Baum des Wissens, ein Denkmodell, welches eine zentristische, hierarchische und zweigeteilte Struktur beschreibt und in seinem Aufbau dem Stamm und den Verzweigungen eines Baumes ähnelt. Im 13. Jahrhundert wurde dieses Modell zunächst von Petrus Hispanus in die Wissenschaftsgeschichte eingeführt bis dann Descartes im 17. Jahrhundert vom großen Buch der Welt spricht, in dem die Gesamtheit allen Wissens und der Wissenschaften enthalten sei. Während der Aufklärung benutzte man dieses Baum-Modell für die Encyclopédie, an deren Erschaffung der französische Schriftsteller Diderot maßgeblich beteiligt war und in der man ebenfalls das gesamte Wissen jener Zeit zusammenfassen wollte. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde dieses Modell dann zunehmend kritisiert und in Frage gestellt, da es unvereinbar schien mit postmodernen Ideen, Konzepten und Denkbildern. Kritik an diesem Modell übten unter anderem Wittgenstein, Foucault und eben Deleuze und Guattari aus. Der „Baum des Wissens“ ist eine hierarchische Struktur mit einem klaren Zentrum, aus dem sich alle weiteren binären Verzweigungen ergeben. Das System lässt kein gleichzeitiges Nebeneinander zu, in dem alle Elemente dieselbe Daseinsberechtigung haben, da jede Kategorie einer anderen untergeordnet wird und es so eine Hierarchie des Wissens beschreibt. Es handelt sich also um keine reale Vielheit, da alle Elemente in eine klare vorgegebene Struktur und Ordnung gefasst sind, so dass sie nur auf vorgezeichneten Wegen miteinander in eine bestimmte hierarchische Verbindung treten können. Mit dieser Idee geht auch ein monarchisches Wissenschaftsverständnis einher, welches dem Logos und der rationalen Wissenschaft den alleinigen Wahrheitsanspruch zuschreibt und ganz klare Grenzen festlegt zwischen Realität und Fiktion. Die Frage wer die Grenze zwischen Realität und Fiktion festlegt und nach welchen Kriterien dies geschieht hat nicht nur Borges Arbeit inspiriert auch Julio Cortázars Werke zeugen von einer starken Auseinandersetzung mit diesem Thema. Diese Grenzen nicht als selbstverständlich und normativ aufzufassen, sondern sie zu hinterfragen ist das Anliegen Cortázars wie auch Borges. Die Ideen hinter dem abendländischen Baum- Modell sind unter anderem erstens die Vorstellung, dass man das gesamte Wissen der Welt in einer Struktur, Ordnung oder in einem Buch zusammenfassen könnte, welches gleichzeitig impliziert, dass es eine alleingültige Wahrheit gibt. Diese Überzeugung stammt vor allem auch aus der christlichen Tradition, die dem Geschriebenen, dem „Wort Gottes“ den alleinigen Wahrheitsanspruch zuteilte. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ (1. Buch Johannes, Vers 1) Es ist also auch nicht verwunderlich, dass alle nicht- schriftlichen Kulturen seit jeher von der okzidentalen, christlichen Welt als unvollständig, unzivilisiert und minderwertig diffamiert wurden. Aus diesem Verständnis heraus lässt sich die starke Beeinflussung unserer westlichen Kultur durch das christliche Gedankengut erkennen, es schreibt uns vor, dem geschriebenen Wort mehr Bedeutung und Wahrheitsgehalt a priori zu zusprechen als dem gesprochenen Wort. Deleuze und Guattari wehren sich gegen dieses Denken in Hierarchien. Kommen wir nun jedoch zurück zum Baum-Modell, welches bis ins 20. Jahrhundert hinein als das beste Modell zur Beschreibung von Wissensorganisation, Gesellschafts- und Machtstrukturen angesehen wurde. So werden auch bis heute einige Bibliotheken und Enzyklopädien noch nach diesem System organisiert und strukturiert. Allen diesen Ordnungssystemen gemeinsam ist, dass es quasi einen einzigen Stamm gibt, der sich immer mehr verzweigt, jedoch gibt es zwischen diesen Verzweigungen keine Querverbindungen. Jedes Element befindet sich somit auf einer Ordnungsebene und wird der jeweils höheren untergeordnet. Dagegen sträubten sich die postmodernen Denker zutiefst, da dieses Modell in keiner Weise offen ist für Veränderungen unseres Weltbildes und unserer Verstehensgrundlagen, es ist ein statisches Modell, dass keine neuen Perspektiven, Querverbindungen und keine Dynamik zulässt. Deleuze und Guattari nennen dieses System reproduktiv, da es nur kopiert: „Der Baum bringt unaufhörlich dieses Gesetz hervor: aus eins wird zwei, aus zwei wird vier […] Die binäre Logik ist die geistige Realität des Wurzel- Baumes.“ (ibd. 14). Metaphorisch gesprochen kann man also sagen, die Äste wachsen alle aus einem Zentrum heraus, das heißt die Kanäle der Übertragung sind von vornherein festgelegt und jedes Element enthält seine Information von einer höheren Ebene. Es handelt sich also nur um eine „scheinbare Mannigfaltigkeit“, die in Wahrheit ein festgelegtes klar strukturiertes System ist. Bezogen auf die Struktur des menschlichen Gehirns merken die beiden an: „Vielen Menschen ist ein Baum in den Kopf gepflanzt, aber das Gehirn selbst ist eher ein Kraut oder Gras als ein Baum.“ (ibd. 28) Dieses Zitat leitet sogleich auch über zum eigentlichen Modell, um das es hier gehen soll, nämlich das Rhizom. Das Wort Rhizom kommt genauso wie die Baummetapher aus der Botanik, wo es Wurzelgeflechte von Pflanzen (Gräsern, Zwiebeln, Knollen, Pilzen) beschreibt, die keine Hauptwurzel aufweisen, sondern sich wie ein Netzwerk von Flechten, ohne ersichtliches Zentrum, ausbreiten. Deleuze und Guattari haben diesen Begriff als metaphorisches Bild benutzt um eine neue Weltanschauung und eine neues Denkmodell zu beschreiben, welches sich, im Gegensatz zum Baummodell, durch Offenheit, Parallelität, Heterogenität und Heterarchie auszeichnet. Das Rhizom ist ein Netzwerk virtueller, sozialer, biologischer, wirtschaftlicher, politischer… Art, welches eine dezentralisierte Struktur aufweist und immer vielfältige Zugangsmöglichkeiten bietet und offen lässt. Dieses Netzwerk besteht aus vielen Linien, die wiederum Plattformen oder Plateaus bilden können:

[...]


[1] Borges, Jorge Luis 1941: El Jardín De Senderos Que Se Bifurcan. En: Borges, Jorge Luis/ Emecé Editores 1993: Obras Completas. 1923- 1972. Emecé (Buenos Aires)

[2] De Toro, Alfonso 1997: Postmodernidad y Postcolonialidad: Breves reflexiones sobre Latinoamérica. Vervuert

[3] Deleuze, Gilles und Guattari, Félix 2002: Kapitalismus und Schizophrenie: Tausend Plateaus. Berlin, Merve Verlag

[4] Aus: Interview mit Gilles Deleuze, Roland Barthes, André Breton und Raymond Federman. Auf: http://www.lichtensteiger.de/methoden.html (Stand: 8.7.2008)

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
El jardin de senderos que se bifurcan - Borges und das Rhizom nach Deleuze und Guattari
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Boom- Postboom: Crack!
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V123818
ISBN (eBook)
9783640293452
ISBN (Buch)
9783640293698
Dateigröße
458 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Borges, Rhizom, Deleuze, Guattari, Boom-, Postboom, Crack
Arbeit zitieren
Nathalie Solis Pérez (Autor:in), 2009, El jardin de senderos que se bifurcan - Borges und das Rhizom nach Deleuze und Guattari, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123818

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