Ökosophie und Ökokosmologie bei den Tukano-Völkern im Nordwest-Amazonas


Hausarbeit, 2009

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1. Reichel- Dolmatoffs Modell der ökologischen Kosmologie der Tukano
2.2. Luis Cayón: ökologisches Handeln und kosmologische Vorstellungen bei den Makuna
2.3. Die Ökosophie bei den Makuna nach Kaj Ǻrhem

3. Schlussbemerkung

4. Bibliographie

1. Einleitung

Die Beziehung zwischen Menschen und ihrer Umwelt, insbesondere ihren natürlichen Ressourcen, ist im Zuge globaler Erwärmung, Klimakatastrophen und Sorgen um unsere jetzige und zukünftige Energiezufuhr besonders aktuell und Thema zahlreicher öffentlicher und wissenschaftlicher Debatten. Hiermit verbunden sind stets auch politisch- gesellschaftliche Konflikte auf nationaler, aber insbesondere auch internationaler Ebene. Es geht vor allem um Zugang und Kontrolle über Ressourcen, wie Erdöl, Ergas, Wasser, Land, aber auch Fauna und Flora. Das Amazonasgebiet wird in diesem Kontext auch oft behandelt und wird vor allem in Zusammenhang gebracht mit der Abholzung des Regenwaldes, dem Fördern und Verschmutzen von Lebensräumen durch Erdöl, sowie den Kampf der indigenen Bevölkerung um ihr traditionelles Territorium und die für ihre Subsistenz darauf befindlichen Ressourcen. Auch in unserer industrialisierten und kapitalistischen Gesellschaft müssen wir uns selbst zunehmend fragen inwieweit wir in die Vorgänge der Natur eingreifen dürfen bzw. schon eingegriffen haben. Bis heute ist in dieser Diskussion ein dualistisches Verständnis der Beziehung Mensch- Umwelt vorherrschend, welches sich in der problematischen Dichotomie Natur- Kultur ausdrückt.

„The nature/culture dualism has provided the baseline for the greater part of scientific thinking throughout this century and has strong, often unrecognized, methodological and epistemological implications for research, including the separation of the natural from the social sciences, both institutionally and intellectually. New ecological research is engaged in the difficult, challenging process of finding practical ways of bridging this divide, and anthropology, which has always worked on both sides of the nature/culture fence, is strategically situated to contribute to this effort.” (Little 1999: 257)

Insbesondere die Ethnologie wird mit diesem dualistischen Konzept immer wieder konfrontiert und herausgefordert in dem Sinne, dass in anderen Völkern, wie z.B. bei den Tukano Natur und Kultur keine binäre Opposition darstellen, sondern Manifestationen ein und derselben Lebensenergie sind. Um dieses Denken bei den Tukanovölkern des Amazonas zu beschreiben hat man sich unterschiedlicher Methoden und Modelle bedient, die versuchen kosmologische und ontologische Vorstellungen und praktisches Wissen über die natürliche Umwelt darzustellen. Der kolumbianische Ethnologe Gerardo Reichel- Dolmatoff lieferte mit seiner Konferenz 1977 einen wichtigen Anstoß das wertvolle Wissen der indigenen Amazonasvölker näher zu untersuchen und auch den sich dahinter verbergenden kosmologischen Systemen mehr Beachtung zu schenken. Ausgehend von seinem Equilibrium- Modell, welches aus der Thermodynamik inspiriert ist, sollen in dieser Arbeit zwei weitere Ethnologen vorgestellt werden, die hierzu weitere Ideen geliefert haben. Zum einen ist dies Luis Cayón, der zurzeit an der Universität von Brasilia forscht und einen Gegenentwurf liefert, der eine weitaus komplexeres und offeneres ökokosmologisches System beschreibt. Zum anderen werde ich näher auf Kaj Ǻrhems Gedanken zu diesem Thema eingehen.

2. Hauptteil

2.1. Reichel- Dolmatoffs Modell der ökologischen Kosmologie der Tukano

Der österreichische Ethnologe Gerardo Reichel- Dolmatoff (1912- 1994) forschte fast 30 Jahre bei den Tukano des Nordwestlichen Amazonas. Als Gründer des ersten Lehrstuhls für Anthropologie an der Universidad de Cartagena und als „Retter der Würde des kolumbianischen Indios“ galten seine Arbeiten zu den kosmologischen Vorstellungen der Tukano und die darin manifesten Vorstellungen von ihrer Umwelt lange als unantastbar. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde sein Modell jedoch zunehmend kritisiert von Seiten anderer Ethnologen, wie z.B. Cayón und Ǻrhem. Daher ist es an dieser Stelle sinnvoll zunächst sein Modell vorzustellen um davon ausgehend andere Ideen und Denkansätze vorzustellen.

Die Völker, auf welche sich die drei Ethnologen in diesem Zusammenhang beziehen sind in unter der Sprachgruppe der Tukano zusammengefasst. Sie bestehen aus mehr als 20 exogamen Gruppen, welche patrilinear und patrilokal organisiert sind. Ihre bevorzugte Heirat ist die Kreuzcousinen- Heirat. Der Tukano Schöpfungsmythos besagt nach Reichel- Dolmatoffs Auffassung, dass der Sonnenvater, Padre Sol, eine begrenzte Anzahl von Tieren und Pflanzen geschaffen hat, welche jeweils ein Geistwesen haben, dass sie vor einer Ausbeutung durch den Menschen beschützt und mit dem Schamanen über Nutzungsrechte verhandelt. Der Schöpfungsmythos bezieht sich nur auf ihr eigenes Stück Land, welches einen klar begrenzten Raum darstellt. Reichel- Dolmatoff stellt fest, das der Sonnengott für das männliche Prinzip steht und die Erde für das Weibliche. Padre Sol, die seminale Energie, macht das Land und die Menschen fruchtbar und spendet Lebensenergie, yuruparí genannt. 1977 erschien einer seiner wichtigsten Aufsätze „Cosmology as ecologocal analysis: a view from the rain forest“[1] in seinem Hauptwerk „The forest within. The worldview of the Tukano Amazonian Indians“. Dieser Aufsatz war paradigmenbildend und schuf ein Umdenken in der ethnologischen Forschung zu kosmologischen und ökologischen Systemen in Amazonien. Er thematisiert Ethnoökologie, Ökokosmologie und die Beziehung zwischen indigenen Tukano- Gruppen und der natürlichen Umgebung, in der sie leben. Reichel- Dolmatoff spricht in diesem Aufsatz von einem geschlossenes Energiesystem, in dem nur ein sehr begrenztes demographisches Wachstum möglich ist und welches dazu dient Umwelt und Gesellschaft im Gleichgewicht zu halten. Dieses System wird durch den Padre Sol gespeist, welcher das System mit Energie versorgt. Reichel- Dolmatoff betont hier vor allem die optimale Anpassung der Tukano an ihre Umweltgegebenheiten, und ihre optimale Ausnutzung der wenigen natürlichen ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen. Ökologische, ökonomische und soziale Prinzipien und Vorschriften garantieren hier die Erhaltung eines fragilen Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur in Form eines komplexen kosmologischen Systems, welches das tägliche Zusammenleben und die tägliche Nahrungsbeschaffung bestimmt. Mit Gleichgewicht ist hier die Balance zwischen den vorhandenen natürlichen Ressourcen und den Bedürfnissen der menschlichen Gruppe gemeint. Die Tukano verstehen ihren Lebensraum als einen vom Menschen, bzw. von ihren Vorfahren, geschaffenen Raum. Ihre Ahnen haben dem Land symbolische, und damit kulturelle Bedeutung gegeben. Laut Reichel- Dolmatoff ist ein Grund für ihr ausgeklügeltes ökokosmologisches System, ihre extreme Ressourcenknappheit und die Tatsache, dass sie ein nur sehr kleines Territorium optimal ausnutzen müssen, da um sie herum kolumbianische und brasilianische Siedler leben, die sie daran hindern das Territorium zu verlassen oder es zu vergrößern. Die Tukano müssen also quasi das Beste machen, aus dem was ihnen zur Verfügung steht. Diese Tatsache wird außerdem allen Mitgliedern der Gruppe durch bestimmte Regeln, Vorschriften und Rituale bewusst gemacht, so dass bei einem Nichtbeachten dieser Vorschriften Sanktionen verhängt werden. Wichtig bei Reichel- Dolmatoffs Modell ist zu verstehen, dass es sich um ein geschlossenes Energiesystem handelt, in dem die Energie, die im Umlauf ist, begrenzt ist. Dies steht in starkem Kontrast zu späteren Arbeiten zum Thema wie z.B. von Ǻrhem 1990/ 2001, Descola 1994 und Cayón 2001. Wenn ein Tier getötet oder eine Pflanze geerntet wird, muss laut Reichel- Dolmatoff diese dem Tier- bzw. Pflanzenreich entwendete Energie wieder ersetzt werden. Dies geschieht durch einen Handel zwischen dem Schamanen und dem „Herrn der Tiere/ Pflanzen“. Der Schamane bietet diesem, menschliche Seelen an im Gegenzug für eine Erlaubnis zu fischen, zu jagen oder zu ernten. Wenn ein Mensch Pflanzen oder Tiere konsumiert, nimmt er gleichzeitig ihre Lebensenergie auf, die lebensspendend ist und seine reproduktiven Kräfte vermehrt. Der Energieentzug in Form von Jagen/ Fischen/ Ernten kann durch zwei verschiedene Handlungen wieder ausgeglichen werden: 1. sexuelle Enthaltsamkeit und kontrollierter Nahrungsmittelkonsum, 2. Als Gegenleistung für gegessene Tiere werden menschliche Seelen (symbolisch) geopfert. Der Schamane verhandelt mit dem „Herrn der Tiere/ bzw. Pflanzen“ und verspricht bei einer größeren Jagd, entsprechend viele menschliche Seelen zurück zu geben. Dementsprechend ist z.B. Krankheit oder Tod beim Menschen immer das Resultat einer Störung des natürlichen Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur und manifestiert sich in der Rache der Tiere, Böswilligkeit der Geister und Verhexung. Krankheit resultiert immer aus einem Verstoß gegen die kulturellen Normen, sprich einer Nicht- Einhaltung des energetischen Gleichgewichts. Weiterhin stellt Reichel- Dolmatoff fest, dass sexuelle Energie, die unterdrückt wird, direkt in den Kreislauf der omnipräsenten Lebensenergie yuruparí eingespeist wird. Das heißt, dass jemand der sexuell enthaltsam lebt, entscheidend dazu beiträgt die Vitalenergie im Tukano- Kosmos zu vermehren bzw. aufrecht zu erhalten. Reichel- Dolmatoff begründet dies mit der praktischen Tatsache, dass es für die Tukano lebenswichtig ist die Gruppe nicht über ein gewisses Maß hinaus anwachsen zu lassen, weil ihre Mitglieder sonst nicht mehr mit den knappen Ressourcen ernährt werden könnten. Um das System des ökologischen Gleichgewichts aufrecht zu erhalten ist also eine konstante Bemühung seitens jedes Individuums gefordert, in Form von Einhaltung der religiösen und rituellen Regeln. Ihre kosmologischen Vorstellungen sind ganz essentiell für das Verständnis der sozialen und ökonomischen Organisation der Tukano- Gesellschaft. Bei den Tukano herrscht die Vorstellung, dass der Mensch sich der Natur anpassen muss, wenn er ein Teil von ihr sein will. Tiere dienen ihnen hierbei oft als Vorbild, weil sie eine maximale Anpassung an die Natur vorleben und das Überleben an sich symbolisieren. Dies spiegelt sich auch in vielen Mythen wieder, in denen von Menschen erzählt wird, die sich in Tiere verwandelt haben um ihre Überlebensstrategien gezielt beobachten zu können und von ihnen zu lernen. Auch gibt es Geschichten von Tieren, die zu den Menschen kommen, um ihnen alles Wissenswerte über die optimale Anpassung an die Umwelt zu vermitteln. Eigenschaften wie Gefräßigkeit, Streitsucht, Genusssucht und Unvorsichtigkeit werden dementsprechend sowohl bei den Menschen als auch im Tierreich missbilligt und verurteilt, welches ebenfalls in verschiedenen Mythen zum Ausdruck gebracht wird. Kooperatives Verhalten im Rahmen eines ökologischen Bewusstseins und einer sozialen Verantwortung gilt daher als die am meisten geschätzte menschliche Qualität, weil sie dem Erhalt der Umwelt und dem Zusammenhalt der Gruppe dient. Die Tukano sind sich bewusst, dass ihr Überleben davon abhängt, dass sich alle Mitglieder der Gesellschaft an bestimmte Verhaltensregeln halten und Vorschriften zum Jagen, Fischen und Ernten respektieren. Dies garantiert die Konservierung der ihnen zur Verfügung stehenden, sich leicht erschöpfenden Ressourcen, eine optimale Anpassung an die Natur und die Aufrechterhaltung einer gewissen Zufriedenheit und eines sozialen Friedens in der Gruppe. Die Tatsache, dass ein Paar so wenig Kinder wie möglich haben sollte (ansonsten gilt es als sozial verantwortungslos) und dass man alte Menschen, die nicht mehr zur Nahrungsbeschaffung beitragen können im Wald zurück und sterben lässt, zeigt laut Reichel- Dolmatoff auf dramatische Weise, wie groß der Druck ist für die Tukano das demographische Wachstum so weit wie möglich einzuschränken, damit sie mit den wenigen zur Verfügung stehenden Ressourcen überleben können. Eine Frau nimmt auch dementsprechend nach der Geburt ihres ersten Kindes so lange pflanzliche Kontrazeptiva ein bis ihr Kind sich selbst versorgen kann. Erst dann wird sie ein zweites Kind bekommen. Sexuelle Enthaltsamkeit kann man laut Reichel- Dolmatoff symbolisch gleichsetzen mit einer gemäßigten Nahrungsaufnahme. Deshalb ist sexuelle Abstinenz bei den Tukano sehr erstrebenswert und wird auch bei dementsprechend vielen Ritualen vorausgesetzt. Kommen wir nun zu den Mechanismen, die z.B. das Überjagen verhindern sollen.

[...]


[1] Reichel- Dolmatoff, Gerardo 1996: Cosmology as ecologocal analysis: a view from the rain forest. In: The forest within. The worldview of the Tukano Amazonian Indians. Totnes (Themis Books)

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Details

Titel
Ökosophie und Ökokosmologie bei den Tukano-Völkern im Nordwest-Amazonas
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Ethnologie)
Veranstaltung
Indianische Ökologien- Konzepte und Praxen
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
18
Katalognummer
V123816
ISBN (eBook)
9783640293438
ISBN (Buch)
9783640293674
Dateigröße
460 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tukano-Völkern, Nordwest-Amazonas, Indianische, Konzepte, Praxen
Arbeit zitieren
Nathalie Solis Pérez (Autor:in), 2009, Ökosophie und Ökokosmologie bei den Tukano-Völkern im Nordwest-Amazonas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123816

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