Zur Europarechtswidrigkeit der Normen zum Schadensersatz im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz

Gleichzeitig eine Stellungnahme zu einem möglichen Kontrahierungszwang aus dem AGG


Essay, 2007

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS:

I. ZUR FRAGE, OB DIE NORMEN ZUM SCHADENSERSATZ, § 15 UND § 21 AGG, DEM EUROPÄISCHEN RECHT ENTSPRECHEN
1) Verschuldensabhängigkeit des Anspruches auf materiellen Schadensersatz
2) (keine) Haftungsobergrenzen
3) Haftungserleichterung bei Nutzung von Kollektivvereinbarungen
4) Ausschlussfristen
5) Anwendung der Kritik auf § 21 AGG
6) Beweislast
7) Ergebnis

II. ZUR FRAGE, OB AUS DEM AGG EIN KONTRAHIERUNGSZWANG ABLEITBAR IST
1) Zivilrechtliche Aspekte
2) Verfassungsrechtliche Aspekte
3) Europarechtliche Aspekte

LITERATURVERZEICHNIS

I. Zur Frage, ob die Normen zum Schadensersatz, § 15 und § 21 AGG, dem europäischen Recht entsprechen.

Am 18.08.2006 trat in Deutschland nach jahrelangem politischen Hin und Her das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Dieses dient der Umsetzung von 4 Anti-Diskriminierungsrichtlinien1 und definiert in § 1 AGG als Ziel,

„Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern.“

Das AGG muss leider als politischer Kompromiss angesehen werden2, der eher überhastet als wohl durchdacht erzielt wurde, um endlich den Umsetzungs- verpflichtungen gegenüber der EU gerecht zu werden. Die Verzögerungen in der Umsetzung durch die BRD waren Vertragsverletzungen, welche der EuGH mit Urteil auch feststellte3, woraufhin Zwangsgelder in unbegrenzter Höhe zu befürchten waren, Art. 228 II EG. Jedoch gerade auf Grund dieser letztlich überhasteten Umsetzung enthält das AGG auch einige Ungereimtheiten, offene Fragen und Mängel, die über bloße Redaktionsversehen hinausgehen4.

Es muss jedoch auch angemerkt werden, dass die Richtlinien (RL) an sich schon Mängel aufweisen: Die gemäß dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung benötigte Kompetenz in den Gründungsverträgen zum Erlass von Hoheitsakten5 findet sich außer für die Gender-RL6 in Art. 13 EG7. Jedoch gelten Art. 13 EG als Ermächtigungsnorm ebenso wie die daraus resultierenden RL nur „im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten“8. Nach hM gilt, dass die Gemeinschaft eine Zuständigkeit zur Bekämpfung der Diskriminierung nur dort hat, wo sie schon durch andere Zuständigkeitsnormen ermächtigt ist, Hoheitsakte zu erlassen9. Und dies ist gerade im Zivilrechtsverkehr nicht allgemein gegeben. Da jedoch eine nur partielle Umsetzung der RL unpraktikabel gewesen wäre, sind diese von vorneherein auf eine Umsetzung in Bereichen ohne Regelungs-kompetenz angelegt worden. Und wären deswegen vor dem EuGH angreifbar gewesen10. Die 2-Monats-Frist des Art. 230 V EG hierfür hat die Bundesregierung jedoch versäumt. Somit mussten die Regelungen der RL in nationales Recht umgesetzt werden, was der deutsche Gesetzgeber mit dem AGG – wenn auch nur unzureichend – getan hat.

Der erste Teil dieses Essays beschäftigt sich nun damit, ob die im AGG enthaltenen Normen zum Schadensersatz dem europäischen Recht entsprechen. Schadensersatz und Entschädigung sind im AGG geregelt in § 15 AGG, welcher im Falle arbeitsrechtlicher Benachteiligungen einschlägig ist, und § 21 AGG für den Fall zivilrechtlicher Benachteiligungen. Im Folgenden nun sollen diese auf ihre

„Europatauglichkeit“ hin überprüft werden:

Die arbeitsrechtliche Haftungsnorm des § 15 AGG setzt Art. 15 RL 2000/43/EG, Art. 17 RL 2000/78/EG und Art. 6, 8d RL 76/207/EWG um. Die zivilrechtliche Haftungsnorm des § 21 AGG setzt Art. 7 I RL 2000/43/EG und Art. 8 I RL 2004/113/EG um. Die Richtlinien fordern generell nur, dass die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind, nur Art. 6 der Gender-RL nennt explizit den Schadensersatz. Der Gesetzgeber hat sich jedoch für diese Möglichkeit entschieden und legt als zentrale Rechtsfolge einer Verletzung des Benachteiligungsverbots fest, dass der Verursacher einem Betroffenen Schadensersatz und Entschädigung zu leisten hat. Bei § 21 AGG kommen dazu noch Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung dazu, § 21 I AGG.

Einige Teile der §§ 15, 21 AGG jedoch sind gemeinschaftsrechtlich höchst bedenklich. Die folgenden Ausführungen sollen zunächst für § 15 AGG gelten:

1) Verschuldensabhängigkeit des Anspruches auf materiellen Schadensersatz

§ 15 I AGG verpflichtet den Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benach- teiligungsverbot des § 7 AGG, dem Betroffenen den hierdurch entstandenen materiellen Schaden zu erstatten. Dies gilt nicht, wenn er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, § 15 I S.2 AGG. Eine Vereinbarkeit mit den Richtlinien wird hier bezweifelt, obwohl die jetzige Konstruktion der des § 611a a.F. BGB, der dadurch ersetzt wurde, sehr ähnlich ist11. Jedoch sah dieser auch verschuldens un abhängigen Ersatz materiellen Schadens vor. § 15 I AGG stellt somit einen unzulässigen Rückschritt gemäß Art. 8e II RL 76/2007/EWG und Art. 8 II RL 2000/78/EG dar12. Die Rechtsprechung des EuGH fordert nämlich eindeutig, dass, sollte sich ein Mitgliedsstaat für eine zivilrechtliche Sanktion wie Schadensersatz entscheiden, dies verschuldensunabhängig geschehen muss13. Meinungen vertreten hier zwar, dass dies im deutschen Rechtssystem doch nicht üblich sei und dieser Anforderung außerdem mit § 15 II AGG und dessen verschuldensunabhängiger14 Entschädigung des immateriellen Schadens genüge getan sei15. Dem ist jedoch nicht zuzustimmen. Denn nach der Forderung des EuGH muss jeder Verstoß für sich genommen ausreichen, die volle Haftung des Verursachers auszulösen16. Der Nichtvermögensschaden aber macht eben nur einen Teil des Schadens des Betroffenen aus, meist nur einen geringen. Den anderen Teil nur im Falle des Verschuldens ersetzt zu bekommen widerspricht den europarechtlichen Forderungen und bedeutet einen unzulässigen Rückschritt. Obwohl diese Entlastung für

den Arbeitgeber als sinnvoll und erwünscht angesehen werden kann, wird sie vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH europarechtlich wohl keinen Bestand haben können17.

2) (keine) Haftungsobergrenzen

Ein weiterer Kritikpunkt am § 15 AGG ist der Aspekt der Haftungsgrenzen.

§ 15 I AGG sieht für die materielle Haftung keine Haftungsobergrenze vor, § 15 II S.2 AGG für den immateriellen Schaden eine Obergrenze in Höhe von drei Monatsgehältern, aber nur dann, wenn der Betroffene auch ohne die Benachteiligung nicht eingestellt worden wäre (etwa weil noch objektive Gründe wie fehlende Bildung vorlagen). Nur solch eine Begrenzung ist vom EuGH akzeptiert18. In allen anderen Fällen durfte der Gesetzgeber keine Höchstgrenze statuieren. Dies könnte jedoch zur Folge haben, dass ein Arbeitgeber im Extremfall über Jahre hinweg die Differenz zwischen der beanspruchten und der bei einem anderen Arbeitgeber tatsächlich erhaltenen Vergütung an den Betroffenen zahlen müsste19. Und das wiederum erscheint gemeinschaftsrechtlich höchst fragwürdig. Die Sanktion wäre dann zwar noch wirksam und abschreckend. Jedoch kann von einer verhältnismäßigen Sanktion nicht mehr die Rede sein. Aus diesem Grunde ist diese scheinbar unbegrenzte Schadenersatzpflicht des Arbeitsgebers euoparechtskonform so auszulegen, dass es eine Haftungsobergrenze gibt20. Die Rechtsprechung hat diese jedoch im Einzelfall zu bemessen. Solch eine Obergrenze könnte dann etwa so aussehen, dass der Arbeitgeber bis zu dem Zeitpunkt zu zahlen hat, zu dem er im Falle eines Vertrages frühestens hätte kündigen können. Dies könnte im Extremfall schon nach zwei Wochen sein, § 622 III BGB. Dieses sog.

„rechtmäßige Alternativverhalten“ ist weitgehend anerkannt21 und stellt die Bestimmung europarechtlich richtig22.

3) Haftungserleichterung bei Nutzung von Kollektivvereinbarungen

Darüber hinaus in der Kritik stehend ist § 15 III AGG, welcher die Haftung des Arbeitgebers bei Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarung nur zulässt, wenn der Arbeitgeber weiß oder grob fahrlässig nicht weiß, dass durch deren Anwendung der Betroffene unmittelbar oder mittelbar benachteiligt wird. Auf Grund dieser Haftungsbeschränkung bleiben in bestimmten Fällen schuldlose oder gar leicht fahrlässige Diskriminierungen sanktionslos, findige Arbeitgeber könnten sogar auf die Idee kommen, sich ein „Haftungsschlupfloch“ zu schaffen, indem sie eben vorwiegend nur noch Kollektivvereinbarungen nutzen. Dies ist generell mit der Draempaehl - Entscheidung des EuGH nicht zu vereinbaren, da die „volle Haftung“ nicht mehr garantiert ist23. Auch die vom Gesetzgeber als Grund für diese Bestimmung angeführte „erhöhte Richtigkeitsgewähr“ von Kollektivverträgen ändert daran nichts24. Richtigkeit bezieht sich nämlich nur auf einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Tarifverträgen, hat also nichts mit Rechtmäßigkeit zu tun. Des Weiteren kann auch nicht hervorgebracht werden, der Arbeitgeber müsse die benachteiligende Kollektivvereinbarung doch anwenden25. Es ist ganz eindeutig in

§ 7 II AGG geregelt, dass solche benachteiligenden Kollektivvereinbarungen unwirksam sind und eben deshalb keine Anwendungspflicht besteht. Da keine europarechtlich zulässige Begründung für solch eine Haftungsbeschränkung bei Anwendung benachteiligender Kollektivvereinbarungen vorliegt und diese auch nicht europarechtskonform ausgelegt werden kann, ist § 15 III AGG klar europarechts- widrig26 und deshalb mit Hinblick auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts nicht anzuwenden27.

[...]


1 Dies sind die RL 2000/43/EG des Rates v. 29.6.2000, ABIEG Nr. L 180 v. 19.7.2000, S. 22, („Antirassismusrichtlinie“), die RL 2000/78/EG des Rates v. 27.11.2000, ABIEG Nr. L 303 v. 2.12.2000, S. 16, zur Gleichbehandlung im Beruf („Beschäftigungsrichtlinie“), die RL 2002/73/EG des Parlaments und des Rates v. 23.9.2002 (als Änderung der RL 76/207/EWG), ABIEG Nr. L 269 v. 5.10.2002, S. 15, („Genderrichtlinie“) und die RL 2004/113/EG des Rates v. 13.12.2004, ABIEG Nr. L 373 v. 21.12.2004, S. 37, zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.

2 So auch Annuß, Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Arbeitsrecht, BB 2006 Heft 30, 1629, 1629.

3 EuGH, Urt. v. 28.4.2005, C-329/04, EuZW 2005, 444; und Urt. v. 23.2.2006, C-43/05, NZA 2006, 553.

4 Bauer/Preis/Schunder, „Errata“ des Gesetzgebers, NZA 2006 Heft 22, 1261, 1261-1263.

5 Streinz, Europarecht, S. 190 f. [bzw. Rn. 436-437].

6 Die Kompetenzgrundlage hierfür findet sich in Art. 141 EG („Lohngleichheit für Männer und Frauen“).

7 Siehe Möllers, Einschränkung der Vertrags- und Gestaltungsfreiheit durch europäische RL, 189, 192.

8 So Art. 3 I der RL 2000/43/EG, Art. 3 I der RL 2000/78/EG und Art. 3 I der RL 2004/113/EG.

9 Siehe etwa Maier-Raimer, Das AGG im Zivilrechtsverkehr, NJW 2006 Heft 36, 2577, 2578.

10 Derselbe, 2577 f.

11 So etwa ErfK/Schlachter, Arbeitsrecht, § 15 AGG, S. 253 [bzw. Rn. 1].

12 Deinert, in: Däubler/Bertzbach, § 15 AGG, S. 583 [bzw. Rn. 30]; a.A. MüKo-BGB/Thüsing, § 15 AGG, S. 232 [bzw. Rn. 33].

13 EuGH, Urt. v. 22.4.1997, Rs. C-180/95, NZA 1997, 645 (im Folgenden: Dreahmpaehl-Entscheidung). Diese galt vorerst nur für den Bereich der Gender-RL, wird jetzt aber generell auf die Anti- Diskriminierungsrichtlinien angewandt, siehe im Ergebnis ErfK/Schlachter, Arbeitsrecht, § 15 AGG, S. 253 [bzw. Rn. 1].

14 Verschuldensunabhängigkeit bedeutet, dass nur die Diskriminierung festgestellt werden muss, auf ein Verschulden kommt es einfach nicht an, dieses wird fingiert.

15 Siehe Bauer/Göpfert/Krieger, § 15 AGG, S. 208 [bzw. Rn. 15].

16 Kamanabrou, Die arbeitsrechtlichen Vorschriften des AGG, RdA 2006 Heft 6, 321, 336.

17 Bauer/Thüsing/Schunder, Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, NZA 2006 Heft 14, 774, 775.

18 Hemmer/Wüst/Hutka, Europarecht, S. 22 [bzw. Rn. 72a].

19 Siehe Bauer/Evers, Schadensersatz und Entschädigung bei Diskriminierung, NZA 2006 Heft 16, 893, 895.

20 So auch Bauer/Göpfert/Krieger, § 15 AGG, S. 211 [bzw. Rn. 26].

21 Siehe etwa BGH, Urt. v. 13.5.1953, BGHZ 10, 6.

22 Bauer/Göpfert/Krieger, § 15 AGG, S. 211 [bzw. Rn. 26].

23 Kamanabrou, Die arbeitsrechtlichen Vorschriften des AGG, RdA 2006 Heft 6, 321, 337.

24 Deinert, in: Däubler/Bertzbach, § 15 AGG, S. 496 [bzw. Rn. 89].

25 So auch Kamanabrou, Die arbeitsrechtlichen Vorschriften des AGG, RdA 2006 Heft 6, 321, 337.

26 MüKo-BGB/Thüsing, § 15 AGG, S. 234 [bzw. Rn. 39].

27 Siehe etwa Deinert, in: Däubler/Bertzbach, § 15 AGG, S. 496 f. [bzw. Rn. 93].

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Zur Europarechtswidrigkeit der Normen zum Schadensersatz im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
Untertitel
Gleichzeitig eine Stellungnahme zu einem möglichen Kontrahierungszwang aus dem AGG
Hochschule
Universität Augsburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V123789
ISBN (eBook)
9783640292097
ISBN (Buch)
9783640292158
Dateigröße
449 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
AGG, Europarecht, Kontrahierungszwang, § 15 AGG, § 21 AGG, Schadensersatz, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Jura
Arbeit zitieren
Dominik E. Arndt (Autor:in), 2007, Zur Europarechtswidrigkeit der Normen zum Schadensersatz im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123789

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