Naturwissenschaften beim frühen Kant

Kants Abhandlung „Von den Ursachen der Erderschütterungen“ von 1756


Hausarbeit, 2008

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Inhalt der Abhandlung
1.1 Darstellung und Anspruch
1.2 Aufbau der Erde
1.2.1 Aufbau
1.2.2 Ursache für den Aufbau
1.3 Ursachen der Erderschütterung
1.4 Verbreitung der Beben
1.5 Weitere Begleiterscheinungen
1.5.1 Seebeben und Flutwellen
1.5.2 Atmosphäre

2 Aufbau und Methode
2.1 Erkenntnisse über die Natur
2.1.1 Methode und Arbeitsweise
2.1.2 Gesamtbild
2.2 Folgerungen

3 Philosophische Aspekte
3.1 Furcht
3.2 Theologie
3.3 Theodizeeproblem

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

In der vorliegenden Arbeit wird ein naturwissenschaftlicher Aufsatz Immanuel Kants über die „Ursachen der Erderschütterungen“[1] näher betrachtet. Er wurde im Jahr 1756 als erste von drei Abhandlungen über Ursachen und Haupterscheinungen von Erdbe- ben verfasst und steht im direkten Zusammenhang zum großen Erdbeben von Lissabon 1755. Veröffentlicht wurde die Arbeit in den „Königsbergischen wöchentlichen Frag- und Anzeigungsnachrichten“ im Januar 1756,[2] in welchen Kant desöfteren publizierte.[3]

Dass Kant hier als Naturforscher in Erscheinung tritt, mag vielleicht zunächst verwun- dern, ist er doch gemeinhin zunächst als großer Philosoph bekannt. Jedoch verbrachte der junge Kant als Magister viel Zeit und Muße mit der Lektüre aktueller naturwissen- schaftlicher Schriften und veröffentlichte auch selbst einige Abhandlungen. Im Raum Königsberg erreichte er dadurch sogar einen so hohen Grad an Bekanntheit, dass er schon fast als Autorität auf geologischem Gebiet angesehen wurde.[4]

Im Folgenden soll nun seine Arbeit auf diesem Gebiet am Beispiel der genannten Ab- handlung umrissen und deren Besonderheiten herausgestellt werden. Auch tiefgreifende philosophische Gedanken sollen aufgezeigt und näher erläutert werden. Dazu wird zu Beginn der vorliegenden Arbeit der Inhalt von Kants Abhandlung kurz skizziert und sein eigener Anspruch dargelegt. Darauf aufbauend folgt eine detaillierte Vorstellung der Methode Kants, anhand derer schon einige philosophische Kerngedanken deutlich werden. Diese sollen dann im abschließenden Teil der Arbeit nochmals differenziert sowie gründlich präsentiert und behandelt werden. Schließlich erfolgen in eben diesem Abschnitt auch Schlussfolgerungen, die sich aus der Abhandlung Kants entwickeln las- sen.

Auch wenn im Folgenden primär die Methoden sowie die philosophischen Ansätze Kants näher beleuchtet werden sollen, erscheint es dennoch angebracht, ebenso auch den Inhalt der Abhandlung „Von den Ursachen der Erderschütterungen“ vorzustellen. Die meisten naturwissenschaftlichen Annahmen Kants und seiner Zeit sind zwar durch die Entwicklung der Wissenschaften in den letzten zwei Jahrhunderten widerlegt wor- den, gleichwohl lohnt sich eine nähere Betrachtung. Denn auch wenn vordergründig kein Nutzen darin zu bestehen scheint, durch die Betrachtung des Inhalts selbst fun- diertes Wissen über die Ursachen von Erdbeben zu erhalten, so wird doch erst durch die nähere Untersuchung des Textes die Methode Kants deutlich. Auch seine anthro- pologischen und die die Theodizeefrage betreffenden Überlegungen könnten ohne die Darstellung des Inhalts nicht ausreichend herausgestellt werden.

1.1 Darstellung und Anspruch

Gleich zu Beginn der Abhandlung stellt Kant dar, dass seine „Betrachtung [. . . ] nur ein Entwurf sein [wird]“[1], dennoch hat er den Anspruch, alles Bekannte zum Thema zu berücksichtigen. Gleichwohl ist er sich bewusst, dass noch nicht alles erkundet ist, sein Werk keine völlige Gewissheit bieten kann.[2] In diesem Punkt scheint er sich gegen die Wolffianer zu wenden, welche einer regelrechten ‚mathematischen Demonstrierwut‘ erlagen.

Dabei gilt es zu beachten, dass Kant in keiner Weise nach modernen naturwissenschaft- lichen Prinzipien verfährt. Allein schon seine starke Verbundenheit mit der Stadt Kö- nigsberg[3] verhinderte wohl langfristige Forschungsreisen und damit eigene – über sei- ne Heimat hinausgehende – geologische Beobachtungen. Auch eine methodische For- schungsarbeit oder gar eine experimentelle Detailarbeit ist nicht zu erwarten. Das Wis- sen über die naturwissenschaftlichen Einzelheiten eignete sich Kant vielmehr durch eine besonders reichhaltige Belesenheit an.[4] Um zu seinen Schlussfolgerungen zu kommen, stützte sich Kant also auf die Ergebnisse anderer Forscher und Gelehrter seiner Zeit. Dazu gehörten für die Erdbeschreibung Bourguet Buffon und Labarbinais Le-Gentil, für die chemischen Versuche Nicolas Lémery und Louis Carré für die Ausbreitung des Druckes in Wasser.

1.2 Aufbau der Erde

Zunächst folgt eine kurze Zusammenfassung des Aufbaus der Erde, wie Kant als Kind seiner Zeit sich ihr Inneres vorstellte. Im Anschluss daran soll kurz auf die Ursachen des Aufbaus eingegangen und im Besonderen die damit zusammenhängende Problematik der Erkenntnis skizziert werden.

1.2.1 Aufbau

Unter der bekannten und ruhenden Erdoberfläche, auf der die Menschheit lebt, werden riesige unterirdische Gewölbe vermutet, die auf Pfeilern ruhen. Diese Hohlräume seien miteinander verbunden und bilden gemeinsam ein weitreichendes System. Als Beleg für die angenommen Ausmaße führt Kant, nachdem er feststellte, dass diese Gewölbe sich auch unterhalb des Meeres erstrecken, ein bemerkenswertes Beispiel an. So sei be- richtet worden, dass das große Beben von 1755 nicht nur in Lissabon wütete, sondern es zur gleichen Zeit sogar im weit entfernten Island als „fürchterliches Getöse“[5] wahr- genommen werden konnte. Dass Kants Annahme einer durchgehenden Höhle, durch die sich der gewaltige „Sturmwind“[6] ausbreite, nicht mehr haltbar ist, steht außer Frage.[7] Bemerkenswert erscheint jedoch, dass die – auf plattentektonische Ursachen zurückzu- führende – Verbindung Islands mit Europa bemerkt wurde und einer Erklärung bedurfte.

Angelehnt an die Erkenntnisse über den Aufbau der Erde – und gestützt auf die Veröf- fentlichungen von Buffon und Le-Gentil – geht Kant von einem Zusammenhang zwi- schen Gebirgen, Flüssen und Erdbeben aus. Einerseits seien hauptsächlich Länder in der Nähe großer Gebirge besonders gefährdet, andererseits liefen die Bewegungen der Erschütterungen stets parallel zu Flüssen und Gebirgen. Die Tragweite dieser Annahme und die daraus hervorgehende nüchterne Folgerung soll im Abschnitt 3.3 näher betrach- tet werden.

1.2.2 Ursache für den Aufbau

Zu den Gründen und Ursachen, weshalb die Erde aus einem riesigen Gewölbesystem besteht, bezieht Kant keine Position. Vielmehr stellt er heraus, dass es für derartige Erklärungsversuche nötig sei, bis zum Chaos, also dem Beginn der Erdgeschichte, zu- rückzublicken. Dies jedoch müsse zu Spekulationen führen, da keinerlei gesicherte empirische Erkenntnis über diese Ära vorliege und nach Kants Verständnis auch nicht erreicht werden könne. Kant vernachlässigt daher die Entstehungsgeschichte der Erde und die Ursache der Gewölbe, diese „mag [. . . ] sein, welche sie wolle“[8]. Er misst also auch im Folgenden der Entwicklung der Erde keinerlei Bedeutung zu, sondern konzen- triert sich für diese Abhandlung nur auf Gegenwärtiges und Wahrnehmbares.

1.3 Ursachen der Erderschütterung

Speziell für die Ursachen der Erderschütterungen stützt sich Kant auf die zu seiner Zeit sehr bekannten chemischen Versuche von Lémery.[9] Demzufolge fände im Erdinneren eine chemische Reaktion zwischen Eisenspänen, Schwefel und Wasser statt, bei der leicht entzündliche Gase entstehen, welche dann wiederum in einer heftigen Explosion verbrennen. Dabei entsteht Hitze und Dampf, die Erderschütterungen selbst sind davon wiederum Folgeerscheinungen.[10] Ein zweites Experiment ist ähnlich aufgebaut, statt Schwefel wird hierbei lediglich Vitriolöl[11] verwandt, das Ergebnis ist ein Vergleichba- res.

Es ist aus heutiger Sicht klar, dass dies nicht die Ursachen für Erdbeben sind, jedoch liegt der Kern und die Bedeutung der Aussage vielmehr darin, dass Kant hier versucht, die Erderschütterungen auf eine wissenschaftlich erklärbare und jederzeit reproduzier- bare Basis zu stellen. Daher spielt auch die Tatsache, dass es zum Auslösen der oben genannten Reaktionen eine Initialzündung in Form von Energie bedarf, keine Rolle.

Letztlich entscheidend ist der Umstand, dass durch die Nachahmung der Ereignisse eine Möglichkeit des Ursprungs aufgezeigt wird, welcher auf den Naturgesetzen beruht. Welche chemischen Reaktionen letztlich dafür verantwortlich sein sollen, lässt auch Kant offen.

In jenem Zusammenhang geht Kant auch auf die Verflechtung der Erdbeben mit dem Auftreten von Vulkanausbrüchen ein. Diese seien direkt mit den innerirdischen Ab- läufen verbunden. Einen Vulkan könne man sich daher als eine Art Überdruckventil vorstellen, welcher somit schlimmere Erdbeben verhindere bzw. abmildere. Interessant hierbei – unabhängig von der geologischen Wirklichkeit – ist die Feststellung, dass auch etwas, was primär Schrecken hervorrufe, letztlich doch Gutes beinhalten könne.[12]

1.4 Verbreitung der Beben

Ganz den bisher erarbeiteten Punkten entsprechend, schlussfolgert Kant für die Ver- breitung der Erschütterungen, dass sich diese in dem unterirdischen Gewölbesystem ausbreiten, indem sich die entzündlichen Gase bei ihrer heftigen Verbrennung als eine Art „unterirdischer Sturmwind“ den Weg durch die Gewölbe bahnen.[13] Besonders an- fällig seien hierfür die Länder, welche sich zwischen hohen Gebirgen befänden, da unter letzteren die Gewölbe besonders weiträumig und die Erdschichten auch besonders dünn seien.

1.5 Weitere Begleiterscheinungen

1.5.1 Seebeben und Flutwellen

Schließlich widmet sich Kant auch den Begleiterscheinungen der Erderschütterungen. So zieht die Entstehung der Erdbebenflutwelle seine Aufmerksamkeit auf sich. Dass die Aufbau eines Ge- Erdbeben bis unter den Meeresgrund reichen, ist zu Kants Zeiten hinlänglich bekannt und unumstritten.[14]

[...]


[1]Der vollständige Titel der Abhandlung lautet: Von den Ursachen der Erderschütterungen bei der Gele- genheit des Unglücks, welches die westliche Länder von Europa gegen das Ende des vorigen Jahres betroffen hat. Im Folgenden wird dieser Aufsatz nach der Akademie-Ausgabe (KÖNIGLICH PREUSSI- SCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN (Hrsg.): Kant’s Gesammelte Schriften. Bd. I. Vorkritische Schriften I 1747 – 1756. Berlin 1910.) zitiert.

[2]Vgl. LEHMANN, Gerhard und LASSWITZ, Kurd (Hrsg.): Kants Werke, Akademie Textausgabe: Anmer- kungen der Bände I - V. Berlin 1977, S. 568.

[3]Vgl. VORLÄNDER, Karl: Immanuel Kant, der Mann und das Werk. Sonderausg. mit einer Bibliogra- phie zur Biographie von Rudolf MALTER, 3. Auflage. Hamburg 1992, S. 106.

[4]Vgl. VORLÄNDER (1992), S. 106.

[1]Ak. I, 419.

[2]Vgl. Ak. I, 419.

[3]Als längere Zeit der Abwesenheit kommt lediglich Kants Tätigkeit als Hauslehrer in Betracht. Hierfür gibt es in der Forschung jedoch verschiedene Ansätze, was den Zeitraum betrifft: So geht Otfried Höf- fe von 1746 als Zeitpunkt aus, an dem Kant Königsberg vorübergehend verließ (Vgl. HÖFFE, Otfried: Immanuel Kant. 2007, (Beck’sche Reihe Denker; 506), S. 23.) während Hans-Joachim Waschkies dies erst auf 1748 datiert. (Vgl. WASCHKIES, Hans-Joachim: Physik und Physikotheologie des jungen Kant. Die Vorgeschichte seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Amsterdam 1987, (Bochumer Studien zur Philosophie; 8), S. 56 f.).

[4]Vgl. VORLÄNDER (1992), S. 110.

[5]Vgl. Ak. I, 420.

[6]Vgl. Ak. I, 420.

[7]Kant selbst weist bereits bei der Veröffentlichung des zweiten Teils der Abhandlung am 31. Januar 1756 darauf hin, dass dieser vermutete Zusammenhang auf ein falsches Datum zurückzuführen ist (Ak. I, 427), jedoch bleibt die Überlegung an sich bemerkenswert.

[8]Ak. I, 420.

[9]Vgl. ADICKES, Erich: Kant als Naturforscher. Band 2, Berlin 1925, S. 358.

[10]Vgl. Ak. I, 422.

[11]Dies ist die alte Bezeichnung für Schwefelsäure.

[12]Vgl. Ak. I, 423.

[13]Vgl. Ak. I, 420; Ak. I, 421 f.

[14]Vgl. Ak. I, 423.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Naturwissenschaften beim frühen Kant
Untertitel
Kants Abhandlung „Von den Ursachen der Erderschütterungen“ von 1756
Hochschule
Universität Mannheim  (Philosophische Fakultät, Lehrstuhl Philosophie I )
Veranstaltung
Oberseminar: Neuere Forschungen zur Geschichte der Philosophie
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V123562
ISBN (eBook)
9783640281404
ISBN (Buch)
9783640284320
Dateigröße
451 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Immanuel Kant, Theodizee, Naturwissenschaft, Lissabon, Erdbeben
Arbeit zitieren
Lutz Spitzner (Autor:in), 2008, Naturwissenschaften beim frühen Kant , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123562

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