Die Kritik der Queer Theory an der Konstruktion einer bipolaren Geschlechtsidentität


Hausarbeit, 2008

20 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

Erster Teil Die Konstruktion einer bipolaren Geschlechtsidentität
1. Geschlechtsidentität
2. Heteronormativität und Bipolarität

Zweiter Teil Die Kritik an der Konstruktion einer bipolaren Geschlechtsidentität
1. Die Sex-Gender-Theorie als Wegbereiterin
2. Die Queer Theory
2.1. Von der Bewegung zur Wissenschaft
2.2. Queer Studies als Verunsicherungswissenschaft

Dritter Teil Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Mit dieser Arbeit beschäftige ich mich mit der Queer Theory, um zu analysieren, wie sich deren Kritik an der Konstruktion einer bipolaren Geschlechtsidentität äußert. An­ders formuliert könnte die Fragestellung daher auch lauten: Sind zwei Geschlechter schon genug oder bereits zuviel?

Dazu will ich im Ersten Teil Begrifflichkeiten wie „Geschlechtsidentität“, „Bipolarität“ und „Heteronormativität“ definieren und zueinander in Bezug setzen, um die normie­renden Auswirkungen dieser Konstruktion zu beleuchten.

Im Zweiten Teil widme ich mich der Kritik an eben dieser Konstruktion, welche maß­geblich von der Queer Theory vorangetrieben wird. Dazu ist es unerlässlich, erst einmal die Sex-Gender-Theorie zu betrachten, auf deren theoretischen Errungen­schaften die Queer Theory in großen Teilen aufbaut. Darüber hinaus soll durch den geschichtlichen Ausschnitt der sozialen Bewegungen (Homophilen-Bewegung, Homo-Befreiung und Lesbischer Feminismus) aufgezeigt werden, mit welchen ge­sellschaftlichen Veränderungen sich die genannte Konstruktion konfrontiert sah. Für die Verunsicherungen, die diese „Eigenartigkeiten“ mit sich brachten, liefert die Queer Theory schließlich den theoretischen Überbau.

Erster Teil Die Konstruktion einer bipolaren Geschlechtsidentität

Um der Konstruktion einer bipolaren Geschlechtsidentität auf den Grund zu gehen, ist der Erste Teil dieser Arbeit in die Abschnitte „Geschlechtsidentität“ und „Hetero­normativität und Bipolarität“ unterteilt. Zwar ist in diesem Fall „das Pferd von hinten aufgezäumt“, da sich die Geschlechtsidentität erst entwickeln kann, wenn die Hete­ronormativität die gesellschaftlichen Grundlagen bildet, die die bipolare Zuschreibung der Geschlechtsidentitäten vornimmt und strukturiert. Allerdings ziehe ich es vor, die wissenschaftliche Chronologie, soll heißen die aufeinander aufbauenden For­schungsstände in ihrer zeitlichen Reihenfolge, vor die eigentliche Chronologie zu stellen. Dadurch können meines Erachtens die gesellschaftlichen Entwicklungen besser abgelichtet werden.

1. Geschlechtsidentität

Geschlechtsidentität wird „in der Theorie der Sozialisation verstanden als individuel­les Selbstverständnis einer Person als ‚Mann’ oder ‚Frau’“ (Hillmann 2007, S. 288), was in dieser Betrachtung die maßgeblichen und (in den meisten Fällen) von Geburt an feststehenden Sozial­strukturkategorien der Geschlechtsidentität sind. Sie „bildet sich nach psychoanalyti­schen Theorien bereits in der Kindheit durch Identifikation mit dem gleichgeschlecht­lichen Elternteil heraus, wobei geschlechtsspezifische Verhal­tenserwartungen und –muster internalisiert werden.“ (a. a. O.)

Unter den hier beschriebenen psychoanalytischen Theorien verstehen sich haupt­sächlich die Arbeiten des österreichischen Arztes und Tiefenpsychologen Sigmund Freud (1856-1939). Zwar wurde die von Freud um die Jahrhundertwende gegründete Psychoanalyse nicht als eine Sozialisationstheorie sondern vielmehr als eine Heil­methode für psychische Erkrankungen entworfen, dennoch spielt sie eine prägende Vorreiterrolle in der Sozialisationsforschung. Insbesondere für das Verständnis der Entstehung einer Geschlechtsidentität sind Freuds Modellvorstellungen der Instan­zen der menschlichen Psyche (Es, Ich und Über-Ich), die Trieblehre und die Ent­wicklung der Sexualfunktion (einhergehend mit dem Ödipus-Komplex) wichtig, auf die in den folgenden Abschnitten genauer eingegangen werden soll.

Es, Ich und Über-Ich

Freud unterteilte den Apparat der menschlichen Psyche in drei interaktive Instanzen, welche er als das Es, das Ich und das Über-Ich bezeichnete.

Die älteste dieser psychischen Instanzen ist das Es. Es ist dem Menschen von Ge­burt an eigen und beinhaltet „alles, was ererbt, von Geburt mitgebracht, konstitutio­nell festgelegt ist, vor allem also die aus der Körperorganisation stammenden Triebe“ (Freud 1994, S. 42).

Da das Es in seiner frühkindlichen Phase auch Sinneswahrnehmungen aus der es umgebenden realen Außenwelt empfängt, welche es u. a. durch Aktivitäten der Mus­kulatur verarbeiten muss, bildet sich aus seiner Rindenschicht, die diese Aufgaben bislang übernommen hat, die zweite psychische Instanz, das Ich, heraus. „Infolge der vorgebildeten Beziehung zwischen Sinneswahrnehmung und Muskelaktion hat das Ich die Verfügung über die willkürlichen Bewegungen. Es hat die Aufgabe der Selbstbehauptung, erfüllt sie, indem es nach außen die Reize kennenlernt, Erfahrun­gen über sie aufspeichert (im Gedächtnis), überstarke Reize vermeidet (durch Flucht), mäßigen Reizen begegnet (durch Anpassung) und endlich lernt, die Außen­welt in zweckmäßiger Weise zu seinem Vorteil zu verändern (Aktivität); nach innen gegen das Es, indem es die Herrschaft über die Triebansprüche gewinnt, entschei­det, ob sie zur Befriedigung zugelassen werden sollen, diese Befriedigung auf die in der Außenwelt günstigen Zeiten und Umstände verschiebt oder ihre Erregungen überhaupt unterdrückt.“ (Ebenda, S. 42-43) Das Ich übernimmt in dieser Phase der psychischen Entwicklung also die Auf­gabe der Moderation vorläufig nur zwischen dem Es und der Au­ßenwelt, später dann auch mit dem Über-Ich.

Mit dem Über-Ich bezeichnet Freud die dritte psychische Instanz, die sich circa im fünften Lebensjahr im Ich herausbildet als ein „Niederschlag der langen Kindheitspe­riode, während der der werdende Mensch in Abhängigkeit von seinen Eltern lebt“ (Ebenda, S. 43). Es verinnerlicht aus der Interaktion des Ichs mit der Außenwelt, ins­besondere mit den Eltern und der gesamten erzieherischen Umwelt, deren Werte und Normen, aus de­nen sich Rollen, ein Gewissen und Auffassungen über die Welt entwickeln. Das Über-Ich bildet sich nach der Überwindung der ödipalen Phase her­aus, welche für die psychische und soziale Reproduktion von Geschlechterrollen und Geschlechtsidentitäten stark prä­gend ist, worauf später noch genauer eingegangen wird.

Trieblehre

Unter Trieben versteht Freud die Kräfte, die das Es auffordern, ein Bedürfnis zu be­kunden. „Sie repräsentieren die körperlichen Anforderungen an das Seelenleben.“ (Ebenda, S. 44) Die Natur der Triebe ist eine konservative, obwohl sie der Ursprung jeder Aktivität sind, da sie immer bestrebt sind, jeden erreichten „Zustand wiederher­zustellen, sobald er verlassen worden ist.“ (a. a. O.)

Die zwei Grundtriebe werden in den Eros (auch Liebestrieb) und den Destruktions­trieb (auch Todestrieb) unterschieden. Die beiden wirken „gegeneinander oder kom­binieren sich miteinander. So ist der Akt des Essens eine Zerstörung des Objekts mit dem Endziel der Einverleibung, der Sexualakt eine Aggression mit der Absicht der innigsten Vereinigung.“ (Ebenda, S. 45)

Die gesamte Energie des Eros nennt Freud die Libido, welche vorerst im Ich-Es, wel­che sich noch nicht voneinander gelöst haben, und später allein im Ich aufgespei­chert ist. Da sich die Libido zuerst in der Ichliebe äußert, wird dieser Zustand auch als der absolut primäre Narzissmus bezeichnet, welcher später auch in Objektlibido umgesetzt wird. „Ein im Le­ben wichtiger Charakter ist die Beweglichkeit der Libido, die Leichtigkeit, mit der sie von einem Objekt auf andere Objekte übergeht“ (Ebenda, S. 47), was später bei der Überwindung der ödipalen Phase wichtig sein wird.

Die Entwicklung der Sexualfunktion

Die aus dem Studium der Sexualfunktion entwickelte Behauptung Freuds, die wohl für die meiste Aufregung gesorgt hat, ist wohl die, dass das Sexualleben des Men­schen nicht erst ab der Pubertät, sondern bereits „bald nach der Geburt mit deutli­chen Äußerungen“ (Ebenda, S. 48) einsetzt. Allerdings fällt das Sexualleben der frühkindlichen Phase unter die infantile Amnesie, welche mit der Latenzzeit einsetzt. Freud unterteilt dieses Sexualleben in vier Phasen, die er als die orale Phase, die anal-sadistische Phase, die phallische Phase und schließlich als die Ödipusphase bezeichnet. „Der Knabe tritt in die Ödipusphase ein, er beginnt die manuelle Betäti­gung am Penis mit gleichzeitigen Phantasien von irgendeiner sexuellen Betätigung desselben an der Mutter.“ (Ebenda, S. 50) Er setzt also die Erfahrung der kürzlich entdeckten Lustgewinnung durch seinen Penis mit der Liebe zu seiner Mutter in ei­nen direkten Zusammenhang miteinander. Da er dadurch die Eifersucht des Vaters auf sich ziehen könnte, bildet sich der Knabe ein, dass dieser ihm sein „neues Spiel­zeug“ wieder wegnehmen könnte. Der Knabe vermutet also eine Kastrationsdrohung von Seiten des Vaters, wodurch er in Zusammenwirkung mit „dem Anblick der weibli­chen Penislosigkeit das größte Trauma seines Lebens erfährt, das die Latenzzeit mit all ihren Folgen einleitet.“ (Ebenda, S. 51)

Mit Überwindung der ödipalen Phase entwickelt sich das Über-Ich, welches die Inter­nalisierung der Kastrationsdrohung als das starke moralische Verbot des Inzests in sich manifestiert. Da der Knabe es aber dennoch dem Vater gleichtun möchte, setzt er seine Libido in Bewegung und besetzt mit ihr ein anderes, der Mutter ähnliches, Objekt, indem er die Liebe zur Mutter auf eine andere Frau außerhalb des familiären Umfelds projiziert. Der Vater wird in diesem Konstrukt weiterhin als Autorität, zusätz­lich nun aber auch als Vorbild wahrgenommen, da er das angestrebte Ziel des Kna­ben, die sexuelle Betätigung mit einer Frau, bereits erreicht hat. Dadurch internali­siert der Knabe das Bild, das er von seinem Vater hat, als Geschlechterrolle in sei­nem Über-Ich. Dieser Prozess findet hauptsächlich während der folgenden Latenz­zeit statt, in der sich durch das stetige Spielen der Geschlechterrolle im sozialen Kontext ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit anderen Knaben und Männern, die Geschlechtsidentität, entwickelt.

Eine dem Ödipuskomplex entsprechende weibliche Variante wurde von dem Schwei­zer Mediziner und Psychologen Carl Gustav Jung (1875-1961) im Jahre 1913 mit dem Begriff des Elektrakomplexes eingeführt. Durch das Zusammenspiel des be­schriebenen Ödipuskomplexes mit dem entsprechenden Elektrakomplex werden im heteronormativen sozialen Kontext die Geschlechtsidentitäten ständig an die nach­folgende Generation weitergegeben, welche diese internalisiert, somit auch rekon­struiert und in ihrer bipolaren Ausrichtung aufrecht erhält.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Kritik der Queer Theory an der Konstruktion einer bipolaren Geschlechtsidentität
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V123370
ISBN (eBook)
9783640280933
ISBN (Buch)
9783640284085
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Prima, eine sehr gute und überzeugende Arbeit! Ausgewogene Diskussion und Argumentation des Themas!
Schlagworte
queer, gender, freud, foucault, geschlecht, homosexualität
Arbeit zitieren
Michael Becker (Autor:in), 2008, Die Kritik der Queer Theory an der Konstruktion einer bipolaren Geschlechtsidentität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123370

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