Afrikanischer Ahnenkult und christlicher Glaube

Der afrikanische Ahnenkult als Herausforderung für die Inkulturation des Christentums in Schwarzafrika


Examensarbeit, 2007

73 Seiten, Note: 3,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Begegnung Schwarzafrikas mit dem Christentum
2.1 Vorbemerkung
2.2 Exkurs in die Zeit der europäischen Endeckungsfahrten
2.3 Die Kolonialzeit als bleibende Belastung für die Inkulturation des Christentums in Schwarzafrika
2.3.1 Die Kolonialisierung Afrikas ab dem 19. Jahrhundert
2.3.2 Auswirkung der Kolonialisierung auf die afrikanische Gesellschaft
2.4 Die Missionierung als bleibende Belastung für die Inkulturation des Christentums in Schwarzafrika
2.4.1 Definitionen des Missionsbegriffs
2.4.2 Exkurs in die evangelische Mission
2.4.3 Mission als historischer Hintergrund der schwarzafrikanischen Bevölkerung
2.4.4 Missionierung am Beispiel der „Erziehung“
2.4.5 Missionierung am Beispiel der „Arbeitserziehung“
2.4.6 Das Christentum und der Islam -die Wahl zwischen den Religionen-
2.4.7 Fazit

3. Die Entwicklung des Afrikabildes der Christen durch das Vaticanum II
3.1 Vorkonzilszeit
3.2 Entstehungsgeschichte des II. Vatikanum
3.3 Der Aufbau und Verlauf des Konzil
3.4 Nachkonzilszeit -Problem des Konzils-
3.5 Dekret über die missionarische Tätigkeit der Kirche „Ad gentes“
3.5.1 Vorwort zum Dekret „Ad gentes“
3.5.2 Entstehungsgeschichte des Missionsdekrets
3.5.3 Der Inhalt des Missionsdekrets
3.6 Die neue theologische Sichtweise
3.7 Die Verbindung zwischen Gesamtkirche und Teilkirchen

4. Der Inkulturationsprozess als Schlüssel der Verbindung zwischen dem Christentum und der afrikanische Spiritualität
4.1 Vorwort zur Inkulturation des Christentums in die afrikanische Ahnenfrömmigkeit
4.2 Grundlinien der afrikanischen Ahnenfrömmigkeit
4.3 Der soziale Umgang im Klan und die Beziehung zum Ahnenkult
4.4 Das Christentum und der afrikanische Ahnenkult
4.5 Theologische Modelle der Inkulturation des Christentums in
Schwarzafrika
4.5.1 Bénézet Bujos „Christus als Proto-Ahn“
4.5.2 Christologiemodell von Anselme Titianma Sanon in Bezug auf „Jesus als Proto-Ahn“
4.6 Die Lehre der Kirche in Verbindung mit der Ahnentheologie nach Bujo
4.7 Problematik der verschiedenen Eschatologie- Modelle
4.8 Die Bibel und das afrikanische Erbe nach John S. Mbiti
4.9 Die Pfingstbewegungen in Verbindung mit der Kirche

5. Schlusswort

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bevor man zur heutigen Inkulturation des Christentums in Schwarzafrika kommen kann, müssen verschiedene Epochen des Kontinents näher betrachtet werden. Die Arbeit befasst sich mit dem historischen Kontext, um die religiöse Situation des Kontinents in der er sich heute befindet näher zu schildern und zu verstehen. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass die Theologie in Afrika von dieser Historie geprägt ist und viele Elemente der Geschichte immer noch einen wesentlichen Bestandteil der Theologie ausmachen.

Die folgende Ausarbeitung wird sich in drei Hauptpunkte gliedern. Der erste Punkt befasst sich mit der Kolonialzeit und der Missionierung. Die Zeit der Kolonialherren und Missionare, die für die Gemeinschaft der Ethnien grundlegende Elemente aus dem Gleichgewicht brachten, legt den Grundstein für die befreiende Religion der negro-afrikanischen Tradition.[1]

Der zweite Punkt geht näher auf das zweite vatikanische Konzil ein, welches den Weg für die heutige Sichtweise der Theologie in Afrika und der ganzen Welt ebnet. Vor allem das Dekret „Ad gentes“, ist in diesem Kontext besonders wichtig, da hier die missionarische Tätigkeit der Kirche behandelt wird.

Der letzte Punkt erarbeitet die Inkulturation des Christentums am Bespiel des Ahnenkultes. Die Frage, die hier gestellt wird ist, ob der Afrikaner, um sich zum Evangelium zu bekehren, die Beziehung zu den Ahnen abbrechen muss? In diversen Unterpunkten wird die Wichtigkeit der Ahnen für die afrikanischen Völker südlich der Sahara behandelt. Außerdem soll die Schwierigkeit gezeigt werden, inwiefern sich die afrikanischen Christen in einer religiösen Zerrissenheit befinden.[2] Der christliche Glauben auf der einen Seite und die afrikanische Spiritualität auf der anderen.

Weiterhin werden Bezüge zu afrikanischen Theologen hergestellt, die sich mit der Inkulturation des Christentums in Afrika befassen, aber auch den Christen das Verständnis für die Ahnenfrömmigkeit zu vermitteln versuchen. Dieser Aspekt ist besonders wichtig, da die Inkulturation nicht nur als Monolog der euro- amerikanischen Seite gesehen werden darf, sondern als Dialog zwischen verschiedenen Religionen betrachtet werden sollte.

2. Die Begegnung Schwarzafrikas mit dem Christentum

2.1 Vorbemerkung

Meine Überlegung diesen Punkt betreffend war, die Geschichte Schwarzafrikas als bleibende Belastung für den heutigen Inkulturationsprozess des Christentums herauszuarbeiten. Das Ziel der Arbeit ist es aber nicht, die Mission und die Erneuerung des Missionsbegriffs durch das Vatikanum II. explizit zu untersuchen. Der Focus dieser Arbeit richtet sich also vielmehr auf den Inkulturationsprozess und die damit zusammenhängenden Prozesse. Eine stellenweise auftretende Plakativität in den ersten beiden Punkten kann daher in Kauf genommen werden.

2.2 Exkurs in die Zeit der europäischen Endeckungsfahrten

Als Einführung in das Thema sollen hier zuerst die Geschichte Afrikas und die ersten Kontakte zwischen Europäern und Afrikanern dargestellt werden. Da in dieser Arbeit nur die letzten 200 Jahre der Geschichte Afrikas beleuchtet werden, muss die Epoche der See- und Enddeckungsfahrten vernachlässigt, wenn auch nicht ganz unbeachtet gelassen werden. Deshalb im Folgenden nur einige kurze Bemerkungen.

Der Pionierverdienst an der Entdeckung des Kontinents geht auf die Portugiesen und Spanier zurück. Die ersten Fahrten des Christoph Columbus und Heinrichs des Seefahrers führten 1492-1540 zu einem regen Aufschwung der Entdeckertätigkeit. Von Staat und Kirche gefördert, stand die Erweiterung der wirtschaftlichen, missionarischen und wissenschaftlichen Horizonte an erster Stelle.[3] Die ersten Kulturkontakte mit dem schwarzafrikanischen Volk verliefen meist friedlich. Berichte zeigen, dass die Friedensbereitschaft und die Ehrfurcht des Afrikaners vor dem weißen Mann den Europäer positiv beeindruckten . In einem Bericht von dem Venezianer Cadamosto, der 1454 nach Westafrika segelte, ist von einem solchen Zusammentreffen die Rede. „«Diese Neger», heißt es in seinem Reisebericht, »liefen zusammen, um mich zu sehen, als ob ich eine Wundererscheinung gewesen wäre. Es schien für sie eine neue Erfahrung zu sein, einen Christenmenschen zu sehen ... ; einige berührten meine Hände und Gliedmaßen und rieben meine Haut mit Speichel, um herauszufinden, ob das Weiß natürlich oder gefärbt sei…«“[4]

Des Weiteren gibt es Belege, dass die Portugiesen zwischen den gutartigen „Schwarzafrikanern“ einerseits und beispielsweise den bösartigen Mauren andererseits unterschieden.[5] Doch obwohl sie als „gutartige Schwarzafrikaner“ beschrieben wurden, war die Angst vor dem Unbekannten groß. Diese Menschen ,“ die sich aufgrund ihrer Lebensart (z. B. Fischesser und Höhlenbewohner) oder physischer Unnormalität (Giganten, Pygmäen) von anderen Völkern abhoben“ und am „Rande der bewohnten Welt“ siedelten, wurden beispielsweise beschrieben als „Hundsköpfe“, „Kopflose“, „Völker ohne Zungen“, „Menschenfresser“.[6] Afrika wurde also zunächst als animalischer, „ monströser“[7], aber auch kannibalischer Ort begriffen.

Da diese Entdeckungsfahrten durch die Kirche bewilligt und teilweise finanziert wurden, war der Anteil der Missionare auf den Schiffen hoch.

Der damalige Missionsgedanke, den schwarzen Mann von seinem Heidenglauben zur göttlichen Erlösung zu bekehren, war allerdings schwer verständlich zu machen, da die Völker in der Verbreitung des Christenglaubens nicht mehr als eine Zerstörung ihrer Kultur sahen. Der weiße Mann zerstörte die Kultstätten und verdrängte die afrikanischen Traditionen immer mehr. Aus dieser Situation heraus entwickelte sich ein Misstrauen den Europäern gegenüber. Der Durchbruch der christlichen Idee, die sich um 1500 zu eröffnen schien, blieb völlig aus.[8]

300 Jahre später, zur Zeit der Kolonialisierung durch die großen europäischen Kolonialmächte, waren auch die Missionare an der Verbreiterung ihres Glaubens in Afrika interessiert. Die Ausbreitung der Kolonien und der Missionstätigkeit ab Mitte des 19. Jahrhunderts führte zu einem grundlegenden Strukturwandel in Teilen des afrikanischen Kontinents.

2.3 Die Kolonialzeit als bleibende Belastung für die Inkulturation des Christentums in Schwarzafrika

2.3.1 Die Kolonialisierung Afrikas ab dem 19. Jahrhundert

Am Anfang des 19. Jahrhunderts war Afrika nur dünn von Europäern besiedelt. Der größte Teil der Weißen wohnte in einem Radius von 100 Kilometern um Kapstadt herum. Dieser Bereich galt als sehr fruchtbar, da der Niederschlag höher war als in den meisten anderen Regionen Afrikas.[9] Die Fremdherrschaft der Europäer beschränkte sich also auf Handelsniederlassungen und Stützpunkte an der Küste, was aber auch mit den klimatischen Bedingungen zu tun hatte.

Die rasche Ausbreitung der Kolonien geht auf Forscher, Entdecker, Abenteurer und Missionare zurück. Sie lieferten sich einen regelrechten „Wettlauf“, um den unerforschten Kontinent, der direkt „vor der Haustür“ lag, zu erkunden. Das Forscherinteresse galt zu dieser Zeit vornehmlich den Quellgebieten der großen Flüsse wie dem Niger, dem Kongo und dem Nil.[10]

Die aus diesem Entdeckungsgedanken entstandenen Ideen der Aufklärung hatten aber auch indirekt dem Missionsgedanken neuen Aufschwung gegeben. Während lange Zeit die schwarze Bevölkerung Afrikas vornehmlich als „gottlose Wilde“ betrachtet wurde, die deshalb nicht in den „Genuss“ der christlichen Heilsbotschaft kommen konnte, hatte die Aufklärung der Europäer das Bild der afrikanischen Urbevölkerung verändert und zumindest seine Menschlichkeit als unzweifelhaft festgestellt. Damit stand für die europäischen Kirchen die Verpflichtung außer Frage, ihre Missionstätigkeit auf dem afrikanischen Kontinent auszudehnen.[11]

Einer der wichtigsten Merkmale der Kolonialisierung war der Handel. Einige Händler, die im 17. bis hin zum 19. Jahrhundert verstärkt mit Sklaven handelten, bildeten ihre Vorrechte gegenüber anderen konkurrierenden Kolonien immer weiter aus. Die Schutzabkommen für den Im- und Export vom afrikanischen Volk, die sie mit ihren Heimatstaaten bildeten, veranlassten den Wachstum des Wettbewerbs unter den Händlern. Der unmenschliche Sklavenhandel durch koloniale Mächte, war damals der wesentlichste Bestandteil der Ausbeutung des Kontinents.[12]

Die erste Einsicht und Umkehr, weg von den menschenunwürdigen Lebensweisen der versklavten Afrikaner, kam nicht ganz uneigennützig aus Großbritannien. England war sich bewusst, dass sich der Zusammenschluss mit dem afrikanischen Volk positiv auf den britischen Handel auswirken würde. Durch das Verbot der Sklaverei, welches in Verträgen mit afrikanischen Herrschern besiegelt wurde, schufen sich die Briten Handelsfreiheit und Meistbegünstigungsrechte auf afrikanischem Boden. England sicherte nun zur „Überwachung“ des Sklavenhandels den Seeweg und hatte dadurch eine Monopolstellung gegenüber anderen Kolonialmächten.

Um dem entgegenzuwirken rüsteten die anderen Kolonialmächte auf. Ein enormer Aufschwung der kolonialen Eroberung begann Ende des 19. Jahrhunderts. Die Expeditionen nahmen zu und Südafrika wurde bald von den verschiedensten europäischen Bevölkerungsschichten besiedelt, die sich in Afrika niederließen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts war Afrika, bis auf wenige Ausnahmen, unter den alten und neuen Kolonialmächten aufgeteilt. Die imperialistischen Mächte Frankreich, Großbritannien, Portugal, Spanien, Deutschland, Belgien und Italien hatten die Vorherrschaft. Der daraus entstandene Konkurrenzkampf um Rohstoffe und Absatzmärkte führte zur verstärkten kolonialen Expansion, woraus wiederum Kolonialkriege entstanden.[13]

Der Abbau von mineralischen Bodenschätzen und die Ausbeutung der landwirtschaftlichen Güter wurden von den Afrikanern unter Aufsicht der Kolonialherren verrichtet. Für einen Mindestlohn mussten der Afrikaner meist mehr als nur einen Beruf ausüben, während seine Familie gezwungen war uneingeschränkt bei der Arbeit zu helfen, da diese sonst nicht zu bewältigen gewesen wäre.[14]

2.3.2 Auswirkung der Kolonialisierung auf die afrikanische Gesellschaft

Die einzelnen kolonialen Einrichtungen bestanden aus mehreren Ämtern, welche die Afrikaner in ihrem Lebensraum einschränkten. Man drängte die Afrikaner zur Unterwerfung und Ausbeutung ihres Landes, versuchte aber gleichzeitig, ihnen die Chance zu begrenzter Partizipation einzuräumen. So besetzte man die niedrigen, verantwortungsfreien Positionen, der einzelnen Ämter mit Afrikanern. Die Auswahl dieser Amtsträger wurde in Abhängigkeit der sozialen Stellung getroffen. Das kolonial geprägte Modernisierungsideal wurde durch die Afrikaner verkörpert, die dem Kolonialsystem am intensivsten verbunden waren (Beamte, Lehrer etc.).[15] Das Prestige, das man durch einen Arbeitsplatz in einem Amt bekam, war weitaus größer als das beispielsweise eines Bauers. Und das ist bis heute so. So schreibt Illy: „Die Vision der Schüler ist eingleisig: Wer die dörfliche Agrarstruktur hinter sich gelassen und die Schule bewältigt hat, hat ein Anrecht auf einen Platz in der Verwaltung. Gut bezahlte Arbeitsplätze in der Industrie erschienen daraufhin befragten Schülern weniger attraktiv als administrative Tätigkeiten auch auf niedrigstem Niveau.“[16]

2.3.3 Der Kolonialismus als Wandelbegriff

Der Begriff des Kolonialismus wurde über die Jahre unterschiedlich geprägt und dessen semantischer Inhalt verändert. Der nächste Abschnitt soll den Wandel des Begriffs Kolonialisierung und die daraus resultierenden unterschiedlichen Bedeutungen für die Kolonialisierung Afrikas bis hin zur Gegenwart beleuchten. Im Folgenden werden Auszüge aus verschiedenen Lexika zum Begriff „Kolonialismus“ dargestellt.

Die Religion in Geschichte und Gegenwart (1912):

„Unter Kolonialismus im eigentlichen Sinne des Wortes versteht man das Sichausbreiten einer Bevölkerung über außerhalb ihrer Grenzen gelegene Gebiete. In den Gebieten, die eine große Dichtigkeit der Eingeborenen ausweisen, oder wo klimatische Verhältnisse die Sesshaftmachung und Fortpflanzung der Europäer unmöglich machen, kann man nur von K. im weiteren Sinne des Wortes sprechen. Die Ausbreitung des europäischen Volkstums in Kolonien mit eingeborener Bevölkerung erfolgt nur in einem übertragenen Sinne, indem Beamte, Missionare und Kaufleute den eingeborenen Bevölkerungen europäische Einrichtungen (Bahnen, Verwaltung) und europäische Vorstellung (Recht, Religion) übermitteln. Vom religiösen Standpunkt aus bieten die „Eingeborenenkolonien“ und die „Mischkolonien“ besonders wichtige eigenartige Probleme dar. Es sind die Gebiete, in denen die Heidenmission vor ihre größte Aufgabe gestellt wird.“[17]

Sacramentum Mundi (1969):

„Der Begriff des Kolonialismus ist am klarsten zu fassen, wenn man ihn auf den Vorgang der Inbesitznahme außereuropäischen Territoriums durch die sog. europäischen „Kolonialmächte“ einengt, ein Geschehen, das im Allgemeinen mit dem Rassenantagonismus verbunden war.“[18]

Theologische Realenzyklopädie (1990):

„Der Begriff Kolonialismus (der normalerweise im abwertenden Sinn gebraucht wird und die Beherrschung eines Volkes durch ein anderes bezeichnet) wurde erst in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts im Zusammenhang des „De-Kolonialisierungsprozesses“ gebräuchlich. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Begriff nicht von dem des Imperialismus zu unterscheiden.“[19]

Religion in Geschichte und Gegenwart (2001):

„Kolonialismus ist eine Herrschaftsform, bei der Fremdherrschaft über unterworfene Völker ausgeübt und ihnen das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen wird.“[20]

Der Vergleich der genannten Lexikonartikel macht die Verschiebung der Wortsemantik über die Jahre 1912 bis 2001 deutlich. Er lässt Schlüsse über den Wandel der Auffassung des Kolonialisierungsbegriffs zu. Betrachtet man den Artikel aus dem Jahr 1912 wird die Kolonialisierung als Ausbreitung einer Bevölkerung über die Grenzen ihres Landes angesehen. Die Heidenmission wird in diesen Gebieten als größte Aufgabe betrachtet. Kolonialisierung bedeutete die Vermittlung von europäischem Gedankengut und Glauben unter den „Eingeborenen“, was als besondere Herausforderung der Mission angesehen wurde. In den folgenden Artikeln wird der Wandel deutlich. So wird 1969 der Begriff der Kolonialisierung beispielsweise mit Rassenantagonismus in Verbindung gebracht. 1990 bezeichnet die Theologische Realenzyklopädie den Begriff der Kolonialisierung als abwertend und setzt ihn mit dem Imperialismus gleich. Imperialismus ist hier gleichbedeutend mit dem zielgerichteten Erweitern und systematischen Ausbauen der wirtschaftlichen, militärischen, politischen und kulturellen Macht eines Staates in der Welt zu sehen.[21] In der heutigen Zeit wird die Kolonialisierung als Fremdherrschaft eines Volkes über ein anderes definiert. Dabei wurde dem unterworfenen Volk jegliches Recht auf Selbstbestimmung und Eigenständigkeit aberkannt. Kolonialisierung steht im Zusammenhang mit unterdrückten Ländern und unterdrückenden Kolonialmächten. Die Grundidee der damaligen Kolonialherren war die Ausdehnung der Macht von den europäischen Ländern auf außereuropäische Gebiete mit dem Ziel der wirtschaftlichen Ausbeutung. Missionarische Gründe waren dabei nur von untergeordneter Bedeutung. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass nach der Auffassung des Kolonialisierungsbegriffs um 1912 Afrika von Europa geprägt wurde. Durch die Kolonialisierung wurden europäische Vorstellungen wie Recht und Religion, sowie europäische Einrichtungen wie Bahn und Verwaltungen nach Afrika gebracht. Bis zum heutigen Zeitpunkt hat sich die Bedeutung des Begriffs Kolonialisierung allerdings deutlich geändert. Nach der heutigen Auffassung wurde Afrika durch Europa unterdrückt, in dem Europa die Fremdherrschaft über Afrika erlangte und es somit wirtschaftlich ausbeutete sowie seiner Eigenständigkeit beraubte.

2.4 Die Missionierung als bleibende Belastung für die Inkulturation des Christentums in Schwarzafrika

2.4.1 Definitionen des Missionsbegriffs

Da sich im Wandel der Zeit die Bedeutung des Wortes „Missionierung“ immer weiter entwickelte, wird im Folgenden ein Überblick über die verschiedenen Verständnisse gegeben. Um eine Definition des Begriffs zu erhalten, muss der Wandel des Missionsverständnisses im 20. Jahrhundert näher betrachtet werden. Dies geschieht anhand von drei Lexika, in denen der Begriff „Mission“ erklärt wird. Das Lexikon „die Religion in Geschichte und Gegenwart“ von 1930 wird verwendet, um das historische Verständnis des Begriffes Mission aufzuzeigen. Die anderen Lexika zeigen die Zeiten des Umbruchs durch das Zweite Vatikanische Konzil („Sacramentum Mundi“) und die Zeit der Gegenwart („Religion in Geschichte und Gegenwart“) auf. Die Semantik des Wortes „Mission“ verschiebt sich über die Jahre 1930 bis 2002 deutlich.

Die Religion in Geschichte und Gegenwart (1930):

Das Wort M. (= Sendung) ist im Christentum gebildet worden. Aber was darunter verstanden wird, Ausbreitung der Religion durch Werbung neuer Anhänger, findet sich auch in anderen Religionen. M. erwächst aus der subjektiven Überzeugung der Religionen, dass in ihnen Werte liegen, die nicht nur für das Volk, in dem sie entstanden sind, sondern für die ganze Menschheit höchste Bedeutung haben, ja, dass gerade in dieser einen Religion das allein wahre Heil, die absolute Wahrheit gegeben, und dass es darum religiöse Pflicht sei, diese Rettung und Wahrheit aller Welt zu verkünden.“[22]

Sacramentum Mundi (1969):

Der Begriff der M. bezeichnet a) den Akt der Aussendung; so sendet Christus seine Apostel (vgl. Jo 20,21), die Kirche ihr Missionare; b) den Auftrag, der den solchermaßen Gesandten anvertraut ist; c) die Durchführung dieses Auftrags...die Ausbreitung der Kirche über ihre je faktische Präsenz in die Menschheit hinaus.“[23]

Religion in Geschichte und Gegenwart (2002):

Mission. ist keine grundsätzlich universale Erscheinung der Religionsgesch., genauso wenig gilt jede Form der Weitergabe von Rel. bereits als M. Die „primären“, tribalen Rel. sind unmissionarisch. Allein die „sekundären“, durch Reformer oder spirituelle Führer gestifteten Rel. sind essentiell missionarisch. M. setzt deshalb Religionsfreiheit voraus und fordert sie. Eine dritte Form der Religionsweitergabe ist die polit. Expansion. Die unterliegenden Völker übernehmen die Rel. der Herrscher, bzw. ihre Rel. wird im Sinne des neuen polit. Systems uminterpretiert. Diese Form der Weitergabe sollte nicht als M. bezeichnet werden, hat aber oft die Missionsmethodik bestimmt und pervertiert und damit zur Beschränkung der Religionsfreiheit beigetragen.“[24]

Die verschiedenen Definitionen des Missionsbegriffs ermöglichen einen Rückschluss auf die unterschiedlichen Sichtweisen eines knappen Jahrhunderts. Ab dem Jahr 1930 wurde die Bedeutsamkeit der Methodik der Missionierung mit Worten wie „ Ausbreitung der Religion “, „ Werbung neuer Anhänger “ und „ absolute Wahrheit “ in den Vordergrund gestellt. Es wurde als Pflicht angesehen, ein religiöses Gedankengut unter der Menschheit zu verbreiten. Mission wurde allgemein als Ausbreitung der Religion aus Überzeugung des alleinigen „ wahren Heils“ definiert. Die Definition, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in „Sacramentum Mundi“ verfasst wurde, stellt den Begriff Mission einfach strukturiert, teilweise anhand von Bibelstellen, dar. Mission wurde hier definiert als Akt der Aussendung, als Auftrag, welcher den Gesandten anvertraut wird. Es wird zwar von der „Ausbreitung der Kirche“ gesprochen, allerdings erlaubt sich der Lexikonartikel von 1969 keinerlei Wertung des Begriffs Mission. In der Gegenwart befasst man sich kritischer mit dem Begriff. Heutzutage wird nur noch die Verbreitung der Religion durch Reformer und spirituelle Führer als Mission angesehen. Weiterhin wird der Missionsbegriff von politischer Expansion, in der die Religion der unterlegenen Völker durch die Religion des herrschenden Volkes ersetzt wird, abgegrenzt. Der Lexikonartikel von 2002 kritisiert die Verbreitung einer Religion im Sinne der Expansion und spricht sich für die Religionsfreiheit aus. Als Fazit kann festgestellt werden, dass die Vergangenheit mit dem Wort „Mission“ jegliche Verbreitung des Glaubens in die Welt verbindet, während im Postkolonialismus der Missionsgedanke kritischer betrachtet wird und nicht mehr von Weitergabe der Religion im Allgemeinen gesprochen werden kann. Mission ist nach heutiger Auffassung eng mit Religionsfreiheit verbunden und kann deshalb nicht im Zusammenhang mit politischer Expansion verwendet werden.

2.4.2 Exkurs in die evangelische Mission

Um nicht nur von der katholischen Mission zu sprechen und auch die Sichtweise der calvinistischen und lutherischen Theologien aufzuzeigen, soll an diesem Punkt ein Exkurs über die Ausbreitung des Evangeliums im protestantischen Sinne unternommen werden.

Luther, der die Mission anders interpretierte als die katholische Kirche es zu der Zeit tat, sprach sich für eine „weniger brutale“ Missionierung aus. 1522 hatte er verlauten lassen, dass die Türken, in der Verbreitung ihrer Glaubenslehre menschlicher vorgingen als der Papst dies tat.

Als Eroberer und Missionare straften sie ihre Untertanen nicht und ließen ihnen sogar ihren eigenen Glauben.[25] Calvins Sicht war ähnlich der Luthers, obgleich er sagte, dass die Weitergabe der Königsherrschaft Christi nicht Sache der Menschen sei, sonder die Aufgabe Gottes. Er könne den Einzelnen dazu berufen, aber dieses Amt der Evangelisten, ist ein Amt, welches so keinen Platz in der protestantischen Kirche hätte.[26]

Die protestantischen Bewegungen hatten anfangs Schwierigkeiten in Übersee zu missionieren, da das Pensum an Predigern und liquiden Mitteln fehlte. Trotz alle dem kümmerte man sich in den eigenen Territorien verstärkt um die Mission.

Um 1600 kam es dann durch die Holländer zu den ersten Überseefahrten und man versuchte den protestantischen Glauben in die Welt zu tragen. Daran hindern sollte sie die reformierte Heimatkirche, die ihre Unterstützung untersagte und die Arbeit der Missionare schwächte. Dennoch bildeten sie sich weiter aus und hatten bald kirchliche Missionen in Dänemark, Westindien, Ostindien, China und Nordamerika.[27] Am afrikanischen Kontinent hatten die Protestanten wenig Interesse, obwohl sie sehr interessiert an den Afrikanern als Arbeitskräfte waren. Zwar versuchten einige wenige, wie die Herrnhuter Brüdergemeinde ihre Missionen in Afrika aufzubauen, doch der Erfolg blieb aus.[28] Durch die vielen versklavten Arbeitskräfte, die durch Wirtschaftsbeziehungen nach England geholt wurden, entwickelten sich bald Ortsteile in London und Bristol mit einem beachtlichen schwarzen Bevölkerungsanteil. Aus diesen Gruppen entwickelten sich Gemeinden, die sich Evagelicals nannten. Unter ihnen waren nicht nur Schwarze, auch Weiße kamen immer öfter zu den Gemeindetreffen. Die „Erweckungsbewegung“ sprach sich deutlich gegen den Sklavenhandel aus, worauf später ein Verbot des Sklavenhandels innerhalb der britischen Inseln folgte. Dieser Kampf gegen den Sklavenhandel beförderte die Bewegung schnell in das Bewusstsein der protestantischen Welt.[29]

Die Hauptmerkmale der evangelischen Mission waren und sind wie auch in der konziliaren Missionstheologie, die enge Beziehung zur Schrift, die sie inspiriert und maßgebend für das Leben ist, die Betonung des Erlösungswerks Christi, die Notwendigkeit der freien Glaubensentscheidung und Bekehrung und der Vorrang der Evangelisation und des Gemeindeaufbaus über alle anderen Tätigkeiten im Missionsbereich.

2.4.3 Mission als historischer Hintergrund der schwarzafrikanischen Bevölkerung

Wie schon beschrieben war die Macht der Kolonialmächte größer als die der „eingeborenen“ Stämme. So schreibt Bitterli, „Der Seefahrer, Händler und Kolonist war militärisch überlegen oder wusste es sich doch so einzurichten, dass er von einer Position der Stärke aus handeln konnte, genügt es doch in manchen Fällen die einschüchternde Wirkung eines ins Blaue gefeuerten Kanonenschusses, um die Botmäßigkeit der Eingeborenen zumindest für den Augenblick herbeizuführen.“[30] Mit dieser Macht wurde der afrikanische Kontinent nach der Berliner Konferenz am 15. November 1884 von den alten Kolonialmächten (siehe Punkt 2.3.1.) übernommen und untereinander aufgeteilt. Aber nicht nur wirtschaftliche Interessen sollten verbreitet werden, sondern auch religiöse Auffassungen wurden den Afrikanern „beigebracht“. Waren die Missionsgedanken anfänglich von gut gemeintem Interesse, bildeten sich schnell Massenbekehrungen unter der Vorherschafft der Kolonialmächte heraus.

Im 19. Jahrhundert stießen die europäischen Kolonialmächte, wie England, Frankreich, Deutschland und Belgien, von allen Himmelsrichtungen ins Innere Afrikas vor. Die Missionare folgten ihnen oder waren, wie zuvor schon in Asien, die Wegbereiter kolonialer Expansion. Da die katholische Kirche den Missionsauftrag als integralen Bestandteil ihres Handelns ansah und die Kolonialmächte ihrerseits Interesse an der Missionsarbeit in den neu erworbenen Territorien entgegen brachte, kann man sagen, dass Kolonialherren und Missionare Hand in Hand die im europäischen Verständnis abweichende Kultur zurückdrängten und gleichzeitig die darin lebenden „Götzenanbeter“ bekehrten.

Der Grund für die koloniale Motivation wurde schon geklärt. Die Motivation, die die Missionare antrieb, ist zum einen durch den biblischen Hintergrund zu verstehen. Sie beriefen sich in der Praxis ihrer Tätigkeit oft auf den Psalm 72[31] oder das Evangelium nach Matthäus[32].[33] Zum anderen entstand die Motivation durch den Papst, da die Anweisungen zur Art des Missionierens ihm oblagen. Doch die päpstliche Kongregation war oft fälschlich zu verstehen. Aus der Enzyklika Leo´s XIII. vom 3.12.1880 „Sancta Dei Civitas“, die das Feld der Missionsarbeit zum Gegenstand hatte, konnte man zum Beispiel entnehmen, dass das eigentliche Hauptaugenmerk auf der Missionierung Afrikas lag. Baumgartner bedauert dies, weil sich die Kernaussagen auf die „Tätigkeit bei den Christen der Ostkirchen und den katholischen Einwanderern in Nordamerika“ bezog. Er sieht die offizielle päpstliche Äußerung zur Mission als „fälschlich eigentliches Missionsgrundschreiben“.[34] Durch diese Missverständnisse wurde Afrika zu einem Ort, an dem die „Heidenbekehrung“ weitaus stärker praktiziert wurde als in anderen Missionsgebieten.

2.4.4 Missionierung am Beispiel der „Erziehung“

Wie sich die „ Ausbreitung der Religion durch Werbung neuer Anhänger[35] vollziehen konnte wird anhand eines Beispiels der „Erziehung“ geklärt. Erziehung meint in diesem Zusammenhang nicht die Erziehung hin zum Laufen oder Sprechen, sondern vielmehr die Erziehung von Kulturtechniken.

Nachdem der Sklavenhandel in Afrika immer schärfer kritisiert wurde, sahen sich die Händler gezwungen die Sklaven nicht nur ins Ausland zu exportieren, sondern auch im Inland Afrikas nach Käufern zu suchen. Vor allem Missionare erwarben viele der Sklaven, um sie aus der unterdrückenden Hand der Sklaverei zu befreien. Aber auch die Missionare, die eine Mission neu gegründet hatten, waren willkommene Käufer der versklavten Afrikaner, um mit ihnen ihre Missionsschulen zu besetzen. In Ostafrika zum Beispiel erwarben Mönche des Benediktiner Ordens 70 Kinder innerhalb von sechs Wochen von arabischen Händlern. Die Spiritaner der Station Bagamoyo erwarben innerhalb von zwei Jahren über 300 Personen.[36] Ein möglicher Grund dafür war, dass Papst Gregor XV. die Missionare veranlasste „ überall, unverzüglich und mit großer Sorgfalt “ Schulen zu errichten. Die Missionare sollten „ mit allen möglichen Mitteln und Methoden die Erziehung der jungen Generation in die Hand nehmen.[37]

Die ehemaligen Sklaven bekamen teilweise Erkennungsmarken und mussten für ihren Unterhalt und den Erhalt der Missionsschule arbeiten.[38] In den Schulen selbst lernten sie lesen, schreiben, rechnen, sowie die elementare Kulturtechniken, wie zum Beispiel das Essen mit Messer und Gabel. Außerdem bekamen sie Unterricht in der Lehre des katholischen Glaubens.

Die Missionare mussten aber auch in den Stammesgesellschaften ihre Anhänger finden, da diese den größten Teil der Bevölkerung ausmachten. Das Problem was sich stellte, war, dass sich ein autochthoner Clan meist nicht dazu bereit erklärte, sein spirituelles Sittenleben für das des Christentums aufzugeben. Die Missionare mussten einen Weg finden, dass Christentum in den einzelnen Sippen zu verwurzeln. Sie sahen nur mit der Früherziehung der Kinder des Clans eine Chance zum Gelingen ihres Vorhabens. So verlangten sie vom Clan, dass die Kleinkinder in den Missionsschulen untergebracht wurden.

2.4.5 Missionierung am Beispiel der „Arbeitserziehung“

Mit der Ausdehnung des Schulwesens wurden auch die Kolonialherren aufmerksam, was den Unterricht anbelangte. Dadurch, dass sie die Afrikaner als Arbeitskräfte sahen, waren sie an einer effizienten Arbeitserziehung interessiert Durch diese Arbeitserziehung der Missionare an den Jugendlichen sollte die Bereitschaft zur Arbeit erhöht werden. Die Auslegung zu Rechtfertigung dieser Arbeit zeigt ein Bericht von Eugen Wolf: „Es kann sich die Bekehrung eines Heiden zum Christen auch vollziehen dadurch, dass man ihm beibringt, Häuser zu bauen, Gärten anzulegen, das Material dazu zu beschaffen, Bäume anzupflanzen, Früchte anzubauen, anstatt dass man ihn schwarz-weiß-rot anzieht und die Wacht am Rhein singen lässt, wenn sich der Gouverneur in der Ferne zeigt.“[39] Den Jugendlichen sollte aber nicht nur eine gewisse Arbeitsdisziplin „eingeimpft“ werden, sondern ihnen sollte auch die „ aufrichtige Liebe zur Arbeit eingeflößt werden“ um dadurch „die Neger zu christlicher Gesittung und Lebenshaltung zu erziehen.“[40] Die Arbeit wurde nun auch in den Missionsschulen für wichtig gehalten und als eine Art indirektes Bekehrungsmittel gesehen. Die Jugendlichen arbeiteten anfangs noch in handwerklichen Betrieben und genossen dort ihre „Arbeiterziehung“ um das Bestehen der Mission zu gewährleisten. Das dadurch erwirtschaftete Geld wurde für die Unabhängigkeit der Schulen von den Kolonialmächten verwendet.[41]

Die Arbeit der schwarzen Bevölkerung unter der Hand der weißen Missionare spiegelte bald die Zeit der Sklaverei wieder. Um dieses zu verhindern stellte der Abt des Benediktiner Ordens von St. Ottilien, Norbertus Weber auf dem Berliner Kolonialkongress 1910 folgendes fest: „Man erziehe den Neger zur Arbeit. Damit habe ich den Fundamentalsatz der Eingeborenenerziehung genannt. Man hört den aufgestellten Satz auch in dieser Variante: „Man erzieh den Neger zur Arbeit für uns!“ Ich glaube, dass wir diesen Satz streichen dürfen und auch müssen. Gelangt der Eingeborenen durch Arbeit zum Wohlstand, dann trägt er ohnehin zum materiellen Werte der Kolonie wesentlich bei. Wir müssen ihn streichen, damit wir nicht den Anschein erwecken, als wollten wir die alte Sklaverei nur in die moderne umwandeln.“[42] Es musste diesbezüglich umstrukturiert werden. Einer der ersten Orden, der darauf antwortete, waren die Spiritaner, die die Umstrukturierung mit einem Lehrplanverwirklichen wollten. Dieser Plan sollte es den Jugendlichen erlauben die Schule als einen Ort der Wissensaufnahme zu sehen und nicht als einen Ort der Arbeit auf dem Feld. Die Kinder wurden in drei Kategorien aufgeteilt und nach ihrer Intelligenz unterschieden. Die Arbeit auf den Feldern blieb aber für schwächere Schüler weiterhin bestehen und wurde auf ca. neun Stunden pro Tag festgelegt.[43] Die katholischen Missionsschulen waren ein Ort, an dem die afrikanischen Kinder ein Leben vorfanden, was sie in der Form nicht kannten.

2.4.6 Das Christentum und der Islam - die Wahl zwischen den Religionen -

Auch wenn diese Arbeit nicht den Anspruch hat eine interreligiöse Sichtweise einzunehmen, soll die Problematik der Wahl zwischen dem Islam und dem Christentum dennoch kurz aufgezeigt werden.

Das afrikanische Volk südlich der Sahara, das sehr naturverbunden war und somit auch die Kultur und die Religion daraufhin bezog, hatte vom Christentum noch nie gehört. Die Missverständnisse, die dadurch entstanden, waren groß.

Die aus ihrer Sicht gebildeten Europäer hatten für die Andersartigkeit der schwarzen Bevölkerung wenig Interesse. Sie zeigten keine Bereitschaft sich auf die kulturellen Gewohnheiten des gesellschaftlichen Verkehrs der Afrikaner einzulassen. Das Verlangen der Europäer ihr Verhalten auf die jeweilige ethno-kulturelle Situation der Afrikaner abzustimmen, blieb aus.[44] Bitterli schreibt in diesem Kontext: „Eine solche Situation [und damit ist das Aufeinandertreffen zwei sich unterscheidender Kulturen gemeint] ergab sich leichter, …wenn die Vorstellungswelt in welcher der Eingeborene lebte, sich das Faktum des europäischen Erscheinens, unter welchen Missverständnissen auch immer, integrieren konnte.“[45] Da die christlichen Vorstellungen keinerlei Platz für die Religion der „Eingeborenen“ ließ und sie zum völligen Umdenken zwang, war der Islam, der zwar auch missionierte, aber mehr Platz für die eigene Identität ließ, eine „Ausweichmöglichkeit“ für die Afrikaner. Der radikale Bruch der Lebensformen, der vom Christentum gefordert wurde, blieb beim Glauben des Islams aus. Der Afrikaner konnte sich mit dem konkret ausformulierten Jenseitsversprechen des Islams besser identifizieren und hatte weniger Probleme sich weiterhin mit seiner Lebenspraxis auseinanderzusetzen. Außerdem wurde er als neu gewordener Muslim in einer solidarisch geführten Religionsgemeinschaft aufgenommen und nicht wie im Christentum durch Rassendiskriminierung verurteilt.[46] Die Problematik die sich für die christlichen Missionare eröffnete, war, dass die Afrikaner den Islam gegenüber dem Christentum bevorzugten, um weiterhin in ihren autochthonen Strukturen leben zu dürfen.

„Das hatte zur Folge, dass besonders in der Anfangsphase ausschließlich ihrem Stammesverband entfremdete oder durch Versklavung entrissene Individuen christlichen Bekehrungsversuchen zugänglich waren, und erst die Errichtung der deutschen Kolonialherrschaft, die mit Pazifizierungsfeldzügen und späteren Arbeiteranwerbungskampagnen für koloniale Erschließungsprojekte oder Großplantagen eine tiefgreifende Erschütterung und weitgehende Auflösung der autochthonen Sozialstruktur bewirkte, den christlichen Missionaren erweiterte Betätigungsmöglichkeiten mit größerem Erfolgschancen eröffnete.“[47]

Um diese Chancen zu nutzen, wurden die Afrikaner in den Schulen im christlichen Glauben und in den europäischen Kulturtechniken gelehrt. Man versuchte die Bekehrten einzubinden und ihnen die gleichen christlichen Rechte zu geben wie den Missionaren selbst, doch in der Realität sahen diese meist anders aus. Die christlichen Afrikaner mussten hart arbeiten, um dem „ drohenden Rückfall ins Dunkel des Heidentum[48] zu entgehen und das Jenseits erhoffen zu können.

„Für den bekehrten und der derart im christlichen Geist erzogenen Afrikaner sollte der Verlust seines traditionalen Lebenszusammenhangs und die Besetzung und Ausplünderung seines Landes gegenüber dem Gewinn des christlichen Glaubens geringfügig und der unvermeidliche Schrecken kolonialer Herrschaft als göttlich gewollte Prüfung erscheinen.“[49]

Wenn man bedenkt, unter welchen negativen Vorzeichen das Christentum nach Afrika kam, ist es erstaunlich wie der Glaube an die Dreifaltigkeit von den Afrikanern aufgenommen wurde.

2.4.7 Fazit

Die Mission in Schwarzafrika ließ tiefe Narben zurück. Die Afrikaner fühlten sich ausgebeutet und von ihrem Land verdrängt. Trotzdem schafften es die Religionen, große Teile des Kontinents für sich zu gewinnen. So zeigt folgende Grafik eine Verteilung der Religionen heute. Es ist schwer hier die Grenzen zu ziehen und vor allem abzuschätzen, wann ein Christ ein Christ ist, da viele der getauften Christen ihre Verbundenheit zu ihren kultischen Riten nicht völlig ablegen können. Viele afrikanischen Christen befinden sich in einer religiösen Zerrissenheit, da sie morgens zum Priester und abends zum Fetisch gehen.[50]

Die Karte macht jedoch sichtbar, wie groß die Auswirkung der Mission war.

Um die indigenen Religionen um und in Angola und Sambia hat sich das Christentum manifestiert. Es breitet sich von der Ostküste in Kenia bis hin zur Westküste um Kamerun aus. Südafrika ist somit fast ausschließlich dem Christentum „angehörig“. Es gibt trotz des großen Ausmaßes zwar immer noch indigene Religionen in Tansania und in Zentralafrika, doch die Mehrheit der Gläubigen in Südafrika sind Christen. In Nordafrika sieht man deutlich eine Vielzahl von Religionen. In und um Algerien und Libyen ist der Islam, ansässig, während im Iran und in Teilen des Iraks der Schiismus, die zweitgrößte Konfession des Islam vorrangig geglaubt wird.

Um zu einem Abschluss dieses Themenblocks, als Gegenstand einer Einführung in die Problematik des Zusammentreffens zwischen Europäern und Afrikanern zu gelangen, soll hier eine differenzierte Betrachtungsweise der christlichen Mission vorgenommen werde.

Im Hinblick auf die immer noch bestehende Ausweitung des Christentums in Schwarzafrika muss die Missionierung zur Zeit der Kolonialherrschaft auch positive Elemente gehabt haben, was in dieser Arbeit eher weniger beleuchtet wird. Der Grund dafür ist, dass nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil der Missionsbegriff neu definiert wurde, um eine Tür für die Inkulturation des Christenglaubens in die afrikanische Spiritualität zu gewährleisten. Diese Arbeit hat sich zur Aufgabe gemacht den Weg der Inkulturation und die damit zusammenhängende Problematik genauer zu beleuchten. Dies ist aber nur möglich, wenn die Grausamkeit, mit der die Kolonialmächte und die Kirche in Afrika eindrangen, beschrieben wird, da der Wandel des Missionsgedankens zum Ansatz der Inkuluration nur zu verstehen ist, vor diesem Hintergrund der negativen Vorgeschichte christlicher Mission in der Zeit der Kolonialherrschaft.

Am 31. Juli 1969 sprach sich Papst Paul der VI. in Bezug auf die Würdigung der Mission in Afrika aus. Er dankte allen Missionaren, die ihr Blut und ihre Kraft nunmehr als 2000 Jahre auf dem afrikanischen Kontinent investierten, um die „ Fackel des christlichen Glaubens weiterzugeben[51]. Er dankte ebenfalls, dass diese Missionare „ die Kirche Christi […]in diese gesegnete Erde eingepflanzt haben[52]. Der rasche Zuwachs der Katholiken in Afrika stellt ein Ergebnis dar, welches sich jetzt auf die Gesamtstrukturen des Kontinents auswirkt. Beispielsweise stellen 17 Prozent des kompletten Gesundheitswesens Afrikas stellt die katholische Kirche.[53] Die Hilfe, die die Kirche in jeder Form, aber vor allem in der karitativen Form den Menschen in Afrika zukommen lässt, „ verdient seiten aller Bewunderung, Anerkennung und Unterstützung[54]. In Zeiten von Kriegen und Katastrophen ist die Kirche den Flüchtlingen und Vertriebenen, den Menschen, die schutzlos am Straßenrand liegen, wie einst der Mann, der von Jerusalem nach Jericho ging (vgl. Lk 10, 30- 37) eine helfende Hand und ein Ort des Schutzes.[55] Die Kirche ist ein barmherziger Samariter in einem Land, in dem die Ernsthaftigkeit der Lage alle etwas angeht.

[...]


[1] Vgl. Bujo B., Afrikanische Theologie, S. 20.

[2] Vgl. Bududuira, B.: Afrikanische Spiritualität und christlicher Glaube, S. 115.

[3] Vgl. Bitterli, U.: Die „wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 19.

[4] Bitterli, U.: Die „wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 82.

[5] Vgl. a. a. O., S. 92.

[6] Herkenhoff, M.: Der dunkle Kontinent, S. 145 ff.

[7] A .a. O., S. 140.

[8] Vgl. Bitterli, U.: Die „wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 107.

[9] Vgl. Schlumberger, J. A. / Segl, P. / Duchhardt, H.: Afrika, S. 149.

[10] Vgl. Mair, S.: „Ausbreitung des Kolonialismus“, S. 13.

[11] Vgl. ebd.

[12] Vgl. Loth H.: Geschichte Afrikas, S. 5.

[13] Vgl. a. a. O., S. 7.

[14] Vgl. Illy, Hans F., „Entwicklung durch Verwaltung?“, S. 15.

[15] Vgl. Illy Hans F., "Entwicklung durch Verwaltung?", S. 15.

[16] Ebd.

[17] Whygodzinski, Prof., Dr.: „Kolonisation im eigentlichen Sinne“, S. 1591f.

[18] Schlette, R.: „Kolonialismus und Entkolonialisierung“, S. 1380.

[19] Gruyter de, W.: „Kolonialismus“, S. 363.

[20] Rothermund, D.: „Kolonialismus/Neokolonialismus“, S. 1492f.

[21] Vgl. Schubert, K./ Klein M.: Das Politiklexikon, S. 136.

[22] Richter, J.: „Mission“, S. 39f.

[23] Masson, J.: „Mission“, S.482f.

[24] Frankemölle, H.: „Mission“, S.1272f.

[25] Vgl. Rosenkranz, G.: Die christliche Mission, S. 147.

[26] Vgl. ebd.

[27] Vgl. Rosenkranz, G.: Die christliche Mission, S. 150.

[28] Walls, A. F.: Afrika, S. 100.

[29] Vgl. ebd.

[30] Bitterli, U.: Die „wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 84.

[31] Psalm 72: „Es wird herrschen von Meer zu Meer, vom Euphrat bis an die Enden der Erde. Vor ihm müssen sich beugen die Widersacher und seine Feinde den Staub lecken.“

[32] Matthäus-Evangelium: „Mir ist Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern und taufet sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie alles halten, was ich euch befohlen habe.“

[33] Vgl. Bitterli, U.: Die „wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 108.

[34] Vgl. Baumgartner, J.: Die Ausweitung der katholischen Missionen , S. 550.

[35] Richter, J.: „Mission“, S. 39f.

[36] Vgl. Brose, W. u. Van der Heiden, U.: Mit Kreuz und deutscher Flagge, S. 130ff.

[37] Rosenkranz, G.: Die christliche Mission, S.185f.

[38] Vgl. Brose, W. u. Van der Heiden, U.: Mit Kreuz und deutscher Flagge, S. 130ff.

[39] Wolf, E.: Deutsch-Südwestafrika, S. 79f.

[40] Engel, L.: Die Stellung der Rheinischen Missionsgesellschaft, S. 116 f.

[41] Vgl. a.a.O., S.116 und S. 118 f.

[42] Meueler, E.: Unterentwicklung, S. 43.

[43] Vgl. Schieder, T.: Europa im Zeitalter der Nationalstaaten, S. 304 f.

[44] Vgl. Bitterli, U.: Die „wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 95.

[45] Ebd.

[46] Vgl. Mirtschink, B.: Zur Rolle christlicher Mission in kolonialen Gesellschaften, S. 78.

[47] Ebd.

[48] A. a. O., S. 80.

[49] Mirtschink, B.: Zur Rolle christlicher Mission in kolonialen Gesellschaften, S. 80.

[50] Vgl. Bududuira, B.: Christlicher Glaube und afrikanische Spiritualität, S. 115.

[51] Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz: Ecclesia in Africa, S. 27.

[52] Ebd.

[53] Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz: Ecclesia in Africa, S. 27.

[54] A. a. O., S. 32.

[55] Vgl. A. a. O., S. 30ff.

Ende der Leseprobe aus 73 Seiten

Details

Titel
Afrikanischer Ahnenkult und christlicher Glaube
Untertitel
Der afrikanische Ahnenkult als Herausforderung für die Inkulturation des Christentums in Schwarzafrika
Hochschule
Universität Kassel
Note
3,00
Autor
Jahr
2007
Seiten
73
Katalognummer
V123356
ISBN (eBook)
9783640280865
Dateigröße
696 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Afrikanischer, Ahnenkult, Glaube
Arbeit zitieren
Daniel Dittert (Autor:in), 2007, Afrikanischer Ahnenkult und christlicher Glaube, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123356

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