Die Platzierung von Werbung, ein heikles Unterfangen?

Ein Experiment zum Einfluss von Verarbeitungstiefe und Werbekontext auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit von Product News


Lizentiatsarbeit, 2008

143 Seiten, Note: 5.5 (Schweizer Benotung)


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG
1.1 Erkenntnisinteresse
1.2 Theoretische Basis
1.3 Aufbau der Arbeit

2 THEORETISCHER HINTERGRUND
2.1 Glaubwürdigkeitsforschung
2.1.1 Definitionsproblematik
2.1.2 Glaubwürdigkeit als Teilaspekt von Vertrauen
2.1.3 Einzelne Forschungsansätze und deren Operationalisierungsvorschläge
2.1.4 Entwicklung der Glaubwürdigkeitsforschung
2.1.5 Glaubwürdigkeit im Internet
2.1.6 Systematisierung der Glaubwürdigkeitsforschung
2.2 Ausgewogenheit von Medienbotschaften
2.2.1 Unterschiedliche Verwendung des Begriffs
2.2.2 Systematisierung der Forschung zur Ausgewogenheit
2.2.3 Bisherige Untersuchungen zur Ausgewogenheit von Medienbotschaften – eine kurze Übersicht
2.3 Kontexteffekte
2.3.1 Was ist unter Kontexteffekten zu verstehen?
2.3.2 Wahrnehmung des Kontexts als Voraussetzung
2.3.3 Forschungsstand zu Kontexteffekten
2.3.4 Forschungsstand der Kongruenzeffekte
2.3.5 Ein Experiment zum Einfluss thematischer Kongruenz auf die Glaubwürdigkeitsbeurteilung im Web
2.3.6 Kurze Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes zu den Kontextund Kongruenzeffekten
2.4 Zwei-Prozess-Modelle der Informationsverarbeitung
2.4.1 Die Rolle des Involvements bei der Informationsverarbeitung
2.4.2 Das Elaboration Likelihood Model
2.4.3 Kritik am Elaboration Likelihood Model
2.4.4 Das Heuristic-Systematic-Model
2.4.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Modelle
2.4.6 Zwei-Prozess-Modelle als Grundlage zur Untersuchung von Glaubwürdigkeitsund Ausgewogenheitsurteilen
2.4.7 Gründe für die Verwendung des ELM und HSM als Erklärungsgrundlage
2.4.8 Mechanismen zur Beurteilung von Medienbotschaften
2.5 Zusammenfassung

3 FORSCHUNGSFRAGEN UND HYPOTHESEN
3.1 Begriffsdefinitionen
3.2 Forschungsfragen
3.3 Die Hypothesen

4 UNTERSUCHUNGSANLAGE UND METHODE
4.1 Wahl des Forschungsdesigns
4.2 Erstellung des Stimulusmaterials
4.2.1 Product News
4.2.2 Design der Webseite
4.3 Manipulation der Verarbeitungstiefe
4.4 Pretest
4.4.1 Ablauf des Pretests
4.4.2 Ergebnisse des Pretests
4.5 Rekrutierung der Teilnehmer
4.6 Beschreibung der Stichprobe
4.7 Ablauf des Experiments
4.8 Besonderheiten der Online-Erhebung
4.9 Operationalisierung und Messung
4.9.1 Unabhängige Variablen
4.9.2 Abhängige Variablen
4.9.3 Weitere Variablen

5 ERGEBNISSE
5.1 Manipulationcheck
5.2 Prüfung der Hypothesen
5.2.1 Die Präsenz von Werbebannern und deren Einfluss auf die Bewertung der Glaubwürdigkeit
5.2.2 Der Einfluss der Verarbeitungstiefe auf die abhängigen Variablen Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit
5.2.3 Der Einfluss der Kongruenz auf die Glaubwürdigkeitsund Ausgewogenheitsbeurteilung bei niedriger Verarbeitungstiefe
5.2.4 Der Einfluss der Kongruenz auf Unterschiede zwischen den Verarbeitungsgruppen

6 INTERPRETATION UND DISKUSSION DER ERGEBNISSE
6.1 Die Beurteilung von Product News mit und ohne Werbung
6.2 Die Beurteilung von Product News bei hoher und bei niedriger Verarbeitungstiefe
6.3 Der Einfluss der Kongruenz auf die Beurteilung von Product News bei niedriger Verarbeitungstiefe
6.4 Der gemeinsame Einfluss von Verarbeitungstiefe und Kongruenz auf die Beurteilung von Product News

7 SCHLUSSBETRACHTUNGEN
7.1 Zusammenfassung der Ergebnisse und Beantwortung der Forschungsfragen
7.2 Methodischer Ausblick und Methodenkritik
7.3 Wissenschaftlicher Ausblick
7.4 Anwendungsausblick

8 LITERATUR

ANHANG

TABELLENVERZEICHNIS

Tabelle 1: Das 2x4 Design mit den Auswertungsgruppen

Tabelle 2: Die Erhebungsgruppen

Tabelle 3: Verteilung der Artikelbewertungen auf die experimentellen Bedingungen (N=584)

Tabelle 4: Die Wahrnehmung der Werbebanner

Tabelle 5: Die Zuordnung produktkongruenter und thematisch kongruenter Werbung zu den Artikeln bei niedriger Verarbeitungstiefe (Wahrnehmung der Kongruenz)

Tabelle 6: Glaubwürdigkeitsbewertung bei niedriger Verarbeitungstiefe unter Berücksichtigung der Kongruenzwahrnehmung (n=78)

Tabelle 7: Bewertung der Ausgewogenheit bei niedriger Verarbeitungstiefe unter Berücksichtigung der Kongruenzwahrnehmung (n=78)

Tabelle 8: Bewertung der Glaubwürdigkeit unter Berücksichtigung der Verarbeitungstiefe und der Kongruenz (N=584)

Tabelle 9: Bewertung der Ausgewogenheit unter Berücksichtigung der Verarbeitungstiefe und der Kongruenz (N=584)

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Glaubwürdigkeitsobjekte und ihre Bezugsebenen nach Schweiger (linke Pyramide) bzw. Dzeyk (rechte Pyramide)

Abbildung 2: Systematisierung der Glaubwürdigkeitsforschung nach Eisend

Abbildung 3: Systematisierung der Ausgewogenheitsforschung

Abbildung 4: Das Elaboration Likelihood Model

Abbildung 5: Product-News-Beispiel zu einem Nintendo-Game

Abbildung 6: Ein sowohl im Pretest als auch im Experiment verwendeter Artikel

Abbildung 7: Screenshot der Webseite

Abbildung 8: Ablauf des Experiments

Abbildung 9: Glaubwürdigkeitsbeurteilung der vier Artikel bei unterschiedlicher Verarbeitungstiefe (N=584)

Abbildung 10: Ausgewogenheitsbeurteilung der vier Artikel bei unterschiedlicher Verarbeitungstiefe (N=548)

Abbildung 11: Einfluss der Verarbeitungstiefe und der Kongruenz auf die Glaubwürdigkeit (N=584)

Abbildung 12: Einfluss der Verarbeitungstiefe und der Kongruenz auf die Ausgewogenheit (N=584)

Abbildung 13: Einfluss der Verarbeitungstiefe und der Kongruenz auf die Ausgewogenheit wenn die Kongruenz wahrgenommen wurde (n=151)

1 Einleitung

Das Internet hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Informationskanal entwickelt, nicht zuletzt wegen der Fülle an Informationen, die den Rezipienten im Web zur Verfügung stehen. Aufgrund des riesigen Informationsangebots, sind Rezipienten selten auf einen bestimmten Informationsanbieter angewiesen. Wirkt eine Webseite oder eine Medienbotschaft unglaubwürdig, wechseln Rezipienten einfach mit einem Mausklick zur nächsten Seite. In einer Medienlandschaft, die gezeichnet ist von einem wachsenden Konkurrenzkampf, werden Seriosität, Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit der Medienbotschaften zu wichtigen Imagefaktoren. Insbesondere die Glaubwürdigkeit von Informationen aus dem Internet, wird seit einigen Jahren ausführlich diskutiert. Es ist vor allem der libertäre Zugang zum Internet, welcher der Frage nach der Glaubwürdigkeit der kommunizierten Inhalte eine interessante Dimension verleiht (Rössler & Wirth, 1999, S. 7). Bestandteil der wissenschaftlichen Diskussion zur Glaubwürdigkeit von Webinhalten ist einerseits der Vergleich zwischen der Glaubwürdigkeit von Informationen des Rundfunks, der Printmedien und des Internets. Andererseits wird aber auch nach Ursachen für unterschiedliche Glaubwürdigkeitsbewertungen innerhalb des World Wide Web gesucht. Dabei interessiert vor allem, wie Urteile zur Qualität von Medienangeboten entstehen und von welchen Faktoren diese Urteile beeinflusst werden. Eine Untersuchung von Fogg, Marshall, Laraki et al. (2001, S. 61) ergab beispielsweise, dass besonders der Faktor Werbung die Glaubwürdigkeit von Webseiten herabsetzen kann. Die Webseiten von Institutionen mit hohem Ansehen, wie zum Beispiel Internetauftritte von Universitäten, sind häufig werbefrei. Andere Webseiten hingegen, sind auf Werbegelder und darum auch auf die Werbung angewiesen. Interessant ist nun, wie auf diesen Webseiten Werbung und redaktionelle Inhalte präsentiert werden. Die Rezipienten verlangen grundsätzlich eine klar erkennbare Trennung zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt, beispielsweise bei einem Online-Nachrichtenmagazin. Die Realität sieht aber oft anders aus, was heisst, dass redaktionelle und kommerzielle Inhalte im Internet gerne verknüpft werden. Der Grund dafür ist, dass im Web diesbezüglich kaum rechtsmässige Bestimmungen zu finden sind: „On the Web there are few, if any, standards to ensure that a visual distinction exists between advertising and information, or that advertorial material be labelled as such. As a result, information is often seamlessly blended with advertising” (Alexander & Tate, 1999, S. 26). Laut Pöttker (2000, S. 385) bestimmen einerseits diese Trennung zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt und andererseits eine gewisse Unabhängigkeit der Redaktion die Glaubwürdigkeit der Information. Die Unabhängigkeit der Redaktion von privaten oder geschäftlichen Interessen Dritter liegt langfristig im Interesse aller Beteiligten. Denn die Attraktivität eines journalistischen Produktes resultiert aus der Erwartung des Publikums, nicht einseitig im Dienst fremder Interessen informiert zu werden (Meier, 2003, S. 249-250). Wenn Werbeund Geschäftsinteressen sichtbaren Einfluss auf die Berichterstattung nehmen, müsste eigentlich angenommen werden, dass das Vertrauen in die Redaktion und in deren Informationen sinkt. Klare Trennung von Werbung und Information sowie redaktionelle Unabhängigkeit gehören trotzdem noch lange nicht bei allen Redaktionen zur Tagesordnung. Schaut man sich zum Beispiel auf der Webseite von T-Online um, so finden sich unter den Werbeinformationen für Geschäftskunden Aussagen wie „… die T-Online Specials bieten Ihnen die Möglichkeit, das für ihr Produkt passende redaktionelle Umfeld zu schaffen“ (T-Online, 2006) oder „… verbinden Sie Ihren Namen mit einem attraktiven Contentangebot! Als Sponsor einer Webseite stehen Sie unübersehbar im Vordergrund und präsentieren sich in einem inhaltlich passenden Umfeld“ (T-Online, 2006). Für die Redaktionen ist zum redaktionellen Umfeld passende Werbung besonders aufgrund der Werbeeinahmen attraktiv. Für die Werbetreibenden sind solche Werbeformen interessant, da somit systematischer die gewünschte Zielgruppe angesprochen werden kann. Für die Redaktionen stellt sich aber auch die Frage, wie sie ihre redaktionellen Beiträge mit Werbung verknüpfen können, ohne dass ihr Image darunter leidet. Kann zum Beispiel im Internet ein Bericht über eine neue Canon-Kamera von einem Canon-Werbebanner begleitet werden oder leidet darunter die Glaubwürdigkeit des Artikels? Für die Rezipienten stellt sich die Frage, wie sehr sie einer Nachricht Glauben schenken können, wenn diese eventuell nur auf Grund von finanziellen Abmachungen mit Werbepartnern verfasst wurde.

1.1 Erkenntnisinteresse

In der Gestaltung des (Werbe-)Umfelds eines Medieninhalts haben Redaktionen verschiedene Möglichkeiten. Sie können ihre Nachrichten mit oder ohne Werbung präsentieren und die Werbung kann mit dem redaktionellen Inhalt in Zusammenhang stehen oder auch nicht. Diese Arbeit soll nun der Frage nachgehen, ob das Werbeumfeld die Bewertung von Webseiteninhalten beeinflussen kann. In einem Experiment sollen redaktionelle Texte, die in unterschiedlicher Werbeumgebung präsentiert werden, bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit bewertet werden. Neben der Glaubwürdigkeit kann auch die Ausgewogenheit als ein Qualitätskriterium von Medienbotschaften betrachtet werden, das bei Bewertungen berücksichtigt wird. Unter Ausgewogenheit soll dabei eine Berichterstattung verstanden werden, welche sowohl negative als auch positive Aspekte des Artikelthemas berücksichtigt. In dieser Untersuchung ist nun von Interesse, unter welchen Kontextund Verarbeitungsbedingungen Rezipienten Medienbotschaften als glaubwürdig und ausgewogen beurteilen. Konkret wird einerseits der Frage nachgegangen, ob nur schon das Vorhandensein von Werbung auf Webseiten die Glaubwürdigkeit der Artikel beeinflusst und andererseits, ob unterschiedlich starke Zusammenhänge (Kongruenzstärken) zwischen Werbebanner und Artikel zu unterschiedlichen Glaubwürdigkeitsund Ausgewogenheitsbewertungen führen. Neben dem Faktor Werbung soll auch der Einfluss der Verarbeitungstiefe auf die Bewertung der Artikel untersucht werden. Dabei werden zwei verschiedene Arten der (Artikel-)Verarbeitung betrachtet. So wird untersucht, ob Rezipienten mit hoher Verarbeitungstiefe zu anderen Glaubwürdigkeitsund Ausgewogenheitsbewertungen kommen als solche mit niedriger Verarbeitungstiefe und ob diese Verarbeitungswege auch im Zusammenhang mit verschiedenen Kongruenzstärken zu unterschiedlichen Artikelbewertungen führen.

Bei den für das Experiment verwendeten Artikeln, handelt es sich um Product News. Damit werden Texte bezeichnet, welche ein neues Produkt vorstellen. Der Entscheid fiel auf diese Textsorte, da die mediale Präsentation von Marktneuheiten vielfach von produktspezifischer Werbung begleitet wird und dadurch besonders relevant für die Fragestellung dieser Arbeit ist.

1.2 Theoretische Basis

Um den Einfluss der oben dargestellten Faktoren Kongruenzstärke und Verarbeitungstiefe auf die Beurteilung der Ausgewogenheit und Glaubwürdigkeit der Product News untersuchen zu können, muss eine theoretische Grundlage geschaffen werden. Die tragenden Ansätze dieser Arbeit bilden das Heuristic-Systematic-Modell (HSM) (Chaiken, 1980; Chaiken, Liberman & Eagly, 1989) und das Elaboration Likelihood Model (ELM) (Petty & Cacioppo, 1981a, 1986b). Beides sind Informationsverarbeitungstheorien, welche zwei unterschiedliche Verarbeitungstiefen berücksichtigen. Die in der Forschung bis anhin entwickelte Theorie zu Kontexteffekten ist noch sehr widersprüchlich und lässt viele Fragen offen, zudem wurden Kontexteffekte bis anhin vor allem im Bereich des Fernsehens erforscht. Dabei lag das Hauptinteresse auf der Wirkung des Programms auf die Werbung. In der vorliegenden Arbeit soll aber die umgekehrte Wirkungsrichtung untersucht werden, zu welcher zurzeit noch vergleichsweise wenige Untersuchungen vorliegen.

Mit Hilfe der oben erwähnten Modelle der Informationsverarbeitung wird zwischen zwei verschiedenen Tiefen der Informationsverarbeitung unterschieden. Menschen lesen Medieninhalte je nach Situation, Motivation und Fähigkeit nicht immer auf die gleiche Weise. Rezipienten, welche einen Artikel gründlich lesen, weisen eine höhere Verarbeitungstiefe auf als jene, welche ihn nur kurz überfliegen. Diese Tatsache muss auch bei der Untersuchung von Glaubwürdigkeitsund Ausgewogenheitsurteilen berücksichtigt werden, denn es muss angenommen werden, dass je nach Verarbeitungsart verschiedene Bewertungen resultieren können. So könnte beispielsweise die Art der Informationsverarbeitung die Einordnung und Beurteilung von Zusammenhängen zwischen redaktionellen und werbenden Inhalten beeinflussen.

1.3 Aufbau der Arbeit

Im Folgenden soll eine erste Übersicht über den Aufbau der vorliegenden Arbeit gegeben werden. Um die oben formulierten Fragen zur Beeinflussung der Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit von Product News beantworten zu können, wird in einem ersten Schritt der theoretische und empirische Forschungsstand zur Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit aufgearbeitet. Weiter soll die Thematik der Kontexteffekte aufgegriffen und vorhandene Forschungslücken aufgezeigt werden. Ausserdem werden die beiden Informationsverarbeitungsmodelle ELM und HSM vorgestellt und mit anderen, für die Theorie wichtigen, Faktoren verknüpft. Im darauf folgenden Kapitel „Forschungsfragen und Hypothesen“ werden die Forschungsfragen dieser Studie präzisiert und daraus spezifische Hypothesen entwickelt. Diese Hypothesen werden ausserdem kurz begründet. Im Kapitel zur „Untersuchungsanlage und Methode“ wird unter anderem auf das Forschungsdesign, die Gestaltung der Webseite, den Ablauf des Experiments sowie auf die Messung der wichtigsten Variablen eingegangen. In einem weiteren Arbeitsschritt werden die Ergebnisse der Hypothesenprüfung dargestellt, interpretiert und in Relation zum theoretischen Hintergrund diskutiert. In einem abschliessenden Kapitel runden eine Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse und methodischen Probleme sowie mögliche Schlussfolgerungen für die zukünftige Forschung die Arbeit ab.

2 Theoretischer Hintergrund

Die wichtigsten Ansätze aus der Forschung zu Glaubwürdigkeit, Ausgewogenheit und Kontextforschung werden, soweit sie für die anfangs skizzierte Problemstellung relevant sind, in diesem Kapitel diskutiert. Eine weitere wichtige Grundlage dieser Arbeit bilden Ansätze zur Informationsverarbeitung, welche hier auch vorgestellt werden.

Da in der vorliegenden Arbeit die Entstehung von Glaubwürdigkeitszuschreibungen untersucht wird, stellt das Kapitel 2.1 zunächst die Glaubwürdigkeitsforschung vor. Es wird dabei auf die Definitionsproblematik eingegangen und im Weiteren zwischen einzelnen Forschungsansätzen unterschieden sowie die Entwicklung des Forschungsgebietes aufgezeigt. Neben der Glaubwürdigkeit interessiert auch, in welchem Kontext Rezipienten Medieninhalte als ausgewogen beurteilen. Darum widmet sich ein weiteres Kapitel dem Begriff und der Bedeutung der Ausgewogenheit von Medienbeiträgen. Das Kapitel 2.3 beschäftigt sich mit der Thematik der Kontexteffekte. Einerseits wird dabei der Forschungsstand zu Wirkungen aufgezeigt, die auf den Kontext zurückzuführen sind. Andererseits wird auch auf die Spezialform der Kongruenzeffekte eingegangen, welche für die Problemstellung dieser Arbeit von besonderem Interesse ist. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit den Zwei-Prozess-Modellen der Informationsverarbeitung und diskutiert verschiedene Verarbeitungswege. Schliesslich wird im Kapitel 2.5 die diskutierte theoretische Grundlage zusammengefasst.

2.1 Glaubwürdigkeitsforschung

In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie einzelne Faktoren die wahrgenommene Glaubwürdigkeit von Artikeln beeinflussen können. Dazu wird hier zunächst der Begriff der Glaubwürdigkeit ausführlich diskutiert. Sowohl in der Kommunikationswissenschaft als auch in der Psychologie gibt es zahlreiche Studien zur Glaubwürdigkeit, mit teilweise sehr unterschiedlichen Auffassungen und Zugängen. Die verschiedenen Ansätze der Glaubwürdigkeitsforschung unterscheiden sich beispielsweise auf der Ebene der Untersuchungseinheit. Weiter wird sich in den folgenden Abschnitten aber auch zeigen, dass selbst bei der grundsätzlichen Auffassung des Glaubwürdigkeitsbegriffs, Differenzen zu finden sind.

2.1.1 Definitionsproblematik

Die unterschiedlichen Zugänge und Forschungsinteressen im Gebiet der Glaubwürdigkeitsforschung werfen die Frage auf, was genau unter dem Begriff der Glaubwürdigkeit zu verstehen ist. In vielen Studien zur Glaubwürdigkeit beschränken sich die Ausführungen zum Glaubwürdigkeitsbegriff oftmals einfach auf das, was mit den ausgewählten Items beziehungsweise mit den statistisch ermittelten Faktoren ausgedrückt wird, wie Wirth kritisiert (1999, S. 54). Die Vielfalt an Untersuchungsebenen und Bezugsobjekten in der Glaubwürdigkeitsforschung führt zusätzlich dazu, dass die vorhandenen Definitionen ein relativ uneinheitliches Bild der Glaubwürdigkeit ergeben. Zum Beispiel liegt Glaubwürdigkeit für Köhnken (1990) dann vor, „… wenn ein Kommunikator an einen Rezipienten eine Information vermittelt, von der er glaubt, dass sie zutreffend ist, also wenn der Kommunikator keine Täuschungsabsicht hat.“ (Köhnken, 1990, S. 4). Er wählt hiermit einen Ausgangspunkt, der die Glaubwürdigkeit von der Intention des Kommunikators abhängig macht. Krotz (1999) stellt hingegen den Rezipienten in den Mittelpunkt und versteht Glaubwürdigkeit als einen Zuschreibungsprozess „… in dessen Verlauf eine Rezipientin oder ein Rezipient eine Botschaft, eine Quelle, ein Medium oder auch andere Sachverhalte überprüft und einschätzt“ (Krotz, 1999, S. 126). Glaubwürdigkeit bezieht sich hier auf ein Objekt das geprüft und beurteilt wird. Das bedeutet indirekt auch, dass die Glaubwürdigkeit kein fester Bestandteil eines Objektes ist. Fogg und Tseng (1999) teilen diese Auffassung:

„Credibility is a perceived quality; it doesn’t reside in an object, a person, or a piece of information“ (Fogg & Tseng, 1999, S. 80). Deshalb müsste man richtigerweise immer von der „ perception of credibility“ (Fogg & Tseng, 1999, S. 80) sprechen, also von der Auffassung beziehungsweise der Wahrnehmung der Glaubwürdigkeit.

Eine etwas ausführlichere Definition, die zusätzlich die Übernahme von Botschaften in das Meinungsund Einstellungsspektrum thematisiert, findet sich bei Wirth (1999):

Glaubwürdigkeit kann als prinzipielle Bereitschaft verstanden werden, Botschaften eines bestimmten Objektes als zutreffend zu akzeptieren und bis zu einem gewissen Grad in das eigene Meinungsund Einstellungsspektrum zu übernehmen. Dabei kann die Bereitschaft auf konkreten Evaluationsprozessen oder auf Images beruhen, die sich beim Subjekt herausgebildet haben, von ihm jedoch als Objekteigenschaften wahrgenommen werden. Die Botschaften können konkret inhaltlich oder abstrakt generalisiert sein. (Wirth, 1999, S. 55).

Für die vorliegende Arbeit wird diese Definition übernommen, denn die von Wirth angesprochene Bereitschaft, Botschaften eines bestimmten Objektes als zutreffend zu akzeptieren, schliesst gewissermassen den auch von anderen Autoren hervorgehobenen Zuschreibungsprozess mit ein. Die Bereitschaft zur Akzeptanz von Botschaften setzt schliesslich voraus, dass der Rezipient dem Objekt bereits eine gewisse Glaubwürdigkeit zugeschrieben hat. Auf dieser Definition aufbauend, liegt das Interesse dieser Arbeit (unter anderem) darin zu überprüfen, ob gewisse Faktoren die Glaubwürdigkeit (und mit ihr die Akzeptanz) von Botschaften beeinflussen können.

2.1.2 Glaubwürdigkeit als Teilaspekt von Vertrauen

Neben einer allgemeinen Definition von Glaubwürdigkeit ist es auch wichtig, diesen Begriff mit weiteren ähnlichen Konzepten in Beziehung zu bringen beziehungsweise ihn von ähnlichen Begriffen abzugrenzen. Im Zusammenhang mit Glaubwürdigkeit wird oft auch von Vertrauen gesprochen. Zum Beispiel werden Glaubwürdigkeit und Vertrauen häufig als Synonyme verwendet, was jedoch eine Verkürzung der Beziehung zwischen den beiden Begriffen darstellt, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden.

Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind relationale Konstrukte, denn beide setzten mindestens zwei Akteure oder Kommunikationsteilnehmer voraus (Dzeyk, 2005, S. 71). Dzeyk nennt die Funktion der beiden Konzepte als ein weiteres gemeinsames Merkmal, denn sowohl Glaubwürdigkeit als auch Vertrauen werden dann relevant, wenn Rezipienten nicht sämtliche Informationen zur Verfügung stehen, die nötig wären um eine Entscheidung auf einer rein rationalen Ebene treffen zu können (S. 72). Einen Unterschied sieht Dzeyk hingegen darin, dass Vertrauen einen umfassenden Beziehungsprozess beschreibt, während der Glaubwürdigkeitsbegriff sich auf bestimmte Aspekte innerhalb dieser Beziehung bezieht (S. 72). Auch Bentele (1998) ordnet den Begriff der Glaubwürdigkeit dem Vertrauen unter: „Glaubwürdigkeit ist … als ein Teilphänomen von Vertrauen rekonstruierbar“ (Bentele, 1998, S. 305). Kohring (2002) bezieht diese Idee noch etwas spezifischer auf die Glaubwürdigkeit von Medien und vertritt folglich die Ansicht, „… dass Medienglaubwürdigkeit ein Teilaspekt von Vertrauen in Journalismus darstellt“ (Kohring, 2002, S. 91).

Eine Beschreibung des Vertrauensbegriffes und dessen Funktion findet sich bei Luhmann (1989):

[Vertrauen] überzieht die Informationen, die es aus der Vergangenheit besitzt, und riskiert eine Bestimmung der Zukunft. Im Akt des Vertrauens wird die Komplexität der zukünftigen Welt reduziert. Der vertrauensvoll Handelnde engagiert sich so, als ob es in der Zukunft nur bestimmte Möglichkeiten gäbe (Luhmann, 1989, S. 20).

Demnach hilft Vertrauen dem Rezipienten, die Ungewissheit einer komplexen Zukunft zu kompensieren. Ähnlich definiert Kohring (2001) Vertrauenshandlungen als „… selektive Verknüpfung von Fremdhandlungen mit Eigenhandlungen unter der Bedingung einer rational nicht legitimierbaren Tolerierung von Unsicherheit“ (Kohring, 2001, S. 67). Auf der Grundlage dieser Überlegungen haben Matthes und Kohring (2003) eine neue Operationalisierung von Vertrauen in Journalismus vorgenommen. Rezipienten bilden dem-nach ihre Vertrauensbewertungen auf den folgenden vier Dimensionen oder Faktoren (Kohring, 2001, S. 85-87; Kohring & Matthes 2004, S. 282-283; Matthes & Kohring, 2003, S. 11):

a) Vertrauen in Themenselektivität:

Damit wird die Auswahl der Themen in der Berichterstattung bezeichnet. Rezipienten vertrauen darauf, dass sie vom Journalismus auf die Themen aufmerksam gemacht werden, die für sie relevant sind.

b) Vertrauen in Faktenselektivität:

Hier geht es um die Kontextualisierung eines bereits selektionierten Themas oder Ereignisses.

c) Vertrauen in die Richtigkeit von Beschreibungen:

Damit wird die ursprüngliche Glaubwürdigkeit bezeichnet. Die Nachprüfbarkeit der dargestellten Fakten wird hier thematisiert. Die Glaubwürdigkeit wird also als eine Dimnesion von Vertrauen in Journalismus verstanden.

d) Vertrauen in explizite Bewertungen:

Diese Dimension bezieht sich auf die Nachvollziehbarkeit, Nützlichkeit und Adäquatheit von journalistischen Kommentaren und Bewertungen.

Den Auswertungen von Kohring und Matthes (2004) zu Folge, ist Vertrauen in Journalismus „… ein hierarchischer Faktor (zweiter Ordnung)“ (Kohring & Matthes, 2004, S. 377), der die oben genannten Faktoren erster Ordnung erklärt. Glaubwürdigkeit kann folglich als Vertrauen in die Richtigkeit von Beschreibungen und somit als ein Vertrauensfaktor beziehungsweise als eine Dimension von Vertrauen aufgefasst werden.

2.1.3 Einzelne Forschungsansätze und deren Operationalisierungsvorschläge

Die bereits angesprochene Heterogenität der verschiedenen Forschungsansätze soll hier kurz ausgeführt werden. Die Ansätze unterscheiden sich durch unterschiedliche Bezugsebenen, besonders aber bei der Operationalisierung der Glaubwürdigkeit. Nach Kohring (2001, S. 15) und Matthes und Kohring (2003, S. 6) lassen sich grundsätzlich drei Ansätze der Glaubwürdigkeitsforschung unterscheiden: Der Roper-Ansatz, der faktorenanalytische Ansatz und der objektivitäts-orientierte Ansatz.

Der Roper-Ansatz entstand im Rahmen der vergleichenden Medienglaubwürdigkeitsforschung und untersucht anhand eines einzelnen Indikators die Glaubwürdigkeit von Zeitung, Zeitschrift, Radio und Fernsehen. Den Rezipienten wird dabei folgende Frage gestellt: „If you got conflicting or different reports of the same story from radio, television, the magazines and the newspapers, which of the four versions would you be most inclined to believe – the one on the radio or television or magazines or newspapers?” (Roper, 1985, S. 5). Dieser Ansatz hat aber verschiedene Schwachpunkte. So wird zum Beispiel bei dieser Frage nur die Art der Präsentation von Medienangeboten berücksichtigt, nicht aber zwischen einzelnen Medienangeboten (zum Beispiel TV-Sender, Zeitungstyp) unterschieden. Dadurch dass hier Glaubwürdigkeit nur anhand eines einzigen Indikators gemessen wird, entsteht ausserdem ein messtheoretisches Problem (Matthes & Kohring, 2003, S. 7; Wirth, 1999, S. 47). Besser wäre die Verwendung von multiplen Indikatoren. (Für eine Übersicht der Kritik am Roper-Ansatz siehe: Jäckel, 1999, S. 150-152, 156).

Im faktorenanalytischen Ansatz wird die Glaubwürdigkeit als ein multidimensionales Konstrukt verstanden. Dieser Ansatz hat zum Ziel, die wichtigsten Glaubwürdigkeitsdimensionen oder Glaubwürdigkeitskomponenten zu ermitteln. Dabei wird den Versuchspersonen eine Reihe von Items oder gegensätzlichen Adjektivpaaren in Form eines semantischen Differenzials zur Beurteilung einer medialen Quelle vorgelegt. Die Auswertung erfolgt mit Hilfe explorativer Faktorenanalysen. Die somit gefundenen Faktoren werden als Glaubwürdigkeitsdimensionen interpretiert (Matthes & Kohring, 2003, S. 7). Es herrscht jedoch keine Einigkeit darüber, welche Dimensionen zu diesem Konstrukt gehören und welche nicht. So erarbeiteten verschiedene Studien mit dem faktorenanalytischen Ansatz Dimensionen wie Vertrauenswürdigkeit/Aufrichtigkeit, Sachkenntnis/Expertise/Qualifikation, Dynamik, Objektivität, Verständlichkeit, Attraktivität/ Entspannung oder Ethik (für eine Übersicht und Zusammenfassung der gefundenen Glaubwürdigkeitskomponenten siehe: Wirth, 1999, S. 49-51 ). Diese Anzahl unterschiedlicher Komponenten und auch die Tatsache, dass durch den faktoren-analytischen

Ansatz Glaubwürdigkeitskonstrukte mit bis zu 16 Faktoren erzielt wurden, zeigen deutlich die Heterogenität in der Erforschung des Glaubwürdigkeitskonstrukts. Obwohl der faktorenanalytische Ansatz viele Teilkonzepte hervorgebracht hat, haben diese Erkenntnisse nur „… wenig zur Klärung des Glaubwürdigkeitskonstrukts beigetragen.“ (Wirth, 1999, S. 51).

Der objektivitätsorientierte Ansatz bezieht die Objektivität journalistischer Berichterstattung in das Verständnis von Glaubwürdigkeit mit ein. Es wird davon ausgegangen, dass Journalisten die Realität in ihren Berichten objektiv wiedergeben können und sollen. Auf dieser Annahme beruht vor allem die Herangehensweise von Bentele (1988b), die besagt, dass die journalistische Glaubwürdigkeit von der Übereinstimmung beziehungsweise der Diskrepanz von Medienrealität und tatsächlicher Realität abhängt. Die tatsächliche Realität wird in diesem Ansatz anhand der Wahrnehmung der Rezipienten erhoben, wobei jedoch zu bezweifeln ist, dass dabei wirklich die Realität gemessen werden kann.

Diese verschiedenen Forschungsansätze unterscheiden sich nicht nur in der Operationalisierung, sondern ganz grundsätzlich auch auf der Ebene der Untersuchungseinheit. Während der Roper-Ansatz verschiedene Mediengattungen auf ihre Glaubwürdigkeit hin untersucht, beschäftigt sich der objektivitätsorientierte Ansatz mit der journalistischen Berichterstattung. Nach Wirth (1999) lassen sich „… mindestens drei Typen von Bezugsobjekten für Glaubwürdigkeitseinschätzungen“ (Wirth, 1999, S. 55) unterscheiden: Personen, Medieninhalte und Mediensysteme. Werden Medieninhalte erforscht, so kann laut Wirth zwischen Genres, Sendereihen, einzelnen Sendungen, Beiträgen oder Aussagen unterschieden werden. In der vorliegenden Arbeit sollen nur Glaubwürdigkeitszuschreibungen untersucht werden, die sich auf Medieninhalte beziehen. Eine weitere Unterteilung der möglichen Medieninhalte folgt unter 2.1.5.

2.1.4 Entwicklung der Glaubwürdigkeitsforschung

Trotz der heterogenen Verwendung des Glaubwürdigkeitsbegriffs hat sich (neben der Erforschung der Bedeutung und der Komponenten des Begriffs) die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Glaubwürdigkeitskonstrukt stetig weiterentwickelt. Erstes Interesse an der empirischen Erforschung der kommunikationswissenschaftlichen Glaubwürdigkeit ist bereits um 1930 auszumachen, als anhand einiger Studien erforscht wurde, welchem Medium am meisten Glaubwürdigkeit zugesprochen wird (Self, 1996, S. 423):

The desire to attract advertising dollars to radio from newspapers produced a series of studies through polling organizations, ... They attempted to determine which mass communication medium was “trusted” most for information and news. These studies were motivated by a desire to determine which medium or media were used by most individuals to get their news. (Self, 1996, S. 423).

Während und nach dem zweiten Weltkrieg zeichnete sich dann aber ein verstärktes Interesse an der (kommunikations-)psychologischen Erforschung der Glaubwürdigkeit von Quellen (source credibility) ab. Die Forschungsgruppe um den Psychologen Carl Hovland arbeitete während des Krieges an der persuasiven Nutzung von Filmen für die Armee (Lowery & De Fleur, 1983, S. 150; Self, 1996, S. 424). Nach dem Krieg setzten sie ihre experimentelle Persuasionsforschung an der Yale University fort, mit dem Ziel eine systematische Persuasionstheorie zu entwickeln (Metzger, Flanagan, Eyal, Lemus & McCann, 2003, S. 297). Hierzu starteten sie ein breitgefächertes Forschungsprogramm (Yale Program of Research on Communication and Attitude Change) aus welchem zwischen 1946 und 1961 mehr als fünfzig Experimente hervorkamen (Lowery & De Fleur, 1983, S. 150). Die Persuasionsforschung der Yale-Gruppe (Hovland, Janis & Kelley, 1953; Hovland & Weiss, 1951) beschäftigte sich dabei unter anderem mit der Glaubwürdigkeit von Quellen, der Fokus war aber vor allem auf die damit zusammenhängenden Einstellungsänderungen gerichtet:

Ferner ging es den Forschern nicht in erster Linie um eine systematische Erforschung der Glaubwürdigkeit; vielmehr konzentrierte sich die Fragestellung im Rahmen der Persuasionsforschung darauf, wie Unterschiede in der Glaubwürdigkeit des Kommunikators die Art und Weise beeinflussen, in der Inhalt und Präsentation wahrgenommen und eingeschätzt werden und insbesondere, welche Auswirkungen sich im Hinblick auf die Veränderung von Einstellungen und Überzeugungen ergeben. (Nawratil, 2006, S. 48).

Die Ausführungen von Nawratil zeigen, dass die Glaubwürdigkeitsforschung der Yale- Gruppe sich auf die Wirkungen der Glaubwürdigkeit eines Kommunikators konzentrierte und demnach die Glaubwürdigkeit als unabhängige Variable untersuchte. Dabei wurde die Glaubwürdigkeit eines Kommunikators (der eine beliebige Quelle sein kann) anhand von zwei Faktoren definiert: Kompetenz (expertise) und Vertrauenswürdigkeit (trustworthiness) (Hovland & Weiss, 1951). Mit der Kompetenz wird die dem Kommunikator zugesprochene Fähigkeit, zutreffende und richtige Aussagen zu machen, bezeichnet: „An individual’s tendency to accept a conclusion advocated by a given communicator will depend in part upon how well informed and intelligent he believes the communicator to be.“ (Hovland et al., 1953, S. 21). Die Vertrauenswürdigkeit bezieht sich auf die dem Kommunikator zugesprochene Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit:

„A recipient may believe that a communicator is capable of transmitting valid statements, but still be inclined to reject the communication if he suspects the communicator is motivated to make nonvalid assertions.“ (Hovland et al., 1953, 21). Diese Herangehensweise reduziert jedoch den Begriff der Glaubwürdigkeit auf die Quelle einer Aussage, ohne den Inhalt der Aussage zu berücksichtigen. Auch Dzeyk (2005, S. 28) und Bentele (1988a, S. 410) beurteilen die Glaubwürdigkeitskonzeption der Yale- Gruppe als zu einseitig. Den Einflüssen der Quelle werde ein übermässiges Gewicht für die Erklärung von Einstellungsänderungen eingeräumt und Veränderungen der Glaubwürdigkeit durch einen Wechsel der situativen Bedingungen würden zu wenig berücksichtigt.

Dennoch führte die Forschung der Yale-Gruppe zu interessanten Ergebnissen, die heute noch als Grundlage der Glaubwürdigkeitsforschung anerkannt werden. Eines ihrer bedeutsamsten Erkenntnisse bezüglich der Glaubwürdigkeit von Quellen besagt, dass Texte, denen die Rezipienten glaubwürdige Kommunikatoren beziehungsweise Quellen zuordnen, einen grösseren Einstellungswandel bewirken können, als Texte deren Urheber als unglaubwürdig eingeschätzt werden (Hovland & Weiss, 1951, S. 650). Dieses Ergebnis ist beispielhaft dafür, dass die Rolle der Glaubwürdigkeit in der Kommunikationsforschung zu einem grossen Teil im Zusammenhang mit der Untersuchung von persuasiven Prozessen erforscht wurde. Dabei war von Interesse, „… welche Elemente einer Kommunikationssituation zu Veränderungen von Einstellungen, Überzeugungen und Verhalten(sintentionen) auf Seiten der Rezipienten führen“ (Dzeyk, 2005, S. 32). Der Faktor Glaubwürdigkeit wurde also lange einfach als ein Element unter verschiedenen persuasiven Faktoren angesehen und untersucht.

Ab den 70er Jahren zeichnete sich eine Wende ab. Der Fokus der Forschung, der bis anhin auf der Wirkung von Quellencharakteristika und teilweise auf der Kommunikationsbotschaft lag, verlagerte sich vermehrt in Richtung der Merkmale von Botschaftsempfängern: „Seit Mitte der 70er Jahre steht zunehmend die Interaktion zwischen Rezipienten/innen und medienseitigen Stimuli im Vordergrund. Persuasionsprozesse vollziehen sich im Wechselspiel zwischen den Einflüssen von Medienmerkmalen und den Eigenschaften eines/r aktiven und elaborativen Rezipienten/in“ (Dzeyk, 2005, S. 35). Beispielhaft dafür ist die Entwicklung des Elaboration Likelihood Model (Petty & Cacioppo, 1981a, 1986b) in den 80er Jahren, das zur Erklärung der Persuasion und Informationsverarbeitung dient (siehe 2.4.2). Es besagt, dass Persuasionserfolge nicht nur von der Quelle und der Botschaft, sondern auch von rezipientenspezifischen Faktoren wie Motivation, Relevanz und Fähigkeit abhängig sind.

Im Zusammenhang mit Informationsverarbeitungsmodellen wurde Glaubwürdigkeit aber meistens als ein peripherer Reiz aufgefasst. Die Glaubwürdigkeit wurde beispielsweise bei der Entwicklung des Elaboration Likelihood Models – ähnlich wie bei der Yale- Gruppe – als eine unabhängige Variable verstanden, die Auswirkungen auf die abhängige Variable der Einstellung haben kann. Es sind eher neuere Studien, welche die Glaubwürdigkeit als abhängige Variable untersuchen und sie nicht mehr einfach als einen von mehreren Faktoren verstehen, welche die Einstellung beeinflussen können. So konnten Wirth, Schemer und Matthes (in Druck) in einer Studie zu affektiven Kontexteffekten von Spotwerbung zeigen, dass Rezipienten, die durch Werbespots positiv gestimmt sind, nachfolgende wie auch vorangehende Nachrichtenbeiträge als glaubwürdiger einschätzten. In dieser Studie wurde Glaubwürdigkeit also nicht als eine unabhängige, sondern als gesuchte abhängige Variable untersucht.

Die Entwicklung der Glaubwürdigkeitsforschung zeigt auch, dass seit der Verbreitung des Internets ein besonderes Interesse an der Glaubwürdigkeit dieses Mediums und dessen Inhalte entstanden ist. Da sich die vorliegende Arbeit mit Glaubwürdigkeitsbeurteilungen von World Wide Web-Inhalten befasst, wird in den folgenden Abschnitten kurz auf die Glaubwürdigkeit im Internet eingegangen.

2.1.5 Glaubwürdigkeit im Internet

Die Etablierung des Internets als neuer Informationskanal war und ist auch heute noch eng verbunden mit Diskussionen zur Glaubwürdigkeit des Mediums und dessen Inhalte. Dabei entstanden zum einen Studien, welche die Glaubwürdigkeit des Internets mit herkömmlichen Medien vergleichen (Johnson & Kaye, 1998; Kiousis, 2001), andererseits entwickelte sich aber auch ein wissenschaftliches Interesse, das ausführlichere Aussagen und Zugänge zur Beurteilung von Internetangeboten anstrebt. Hierbei interessieren in neuerer Zeit nicht nur die Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit der Informationen an sich, sondern auch die Mechanismen, die Rezipienten anwenden, um zu ihrem Glaubwürdigkeitsurteil zu gelangen. In dieser Arbeit wird darum unter anderem auch versucht, Hinweise zu finden, die aufzeigen auf welchen Verarbeitungswegen und mit welchen Mitteln Internetnutzer die Glaubwürdigkeit von spezifischen Internetinhalten bewerten.

Es wurde bereits angesprochen, dass Glaubwürdigkeitsbeurteilungen auf verschiedenen Stufen erfolgen können und folglich Studien zur Glaubwürdigkeit je nach Bezugsobjekt unterschieden werden müssen. Eine Darstellung von Schweiger (1999, S. 91) veranschaulicht und präzisiert diese Bezugsebenen. Schweiger unterscheidet insgesamt sechs Stufen von Glaubwürdigkeitsobjekten (siehe Abbildung 1, linke Pyramide). In Anlehnung an diese Unterteilung entwickelte Dzeyk (2005, S. 47) relativ ähnliche Bezugsebenen für die Glaubwürdigkeitsbeurteilung im Internet (siehe Abbildung 1, rechte Pyramide). Die mit dieser Arbeit verbundene experimentelle Untersuchung wird, um sich auf die Einordnung von Dzeyk zu beziehen, im Subystem World Wide Web erhoben, wobei sich die Glaubwürdigkeitsbeurteilungen auf Botschaften in Form von konkreten Beiträgen beziehen wird.

Abbildung 1: Glaubwürdigkeitsobjekte und ihre Bezugsebenen nach Schweiger (linke Pyramide) bzw. Dzeyk (rechte Pyramide)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Schweiger (1999, S. 91); Dzeyk (2005, S. 47)

Diese Gegenüberstellung der Glaubwürdigkeitsbezugsebenen zwischen in erster Linie traditionellen Medien und dem Internet zeigt, dass das Internet zwar als eine besondere Informationsplattform betrachtet werden kann, dass aber gleichzeitig die Unterschiede (bezüglich der Glaubwürdigkeit) zu den herkömmlichen Medien relativ gering sind. Zum Beispiel werden Webangebote von Printmedien, die für qualitativ hochwertige und glaubwürdige Inhalte bekannt sind, meistens auch im World Wide Web als glaubwürdig beurteilt. Schweiger (1998, S. 140) konnte diesen Transfereffekt nachweisen. Er zeigte, dass ein Image-Transfer von bekannten Medienprodukten ins Internet geschieht: „Wenn Rezipienten eine ihnen bekannte Tageszeitung für seriös, gründlich recherchiert und glaubwürdig halten, dann gehen sie ebenfalls davon aus, dass die Beiträge in einem Webangebot eben dieser Zeitung glaubwürdig sind“ (Schweiger, 1998, S. 140).

Die Forschung zur Glaubwürdigkeit im Web (für eine Übersicht siehe: Wathen & Burkell, 2002) hat unter anderem versucht, Elemente von Webseiten auszumachen, welche die Glaubwürdigkeit erhöhen oder herabsetzen können. So wurde beispielsweise von Fogg, Marshall, Laraki et al. (2001) eine Studie mit über 1400 Teilnehmern durchgeführt, um herauszufinden welche Elemente die wahrgenommene Glaubwürdigkeit von Webseiten wie beeinflussen. Gemäss dieser Untersuchung sind es die Faktoren „real-world feel“, „ease of use“, „expertise“, „trustworthiness“ und „tailoring“ (S. 61), die sich positiv auf die Glaubwürdigkeitsbeurteilung auswirken. Die Faktoren „commercial implications“ und „amateurism“ verringern hingegen die wahrgenommene Glaubwürdigkeit (S. 61). Eine andere Studie untersuchte inwiefern seriöse Bannerwerbung (eine Autowerbung) und weniger seriöse (eine Werbung für Geldspiele) die Glaubwürdigkeit eines Webseiteninhalts beeinflussen können. Die Ergebnisse zeigten, dass die weniger seriöse Werbung zu einer niedrigeren Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Webseiteninhalts führte als die seriöse Werbung (Fogg, Marshall, Kameda et al., 2001, S. 1-2). Es sind solche Wirkungen von der Werbung auf die Glaubwürdigkeit von Webseiteninhalten, welche für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse sind. Im Kapitel 2.3 wird ausführlicher auf Kontexteffekte dieser Art eingegangen.

2.1.6 Systematisierung der Glaubwürdigkeitsforschung

Zum besseren Verständnis der uneinheitlichen Glaubwürdigkeitsforschung ist eine Systematisierung hilfreich. Einerseits sollte nach den erwähnten Bezugsebenen der Untersuchungen unterschieden werden. Andererseits schlägt Eisend (2003, S. 91) vor, zwischen drei wesentlichen Variablen beziehungsweise Variablengruppen zu unterscheiden (siehe Abbildung 2). Erstens gibt es gemäss Eisend (2003, S. 91) so genannte Glaubwürdigkeitsmerkmale, welche Einfluss auf die Glaubwürdigkeit haben können. Glaubwürdigkeitsmerkmale können beispielsweise das Alter des Kommunikators, die verwendete Ausdrucksweise oder das Design einer Webseite sein. Zweitens gibt es die Variable der Glaubwürdigkeit selbst, mit ihren Dimensionen und Korrelaten. Sie kann – abhängig von der jeweiligen Studie – die abhängige oder unabhängige Variable darstellen. Drittens erwähnt Eisend mit den Wirkungsgrössen der Glaubwürdigkeit solche Variablen, die durch die Glaubwürdigkeit beeinflusst werden. Beispielsweise kann die Einstellung eines Rezipienten einem Thema gegenüber oder die Kaufabsicht durch die Glaubwürdigkeit beeinflusst werden.

Abbildung 2: Systematisierung der Glaubwürdigkeitsforschung nach Eisend

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eisend (2003, S. 91)

Des Weiteren zeigt die Abbildung 2, dass in empirischen Untersuchungen zwischen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung und der Glaubwürdigkeitswirkung unterschieden werden muss. Besonders die Glaubwürdigkeitsbeurteilung ist für die Untersuchung dieser Arbeit relevant, denn hier wird die Glaubwürdigkeit als zu erklärende Variable aufgefasst. Bei Untersuchungen zur Glaubwürdigkeitswirkung stellt die Glaubwürdigkeit jedoch die erklärende Variable dar (Eisend, 2003, S. 92). Die in dieser Arbeit vorgestellte Untersuchung wird die Glaubwürdigkeitsbeurteilung auf der Bezugsebene der Medieninhalte untersuchen und die Beeinflussung der Glaubwürdigkeit durch mögliche Glaubwürdigkeitsmerkmale überprüfen.

2.2 Ausgewogenheit von Medienbotschaften

Neben der Glaubwürdigkeit soll in der vorliegenden Arbeit auch auf die Ausgewogenheit von Medienbotschaften eingegangen werden. Glaubwürdigkeit sowie Ausgewogenheit von Medienbotschaften können beide als Qualitätskriterien verstanden werden. Deshalb ist auch von Interesse, welche Faktoren oder Merkmale möglicherweise dazu führen, dass Medienbotschaften als ausgewogen bewertet werden. Beispielsweise interessiert, ob die wahrgenommene Ausgewogenheit der Medieninhalte von ähnlichen Faktoren abhängt wie die Beurteilung der Glaubwürdigkeit. Zunächst soll hier aber erklärt werden, was in dieser Arbeit unter Ausgewogenheit verstanden wird.

2.2.1 Unterschiedliche Verwendung des Begriffs

Der Begriff der Ausgewogenheit wird in den Kommunikationswissenschaften sehr weitläufig benutzt. Ausgewogenheit wird zum Beispiel oft als wichtiges Kriterium im Zusammenhang mit Framing oder News Bias erwähnt. Unter Framing wird nach Entman (1993) folgendes Vorgehen zusammengefasst: “To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation and/or treatment recommendation” (Entman, 1993, S. 52). In diesem Zusammenhang wird die (fehlende) Ausgewogenheit meistens dann erwähnt, wenn kritisiert wird, dass Medien beispielsweise einzelne Aspekte in ihrer Berichterstattung einseitig oder verzerrt darstellen und somit nur eine einseitige Interpretation zulassen.

In der Forschung zu News Bias wird der Begriff der Ausgewogenheit ähnlich interpretiert. Mit der Bezeichnung News Bias lassen sich Entman (2007) zufolge drei Bedeutungen zusammenfassen:

Sometimes, it is applied to news that purportedly distorts or falsifies reality (distortion bias) sometimes to news that favours one side rather than providing equivalent treatment to both sides in a political conflict (content bias), and sometimes to the motivations and mindsets of journalists who allegedly produce the biased content (decision-making bias) (Entman, 2007, S. 163) .

Sowohl im Forschungsbereich des Framing als auch im Bereich von News Bias liegt der Fokus der Forschung oft auf der Darstellung einzelner, meist kontroverser Themen. Die untersuchten Themen sind zudem häufig von politischer Bedeutung. In der vorliegenden Arbeit soll die Ausgewogenheit jedoch nicht hinsichtlich der Darstellung ganzer Themen in den Medien untersucht werden. Von Interesse ist die Ausgewogenheit von einzelnen unpolitischen Berichten oder Artikeln. Darum eignen sich die in der News Biasund Framing-Forschung verwendeten Auffassungen von Ausgewogenheit nur bedingt für diese Untersuchung.

Die Ausgewogenheit von Medienberichten wird bisweilen auch unter den Begriffen Objektivität und Neutralität diskutiert, jedoch stellen auch diese beiden Begriffe nicht ganz das dar, was in dieser Arbeit unter Ausgewogenheit verstanden wird. Erstens ist zu bezweifeln, dass eine objektive Berichterstattung überhaupt möglich ist. Im Konstruktivismus wird beispielsweise davon ausgegangen, dass Journalisten über keinen direkten Zugang zur objektiven Realität verfügen, da Realität immer vom jeweiligen Betrachter konstruiert wird. Zweitens sollen in dieser Arbeit keine objektiv-neutralen Texte untersucht werden. Das heisst, es sollen Artikel betrachtet werden, in welchen eine persönliche und subjektive Bewertung durch die Journalisten sogar erwünscht ist. Solche Artikel sind typischerweise in Form von Erfahrungsoder Testberichten zu finden. Auch wenn diese Artikel nicht zwingend objektiv sind, so können sie doch hinsichtlich der verwendeten Argumente innerhalb der Medienbotschaft ausgewogen sein. In dieser Studie ist folglich die Ausgewogenheit in Bezug auf die verwendeten Argumente in einem Artikel von Interesse. In der englischsprachigen Forschung wird diese Ausgewogenheit unter der Bezeichnung sidedness diskutiert. Es handelt sich dabei um ein Konzept, das zwischen „one-sided“ und „two-sided messages“ (O’Keefe, 1999, S. 210) unterscheidet. Einseitige Botschaften enthalten demnach nur Argumente, welche den Standpunkt oder die Meinung des Kommunikators stützen. Zweiseitige Botschaften berücksichtigen hingegen, neben stützenden Argumenten auch solche, die dem Standpunkt des Kommunikators widersprechen. “This basic contrast – ignoring versus not ignoring opposing arguments – has commonly been captured in the distinction between a ‘one-sided’ message (which ignores opposing arguments) and a ‘two-sided’ message (which, while presenting supportive arguments, also acknowledges opposing arguments).” (O’Keefe, 1999, S. 210).

Weiter können zweiseitige Medienbotschaften in „refutational“ und „nonrefutational“ unterteilt werden (O’Keefe, 1999, S. 211). Während bei der ersten Art die widersprechenden Argumente kritisiert oder als unbegründet bezeichnet werden, werden die Gegenargumente bei der zweiten Art akzeptiert.

Zu beachten ist, dass sich die geschilderten Unterscheidungen auf Botschaften mit einer persuasiven Absicht beziehen. Sie lassen sich aber auch auf Medieninhalte ohne Persuasionsabsicht übertragen. Denn auch ein Kommunikator ohne konkrete Persuasionsabsicht kann sowohl positive als auch negative Argumente zu einem Sachverhalt präsentieren und somit eine zweiseitige Aussage machen. In dieser Arbeit sollen solche zweiseitigen Medienbotschaften, welche auch negative Argumente erwähnen und akzeptieren, untersucht und beurteilt werden.

2.2.2 Systematisierung der Forschung zur Ausgewogenheit

Wie bei der Glaubwürdigkeitsforschung, kann in der Forschung zur Ausgewogenheit auch nach den Bezugsebenen der Untersuchungen unterschieden werden. So beziehen sich einige Studien auf die Ausgewogenheit der Berichterstattung eines bestimmten Medienproduktes oder eines bestimmten Themas, während sich andere auf die Ausgewogenheit der Argumente innerhalb eines einzigen Artikels oder Kommunikators beziehen. Des Weiteren lässt sich auch die Ausgewogenheitsforschung (in Anlehnung an die Glaubwürdigkeitssystematisierung von Eisend (2003, S. 91)) nach der Bedeutung ihrer verwendeten Ausgewogenheitsvariablen systematisieren. Wie die Abbildung 3 zeigt, gibt es erstens Variablen, die einen Einfluss auf die Ausgewogenheit haben. Es handelt sich dabei um Ausgewogenheitsmerkmale wie beispielsweise Argumente oder Eigenschaften eines Kommunikators. Zweitens gibt es die Variable der Ausgewogenheit selbst, die abhängig von der jeweiligen Forschungsfrage einer Studie, die abhängige oder unabhängige Variable darstellen kann. Wie bei der Glaubwürdigkeit, gibt es ausserdem Variablen auf der Seite der Rezipienten (Wirkungsgrössen der Ausgewogenheit), die durch die Ausgewogenheit beeinflusst werden können. Beispielsweise kann die Einstellung eines Rezipienten gegenüber einem Thema oder gegenüber einem Produkt beeinflusst werden.

Abbildung 3: Systematisierung der Ausgewogenheitsforschung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ferner zeigt die Abbildung 3, dass zwischen der Beurteilung und der Wirkung von Ausgewogenheit unterschieden werden muss. Bei Studien zur Ausgewogenheitswirkung ist die Ausgewogenheit die erklärende Variable. Für die Untersuchung dieser Arbeit ist aber vor allem die Ausgewogenheitsbeurteilung relevant. Denn die Ausgewogenheit wird hier als abhängige und zu erklärende Variable aufgefasst. Schliesslich werden in dieser Arbeit Faktoren untersucht, welche für die Beurteilung der Ausgewogenheit von Medienbotschaften eine Rolle spielen könnten.

2.2.3 Bisherige Untersuchungen zur Ausgewogenheit von Medienbotschaften – eine kurze Übersicht

Die Ausgewogenheit der in Medienberichten verwendeten Argumente wurde bisher vor allem in der Persuasionsforschung berücksichtigt (z.B. Hovland, Lumsdaine & Sheffield, 1949, S. 203-205; Pechmann, 1990). So liegen insbesondere Erkenntnisse zum Einfluss der Ausgewogenheit auf die Einstellung von Rezipienten vor. Des Weiteren wurde untersucht, welchen Einfluss einseitige oder zweiseitige Argumentationen auf die Glaubwürdigkeit haben können. Die wichtigsten bisherigen Erkenntnisse werden an dieser Stelle kurz vorgestellt.

In einer Meta-Analyse von O’Keefe (1999) wurden die Ergebnisse unterschiedlicher Studien zur Ausgewogenheit von Medienbotschaften zusammengefasst und neu interpretiert. Die Ergebnisse dieser Meta-Analyse zeigen, dass sich einseitige und zweiseitige Botschaften bezüglich ihrer persuasiven Wirkung insgesamt nicht signifikant unterscheiden (S. 218). Wird allerdings der Umgang mit Gegenargumenten (refutational/ nonrefutational) mit berücksichtigt, so lassen sich Unterschiede bezüglich der Persuasionswirkung erkennen: „Refutational two-sided messages enjoyed a dependable persuasive advantage over one-sided messages …, whereas nonrefutational two-sided messages were significantly less persuasive than their one-sided counterparts“ (O’Keefe, 1999, S. 218). In derselben Untersuchung wurde auch festgestellt, dass zweiseitige Medienbotschaften als glaubwürdiger wahrgenommen werden als Botschaften mit nur einseitigen Argumenten, wenn es sich um Werbebotschaften (für ein Produkt oder eine Dienstleistung) handelt (S. 226).

Es soll hier nun nicht weiter auf die bisherige Forschung eingegangen werden, da die Ausgewogenheit bisher vor allem als unabhängie Variable untersucht wurde. In der vorliegenden Arbeit nimmt sie jedoch zwei andere Funktionen ein. Einerseits sollen Artikel untersucht werden, deren Argumente möglichst ausgewogen sind. Es wird folglich auf möglichst gleichwertige Artikel geachtet und deshalb findet auch kein Vergleich zwischen einseitigen und zweiseitigen Botschaften statt. Es wird also versucht, die Ausgewogenheit der im Experiment verwendeten Medienbotschaften möglichst konstant zu halten (siehe 4.4.2). Andererseits wird die Ausgewogenheit als abhängige Variable untersucht. Wie bei der Glaubwürdigkeit interessiert nicht die tatsächliche, sondern die durch den Rezipienten wahrgenommene Ausgewogenheit der Medienbotschaften. Insbesondere soll später untersucht werden, ob unterschiedliche Beurteilungen der Ausgewogenheit möglicherweise auf unterschiedliche Verarbeitungsweisen oder auf Kontexteffekte zurückzuführen sind.

2.3 Kontexteffekte

Alle Elemente, die wir in den Medien wahrnehmen, werden innerhalb eines Kontextes wahrgenommen. Bei Filmen wird jede Kameraeinstellung innerhalb der umgebenden Einstellungen wahrgenommen. Zeitungsartikel werden von weiteren Artikeln und oftmals auch von Werbung umgeben und im Internet finden sich ebenfalls unterschiedliche mediale Elemente nebeneinander. Da Rezipienten Medienbotschaften innerhalb eines Kontextes wahrnehmen, kann die Rezeption eines (Nachrichten-)Beitrages von der unmittelbaren Beitragsumgebung beeinflusst werden. In dieser Arbeit ist nun von Interesse, ob der Kontext in dem eine Botschaft eingebettet ist, sich auf die wahrgenommene Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit eines Medienberichtes auswirken kann. Im Folgenden wird darum auf den Gegenstand der Kontexteffekte eingegangen.

2.3.1 Was ist unter Kontexteffekten zu verstehen?

Mit Kontexteffekten (manchmal auch Ausstrahlungseffekte genannt) werden Effekte bezeichnet, die aufgrund von Prozessen zwischen dem redaktionellen Inhalt/Programm und dessen Umgebung entstehen. Mit der Umgebung wird in dieser Arbeit nur die Werbeumgebung bezeichnet, also die Werbung welche redaktionelle Beiträge umgibt. In diesem Zusammenhang kann mit Kontexteffekten erstens die Wirkung eines Programminhaltes/redaktionellen Beitrages auf die Werbung angesprochen werden. Zweitens können damit aber auch Wirkungen der Werbung auf die Rezeption des kontextuellen Programminhaltes/redaktionellen Beitrages bezeichnet werden. In dieser

Arbeit wird nur die zweite Variante untersucht werden, da nach Einflüssen der Werbung auf die Beurteilung von redaktionellen Online-Beiträgen gesucht werden soll.

2.3.2 Wahrnehmung des Kontexts als Voraussetzung

Wahrnehmung bezeichnet einen „… Prozess der Aufnahme, Selektion, Weiterleitung und Verarbeitung von Reizen aus der Umwelt durch einen oder mehrere Wahrnehmungsapparate“ (Mayer & Illmann, 2000, S. 427). Damit Werbung wirksam wird, muss sie erst einmal wahrgenommen werden. Aus diesem Grund gilt die Wahrnehmung von Werbung als Voraussetzung für Kontexteffekte zwischen Werbung und redaktionellen Beiträgen. Angesichts der mittlerweile unüberschaubaren Menge an Werbung – besonders auch im World Wide Web – der die Menschen heute ausgesetzt sind, muss davon ausgegangen werden, dass ein grosser Teil dieser Reize nicht wahrgenommen wird und somit ohne Wirkung bleibt.

Greer (2003) untersuchte im Rahmen einer Studie zur Glaubwürdigkeit von Online- Informationen, wie viel Beachtung die Versuchspersonen der Werbung auf Webseiten schenkten. Von den 178 Personen gaben nur 3 (1.7%) an, die Werbung genau angeschaut zu haben. 23 Personen (12.9%) gaben an, die Werbung beachtet zu haben, und 71 (39.9%) warfen angeblich einen kurzen Blick auf die Werbung. Der grösste Teil der Teilnehmer (81 Personen oder 45.5%) gab hingegen an, die Werbung gar nicht beachtet zu haben (S. 24). Diese Ergebnisse zeigen, dass der Werbung auf Webseiten meistens nur sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die geringe Aufmerksamkeit schliesst jedoch noch nicht aus, dass die Werbung die Rezeption weiterer Elemente einer Webseite beeinflussen kann.

Die Wahrnehmung kann ein bewusster oder unbewusster Prozess sein. Das heisst, Reize können auch nur unterschwellig oder beiläufig wahrgenommen werden. Aber auch diese Reize werden im Gehirn verarbeitet und können eine Wirkung erzielen (Kloss, 2003, S. 61). Ein Charakteristikum der Wahrnehmung ist zudem, dass sie selektiv erfolgt. Erstens nehmen Rezipienten, wie bereits erwähnt, nicht alle Werbereize wahr und zweitens werden nicht alle Reize gründlich verarbeitet. Ist eine Werbung für den Rezipienten interessant, da das beworbene Produkt für ihn von Relevanz ist, so ist anzunehmen, dass diese Werbung eher wahrgenommen und verarbeitet wird. Aufgrund dieser Überlegungen wird Werbung in den Medien oft in der Nähe von thematisch verwandten Beiträgen platziert. Rezipienten, die im Internet beispielsweise nach den neuesten Snowboardmodellen suchen, werden vermutlich thematisch verwandte und darum relevante Werbung (zum Beispiel Werbung für Snowboards oder für Skigebiete) eher wahrnehmen als jemand der im Web Wahlergebnisse abfragen will und kein Interesse an Snowboards hat.

2.3.3 Forschungsstand zu Kontexteffekten

In der Forschung zu Kontexteffekten herrscht Einigkeit darüber, dass je nach Kontext einer Medienbotschaft unterschiedliche Wirkungen auftreten können. „The same source delivering the same message to the same audience on separate occasions might produce different effects depending on the differing programming or editorial contexts in which the message appears” (Norris & Colman, 1992, S.38). Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, wann diese Kontexteffekte auftreten, welche Wirkung sie haben und welche weiteren Variablen dabei eine Rolle spielen. Auch bei den Erklärungsansätzen sind unterschiedliche Richtungen auszumachen. Die uneinheitlichen Forschungsergebnisse sind unter anderem auf die verschiedenen Studienkonzeptionen zurückzuführen. So lassen sich auf einer ersten Ebene die Studien, welche die Wirkung des Programms beziehungsweise der redaktionellen Inhalte auf die Werbung untersucht haben, von jenen Studien unterscheiden, welche die Wirkung der Werbung auf den Inhalt erforschten. Es sollte also zwischen diesen zwei Forschungsrichtungen unterschieden werden. Die meisten der bisher durchgeführten Studien zum Thema Kontextwirkungen gehören zur ersten Kategorie und untersuchten wie beispielsweise die Wahrnehmung, Beurteilung oder Erinnerung von Werbung durch das mediale Umfeld beeinflusst wird (Aylesworth & MacKenzie, 1998; De Pelsmacker, Geuens & Anckaert, 2002; Hug, 2004; Moorman, Neijens & Smit, 2002; Norris & Colman, 1992, 1993, 1994; Shamdasani, Stanaland & Tan, 2001). Moorman et al. (2002) konnten in einer Studie zur Verarbeitung von Werbung in Zeitschriften zeigen, dass Menschen, die gegenüber der Zeitschrift in welcher die Werbung platziert war, positiv eingestellt waren, die Werbung besser bewerteten als jene welche die Zeitschrift nicht mochten (S. 37). Andere Studien untersuchten den Einfluss des Kontexts auf die Erinnerung oder Widererkennung von Werbung oder auf die Bewertung und Kaufintentionen bezüglich der beworbenen Produkte. Die meisten dieser Studien wurden im Bereich des Fernsehens durchgeführt: „Several researchers have showed [sic] that this advertising context induces psychological reactions that viewers continue to experience while being exposed to subsequent commercial messages, which influences the processing of these commercials.“ (Moorman et al., 2002, S. 27). In letzter Zeit befasst sich die Forschung aber vermehrt auch im Webbereich mit Kontexteffekten (z.B. Choi & Rifon, 2002; Shamdasani et al., 2001; Moore et al., 2005).

Andere Studien zeigten, dass auch der Kontext, in dem redaktionelle Inhalte präsentiert werden, einen Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung des redaktionellen Inhalts ausüben kann. Am wenigsten wünschenswert ist diese Art von Kontextwirkung, wenn die Effekte „… von anderen Sendungen oder gar von Werbeinseln vor einer Nachrichtensendung ausgehen“ (Wirth et al., in Druck). Insbesondere wenn das werbliche Umfeld negative Auswirkungen auf die Nachrichtenwahrnehmung hat, sind solche Effekte unerwünscht. Allerdings wurden solche von der Werbung ausgehenden Kontexteffekte bislang kaum untersucht. Wenige Ausnahmen befassten sich mit Kontextwirkungen, die von Fernsehwerbespots ausgehen (Biocca et al., 1992; Perry, 2001; Wirth et al., in Druck) oder im Zusammenhang mit Werbung im Internet (Weber, 2001; Yang & Oliver, 2004) stehen. Die bisherigen Studien kamen jedoch nicht zu übereinstimmenden Ergebnissen. Beim Experiment von Biocca et al. (1992) wurden durch unterschiedliche Werbeunterbrechungen im Fernsehen verschiedene Stimmungen erzeugt. Die erzeugte Stimmung konnte jedoch die Einschätzung der Relevanz von den gezeigten Nachrichten nicht beeinflussen: „The hypothesis that trivial and humorous commercials would make hard news stories appear less important was not supported. The hypothesis that trivial and humorous commercials would make soft news stories appear more important … failed to achieve significance” (Biocca et al., 1992, S. 18). Wirth et al. (in Druck), führten eine ähnliche Studie durch. Sie kamen jedoch zum Ergebnis, dass Fernsehwerbung die Einschätzung von Nachrichtenbeiträgen sehr wohl beeinflussen kann. Die Rezipienten, die positive Werbung präsentiert bekamen, bewerteten den danach gezeigten Nachrichtenbeitrag positiver und stuften ihn als glaubwürdiger ein, als die Zuschauer welche eher neutrale Werbung präsentiert bekamen. Wirth et al. erklären ihre Ergebnisse mit dem Primingansatz, also mit Gedächtniseffekten, die zum Zeitpunkt der Rezeption aber auch zum Zeitpunkt der Urteilsbildung wirksam sind (Bless, Bohner & Schwarz, 1991). Ist eine Person in einer positiven Stimmung, werden im Gedächtnis dieser Person, angeregt durch die gute Stimmung, automatisch positive Gedanken leichter zugänglich gemacht (Wirth et al., in Druck). Auch Yang und Oliver (2004) führten eine Untersuchung zur Bewertung von Nachrichten im Werbeumfeld durch. Sie sind der Meinung, dass Werbung besonders im Onlinekontext die Wahrnehmung von Nachrichten beeinflussen kann, da hier Werbeund Nachrichteninhalte gleichzeitig dargeboten werden können. Im Fernsehen hingegen würden Werbung und Nachrichten sequentiell präsentiert (S. 735). Ihr Experiment untersuchte daher den Einfluss von Online-Werbung auf die Wahrnehmung und Bewertung gleichzeitig präsentierter Nachrichteninhalte im Web. Den Versuchsteilnehmern wurden Nachrichten mit zwei seriösen Bannerwerbungen und solche mit zwei albernen Werbungen gezeigt. Kontexteffekte waren besonders bei unerfahrenen Internetnutzern auszumachen. Sie beurteilten insbesondere heftige oder erschütternde Nachrichteninhalte als weniger berichtenswert, wenn diese in einem albernen Werbeumfeld dargeboten wurden (S. 744). Die Widersprüchlichkeit der Forschungsergebnisse dieser wenigen Studien zeigt, dass im Gebiet der Kontexteffekte noch weitere Forschung notwendig ist.

Ein weiterer Aspekt dieser Forschungsrichtung betrifft die Frage, ob allein schon die Präsenz von Werbung Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Beurteilung von anderen Medieninhalten haben kann. In der vorliegenden Arbeit sind zu dieser Thematik besonders Forschungsergebnisse aus dem Webbereich von Interesse. Fogg et al. (2002) befragten rund 1500 Personen dazu, wie sie die Glaubwürdigkeit von Webseiten beurteilen. Die meisten Teilnehmer gaben dabei an, dass sich Internetwerbung negativ auf die Glaubwürdigkeit einer Webseite auswirkt und dass dieser Glaubwürdigkeitsverlust besonders hoch ist, wenn die Webseite nicht klar zwischen redaktionellem und werbendem Inhalt trennt (S. 11). Eine weitere Studie (BURST!, 2002, 2003) untersuchte generell, wie Menschen auf Werbung im Internet reagieren. Ein Ergebnis zeigte, dass vor allem ein Übermass an Werbung negative Auswirkungen hat und den Rezipienten zum Verlassen einer Webseite bewegen kann: “Almost one in three (31.0%) of respondents say they immediately leave a site if it appears cluttered with advertising.” (BURST!, 2003, S. 2). Auch ein Experiment von Becker-Olsen (2003) führte zum Ergebnis, dass Werbung im Web eher negative Auswirkungen mit sich bringt: „The Web site experiences the most positive attitude when no advertising is present“ (Becker-Olsen, 2003, S. 24). Weber (2001) hingegen kam in einem Vorexperiment zum Ergebnis, dass Webseiten mit einer Werbefläche am beliebtesten sind. Seiten mit nur einer Werbefläche wurden sogar den Seiten ohne Werbung (und solchen mit zwei oder drei Werbeflächen) vorgezogen (S. 94-95). Er führt diese Ergebnisse darauf zurück, dass eine Abbildung

die Webseite auflockert und somit das Erscheinungsbild der Webseite attraktiver macht. Ausserdem könne Werbung auch als Qualitätskriterium aufgefasst werden, „… in dem Sinne, dass Werbetreibende nur dort Werbung platzieren, wo eine gewisse Professionalität und Qualität vorhanden ist“ (Weber, 2001, S. 95). Diese Auffassung ist jedoch kritisch zu betrachten, sind doch viele seriöse Webseiten, wie beispielsweise Universitätswebseiten, grösstenteils werbefrei. Des Weiteren wird aus den zitierten Studien ersichtlich, dass die untersuchten Auswirkungen des Vorhandenseins oder der Abwesenheit von Werbung im Web bis anhin vor allem auf die Webseite als Ganzes und nicht auf die einzelnen Inhalte fokussieren. Die vorliegende Arbeit wird jedoch die Auswirkungen der Werbung auf spezifische Webseiteninhalte untersuchen.

2.3.4 Forschungsstand der Kongruenzeffekte

Die bisherigen Studien zu Kontexteffekten unterscheiden sich nicht nur in ihrer Wirkungsrichtung (Wirkung des redaktionellen Inhalts auf die Werbung oder Wirkung der Werbung auf den redaktionellen Inhalt), sondern auch bezüglich ihrer Kontextvariablen. So kann eine Studie beispielsweise Kontexteffekte untersuchen, die auf unterschiedliche Stimmungseinflüsse zurückzuführen sind. Kontexteffekte lassen sich aber auch bezüglich der Kongruenz zwischen dem redaktionellen Inhalt und der Werbung erforschen. Kongruenzeffekte bilden in diesem Zusammenhang also einen Teilbereich der Kontexteffekte und bezeichnen hier Wirkungen, die durch die Übereinstimmung von Werbung und Programm oder Werbung und redaktionellem Inhalt entstehen. Die Kongruenz kann bezüglich sehr verschiedener Aspekte auftreten und untersucht werden. Diese können zum Beispiel Humor, Stil oder Thematik sein.

Unter der thematischen Kongruenz wird meistens eine Kongruenz zwischen dem in der Werbung beworbenem Produkt und dem Thema des redaktionellen Inhalts verstanden. Diese Kongruenz kann allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt sein, was in den bisherigen Studien oft nicht berücksichtigt wurde. Wenn das beworbene Produkt in keinem thematischen Zusammenhang zum Inhalt des redaktionellen Beitrags steht, kann dies als Inkongruenz bezeichnet werden. Passt das beworbene Produkt thematisch zum Inhalt, handelt es sich um eine thematisch verwandte Kongruenz. Wenn das Werbeprodukt gänzlich mit dem in einem Artikel oder in einer Sendung vorgestellten Produkt übereinstimmt, kann von einer Produktkongruen z gesprochen werden. Zur Produktkongruenz und deren Auswirkungen auf redaktionelle Inhalte liegen bis anhin noch keine Studien vor. Jedoch haben Moorman et al. (2002) sowie auch Hug (2004) Kongruenzeffekte bezüglich der thematischen Verwandtheit untersucht. Sie konzentrierten sich dabei auf Wirkungen, die von Zeitschriften und redaktionellen Inhalten auf die Werbung innerhalb von Zeitschriften ausgehen. Bei beiden Studien führte die Verwendung von thematisch kongruenter Werbung dazu, dass die Werbung besser erinnert wurde (Moorman et al., 2002, S. 27; Hug, 2004, S. 114). Die thematische Kongruenz kann aber nicht nur Auswirkungen auf die Erinnerungsleistung bezüglich der Werbung haben. So untersuchten andere Studien etwa Wirkungen der Kongruenz auf die Einstellung gegenüber der Werbung und auf die Einstellung gegenüber der Webseite auf der die Werbung platziert war (Moore et al., 2005) oder Wirkungen auf die Absicht, das beworbene Produkt zu kaufen (Choi & Rifon, 2002). Für die vorliegende Studie besonders interessant sind allerdings jene thematischen Kongruenzeffekte, welche Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit und die wahrgenommene Ausgewogenheit von Onlineinformationen haben. Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen der Kongruenz und der Beurteilung der Ausgewogenheit von Medienbotschaften liegen bis anhin aber keine vor und die Auswirkungen von thematisch kongruenter Werbung auf die Glaubwürdigkeitsbeurteilung wurden bis anhin nur ansatzweise erforscht (siehe 2.3.5). Eine Studie von Moore et al. (2005) konnte zwar einen Kongruenzeffekt im Internet nachweisen, jedoch untersuchten sie den Einfluss der Kongruenz auf die Einstellung gegenüber der Webseite. Die Ergebnisse ihres Experiments zeigten Folgendes: „… advertiser-Web site congruity does impact Web browser’s attitudes toward the Web site … and moderately congruent and congruent advertiser- Web sites may result in more favorable attitudes toward the Web site.“ (Moore et al., S. 79). Zu beachten ist, dass diese Untersuchung keinen Effekt auf die Glaubwürdigkeit oder Ausgewogenheit, sondern auf die allgemeine Einstellung gegenüber der Webseite nachweist. Hingegen hat Weber (2001) den Effekt auf die Glaubwürdigkeit untersucht, jedoch nur in einem Vorexperiment. Dieses Vorexperiment wird teilweise als Ausgangslage für das Experiment der vorliegenden Arbeit dienen und wird im nächsten Unterkapitel kurz vorgestellt.

2.3.5 Ein Experiment zum Einfluss thematischer Kongruenz auf die Glaubwürdigkeitsbeurteilung im Web

Weber (2001) hat im Rahmen einer Studie zu formalen Beeinflussungskriterien der Glaubwürdigkeit von Web-Dokumenten ein Vorexperiment durchgeführt, das den Einfluss von thematisch kongruenter Werbung auf die Glaubwürdigkeit von Webseiten untersucht. Webers Hypothese lautet: „Seiten mit Kongruenz zwischen Werbe-Inhalt und Text-Inhalt werden als weniger glaubwürdig beurteilt als Seiten mit entsprechender Inkongruenz“ (Weber, 2001, S. 96). Um diese Hypothese zu testen, mussten die 38 Versuchspersonen jede der präsentierten Webseiten anhand von zehn bipolaren Items beurteilen. Zudem mussten die Versuchpersonen jeweils angeben, wie viel Prozent der dargebotenen Informationen sie für richtig halten (S. 97). Das Experiment wurde am Computer durchgeführt, wo speziell zu diesem Zweck kreierte Webseiten präsentiert wurden. Jede Versuchsperson musste sieben Webseiten zu unterschiedlichen Themen mit jeweils einem Text und zwei Werbeflächen beurteilen (S. 97-99). Der einen Hälfte der Personen wurden nur Webseiten präsentiert, deren Werbung einen Zusammenhang mit dem Text aufwies, der anderen Hälfte wurden Seiten präsentiert, deren Werbung unabhängig vom redaktionellen Text war (S. 97-98). Die Ergebnisse von Weber konnten jedoch, keinen Einfluss der Kongruenz auf die Glaubwürdigkeit nachweisen (S. 105). Der Versuchsaufbau von Weber sollte allerdings kritisch betrachtet werden. So ist zu beachten, dass es sich lediglich um ein Vorexperiment handelt und die damit verbundene kleine Anzahl an Versuchspersonen noch keine allgemeingültige Aussage über den Einfluss der Kongruenz zulässt. Es ist also eine erneute Erhebung mit einer grösseren Teilnehmeranzahl notwendig. Des Weiteren wird aus den Ausführungen zum Experiment nicht klar, ob die Versuchspersonen ihr Glaubwürdigkeitsurteil aufgrund der ganzen Webseite oder aufgrund der einzelnen Texte gefällt haben. Zudem scheint Webers zweidimensionale Aufteilung in kongruente und inkongruente Werbung zu kurz zu greifen, da sie die Stärke der Kongruenz nicht berücksichtigt. Eine Werbung kann gänzlich zum redaktionellen Inhalt einer Webseite passen, wenn zum Beispiel neben einem Artikel über ein MacBook von Apple eine MacBook-Werbung geschaltet wird (Produktkongruenz). Neben diesem Artikel könnte aber auch eine Werbung eines Computershops zu finden sein. Beide Varianten würden bei Webers Untersuchung in die gleiche Kategorie (kongruent) fallen, obwohl ein klarer Unterschied zu erkennen ist, der die Glaubwürdigkeit des Artikels möglicherweise beeinflussen kann. Im Experiment der vorliegenden Arbeit soll darum zwischen verschiedenen Kongruenzstärken unterschieden werden, um genauere Ergebnisse zu erreichen. Ausserdem lässt Weber die Verarbeitungsweise ausser Acht, mit welcher die Rezipienten Informationen verarbeiten und die Webseiten beurteilen. In der vorliegenden Arbeit werden darum neben der Kongruenz auch unterschiedliche Arten der Informationsverarbeitung berücksichtigt.

2.3.6 Kurze Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes zu den Kontextund Kongruenzeffekten

Die bisher in der Kontextforschung gefundenen Ergebnisse sind in den meisten Bereichen widersprüchlich und lassen keine eindeutigen Aussagen zur Wirkung von Werbung auf die Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit zu. Ausserdem wurden bis anhin vor allem Kontexteffekte im Bereich des Fernsehens erforscht, während andere Medien nur marginal berücksichtigt wurden. Das hauptsächliche Forschungsinteresse lag dabei auf den Wirkungen, die vom Programm oder Inhalt auf die Werbung ausstrahlen. Die umgekehrte Wirkungsrichtung wurde deutlich seltener untersucht. Studien zu Kontexteffekten dienten deshalb meistens dazu herauszufinden, wie sich der redaktionelle Inhalt oder das Programm auf die Erinnerung der Werbung oder auf die Einstellung gegenüber der Werbung auswirkt. Ein weiterer Schwerpunkt der bisherigen Kontextforschung liegt auf den affektiven Wirkungen. So sind mehrere Untersuchungen zu finden, welche die Einflüsse der Stimmung auf die Wahrnehmung, Verarbeitung und Beurteilung von Werbungen untersuchen. Theoretisch basieren viele Studien zu Kontextwirkungen auf dem (kognitiven und/oder affektiven) Primingansatz. Aber auch andere theoretische Erklärungen für die durch den Kontext ausgelösten Effekte sind zu finden. In der vorliegenden Arbeit werden Zwei-Prozess-Modelle und nicht der Primingansatz als theoretische Grundlage verwendet. Der Primingansatz eignet sich aus zwei Gründen nicht für das Experiment dieser Untersuchung. Erstens findet das Experiment im Internet statt, wobei den Versuchsteilnehmern die Werbung und der redaktionelle Inhalt simultan präsentiert werden. Anders als beim Fernsehen ist dabei unklar, welcher Stimulus (Werbung oder Inhalt) zuerst wahrgenommen wird, was die Verwendung des Primings nicht begünstigt. Zweitens eignen sich Primingkonzepte besonders dann, wenn Kontexteffekte untersucht werden, die auf Stimmungen basieren. Das vorgesehene Experiment wird aber nicht auf Stimmungen eingehen. Aus diesen Gründen wird versucht, mögliche Kongruenzeffekte mit Zwei-Prozess-Modellen zu erklären. Was unter Zwei-Prozess-Modellen zu verstehen ist und wie diese Modelle Einflüsse der Werbung auf die Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit erklären können, wird auf den folgenden Seiten erläutert.

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Ende der Leseprobe aus 143 Seiten

Details

Titel
Die Platzierung von Werbung, ein heikles Unterfangen?
Untertitel
Ein Experiment zum Einfluss von Verarbeitungstiefe und Werbekontext auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit und Ausgewogenheit von Product News
Hochschule
Universität Zürich  (Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung)
Note
5.5 (Schweizer Benotung)
Autor
Jahr
2008
Seiten
143
Katalognummer
V123212
ISBN (eBook)
9783640290789
ISBN (Buch)
9783640291083
Dateigröße
1961 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Platzierung, Werbung, Unterfangen
Arbeit zitieren
lic. phil. Yvonne Miller (Autor:in), 2008, Die Platzierung von Werbung, ein heikles Unterfangen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123212

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