Durchsichtigkeit und Undurchsichtigkeit von Wörtern - Bedeutungsverdunkelung und Volksetymologie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

25 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Durchsichtige und undurchsichtige Wörter
2.1 Durchsichtige Wörter
2.1.1 Die formale Konstitution des durchsichtigen Wortes
2.2 Undurchsichtige Wörter

3 Bedeutungsverdunkelung
3.1 Verdunkelung durch Schwachtonigkeit eines Kompositionsgliedes oder schwachtonige Verwendung von Wörtern
3.2 Bedeutungsverdunkelung durch lautliche Assimilation
3.3 Bedeutungsverdunkelung durch Aussterben eines oder mehrerer Kompositionsglieder als Simplizia
3.4 Weitere mögliche Ursachen für eine Bedeutungsverdunkelung
3.5 Folgen von Bedeutungsverdunkelungen

4 Volksetymologie bzw. Sekundäre Motivation
4.1 Phonologische Motivation
4.1.1 Motivation durch phonologische Angleichung an bestehende Wortformen
4.1.2 Motivation durch Lautersatz
4.1.3 Motivation durch Umgehung fremder Lautverbindungen
4.1.4 Motivation durch Akzentverlagerung
4.1.5 Motivation durch neue Aufgliederung eines Wortes
4.1.6 Motivation durch Wortkürzung
4.2 Phonologisch-semantische Motivation
4.2.1 Semantische Motivation
4.3 Sekundäre lautsymbolische Motivation
4.4 Abgrenzung gegenüber ähnlichen Erscheinungen
4.4.1 Malaprops
4.4.2 Agglutination und Deglutination des Artikels
4.4.3 Kontamination
4.4.4 Back-formation

5 Schlussbetrachtung

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Ein typisches Charakteristikum des englischen Wortschatzes ist die Dissoziation. Das bedeutet, dass die Strukturierung durch größere Wortfamilien, innerhalb derer die Verwandtschaft der einzelnen Wörter durch Mittel der Wortbildung wie etwa Ableitungssilben, Wortzusammensetzungen, Umlaut usw. leicht erkennbar ist, nach dem Altenglischen verloren ging. Die Hauptursache dafür war die Übernahme insbesondere lateinischer und französischer Wörter in großem Umfang, welche isoliert blieben, da sie etymologisch ungestützt waren.[1] Diese, mit anderen Worten, „fremden Wörter“ nennt man auch „Hard Words“, da sie aufgrund ihrer Undurchsichtigkeit ohne fremdsprachliche Kenntnisse nur schwer zu verstehen sind. Da aber jede Sprache bzw. deren Sprecher das Bestreben haben, Wörter zu motivieren, ist also das Englische aufgrund seiner bewegten Sprachgeschichte, in der zahlreiche fremde Sprachen Einfluss nahmen, besonders anfällig für Erscheinungen wie Volksetymologie bzw. Sekundäre Motivation.

Im folgenden soll es nun zum einen um die Abgrenzung und Erläuterung der Begriffe „Durchsichtigkeit“ und „Undurchsichtigkeit“ von Wörtern gehen. Zum anderen sollen die zahlreichen Möglichkeiten der Bedeutungsverdunkelung von Wörtern, die nicht zu den Hard Words zählen, da sie aus dem Altenglischen stammen, dargestellt werden. Weiterhin soll die Folge von Dissoziation oder Bedeutungsverdunkelung, also die Remotivierung oder die Volksetymologie bzw. die sekundäre Motivation, mit Beispielen näher beleuchtet werden.

2 Durchsichtige und undurchsichtige Wörter

2.1 Durchsichtige Wörter

Durchsichtigkeit meint “die durch die Sprechenden selbst – in einer zur Sprache konstitutiv gehörenden Reflexion auf die Sprache – ergriffene, formal und inhaltlich bestimmte („derivationelle“) Abhängigkeit eines Wortes – als Wort – von einem oder von mehreren anderen Wörtern.“[2] Durchsichtige Wörter gewähren also dem Sprecher – “und nicht erst dem Grammatiker oder dem Sprachwissenschaftler – Durchsicht [...] auf das Wort oder auf die Wörter, von denen sie abhängen und an denen sie im Bewusstsein der Sprechenden „festgemacht“ sind“[3]. Somit hat das durchsichtige Wort auch einen von sich wegweisenden Charakter, da metaphorisch gesprochen der Blick des Betrachters im durchsichtigen Wort nicht hängen bleibt, sondern durch es hindurch geht auf ein anderes oder mehrere andere Wörter, von denen das durchsichtige Wort abhängt. Man könnte es auch als ein „sprechendes Wort“ bezeichnen, da es über sich selbst aussagt, dass es von dem Wort herkommt, das in ihm selbst auf irgendeine Weise enthalten ist. Dieses in ihm selbst enthaltene Wort nennt man auch Objekt der Durchsichtigkeit.[4]

Zur Verdeutlichung sollen drei Beispiele dienen. Das Nomen driver sagt etwa über sich selbst aus, dass es von dem Verb to drive herkommt, da dieses in ihm selbst enthalten ist. Als weitere Beispiele kann man die Komposita crossword puzzle mit den Objekten der Durchsichtigkeit: { cross }+{ word }+{ puzzle } und pancake mit den Objekten { pan }+{ cake } nennen. Kennt man die Bedeutung der, für sich genommen, undurchsichtigen Objekte der Durchsichtigkeit, so ist die Bedeutung der davon abgeleiteten oder daraus zusammengesetzten Wörter durchsichtig. Bei den Komposita muss allerdings eine Einschränkung gemacht werden, da “der Inhalt der Zusammensetzung gegenüber den Inhalten der Konstituenten etwas unabhängiges Drittes ist, das nicht im Sinne einer bloßen Addition zu beschreiben ist“[5]. So versteht sich pancake nicht als erstens pan und zweitens cake, sondern als etwas Neues. Der Inhalt eines Kompositums ist also “nicht einfach aus den Inhalten der in ihm lebendigen Wörter ,zusammengesetzt’“[6]. Komposita sind vielmehr sekundär motiviert, d.h. die Bedeutung des Ganzen steht in einem durchsichtigen Verhältnis zu den Inhalten der Konstituenten.

Das „Ursprungswort“ muss aber nicht immer vollständig und identisch enthalten sein, um ein davon abhängendes Wort durchsichtig werden zu lassen. So ist der Bedeutungszusammenhang auch noch deutlich bei Wortpaaren wie life und to live, broad und breadth oder wise und wisdom.

2.1.1 Die formale Konstitution des durchsichtigen Wortes

Alle durchsichtigen Wörter des englischen Wortschatzes lassen sich drei formalen Grundtypen subsumieren.

Der erste formale Grundtyp sind die sogenannten „compound nouns“, also Komposita bzw. Wortzusammensetzungen wie zum Beispiel pancake oder crossword puzzle. Dem zweiten formalen Grundtyp lassen sich Beispiele wie driver (Objekt[7]: to drive), writer (Objekt: to write), funny (Objekt: fun), weekly (Objekt: week), heavenly (Objekt: heaven) oder blindness (Objekt: blind) zuordnen. Es handelt sich hierbei also um die „derivatives“, also um Affixwörter, die aus einem Grundwort und einem Affix bestehen. Durchsichtige Wörter können aber auch durch „zero-derivation“ entstehen, d.h. durch Nullableitung, welche als dritter formaler Grundtyp durchsichtiger Wörter noch zu nennen ist.[8] Dabei wird durch Wortklassenwechsel ein vorhandenes Graphem zu einem neuen Wort, welches aber mit dem „Ursprungswort“ in engster semantischer Beziehung steht und dadurch durchsichtig ist. So wird zum Beispiel aus dem Nomen love das Verb to love. Diese Erscheinung nennt man auch Konversion. Sie wurde durch den Wegfall vieler, vor allem lateinischer, Wortbildungselemente im Neuenglischen zu einer sehr beliebten Vorgehensweise, um neue Wörter zu bilden.

2.2 Undurchsichtige Wörter

Das undurchsichtige Wort existiert nicht wie das durchsichtige Wort kraft eines oder mehrerer anderer Wörter in der Sprache, sondern kraft seiner selbst, d.h. es ist unabhängig und eigenständig. Somit ist es undurchdringlich und verharrt in sich selbst.[9] Zu den undurchsichtigen Wörtern zählen vor allem einmorphemische Wörter wie cat, house oder tree.

Undurchsichtig sind aber vor allem die sogenannten „Hard Words“, also die in der englischen Sprache zahlreichen unmotivierten meist griechischen und lateinischen Fremdwörter. Während etwa die deutsche Sprache eine morphologisch motivierte Wortbildung, d.h. eine grammatische Wortbildung, bevorzugt und somit durch ihren in höchstem Maße konsoziierten Wortschatz ein hohes Grad an Transparenz bietet, ist das Englische konventioneller und hält an den ursprünglich entlehnten Wörtern fest.[10] Im Deutschen existieren parallel zu den Fremdwörtern meistens gleichbedeutende transparente deutsche Wörter, die genauso häufig, wenn nicht sogar häufiger, Anwendung finden als die Fremdwörter, da sie nicht, wie das vielleicht im Englischen der Fall wäre, als minderwertig angesehen werden. Während also im Deutschen sowohl das Fremdwort Kontinent als auch das motivierte Wort Erdteil existiert, findet sich in der englischen Sprache nur continent und nicht etwa * earth-part. Weitere Beispiele hierfür sind: larynx (* throat-head, dt.: Kehlkopf), linguistics (* language-science, dt.: Sprachwissenschaft), hydrogen (* watery substance, dt.: Wasserstoff), celibacy (* marriage-less-ness, dt.: Ehelosigkeit) etc.[11] Auch innerhalb der Wortfamilien kommt es aufgrund des fremdsprachlichen Einflusses zu Undurchsichtigkeiten. Vergleiche hierzu: townurban (dt.: Stadtstädtisch), mouthoral (dt.: Mundmündlich), bishopepiscopal (dt.: Bischofbischöflich) etc.[12]

Aufgrund ihrer Schwierigkeit werden Hard Words häufig remotiviert, was zu einer völligen Verdunkelung ihrer ursprünglichen Bedeutung führen kann.

Im folgenden soll es nun aber darum gehen, wie es zu Bedeutungsverdunkelung von Wörtern kommen kann, die nicht fremdsprachlichen Ursprungs sind.

3 Bedeutungsverdunkelung

Der formale und bedeutungsmäßige Zusammenhang mit anderen Wörtern ist aufgrund ähnlicher Lautung klar bei Wörtern wie writer, funny, wisdom, life usw. „Bei zu großer lautlicher Verschiedenheit wird die Beziehung zwischen den betreffenden Bezeichnungen jedoch nicht mehr bewusst, und es kann zu völliger Verdunkelung der ursprünglichen Bedeutung einer Bezeichnung kommen.“[13] Bedeutungsverdunkelungen ergeben sich im Laufe der Sprachentwicklung immer wieder aufgrund von auseinanderführenden lautlichen Veränderungen von ursprünglich formal und inhaltlich zusammenhängenden Bezeichnungen. Schon im Altenglischen haben sehr viele Wörter ihre Lautform so stark verändert, dass keine Beziehung zu den mit ihnen zusammenhängenden Bezeichnungen mehr empfunden werden konnte. Das altenglische Wort bera (dt.: Bär), zum Beispiel, bedeutete eigentlich „der Braune “, da es mit dem Wort br ūn (dt.: braun) zusammenhing. Aufgrund der lautlichen Diskrepanz wurde aber diese Beziehung nicht mehr hergestellt und bera wurde eine eigene Bedeutungseinheit für Bär, gänzlich losgelöst vom ursprünglichen Bedeutungsbereich.[14]

Besonders anfällig für eine Verdunkelung ihrer Bedeutung sind zusammengesetzte Bezeichnungen. In der Literatur werden diese meist als „verdunkelte Komposita“ bezeichnet. Die häufigsten Ursachen für diese Bedeutungsverdunkelungen liegen entweder in einem schwachtonig gesprochenen Kompositionsglied oder lautlichen Veränderungen anderer Art, wie z.B. Assimilationen. Weiterhin kann aber auch ein Kompositionsglied als Simplex außer Gebrauch kommen und aussterben oder ein Wort einen Bedeutungswandel erfahren und dadurch den Bezug zu seiner ursprünglichen Bedeutung verlieren.[15]

Selbstverständlich können auch mehrere dieser Gründe zusammenwirken. So kam bei dem altenglischen Wort mānswerian (dt.: einen Meineid schwören) das Kompositionsglied mān als Simplex außer Gebrauch, und außerdem wurde sein Vokal gekürzt. Die Bedeutung von man- (dt.: Meineid; Verbrechen, Schuld, Sühne) kann deshalb in dem heute veralteten manswear bzw. mansworn nicht mehr ohne die entsprechenden etymologischen Kenntnisse erkannt werden. Ein weiteres Beispiel für das Zusammenwirken mehrerer Gründe ist altenglisch gōdspell (dt.: frohe Botschaft, Evangelium). Dieses durchlief zwei lautliche Veränderungen unterschiedlicher Art. Zum einen wurde das erste Kompositionsglied gōd- (ne.: good) durch eine Verkürzung des Vokals umgedeutet zu god (dt.: Gott). Außerdem wurde der zweite Teil des Wortes abgeschwächt, d.h. schwachtonig verwendet. So entstand das neuenglische Wort gospel, welches weder in der Aussprache noch in der Schreibung die ursprüngliche Bedeutung noch erkennen lässt.[16]

[...]


[1] Vgl. auch Herbst/Stoll/Westermayr 1991, S. 224f.

[2] Gauger 1971, S. 14.

[3] Ebd. S. 12.

[4] Vgl. Gauger 1971, S. 13f.

[5] Ebd. S. 18.

[6] Gauger 1971, S. 18.

[7] Anmerkung: Gemeint ist hier jeweils das Objekt der Durchsichtigkeit.

[8] Vgl. Gauger 1971, S. 18-22.

[9] Vgl. ebd. S. 13.

[10] Vgl. Ullmann 1972, S. 105.

[11] Vgl. Ullmann 1972, S. 106ff.

[12] Vgl. ebd. S. 108.

[13] Koziol 1974, S. 112.

[14] Vgl. ebd. S. 112f.

[15] Vgl. Koziol 1974, S. 113f.

[16] Vgl. Koziol 1974, S. 114.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Durchsichtigkeit und Undurchsichtigkeit von Wörtern - Bedeutungsverdunkelung und Volksetymologie
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Lehrstuhl für englische Sprachwissenschaft)
Veranstaltung
Der englische Wortschatz
Note
2
Autor
Jahr
2002
Seiten
25
Katalognummer
V12318
ISBN (eBook)
9783638182317
Dateigröße
818 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Durchsichtigkeit, Undurchsichtigkeit, Wörtern, Bedeutungsverdunkelung, Volksetymologie, Wortschatz
Arbeit zitieren
Daniela Kilper-Welz (Autor:in), 2002, Durchsichtigkeit und Undurchsichtigkeit von Wörtern - Bedeutungsverdunkelung und Volksetymologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12318

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