Über Anmut und Würde – Friedrich Schillers Abrechnung mit der Philosophie Immanuel Kants


Wissenschaftliche Studie, 2005

23 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Philosophie Kants
1. Die Entstehung der Sittlichkeit
2. Die Divergenz von Pflicht und Neigung
3. Das Schöne

III. Anmut
1. Die bewegliche Schönheit
2. Freiheit und Grazie
3. Entstehung der schönen Seele

IV. Würde

V. Zusammenfassung

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Friedrich Schiller gilt bis in unsere Zeit als einer der bedeutendsten Dramatiker. Darüber hinaus war er, bedingt durch seine Studien, Historiker und auch in der Medizin ausgebildet. In dieser Untersuchung wende ich mich aber einem ganz anderen Fach zu, dass Schiller im Grunde sein ganzes Künstlerleben begleitet hat: nämlich dem der Philosophie. ,,Schillers philosophische Überlegungen sind relativ umfassend. Sie liegen auf den Gebieten der Ästhetik, der Geschichts- und Moralphilosophie, sowie der Erkenntnistheorie.“[1] Ich beschäftige mich genauer gesagt, mit seiner Abhandlung Über Anmut und Würde, die 1793, in nur sechs Wochen entstanden ist. Bereits vor Veröffentlichung dieses Aufsatzes hat Schiller kleinere philosophische Schriften entstehen lassen, die aus dem Studium der kantischen Philosophie resultieren. Darunter befinden sich auch die sogenannten Kallias – Briefe, die Schiller an Körner, im Winter 1792/93, geschrieben hat. Diese sind für die Entstehung von Über Anmut und Würde insofern wichtig, da er in diesen glaubt, die objektive Schönheit gefunden zu haben. Zusammengefasst ist es in der berühmten Formel: ,,Schönheit also ist nichts anders als Freiheit in der Erscheinung.“[2] Schiller wollte das bloße Geschmacksurteil Kants über das Schöne hinaus erweitern, was ihm schließlich auch gelang. Die Schönheit breitete sich so über das ganze Naturreich aus, nur fehlte sie noch sozusagen als Veredelung des Menschen inklusive seines Werkes. Möglich werden sollte dies in Gestalt der Anmut und Würde.[3],,Er behaftet das Kunstwerk selber mit der Idee der Freiheit, die sich im Spiel der Einbildungskraft vergegenständlicht.“[4] Damit ist die Schönheit nicht mehr im Subjekt verankert, sondern kommt dem schönen Gegenstand zu. In ,,Über Anmut und Würde“ wendet sich Schiller diesem Thema nicht mehr direkt zu; er analysiert die beiden Titelbegriffe hinsichtlich des Verhältnisses von sinnlichen und sittlichen Anreizen des menschlichen Handelns. Seine Beschäftigung mit Kants Schriften nahm Schiller im Jahre 1791 auf, worüber ein Brief vom 3. 3. an Körner Auskunft gibt:

Seine Critik der Urteilskraft, die ich mir selbst angeschafft habe, reißt mich hin durch ihren neuen lichtvollen geistreichen Inhalt und hat mir das größte Verlangen beygebracht, mich nach und nach in seine Philosophie hinein zu arbeiten.“[5]

Er beschäftigte sich einige Jahre mit dieser, eignet sich einige ihrer Inhalte an und schreibt am 1.1. 1792 an Körner: ,,Mein Entschluß ist unwiderruflich gefaßt, sie nicht eher zuverlaßen, biss ich sie ergründet habe, wenn mich dieses auch 3 Jahre kosten könnte. Uebrigens habe ich mir schon sehr vieles daraus genommen und in mein Eigenthum verwandelt.“[6] Erstaunlicherweise begann er mit Kants letzter „Kritik“, weil ihn besonders die Kunst in ästhetisch-philosophischer Ausarbeitung interessierte. Die Arbeit mit der kantischen Philosophie führt im Frühjahr 1793 zu einer Kontroverse mit der Ästhetik Kants. Diese Auseinandersetzung soll Gegenstand meiner Ausführungen sein. Dazu ist es notwendig, die Philosophie Kants in den Bereichen darzustellen, die Schiller zu ,,Anmut und Würde“ rezipierte. Dies geschieht in Kapitel II. im ersten und zweiten Teil, die jeweils die theoretische und praktische Philosophie Kants behandeln, unter Punkt drei folgt die Ästhetik. Der Abschnitt III. beschäftigt sich mit dem ersten Stück von Schillers Abhandlung, der Anmut. Ich stelle in den Unterpunkten jeweils die wichtigsten Begriffe heraus: die bewegliche Schönheit, Freiheit und Grazie und schließlich die Entstehung der schönen Seele. Im Kapitel IV. wird der Würdebegriff erläutert. Aus den einzelnen Textteilen ergibt sich ferner eine Explikation von Über Anmut und Würde, die dem besseren Verständnis meines Anliegens dient. Die Abhandlung Schillers hat aber nicht nur den Zweck, sich mit kantischer Philosophie zu befassen, sondern bringt einen Freiheitsbegriff, der nicht die politische Unabhängigkeit zum Thema hat. Dieser Freiheitsgedanke ist auf ein moralisches, anthropologisches und ästhetisches Fundament gestellt. Er ist moralisch,

weil er Freiheit nicht politisch als Befreiung von Unterdrückung definiert, sondern als Zustimmung zur Freiheit des Vernunftgesetzes. Anthropologisch erweitert ist er, weil er die Freiheit nicht schon von der Beseitigung des Despotismus erwartet, sondern an eine Harmonisierung der entzweiten menschlichen Vermögen bindet, das heißt, an eine geschichtlich erst noch zu erbringende Aussöhnung des Menschen mit sich selbst, die der politischen voranzugehen hat. Und ästhetisch vermittelt schließlich ist Schillers Freiheitsbegriff, weil er dem Zivilisationsgang des Menschengeschlechts den Umweg über die ästhetische Autonomie vorschreibt.[7]

Zeigen wird sich dies im Aufkommen der schönen Seele. Schiller stellt diese schließlich, in seinem Aufsatz, der Pflichtenethik Kants gegenüber. Zu bemerken bleibt noch, dass Schiller noch andere Quellen für seine Ausführungen verwandt hat. Genannt seien exemplarisch u. a. Home, Shaftesbury, Mendelsohn und Wieland.

Zuerst erschien Über Anmut und Würde Mitte Juni im 2. Stück der Neuen Thalia, für die Schiller unbedingt Beiträge brauchte und andere Autoren zu wenig dazu beitrugen, leistete er selbst diese Arbeit. Sie wurde 1800 in die Sammlung ,,Kleinere prosaische Schriften“ aufgenommen.

II. Die Philosophie Kants

Die philosophischen Gedanken, die Schiller von der kritischen Denkweise Kants übernommen, bzw. als Basis für seine Arbeit für Über Anmut und Würde verwendet hat, werden an dieser Stelle erläutert. Für alle drei zu besprechenden Werke gilt die folgende Feststellung: ,,Der Ausdruck ,sittliche Schönheit’ oder ,sittlich schön’ findet sich freilich bei Kant in der kritischen Periode nirgends...“[8] Sie finden sich aber in den Schriften Schillers.

1. Die Entstehung der Sittlichkeit

Die ,,Geburtsstunde“ der kantischen Moralphilosophie liegt in Kants Kritik der reinen Vernunft. In ihr zeigt Kant, dass Gott, Freiheit und Unsterblichkeit der Seele nicht beweisbar sind. Sie sind der Erfahrung nicht zugänglich, aber der Verstand drängt dennoch danach, in diesen Regionen zu einer Erkenntnis dieser Sachverhalte zu gelangen. In der Auflösung der dritten Antinomie sieht Kant eine Möglichkeit, in der die menschliche Freiheit wirksam werden könnte. In dieser dritten Antinomie geht es um die Frage nach der Kausalität durch die Naturgesetzlichkeit auf der einen, und um die Aussicht der Freiheit auf der anderen Seite. Wo strenge Kausalität herrscht, ist Freiheit undenkbar. Kant findet dennoch eine Lösung des Problems:

Und da würden wir an einem Subjekte der Sinnenwelt erstlich einen empirischen Charakter haben, wodurch seine Handlung, als Erscheinungen, durch und durch mit anderen Erscheinungen nach beständigen Naturgesetzen im Zusammenhange ständen, und von ihnen, als ihren Bedingungen, abgeleitet werden könnten, und also, mit diesen in Verbindung, Glieder einer einzigen Reihe der Naturordnung ausmachten. Zweitens würde man ihm noch einen intelligibelen Charakter einräumen müssen, dadurch es zwar die Ursache jener Handlungen als Erscheinungen ist, der aber selbst unter keinen Bedingungen der Sinnlichkeit steht, und selbst nicht Erscheinung ist.[9]

Der Mensch hat demnach Anteil an zwei Wirkungsbereichen, nämlich an der sinnlich wahrnehmbaren und der intelligiblen, das heißt der nichtsinnlichen Welt. Durch die Naturnotwendigkeit, die in der Sinnenwelt herrscht, ist der Mensch nicht frei. In der intelligiblen jedoch wirkt die Freiheit. Grund dafür ist die Vernunft, die

mit völliger Spontaneität eine eigene Ordnung nach Ideen, in die sie die empirischen Bedingungen hinein paßt, und nach denen sie so gar Handlungen für notwendig erklärt, die doch nicht geschehen sind und vielleicht nicht geschehen werden, von allen aber voraussetzt, daß die Vernunft in Beziehung auf sie Kausalität haben könne; denn, ohne das, würde sie nicht von ihren Ideen Wirkungen in der Erfahrung erwarten.[10]

Die Folgen der Vernunft müssen erfahrbar sein, nachdem sie in die Kausalität eingegriffen hat. Die Konsequenz dieser Überlegung stellt Kant wie folgt dar: ,,wenn Vernunft Kausalität in Ansehung der Erscheinungen haben kann: so ist sie ein Vermögen, durch welches die sinnliche Bedingung einer empirischen Reihe von Wirkungen zuerst anfängt.“[11] Die Vernunft wirkt im intelligblen Bereich, sie ist nicht wahrnehmbar, aber die von ihr verursachten Resultate sind in der Sinnenwelt präsent. Mit dieser Konstruktion hat Kant ein Mittel gefunden, um den Menschen für seine Taten verantwortlich zu machen. Handlungen werden dem intelligiblen Charakter zugeschrieben, ,,er [der Mensch] hat jetzt, in dem Augenblicke, das er lügt, gänzlich die Schuld...“[12] Bis an die intelligible Ursache kann die Kausalkette der einzelnen Handlungsschritte verfolgt werden. Sie ist die Grenze, die sinnlich nicht überschreitbar ist. Der unbedingte Anfang durch die Vernunft ist somit nicht sichtbar, er bleibt der Beurteilung vollständig entzogen und mehr kann auf diesem Gebiet nicht geleistet werden. Somit resümiert Kant: ,,Daß nun diese Antinomie auf einem bloßen Scheine beruhe, und, daß Natur der Kausalität aus Freiheit wenigstens nicht widerstreite, das war das einzige, was wir leisten konnten, und woran es uns auch einzig und allein gelegen war.“[13]

Nach der Genese der Moral in der Kritik der reinen Vernunft muss dieser in die ethischen Werke Kants gefolgt werden, um der Dichotomie der Antriebe des Handelnden auf den Grund gehen zu können.

[...]


[1] Lindner, Margit: Zur philosophischen Leistung Friedrich Schillers. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 32/2 1984. S. 865-873. S. 865.

[2] Schiller, Friedrich: Nationalausgabe, im Auftrag des Goethe-Schiller-Archivs, des Schiller-Nationalmuseum und der Deutschen Akademie. Hg. v. Julius Petersen u. Gerhard Fricke, (seit 1948) Julius Petersen u. Hermann Schneider, (seit 1961) Lieselotte Blumenthal u. Benno von Wiese, (seit 1981) Norbert Oellers u. Siegfried Seidel. Weimar 1943ff. Die Nationalausgabe wird mit NA abgekürzt und die betreffende Bandnummer genannt. NA Bd. 26 S. 183.

[3] Vgl. Safranski, Rüdiger: Schiller oder Die Erfindung des Deutschen Idealismus. 12. Aufl. München: Hanser 2004. S. 368.

[4] Brittnacher, Hans Richard: Über Anmut und Würde. In: Schiller Handbuch. Hg. v. Helmut Koopmann. Stuttgart: Kröner 1998. S. 587–609. S. 589.

[5] Ebd. S. 77.

[6] Ebd. S. 127.

[7] Brittnacher, Hans Richard: Über Anmut und Würde. In: Schiller Handbuch. Hg. v. Helmut Koopmann. S. 588.

[8] Vorländer, Karl: Kant – Schiller – Goethe. Gesammelte Aufsätze. 2. Aufl. Leipzig 1923. Neudr. Aalen: Scientia 1984. S. 96 – 97.

[9] Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft. Werkausgabe in zwölf Bänden. Hg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt/M: Suhrkamp 1968. Band IV 2. Die Kritik der reinen Vernunft wird im Folgenden aus der zweiten Auflage (B) und unter dem Sigel KrV zitiert. KrV B 568.

[10] KrV B 577.

[11] Ebd. B 580.

[12] Ebd. B 584.

[13] Ebd. B 587.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Über Anmut und Würde – Friedrich Schillers Abrechnung mit der Philosophie Immanuel Kants
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V123092
ISBN (eBook)
9783640274239
ISBN (Buch)
9783640274284
Dateigröße
519 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anmut, Würde, Abrechnung, Philosophie, Immanuel, Kants, Thema Friedrich von Schiller, Friedrich Schiller
Arbeit zitieren
Dr. Manfred Klein (Autor:in), 2005, Über Anmut und Würde – Friedrich Schillers Abrechnung mit der Philosophie Immanuel Kants, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123092

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