Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie bei Alkoholismus


Hausarbeit, 2007

42 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

0 Einleitung

1 Grundlagen: Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie
1.1 Die klassische Gesprächspsychotherapie nach Rogers
1.1.1 Entstehung
1.1.2 Rogers Persönlichkeits- und Störungstheorie
1.2 Weitere Konzepte der Gesprächspsychotherapie

2 Grundlagen: Alkoholismus
2.1 Der Begriff Alkoholismus und seine Klassifikation
2.2 Entstehung einer Alkoholabhängigkeit aus gesprächspsychotherapeutischer Sicht
2.3 Therapie
2.3.1 Klientenzentriertes Handeln in der Alkoholismustherapie
2.4 Soziale Arbeit: Definition für die Arbeit mit Alkoholabhängigen

3 Die Motivierende Gesprächsführung nach Miller und Rollnick
3.1 Grundhaltung
3.2 Die vier Basisprinzipien
3.3 Ablauf
3.3.1 „Phase 1: Motivation zur Veränderung aufbauen“
3.3.2 „Phase 2: Die Selbstverpflichtung für Veränderungen verstärken“
3.4 Zur Eignung, Wirksamkeit und Grenzen von MI in Bezug auf die Anwendung bei Alkoholismus, auch in Bezug auf Gesprächspsychotherapie und Soziale Arbeit

4 Das Differenzielle Inkongruenzmodell nach Speierer (DIM)
4.1 Definition
4.2 Diagnostik mit der Inkongruenzanalyse
4.3 Therapie
4.3.1 Inkongruenzbehandlung nach dem DIM bei Menschen mit psychischen und Verhaltenstörungen durch Alkohol
4.4 Zur Eignung, Wirksamkeit und Grenzen der Gesprächspsychotherapie nach dem DIM in Bezug auf die Anwendung bei Alkoholismus

5 Weiterbildung zum Sozialtherapeuten klientenzentriert/gesprächspsychotherapeutisch orientiert

6 Fazit und Ausblick

Quellenverzeichnis

Literatur

Internetquellen

0 Einleitung

Die Alkoholabhängigkeit stellt heute ein großes gesellschaftliches Problem dar. So wurden von der „Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)“ aufgrund einer Schätzung des „Instituts für Therapieforschung (IFT)“ München folgende Zahlen für das Jahr 2005 herausgegeben: 10,4 Millionen Personen die einen riskanten Konsum betreiben, 1,7 Millionen Personen, bei denen ein Alkoholmissbrauch vorliegt und ebenfalls 1,7 Millionen Personen, bei denen eine Alkoholabhängigkeit besteht.[1] [2] Hinzu kommt, dass jährlich ca. 42.000 Personen sterben, „deren Tod direkt (z. B. durch Alkoholmissbrauch) oder indirekt (z.B. durch einen alkoholisierten Unfallverursacher)“[3] mit dem Konsum von Alkohol in Zusammenhang steht.[4]

Diese Zahlen und das damit verbundene gesellschaftliche Problem haben bewirkt, dass, neben anders verorteten, auch in der klientenzentrierten Therapie und Beratung, insbesondere auf der Grundlage von direkten Weiterentwicklungen der klassischen Gesprächspsychotherapie nach Rogers, Konzepte entwickelt wurden, die sich bei Alkoholismus anwenden lassen. Laut Bensel[5], welcher sich mit dem Thema „Die klientenzentrierte Therapie der Alkoholabhängigkeit“ im Allgemeinen beschäftigte, basieren diese neueren, unter anderem im deutschsprachigen Raum entstandenen Konzepte auf störungsbezogeneren, zielorientierteren und auch direktiveren „Entwicklungen der gesprächspsychotherapeutischen Persönlichkeits- und Störungstheorie“.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich folglich mit der Frage, wie Gesprächspsychotherapie bzw. klientenzentriertes Handeln bei Alkoholismus aussehen kann und ob es sich für eine Anwendung bei einer solchen Erkrankung überhaupt eignet. Dazu sollen zwei ausgewählte klientenzentrierte Konzepte in Bezug auf ihre Anwendung bei Alkoholismus vorgestellt werden, wobei dann auch auf Eignung, Wirksamkeit und mögliche Grenzen der Anwendung eingegangen werden soll.

Eines dieser Konzepte ist die „ Motivierende Gesprächsführung“ bzw. im englischen Original das „ Motivational Interviewing (MI) “ nach William R. Miller und Stephen Rollnick, welche/s speziell für die Behandlung von Suchtkranken und insbesondere von Alkoholabhängigen entwickelt wurde.[6] Obwohl MI nicht direkt als Weiterentwicklung von Rogers Theorien bekannt ist, wird es von Miller und Rollnick[7] als solche bezeichnet und kann als eine Mischung zwischen Rogers reflektierender und emphatischer Methode mit einer direktiven Komponente bezeichnet werden.[8]

Das zweite Konzept, dass hier vorgestellt werden soll, ist das „Differenzielle Inkongruenzmodell (DIM)“ nach Gert-Walter Speierer von 1994. Diese direkte Weiterentwicklung von Rogers Ansätzen soll hier beschrieben werden, da sie im Zusammenhang mit klientenzentrierter Therapie von Abhängigkeitserkrankungen bzw. psychischen Störungen durch psychotrope Substanzen[9] immer wieder und insbesondere auftaucht.[10] So weist z.B. auch Bensel[11] auf die besondere Bedeutung „einer differentiellen Analyse und Behandlung der vom Klienten erlebten Inkongruenz“ hin.

Im diesem Rahmen soll auch auf die seit 1998 angebotene und vom Verband Deutscher Rentenversicherer zu Anerkennung empfohlene[12]Weiterbildung zum Sozialtherapeuten klientenzentriert/gesprächspsychotherapeutisch orientiert “ eingegangen werden, welche speziell entwickelt wurde, um z.B. Sozialarbeiter und Sozialpädagogen in den Methoden der klientenzentrierten Suchttherapie zu schulen. [13] Neben anderen Interventionen basieren die Inhalte dieser Weiterbildung zum größten Teil auf einer Modifizierung des DIM, „die auch die Indikation zur Gesprächspsychotherapie für den Suchtbereich unter bestimmte Voraussetzungen ermöglicht“[14]. An der gesamten Entwicklung dieser Weiterbildung war und ist Speierer maßgeblich beteiligt.

Zusätzlich möchte ich dabei die Möglichkeiten der Anwendung dieser Konzepte in der Sozialen Arbeit erörtern, da dies für mich als Studentin der Sozialen Arbeit von besonderem Interesse ist. Sozialarbeiter und Sozialpädagogen arbeiten in vielen Arbeitsbereichen, meist in Form von Beratung auf der Grundlage des klientenzentrierten Ansatzes. Hinzu kommt, dass sie in ihrem Berufsalltag sehr häufig auf alkoholkranke Menschen treffen, sowohl direkt in der Suchtberatung als auch in anderen Arbeitsfeldern. Um diesen Menschen helfen zu können, ist das Wissen über die beschriebenen Konzepte und die Möglichkeiten ihrer Anwendung von Nutzen.

Auch die „Ziel- oder klärungsorientierte Psychotherapie“ nach Reiner Sachse gehört zu den Grundlagen der Weiterbildung zum Sozialtherapeuten und Sachse hat auf der Grundlage dieses Ansatzes ebenfalls ein Konzept zur Behandlung von Alkoholismus entwickelt. Wegen des begrenzten Umfangs der vorliegenden Arbeit, weil sein Ansatz nur die Grundlage für seine Arbeiten zum Thema bildet und weil er dabei auch verschiedene nicht-klientenzentrierte Aspekte, z.B. aus der Psychologie und insbesondere aus der interaktionellen und der kognitiven Verhaltenstherapie[15], mit einbezieht,[16] soll auf diesen Ansatz hier jedoch nicht genauer eingegangen werden.

Auch auf Ausführungen zur Bedeutung von Komorbiditäten, also zu der Frage, ob und wenn in welcher Weise andere psychische oder seelischen Erkrankungen wie z.B. Persönlichkeitsstörungen[17] mit der Alkoholanhängigkeit zusammenhängen, kann hier aufgrund des begrenzten Umfangs der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen werden. Es ist dennoch wichtig zu erwähnen, dass immer alle Aspekte, Zusammenhänge und Begleiterscheinungen einer Erkrankung berücksichtigt werden müssen. So darf es aus gesprächspsychotherapeutischer als auch aus medizinischer Sicht nicht außer Acht gelassen werden, „ob und inwieweit die Abhängigkeitserkrankung als Hauptstörung im Vordergrund steht oder ob sie begleitend bzw. in Kombination mit anderen Störungen im Sinne von Komorbidität auftritt“[18].

Bevor auf die einzelnen Ansätze eingegangen wird, sollen zunächst die wichtigsten Grundlagen vermittelt werden. Dabei soll das Wichtigste zur klassischen klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie nach Rogers beschrieben, als auch ein Überblick über die störungstheoretische, diagnostische und therapeutische Gesprächspsychotherapie gegeben werden. Anschließend soll das Wichtigste zum Thema Alkoholismus, auch aus gesprächspsychotherapeutischer Sicht, sowie zur Sozialen Arbeit insbesondere in Bezug auf die Arbeit mit Alkoholabhängigen dargestellt werden. Um die beschriebenen Inhalte der vorliegenden Arbeit geht es dann in den darauf folgenden Punkten.

Hinweis:

Zur besseren Lesbarkeit und da eine Gleichberechtigung von Mann und Frau vorausgesetzt wird, wird in dieser Arbeit ausschließlich die kürzere männliche Schreibweise verwendet.

1 Grundlagen: Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie

1.1 Die klassische Gesprächspsychotherapie nach Rogers

Da jegliches klientenzentriertes Handeln seinen Ursprung in Rogers klassischer Gesprächspsychotherapie hat, sollen im Folgenden deren wichtigste Fakten zusammengefasst werden.

1.1.1 Entstehung

Als Hauptbegründer der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie gilt der amerikanische humanistische Psychologe Carl. R. Rogers, welcher in seinem Beratungsalltag erkannte, dass es von großem Vorteil ist, seine Klienten darin zu unterstützen, ihr Problem selbst zu fassen, um damit zur gewünschten Lösung zu gelangen, anstatt ihnen z.B. Lösungen vorzuschlagen.[19] 1940 machte er daraufhin erstmals in einer Abhandlung[20] den Versuch, einige der Prinzipien und Techniken dieses neuen Therapieansatzes darzustellen.[21]

Im deutschsprachigen Raum war es der Hamburger Psychologe Reinhard Tausch der Rogers Beratungs- und Therapiekonzept ab 1956 unter dem Namen „klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie“ einführte[22], wobei dies nur eine mögliche Bezeichnung dieses Ansatzes ist, der zuerst als „nicht-direktive“ und heute in der Regel als „personenzentrierte“ Gesprächspsychotherapie bezeichnet wird.[23]

1.1.2 Rogers Persönlichkeits- und Störungstheorie

Als Grundlage des klientenzentrierten Ansatzes gilt Rogers Persönlichkeits- und Störungstheorie, die ihn zum Mitbegründer der „Humanistischen Psychologie“ macht. In dieser Theorie geht Rogers davon aus, jeder Mensch bzw. jeder Organismus trage grundsätzlich die Fähigkeit in sich, sich selbst zu erhalten und weiterzuentwickeln. Rogers[24] erklärt diese Fähigkeit, welche auch als „Aktualisierungstendenz“ bezeichnet wird als „die dem Organismus innewohnende Tendenz zur Entwicklung all seiner Möglichkeiten; und zwar so, dass sie der Erhaltung oder Förderung des Organismus dienen“.[25]

Störungen entstehen nach Rogers Theorie dann, wenn das organismische Erleben einer Person nicht mit ihrem Selbstkonzept vereinbar ist, wodurch sie in einen Zustand von Inkongruenz gerät und so entstandene Spannungen dann meist durch Verzerrung, Verfälschung oder Verleugnung des Erlebten versucht zu „lösen“.[26] Um diesem Zustand entgegenzuwirken, welcher auch häufig mit für den Betroffenen oft unerklärlichen Ängsten verbunden sei, müsse durch ein Beziehungsangebot, in dem sich der Betroffene weitgehend akzeptiert fühlt, wieder zu einer Übereinstimmung zwischen seinem Selbstkonzept und dem organismischen Erleben geführt werden, um so zu einem besseren Verständnis seiner selbst und anschließend zu Einstellungs- und Verhaltensänderungen gelangen zu können.[27]

Dieses Beziehungsangebot bildet die klassische Gesprächspsychotherapie nach Rogers. Rogers[28] hat dieses Beziehungsangebot entwickelt, weil er davon ausging, dass eine gewisse Art einer Beziehung, Menschen dabei helfen könne, ihre inneren Ressourcen zu entdecken, diese zu entfalten und veränderungswirksam zu nutzen. Außerdem habe jeder Mensch das Bedürfnis nach Wertschätzung und Selbstwertschätzung, Achtung und Selbstachtung sowie bedingungsfreier Anerkennung.[29]

Um den Klienten so wie beschrieben zu fördern, ist es nach Rogers Ansatz von besonderer Bedeutung, dass der Therapeut oder Berater im Therapie- bzw. Beratungsprozess ihm mit folgenden drei Verhaltensweisen, den drei Basisprinzipien der klassischen Gesprächspsychotherapie, gegenübertritt, da in Rogers Theorie die Hauptquelle für Inkongruenzen defizitäres Erleben dieser drei Verhaltensweisen durch andere Menschen ist.[30]

1. Empathie bzw. Einfühlendes Verstehen - Damit konzentriert sich der Therapeut/Berater auf die gefühlsmäßigen Empfindungen, Vorstellungen, Einstellungen und Werte des Klienten und versucht ihn so zu verstehen wie dieser die Dinge sieht und wahrnimmt. So kann der Klient seine Empfindungen aus einer gewissen Distanz heraus wahrnehmen, die es ihm ermöglicht, Einstellungen und Werthaltungen in Frage zu stellen. Auch Gefühle, die dem Klienten in diesem Moment nicht zugänglich sind und die er deshalb nicht explizit nennt, sie jedoch meist nonverbal andeutet, können vom Berater aufgegriffen und an die Oberfläche geholt werden.[31]
2. Unbedingte Wertschätzung bzw. uneingeschränktes Akzeptieren - Der Therapeut/Berater versucht den Klienten als Person zu akzeptieren und anzunehmen, unabhängig davon, was der Klient äußert und wie er sich gerade gibt. Diese unbedingte Wertschätzung bietet für den Klienten die Möglichkeit, sich mit all seinen Gefühlen, Gedanken und Bewertungen kennen zu lernen ohne deshalb verurteilt oder gedemütigt zu werden.[32]
3. Echtheit und Kongruenz - Es ist wichtig, dass der Therapeut oder Berater selbst so echt und kongruent ist wie möglich und damit dem Klienten als Person gegenüber tritt, „die offen ist für ihr eigenes Erleben und die sich nicht hinter einer Rolle ‚versteckt’“[33]. Laut Rogers[34] ist dieser Zustand der „Übereinstimmung mit sich selbst“ zwar für niemanden vollständig zu erreichen[35], für ein positiv verlaufendes Beratungsgespräch jedoch sehr wichtig - einerseits weil der Klient sich nur so wirklich angenommen fühlen und somit auch Vertrauen fassen kann, um über für ihn unangenehme Dinge zu sprechen. Andererseits führt ein echtes Verhalten des Beraters dazu, dass auch der Klient offener wird und dadurch immer mehr zu sich selbst findet.[36]

Unter Einhaltung dieser drei Basisprinzipien ist das Ziel der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie die Selbstexploration des Klienten. Dem Klienten soll es also Schritt für Schritt immer mehr möglich werden über seine Gefühle, Einstellungen, Bewertungen, Wünsche und Ziele zu sprechen und sich über diese klarer zu werden, was dazu führt, dass es wieder zu Übereinstimmungen zwischen seinem Selbstkonzept und seinem organismischen Erleben kommt.[37]

Während des gesamten Therapie- bzw. Beratungsprozesses sollte der Therapeut/Berater direktive Verhaltensweisen wie z.B. bagatellisieren, diagnostizieren, vorurteilen, Ratschläge geben, Lösungen vorgeben, Fragen stellen, sich identifizieren, interpretieren, moralisieren, kritisieren und erklären vermeiden.[38] Unter anderem darin unterscheidet sich Rogers’ klassischer Ansatz von den hier beschriebenen. Im Gegensatz zu ihnen sind Wertungen, Steuerungen des Geschehens oder bestimmte Zielsetzungen im klassischen Ansatz fast gänzlich ausgeschlossen. Schließlich ist noch festzustellen, dass die Kritik der Begründer von Weiterentwicklungen dieses Ansatzes sich weitestgehend auf die Annahme des alleinigen Wirkens eines gänzlich non-direktiven Beziehungsangebotes beschränkt, insbesondere in Verbindung mit psychischen Erkrankungen.[39]

1.2 Weitere Konzepte der Gesprächspsychotherapie

Wie bereits in der Einleitung erwähnt gibt es heute neben Rogers Ansatz einige weitere Modelle zur Erklärung von Entstehung, Verlauf, Erscheinungsformen und Psychotherapierbarkeit psychischer bzw. seelischer Störungen. Um die Gesprächspsychotherapie mit all ihren Facetten noch besser zu verstehen, wird anhand des Curriculums von Jacobs/Luderer/Speierer/Tasseit[40] zur „Weiterbildung zum Sozialtherapeuten/in klientenzentriert/gesprächspsychotherapeutisch orientiert“[41] im folgenden kurzen Überblick auf diese Modelle eingegangen.

Einen weiteren, ebenso wie der von Rogers universell und allgemein formulierten Ansatz, hat der Psychologe und Philosoph Eugene T. Gendlin entwickelt. Nach ihm sind psychische bzw. seelische Störungen durch Erlebenseinengung oder Erlebensstagnation bedingt. Die dazu von ihm entwickelte Methode nennt sich „Focusing“, durch das eine Erlebnisaktivierung und damit neue Erlebnismöglichkeiten hervorgerufen werden sollen.

Eine Ergänzung zu diesen traditionellen Ansätzen, stellt die bereits in der Einleitung erwähnte „zielorientierte/klärungsorientierte Psychotherapie“ nach Reiner Sachse dar. Demnach sind die von Rogers als ausreichend angesehenen Basisvariablen nicht ausreichend und ein direktiveres Therapeutenverhalten notwendig, um Emphatie auszudrücken. Bei diesem Ansatz ist es die zusätzliche Aufgabe des Therapeuten oder Beraters, emotionale und kognitive Aspekte des inneren Bezugssystems des Klienten wahrzunehmen und herauszuarbeiten. Dieses Verhalten wird auch "additives Therapeutenverhalten" genannt.

Mit einer weiteren, differenzierten Theorie zur Erklärung von Entstehung, Verlauf, Erscheinungsformen und Psychotherapierbarkeit psychischer bzw. seelischer Störungen, dem „Differenziellen Inkongruenzmodell“, hat Gert-Walter Speierer 1994 Rogers Ansatz in Form einer spezifischen störungsbezogenen Krankheitslehre ergänzt und modifiziert. Dieser Ansatz von Speierer wird in Punkt 4 der vorliegenden Arbeit genauer beschrieben.

2 Grundlagen: Alkoholismus

Um auf die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie bei Alkoholismus eingehen zu können, ist es zunächst wichtig diese Erkrankung zu verstehen. Es folgt deshalb das Wichtigste zur Definition, Entstehung und Therapie von Alkoholismus, teilweise auch aus gesprächspsychotherapeutischer Sicht.

Aufgrund des begrenzten Umfangs der vorliegenden Arbeit, wurde bewusst auf Erläuterungen zum Begriff Alkohol verzichtet, da das Wissen über die wichtigsten Grundlagen vorausgesetzt wird und ebenfalls auf einen geschichtlichen Überblick zu Alkohol und Alkoholabhängigkeit, da dies für das Thema keine besondere Relevanz hat.

2.1 Der Begriff Alkoholismus und seine Klassifikation

Laut Feuerlein[42] wurde der Begriff „ Alkoholismus “ 1852 zuerst von dem schwedischen Arzt Magnus Huss geprägt und umfasst sowohl „ Alkoholmissbrauch “ als auch die eigentliche „ Alkoholabhängigkeit “. Diese Unterscheidung, welche erst Mitte der 1970er Jahre getroffen wurde[43], ist heute auch unter anderem auch in Kapitel V, F10-F19, der „International classification of diseases (ICD) 10“ unter den Begriffen schädlicher Gebrauch und Abhängigkeitssyndrom zu finden - hier jedoch nicht speziell auf Alkohol, sondern allgemein auf „psychotrope Substanzen“ bezogen. Schädlicher Gebrauch wird dort als „Konsum psychotroper Substanzen, der zu Gesundheitsschädigung führt“, beschrieben. In Bezug auf Alkohol wird hier vor allem eine psychische Störung wie z.B. eine „depressive Episode durch massiven Alkoholkonsum“ betont.[44] Als Abhängigkeitssyndrom, wird hier „eine Gruppe von Verhaltens-, kognitiven und körperlichen Phänomenen“ bezeichnet, „die sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickeln“.[45] Feuerlein[46] nennt dafür nach einer Version der ICD 10 von 1992 folgende typische Kennzeichen für ein Alkohol-Abhängigkeitssyndrom von denen für eine Diagnose mindestens drei innerhalb eines Jahres aufgetreten sein sollten:

- „Starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren.
- Verminderte Kontrollfähigkeit über Beginn, Beendigung und Menge des Alkoholkonsums.
- Auftreten von Entzugserscheinungen.
- Auftreten von Toleranzveränderungen (es wird mehr Alkohol benötigt, um die gleichen Wirkungen zu erzielen).
- Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Alkoholkonsums
- Anhaltender Alkoholkonsum trotz des Wissens um dessen schädliche Folgen.“[47]

Eine Alkoholabhängigkeit entwickelt sich regelmäßig über einen langen Zeitraum , „tritt im Allgemeinen dann auf, wenn ein langzeitig erhöhter Alkoholkonsum und die individuelle genetische Disposition zusammenwirken“[48] und kann sowohl psychischer als auch körperlicher Natur sein.[49]

1968 wurde Alkoholismus vom deutschen Bundessozialgericht (BSG) als eigenständige Krankheit anerkannt, was sich sehr positiv auf den in der Einleitung erwähnten Ausbau der Therapiemöglichkeiten ausgewirkt hat.[50] Zehn Jahre später wurde die Behandlung dieser Krankheit auch in den Leistungskatalog der Krankenkassen und der Rentenversicherung aufgenommen.[51]

2.2 Entstehung einer Alkoholabhängigkeit aus gesprächspsychotherapeutischer Sicht

Laut Bensel[52] bietet sich das inkongruenztheoretische Modell der Sucht an, um eine Suchterkrankung wie den Alkoholismus gesprächspsychotherapeutisch zu verstehen und zu behandeln. Es lässt sich folgendermaßen beschreiben:

Eine Person gerät in einen von ihr nicht bewusst wahrgenommenen Zustand der Inkongruenz, und macht damit also Erfahrungen, die mit ihrem Selbstkonzept nicht vereinbar sind. Die Störungssymptome dieser Inkongruenz zeigen sich dabei meist durch psychophysische Spannungszustände wie Angst oder Depression, was oft schmerzhaft und schwer auszuhaltenden ist. Zur Linderung greift diese Person z.B. zu Alkohol und kann damit die Störungssymptome eine Zeit lang ausschalten bzw. einen gefälschten Zustand der Kongruenz erzeugen, solange die Substanz wirkt. Um diesen Zustand dauerhaft erzeugen zu können, wird die betroffene Person verleitet, die Substanz immer wieder zu sich zu nehmen, was dann zu einem gefährlichen Suchtmittelmissbrauch und schließlich auch zu einer Abhängigkeit wie dem Alkoholismus führen kann. Bei einem Abhängigkeitssyndrom kommt es dann zu einer Verstärkung des Zustandes der Inkongruenz wodurch sich die Grundstörung manifestiert. Zusätzlich bilden sich neue, so genannte sekundäre, aus der Sucht resultierende neue Inkongruenzen, welche der Betroffene versucht durch erhöhten Konsum zu bekämpfen, was ihn dann immer mehr in den „Sumpf der Abhängigkeit“ treibt. Nach diesem Verständnis der Entstehung einer Alkoholabhängigkeit, ist es wichtig der betroffenen Person dabei zu helfen, ihre Inkongruenzen wahrzunehmen und zu einer echten Kongruenz zu gelangen.[53]

[...]


[1] Vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (o. J.), (o.S.), abrufbar unter URL: http://optiserver.de/dhs/daten_zahlen_alkohol.html [17.07.2007].

[2] Mehr zu den genannten Begrifflichkeiten in Punkt 2.1.

[3] Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (o. J.) , (o.S.).

[4] Vgl. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (o. J.) , (o.S.).

[5] 2003, S.67.

[6] Vgl. Miller/Rollnick 1999 u. 2004.

[7] Vgl. 2004, S. 47.

[8] Brueck/Mann 2007, S. 3.

[9] Vgl. Speierer 1994.

[10] Siehe dazu die Arbeiten von: Jacobs/Bangert 2003, abrufbar unter URL: http://www.gwg-ev.org/download/akad-wb-sucht-gpb03-3-jacobs.pdf [17.07.2007]; Jacobs/Bangert 2005, abrufbar unter URL: http://www.gwg-ev.org/download/zeitschrift-gpb-2005-2-jacobs.pdf [17.07.2007]; Schulz 2004, abrufbar unter URL: http://www.gwg-ev.org/download/akad-wb-sucht-gpb04-3a-schulz.pdf [17.07.2007]; Jacobs/Luderer/Speierer/Tasseit 1998, abrufbar unter URL: http://www.gwg-ev.org/download/akad-wb-cur_sozial.htm#4.6. [17.07.2007].

[11] 2003, S.67.

[12] Vgl. Bensel 2003, S. 67; vgl. Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie e.V. (Hrsg.) Stand 2007, abrufbar unter URL: http://www.gwg-ev.org/cms/cms.php?textid=27 [17.07.2007].

[13] Vgl. Jacobs/Bangert 2003 u. 2005; vgl. Schulz 2004; vgl. Jacobs/Luderer/Speierer/Tasseit 1998.

[14] Jacobs/Bangert 2003, S. 98; Jacobs/Bangert 2005, S. 151.

[15] Die Bedeutung dieser Begriffe ist in der Fachliteratur nachzulesen.

[16] Vgl. Sachse/Schlebusch/Leisch 2002.

[17] Siehe dazu insbesondere Sachse/Schlebusch/Leisch 2002.

[18] Vgl. Jacobs/Luderer/Speierer/Tasseit 1998, (o.S.).

[19] Vgl. Weinberger 2005, S. 20f.

[20] „Newer Concepts of Psychotherapie“.

[21] Vgl. Weinberger, 2005, S. 22f; Vgl. Rogers, 2005, S. 26.

[22] Vgl. Weinberger, 2005, S. 28.

[23] Vgl. Weinberger, 2005, S. 22f.

[24] 1991 in Weinberger 2005, S. 24.

[25] Vgl. Weinberger 2005, S. 23f.

[26] Vgl. Weinberger 2005, S. 27.

[27] Vgl. Weinberger, 2005, S. 22.

[28] Vgl. 1987, in Jacobs/Luderer/Speierer/Tasseit 1998, (o.S.).

[29] Vgl. Rogers 1987, in Jacobs/Luderer/Speierer/Tasseit 1998, (o.S.).

[30] Vgl. Jacobs/Luderer/Speierer/Tasseit 1998, (o.S.).

[31] Vgl. Weinberger 2005, S. 37ff.

[32] Vgl. Weinberger 2005, S. 55ff.

[33] Weinberger 2005, S. 22.

[34] 1997, S. 213, in Weinberger 2005, S. 62.

[35] Rogers sagt hier jedoch weiter: „...aber je mehr der Therapeut imstande ist, akzeptierend auf das zu achten, was in ihm selbst vor sich geht, und je besser es ihm gelingt, ohne Furcht das zu sein, was die Vielschichtigkeit seine Gefühle ausmacht, umso größer ist die Übereinstimmung mit sich selbst“.

[36] Vgl. Weinberger 2005, S. 62ff.

[37] Vgl. Weinberger 2005, S. 64 u. 66ff.

[38] Vgl. Weinberger 2005, S. 71ff.

[39] Dies wird im folgenden Text belegt.

[40] 1998.

[41] Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie e.V. (Hrsg.) Stand 2007, (o.S.).

[42] Vgl. 2005, S. 15.

[43] Vgl. Feuerlein 2005, S. 15.

[44] Vgl. ICD 10 2007, Kapitel V, F10-F19, abrufbar unter URL: http://http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2007/fr-icd.htm (Stand 9.10.2006) [17.07.2007].

[45] Vgl. ICD 10 2007, Kapitel V, F10-F19.

[46] Feuerlein 2005, S. 15f.

[47] Feuerlein 2005, S. 15f.

[48] Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.), S. 8, abrufbar unter URL: http://www.dhs-intern.de/pdf/Alkohol.pdf [17.07.2007].

[49] Vgl. DHS-Faltblattserie 5, S. 8.

[50] Vgl. Feuerlein 2005, S. 16.

[51] Vgl. DHS-Faltblattserie 5, S. 9.

[52] 2003, S. 67.

[53] Vgl. Bensel 2003, S. 67f.

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie bei Alkoholismus
Hochschule
HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst - Fachhochschule Hildesheim, Holzminden, Göttingen
Veranstaltung
Klientenzentrierte Gesprächsführung
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
42
Katalognummer
V123038
ISBN (eBook)
9783640275434
ISBN (Buch)
9783640275458
Dateigröße
563 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Klientenzentrierte, Gesprächspsychotherapie, Alkoholismus, Klientenzentrierte, Gesprächsführung
Arbeit zitieren
Katharina Bethmann (Autor:in), 2007, Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie bei Alkoholismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123038

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