Aggression und Gewalt in der Gerontopsychiatrie

Umdenken im Umgang mit verwirrten alten Menschen


Studienarbeit, 2005

29 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffserklärungen
2.1 Der Begriff „gerontopsychiatrische Pflege“
2.2 Die Begriffe „Aggression“ und „Gewalt"

3. Formen von Aggression und Gewalt in der Pflege

4. Aggressionstheorie
4.1 Frustrations-Aggressions-Hypothese

5. Historik
5.1 Historische Entwicklung im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen
5.2 Heutiges Meinungsbild über psychisch Kranke in unserer Gesellschaft und deren mögliche Ursache

6. Der Pflegealltag auf einer gerontopsychiatrischen Abteilung
6.1 Der alltägliche Umgang mit verwirrten alten Menschen
6.2 Frustrationen im Pflegealltag
6.3 Mögliche Auslöser für Frustrationen im Heimlebenpsychisch erkrankter alter Menschen
6.4 Das Selbstbestimmungsrecht verwirrter Bewohner
6.5 Mögliche Auslöser für Frustrationen im Berufsalltag der Pflegenden

7. Frustrationsprophylaxe im Pflegealltag
7.1 Professionalität der Pflegenden
7.2 Milieutherapie
7.3 In eigener Sache

8. Schlusswort

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Diese Hausarbeit wurde im Rahmen einer berufsbegleitenden Weiterbildung zum staatlich anerkannten Fachpfleger in der Gerontopsychiatrie angefertigt.

Mit der Hausarbeit „Aggression / Gewalt in der Gerontopsychiatrie“ - Untertitel „Umdenken im Umgang mit verwirrten alten Menschen“ möchte ich einen Beitrag zur Gewaltprävention leisten. Die Hausarbeit soll helfen, bestimmte Verhaltensweisen der Erkrankten besser zu verstehen, um darauf als Pflegepersonal gelassener und mit Toleranz reagieren zu können.

Die Pflege von psychiatrisch auffälligen alten Menschen birgt ein erhöhtes Gewaltpotential in sich. Zum einem sind hiervon die psychisch erkrankten alten Menschen betroffen, weil sie aufgrund auftretender Verhaltensstörungen immer wieder auf Unverständnis ihrer Mitmenschen stoßen. Zum anderem sind die in der Pflege Tätigen betroffen, die mit gutgemeinten pflegerischen bzw. therapeutischen Angeboten krankheitsbedingt auftretende Beeinträchtigungen ausgleichen wollen. Dieses Motiv, helfen zu wollen, wird aber häufig von schwer an Demenz Erkrankten verkannt, die dann aggressiv und ablehnend reagieren. Es entsteht eine Art Teufelskreis, da Pflegekräfte in solchen Situationen oft hilflos und überfordert sind. Nicht selten wird dann autoritär durchgegriffen.

In meiner bisherigen Berufspraxis auf einer geschlossenen gerontopsychiatrischen Abteilung habe ich immer öfter den Eindruck gewonnen, dass auftretende Aggressionen bei den Erkrankten stark mit dem Umfeld zu tun haben, in dem sie leben. Mit der Ausarbeitung der Hausarbeit wollte ich die Chance nutzen, meinen gewonnenen Eindruck zu hinterfragen und ggf. Wege aufzeigen, die ein Umdenken im Umgang mit verwirrten alten Menschen ermöglichen.

Die Brisanz des Themas „Aggression / Gewalt in der Gerontopsychiatrie“ wird deutlich, wenn man sich die Zahlen der an Demenz erkrankten Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ansieht. „Derzeit geht man von 800.000 mittelschwer und schwer erkrankten Demenzkranken aus, in 5-7 Jahren wird sich die Zahl auf 1,2 Millionen erhöhen. Die jährliche Rate der Neuerkrankungen liegt bei den über 65jährigen derzeit bei 200.000“ (Hamborg, 2000, S. 35).

Die Hausarbeit soll im theoretischen Teil grundlegende Dinge zum Thema erklären, um den Einstieg in den praxisbezogenen Teil zu ermöglichen. Hier soll die Frage geklärt werden, was sich hinter den Begriffen Aggression und Gewalt verbirgt und warum eine Trennung dieser Begrifflichkeiten durchaus sinnvoll ist. Weiterhin möchte ich hier auf eine mögliche Einteilung der Formen von Aggression und Gewalt eingehen. Dies hat den Hintergrund, dass die LeserInnen sich ins Bewusstsein rufen, was alles darunter zu verstehen ist, um eine gewisse Sensibilität für das Thema zu entwickeln. Außerdem möchte ich im theoretischen Teil auf eine Aggressionstheorie eingehen, die mögliche Ursachen für die Entstehung von Aggressionen benennt.

Schwerpunkt im praxisbezogenen Teil ist es, Probleme, die sich im Pflegealltag des Personals und im Heimleben psychisch erkrankter alter Menschen ergeben, sowie deren Ursachen und mögliche Problemlösungsstrategien aufzuzeigen.

2. Begriffserklärungen

Zunächst muss einmal geklärt werden, was überhaupt Gegenstand der Betrachtung ist.

Deshalb möchte ich als Erstes die Begrifflichkeiten des Themas der Hausarbeit „Aggression / Gewalt in der Gerontopsychiatrie“ erläutern. Damit soll zum einen die Frage beantwortet werden, was gerontopsychiatrische Pflege ist und womit sie sich beschäftigt, zum anderen soll erklärt werden, wann man den Begriff Gewalt und wann besser den Begriff Aggression gebrauchen sollte. Diese Erklärung soll helfen, die Begriffe richtig einzusetzen.

2.1 Der Begriff „gerontopsychiatrische Pflege“

„Mit dem Begriff „gerontopsychiatrische Pflege“ wird seit den 70er-Jahren eine spezielle Fachrichtung der geriatrischen Pflege ab dem 60. Lebensjahr verstanden. Sie umfasst alle pflegerischen Maßnahmen zur Prävention und Rehabilitation sowie die Therapie bei alten Menschen mit psychischen Störungen.

Geronto- psych- ia- trische Pflege

Greis Seelen Heil Kunde Begleitung

Es handelt sich um die Pflege von geistes- und gemütskranken alten Menschen.“

(Höwler, 2000, S. 21).

Zu den am häufigsten vorkommenden Krankheitsbildern in der Gerontopsychiatrie gehört die Demenz. Um als Pflegekraft Verhaltensweisen an Demenz erkrankter Menschen verstehen und zuordnen zu können, möchte ich im Folgenden klären, um was es sich dabei handelt und welche Einschränkungen die Betroffenen haben können.

„Demenz ist ein Symptom vieler Krankheiten, bei denen es im Verlauf des Lebens zu einem Ver­lust der geistigen Leistungsfähigkei­ten kommt. Dieser Verlust ist so stark, dass es zu Beeinträchtigun­gen im täglichen Leben (zum Bei­spiel bei der Versorgung des Haus­halts oder im Kontakt zu Mitmen­schen) kommt“ (Borutta, 2000, S. 197, zitiert nach Krämer, 1996)

„Krankheitszeichen einer Demenz sind Verknüpfungen verschiedenar­tiger Störungen.

Hierzu zählen ins­besondere:

Gedächtnisstörungen, Störungen des Denkens und des Urteilsvermögens,

Orientierungsstörungen, Benennungsstörungen (Anomie), Sprachstörungen (Aphasie), Störungen des Erkennens (Agno­sie), Störungen bei Bewegung und Handlung (Apraxie),

Lese-, Schreib- und Rechenstö­rungen (Alexie, Agraphie, Akalkulie),

Antriebs- und Aufmerksamkeits­störungen, Persönlichkeitsstörungen.“

(Borutta, 2000, S. 197, zitiert nach Krämer, 1996)

2.2 Die Begriffe „Aggression“ und „Gewalt"

Immer wieder haben Wissenschaftler Aggression und Gewalt unterschiedlich bewertet und gewichtet, so dass die Begriffe eine immer weitere Ausdehnung erfahren haben. Dies wird besonders deutlich in den zahlreichen Erklärungsversuchen der einschlägigen Literatur. Je nach Wissensdisziplin (Psychologie, Soziologie, Rechtswissenschaft usw.) haben Wissenschaftler hier ein Sammelsurium von unterschiedlichen Gewaltbegriffen geschaffen.

Um bei den theoretischen Grundlagen meiner Hausarbeit Verwirrung zu vermeiden, möchte ich mich deshalb nur mit einem Erklärungsversuch, der im Zusammenhang mit der Pflege steht, auseinandersetzen.

So unterscheidet Ruthemann (1993, S. 14 f.) die Aggression von der Gewalt wie folgt:

„Es wird immer dann von Gewalt gesprochen, wenn eine Person zum Opfer wird, d.h. vorübergehend oder dauernd daran gehindert wird, ihrem Wunsch oder ihren Bedürfnissen entsprechend zu leben. Gewalt heißt also, dass ein ausgesprochenes oder unausgesprochenes Bedürfnis des Opfers missachtet wird. Dieses Vereiteln einer Lebensmöglichkeit kann durch eine Person verursacht sein (personale Gewalt) oder von institutionellen oder gesellschaftlichen Strukturen ausgehen (strukturelle Gewalt). Bei der personalen Gewalt erscheint darüber hinaus die Unterscheidung wichtig zwischen aktiver Gewaltanwendung im Sinne der Misshandlung, und passiver Gewaltanwendung im Sinne der Vernachlässigung. Gewalt sollte immer aus Sicht des Opfers definiert werden.“

Aggressives Verhalten liegt nur dann vor, wenn die Absicht der Schädigung bei einem Täter vorhanden ist. Wenn also eine Person absichtlich etwas macht oder unterlässt, um eine psychische oder physische Beeinträchtigung einer anderen Person herbeizuführen, verhält sie sich aggressiv. Aggression wird aufgrund der Intention eines Täters definiert.“

Damit will Ruthemann (1993, S. 17) also sagen, dass Gewalt aus der Sicht des geschädigten Opfers definiert wird, nämlich die gegen seinen Willen und seine Einsicht erlittenen Einschränkungen seiner Entfaltungsmöglichkeiten, während die Aggression aufgrund der Schädigungsabsicht eines Täters definiert wird. Folglich geht erlittene Gewalt nur dann auf zugefügte Aggression zurück, wenn ein Täter einen Wunsch oder ein Bedürfnis seines Opfers kennt, aber dennoch missachtet, obwohl er die Möglichkeit hätte, auf die Wünsche einzugehen.

Beisp. Gewalt:

- Fr. M. möchte am späten Vormittag, auch nach mehrfachem Fragen immer noch nicht aufstehen. Aus falsch verstandener Fürsorgepflicht heraus, sie könne nicht den ganzen Tag verschlafen und die therapeutischen Angebote verpassen, nimmt eine Pflegekraft Fr. M. die Decke weg, setzt diese an die Bettkante, wäscht sie und zieht sie an.

Beisp. Aggression:

- Es ist im Pflegeteam bekannt, dass Fr. M. sehr lange schläft und auch mit vielen Überredungskünsten nur schwer aus ihrem Bett aufsteht. Eine Pflegekraft, die unter Zeitdruck steht, weil sie die anderen Bewohner auch noch versorgen muss, fühlt sich von diesem Verhalten genervt und provoziert. Sie geht mit dem Vorsatz in das Zimmer von Fr. M., ihr die Decke wegzuziehen, sie an die Bettkante zu setzen, sie zu waschen und anzuziehen.

Aus der oben geschilderten begrifflichen Trennung von Aggression und Gewalt, ergibt sich für Ruthemann (1993, S. 17) unter anderem die Konsequenz, dass es viel mehr Gewalt als Aggression in der Pflege gibt. Das heißt, es geschieht eine große Menge von Gewalt, ohne dass irgendjemand eine aggressive, schädigende Absicht hätte. Die meisten Mit­arbeiter und Heim-bewohner sind in den meisten Situationen nicht darauf bedacht, andere zu schädigen, und dennoch wirkt sich ihr Verhalten tagtäglich als Beeinträchtigung aus.

3. Formen von Aggression und Gewalt in der Pflege

Wie schon zur Definition von Gewalt und Aggression findet man auch zu den Formen der Gewalt verschiedene Einteilungsmöglichkeiten in der einschlägigen Literatur. Ich möchte mich hier aber nur auf solche begrenzen, die mir für die Hausarbeit relevant erscheinen.

Ruthemann (1993, S. 14) unterscheidet zwei Formen von Gewalt - die „strukturelle Gewalt“ und die „personale Gewalt“.

Die strukturelle Gewalt wird gekennzeichnet durch Geräuschlosigkeit und in einer gewissen Weise von Unsichtbarkeit. Wie etwa in Altenheimen, wo es zum Entzug von Entscheidungs-freiheiten durch die gesellschaftlichen und institutionellen Strukturen kommt, weil ihre Rahmenbedingungen so gestaltet sind.

Die personale Gewalt geht, wie der Name schon sagt, von einer Person aus. Die personale Gewalt kann weiterhin in aktive Gewaltanwendung im Sinne einer Misshandlung und passive Gewaltanwendung im Sinne einer Vernachlässigung unterteilt werden.

Weiterhin zitiert Ruthemann den Autor Cörlin (1990), der Formen von psychischer und physischer Gewalt gegen Heimbewohner aufzählt. Beispiele für psychische Gewalt sind nach seiner Darstellung Verweigerung gewünschter Hilfe, Bruch des freien Willens, Ignorieren der Intimsphäre, Belehren durch Befehle, demütigender Umgangston, Nicht-Erkennen von seelischen Bedürfnissen. Und als physische Gewalt nennt er rücksichtslose Behandlung, Anbinden und Nicht-Erkennen von körperlichen Bedürfnissen.

Diese Darstellungen zeigen, dass Gewalt oder Aggression nicht immer durch aktives Handeln gekennzeichnet sein muss. Sie können z. B. auch darin bestehen, dass erforderliche Handlungen unterlassen werden. Zudem kann Gewalt oder Aggression nicht nur auf körperlicher Ebene ausgeübt werden und dadurch Verletzungen als Auswirkungen haben. Misshandlungen und Vernachlässigungen können auch auf seelischer Ebene stattfinden und das Opfer erheblich traumatisieren.

[...]

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Aggression und Gewalt in der Gerontopsychiatrie
Untertitel
Umdenken im Umgang mit verwirrten alten Menschen
Veranstaltung
Weiterbildung zum staatlich anerkannten Fachpfleger in der Gerontopsychiatrie
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
29
Katalognummer
V122833
ISBN (eBook)
9783640279500
ISBN (Buch)
9783640291793
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Hausarbeit wurde im Rahmen einer berufsbegleitenden Weiterbildung zum staatlich anerkannten Fachpfleger in der Gerontopsychiatrie angefertigt (Abschlussarbeit).
Schlagworte
Aggression, Gewalt, Gerontopsychiatrie, Weiterbildung, Fachpfleger, Demenz, Altenpflege, Pflege, Alzheimer, Hausarbeit, Abschlußarbeit
Arbeit zitieren
Andrè Heß (Autor:in), 2005, Aggression und Gewalt in der Gerontopsychiatrie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122833

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