Genese und Ansätze zur Lösung des Induktionsproblems


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Genese des Induktionsproblems

2. Antworten auf Humes Problem
2.1. Die Suche nach einer obersten Prämisse
2.2. Probabilistische Ansätze
2.3. Karl Poppers deduktive Methode der Theorienüberprüfung
2.3.1. Die (deduktive) Methode der kritischen Nachprüfung
2.3.2. Das Abgrenzungsproblem
2.3.3. Hilfshypothesen, Basissätze und intersubjektive Nachprüfbarkeit

3. Eine Neudefinition des Induktionsproblems
3.1. Die Auflösung des alten Induktionsproblems
3.2. Das „neue Rätsel“ der Induktion
3.3. Eine Evaluation der Positionen Strawsons und Goodmans

Schluss

Literaturverzeichnis

Einleitung

Zweck oder Ziel der Wissenschaft ist – nicht nur in einem vorphilosophischen Verständnis – der Erkenntnisgewinn. Wissenschaft soll die vielfältigen Phänomene unserer Umwelt beschreiben und, über die bloße Beschreibung hinaus, erklären; sie soll gehalterweiternde, wahre Aussagen über die Wirklichkeit treffen; sie soll Wissen schaffen.

Wenn wir einer Person berechtigterweise Wissen um einen bestimmten Sachverhalt zuschreiben, müssen drei notwendige Bedingungen erfüllt sein: Die den Sachverhalt beschreibende Aussage muss mit der Wirklichkeit übereinstimmen, sie muss wahr sein; die betreffende Person muss der Aussage Glauben schenken und in ihrem Glauben gerechtfertigt sein. Kurz, Wissen ist wahrer und – persönlich und sachlich – gerechtfertigter Glaube. In der persönlichen Rechtfertigung, d.h. im Nachweis der Konsistenz eines wahren (und nicht analytischen) Glaubenssatzes, liegt die skeptische Herausforderung der Erkenntnistheorie.

Für die Wissenschaftstheorie stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung synthetischer Sätze als ähnlich fundamental heraus: Im Rahmen der wissenschaftlichen Praxis werden Theorien aufgestellt, die natürliche Phänomene zu erklären imstande sind und uns ermöglichen, Vorhersagen über zukünftige Ereignisse zu treffen. Durch Verallgemeinerung singulärer Beobachtungssätze gewinnt der Wissenschaftler gesetzesartige Allaussagen; um ein Beispiel aus der Newtonschen Mechanik zu nennen: „Beim frontalen Aufprall einer bewegten Billardkugel auf eine unbewegte Kugel gleicher Masse übernimmt die zuvor unbewegte Kugel Geschwindigkeit und Stoßrichtung der ersten Kugel, während jene liegen bleibt.“ Gesetzesaussagen ermöglichen dann wiederum die Ableitung potentieller Beobachtungssätze, d.h. Vorhersagen von der Art: „Wenn eine Person X diese rote Billardkugel so stößt, dass sie frontal auf die blaue Kugel prallt, so wird die blaue Kugel Geschwindigkeit und Stoßrichtung der roten übernehmen, während jene still am Punkt des Aufpralles verharren wird.“ Diese Ableitung potentieller Beobachtungssätze ist unproblematisch; sie beruht auf einem rein deduktiven Verfahren, welches keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Problematischer ist die Rechtfertigung der induktiven Verallgemeinerung von Einzelaussagen: Wie gelangen wir von einer endlichen Anzahl singulärer (Beobachtungs-)Sätze zu einer Aussage über potentiell unendlich viele mögliche, zukünftige oder vergangene, Beobachtungen? Vor dem Hintergrund eines induktivistischen Wissenschaftsbildes, wie es in dieser Einleitung skizziert wurde, stellt das Induktionsproblem – das Problem der Rechtfertigung induktiver Schlussverfahren – eine große Herausforderung für den Wissenschaftstheoretiker dar.

Karl Popper formulierte eine deduktivistische Wissenschaftsmethodik, die das Induktionsproblem zu umgehen scheint, sich bei genauerer Prüfung aber wieder dem gleichen Rechtfertigungsproblem induktiver Verallgemeinerung gegenüber sieht, das sie zu vermeiden sucht.

David Hume, ein Vertreter des Empirismus, lenkte mit seiner 1758 erschienenen Untersuchung über den menschlichen Verstand [1] die Aufmerksamkeit auf das Induktions–problem und weckte, so formulierte es Kant in den Prolegomena, die akademische Philosophie aus ihrem „dogmatischen Schlummer.“[2] Während das erste Kapitel dieser Arbeit die Hume’sche Analyse des Problems skizziert, sollen im zweiten Kapitel verschiedene Lösungsansätze vorgestellt werden – die Suche nach einer obersten Prämisse, wahr­scheinlichkeitstheoretische Überlegungen und – ausführlicher – Poppers Falsifikationismus.

Im dritten Kapitel sollen die Positionen zweier Philosophen des 20. Jahrhunderts, Peter F. Strawson und Nelson Goodman, dargestellt und miteinander verglichen werden: Wie charakterisieren Strawson und Goodman das Induktionsproblem? Halten sie es für lösbar und, wenn ja, welchen Lösungsansatz verfolgen beide? Unterscheiden sich die Positionen bereits im Ansatz oder lassen sie sich problemlos miteinander vereinbaren; ergänzen sich möglicherweise sogar? Und schließlich: Können die Antworten der beiden Philosophen auf Humes Problem überzeugen?

1. Genese des Induktionsproblems

Das Problem der Induktion wurde erstmals von David Hume in der Untersuchung über den menschlichen Verstand thematisiert. Der Terminus Induktion wurde von Hume nicht explizit verwendet – er richtete sein Augenmerk vielmehr auf Kausalschlüsse – und die verschiedenen Arten induktiven Schließens sind weniger differenziert dargestellt als heute; dennoch berühren die Ausführungen Humes den Kern des Problems.

Zwei Arten von Gegenständen können Inhalt des menschlichen Denkens, der Vernunfttätigkeit sein: Beziehungen von Vorstellungen und Tatsachen. Den Vorstellungsbeziehungen ist eigentümlich, dass sie „durch die reine Tätigkeit des Denkens [mit …] intuitiver oder demonstrativer Gewißheit“[3] zu erkennen sind. Zu ihnen gehören die Sätze der Geometrie, Arithmetik und Algebra, aber auch andere notwendige Wahrheiten oder analytische Sätze wie „Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann.“ Um einen Satz, der eine Vorstellungsbeziehung ausdrückt, als wahr anzuerkennen, braucht es keine Erfahrung – Sätze dieser Art gelten a priori, bereichern unser Weltwissen allerdings nicht oder nur unwesentlich.

Gehaltvoller, aber auch komplizierter und schwerer zu rechtfertigen, sind Sätze, die Tatsachen formulieren. „Das Gegenteil einer Tatsache bleibt immer möglich,“[4] oder, nach Wittgenstein: „Was wahr sein kann, kann auch falsch sein.“ Gehalterweiternde –synthetische – Sätze können nicht mit derselben intuitiven Gewissheit erkannt werden, die uns einem analytischen Satz zustimmen lässt; sie bleiben rechtfertigungsbedürftig.

Hume führt den Leser in drei Schritten zum Induktionsproblem: Zunächst fragt er nach dem „Wesen all unserer Denkakte in betreff von Tatsachen.“[5] Tatsachen, bzw. die sie betreffenden Denkakte, gründen in der Beziehung von Ursache und Wirkung; eine Kausalitätsbeziehung zwischen Einzeldingen und Ereignissen wird von uns vorausgesetzt. Im zweiten Schritt fragt Hume nach der „Grundlage […] unserer Denkakte und Schlüsse in betreff dieser [Kausalitäts-]Beziehung.“[6] Unser Wissen um die Beziehung von Ursache und Wirkung stammt „ganz und gar aus der Erfahrung“[7] ; Kausalität ist kein Natur- oder notwendiges Prinzip, welches wir a priori zu erkennen imstande sind. Die dritte und letzte Frage führt den Leser zum eigentlichen Kern der Untersuchung, zum Hume’schen oder Induktionsproblem: „Was ist die Grundlage aller Schlüsse aus der Erfahrung?“[8] Auf welcher Basis und mit welcher Rechtfertigung schließen wir aus unserer Erfahrung? Welches Prinzip erlaubt uns, induktiv zu schließen?

In den Untersuchungen bespricht Hume ausschließlich induktive Generalisierungs­schlüsse, d.h. Schlüsse von einer beliebigen Anzahl von Einzelbeobachtungen bzw. ‑erfahrungen auf eine Gesamtheit tatsächlicher und möglicher Beobachtungen und Erfahrungen in Form einer Allaussage.

Unsere Erfahrungen dehnen wir auf potenzielle, auf zukünftige Erfahrungen aus. Ein Beispiel nennt Hume im vierten Abschnitt der Untersuchungen: Wenn wir in der Vergangenheit positive Erfahrungen mit dem Nahrungsmittel Brot gemacht haben, wenn uns Brot gesättigt hat, bekömmlich und nahrhaft war, so werden wir auch in Zukunft auf den Nährwert und die Bekömmlichkeit von Brot vertrauen. Wir werden nicht jedes Mal von Neuem überrascht sein, wenn uns ein Stück Brot schmeckt und uns nicht – wie giftige Pilze – umbringt. Ein solcher „Fortgang im Denken“[9], ein Schluss von der Vergangenheit auf die Zukunft, vom Besonderen auf das Allgemeine, bedarf einer Erklärung. Hume bemerkt, dass die beiden Sätze

(1) „Ich habe gefunden, daß ein solcher Gegenstand immer von einer solchen Wirkung begleitet gewesen ist“ und
(2) „Ich sehe voraus, daß andere Gegenstände, die in der Erscheinung gleichartig sind, von gleichartigen Wirkungen begleitet sein werden“ [10]

in ihrem Gehalt und Allgemeinheitsgrad wesentlich verschieden sind und der zweite Satz unmöglich deduktiv aus dem ersten Satz abgeleitet werden kann.

Ein induktiver Generalisierungsschluss, wie im obigen Schema dargestellt, setzt als Hilfshypothese voraus, dass „die Zukunft mit der Vergangenheit gleichförmig sein werde.“[11] Jene Vorannahme, die Zukunft werde sich im Wesentlichen nicht anders als die Vergangenheit verhalten, bezeichnet man als Gleichförmigkeitsthese. Unter Zuhilfenahme einer Gleichförmigkeitsthese ließe sich also die Folgerung von (2) aus (1) rechtfertigen.

Beim Versuch, die Gleichförmigkeitsthese selbst zu begründen, ergeben sich jedoch Schwierigkeiten: Wie, wenn nicht durch induktives Schließen, gelangen wir überhaupt zu der Vorstellung der Gleichförmigkeit von Vergangenheit und Zukunft? Das Prinzip der Gleichförmigkeit der Natur ist kein apriorisches Prinzip – also muss es a posteriori, aus der Erfahrung, gewonnen werden. An dieser Stelle scheint man in einem vicious circle, einem Teufelskreis, gefangen. Induktion folgt nicht den Regeln des deduktiven Schließens und ist demnach nicht logisch zu rechtfertigen. Jeder Versuch, Induktion durch Zuhilfenahme einer Uniformitäts- oder Gleichförmigkeitsthese zu rechtfertigen, scheitert an einem Zirkel – wir können die Gültigkeit eines induktiven Verfahrens nicht durch Berufung auf induktiv gewonnene Erkenntnis beweisen.

Was bleibt also, nachdem David Hume dem Leser so deutlich die Grenzen seiner Erkenntnis vor Augen geführt hat? Welches Prinzip veranlasst den Menschen zum induktiven Schließen? Nach Hume ist „die Gewohnheit die große Führerin im menschlichen Leben.“[12] Einzig dem psychologischen Prinzip der gewohnheitsmäßigen Verknüpfung ist es zu verdanken, dass der Mensch seine Erfahrung so „nutzbringend gestalte[n]“[13] und zu seinem Wohl einsetzen kann.

2. Antworten auf Humes Problem

Es gibt zahlreiche Antworten auf das in Humes Untersuchungen formulierte Problem. Drei Ansätze, die das Induktionsproblem zu lösen oder zu umgehen versuchen, werden im Folgenden diskutiert.[14]

2.1. Die Suche nach einer obersten Prämisse

Hinter der Suche nach einer obersten Prämisse, einer supreme premise[15], steht folgende Überlegung: Durch Hinzunahme einer Generalisierung, eines universellen empirischen Allsatzes, könnte ein induktives Argument in eine gültige Deduktion umgeformt werden – und wäre somit gerechtfertigt.

Das induktive Argument

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

zu einem gültigen deduktiven Schluss.

Leider hebt ein solches Manöver den Rechtfertigungsanspruch nicht auf, sondern verschiebt ihn lediglich. Anstelle des ursprünglichen induktiven Schrittes von (P1) nach (K) bleibt nun die zusätzliche Prämisse (P2) rechtfertigungsbedürftig. Wie, wenn nicht durch Induktion, kann die Etablierung eines universellen empirischen Allsatzes begründet werden?

Angenommen, es gäbe eine übergeordnete Generalisierung, eine supreme premise, die in Verbindung mit einer hinreichenden Anzahl von Beobachtungssätzen die Ableitung eines universellen empirischen Allsatzes erlaubte – so wäre jede ‚gute’ Induktion im Grunde eine gültige Deduktion.

Die größte Schwierigkeit bei der Suche nach einer solchen übergeordneten Prämisse besteht in der Anforderung, sie ausreichend präzise zu formulieren und zugleich offensichtliche Widersprüchlichkeiten oder Falschheit zu vermeiden. Eine hinreichend präzise Prämisse erhielte man, wenn man in einem Satzschema der Art:

„Für alle F und für alle G gilt: Wenn n Fälle beobachtet wurden, in denen F auch G war und kein Fall beobachtet wurde, in denen F nicht G war, dann ist jedes F immer auch G.“ [17]

[...]


[1] David Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Hamburg (12. Aufl.): Meiner 2005. Schon im Jahre 1748 veröffentlichte Hume die Untersuchungen unter dem Titel Philosophical Essays concerning Human Understanding.

[2] Immanuel Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik. Stuttgart: Reclam 2005. S. 11.

[3] Hume 2005: S. 35.

[4] Ebd.

[5] Hume 2005: S. 42.

[6] Ebd.

[7] Hume 2005: S. 37.

[8] Hume 2005: S. 43.

[9] Hume 2005: S. 44.

[10] Hume 2005: S. 45.

[11] Hume 2005: S. 46.

[12] Hume 2005: S. 57.

[13] Ebd.

[14] Die Diskussion zweier Ansätze, der Suche nach einer obersten Prämisse und wahrscheinlichkeitstheoretischer Überlegungen, orientiert sich an der von Peter F. Strawson im neunten Kapitel der Introduction to Logical Theory formulierten Kritik.

[15] Peter F. Strawson: Introduction to Logical Theory. London: Methuen 1971. S. 251.

[16] Strawson 1971: S. 251.

[17] Strawson 1971: S. 251.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Genese und Ansätze zur Lösung des Induktionsproblems
Hochschule
Universität Stuttgart  (Insititut für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie)
Veranstaltung
Wissenschaftstheorie
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
24
Katalognummer
V122742
ISBN (eBook)
9783640279296
ISBN (Buch)
9783640283125
Dateigröße
481 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
23seitige Hausarbeit zum Hauptseminar Wissenschaftstheorie an der Universität Stuttgart. Behandelt werden die Genese des Induktionsproblems ausgehend von David Hume sowie Lösungsansätze bzw. Umgehungsversuche von Karl Popper, Peter F. Strawson und Nelson Goodman. Außerdem werden probabilistische Ansätze sowie der Versuch der Etablierung einer supreme premise diskutiert.
Schlagworte
Induktionsproblem, Hume, Strawson, Goodman, Popper, Falsifikationismus, Induktivismus, Verifikationismus, David Hume, Nelson Goodman, Karl Popper, Deduktivismus
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts (B.A.) Inga Bones (Autor:in), 2009, Genese und Ansätze zur Lösung des Induktionsproblems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122742

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