Die Technik der Montage im Theater

“Sergej M. Eisenstein, Montage der Attraktionen”


Referat (Ausarbeitung), 1999

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt:

I. Versuch einer Geschichte der Montage im Theater

II. Ausgewählte Beispiele zur Technik der Montage im Theater

III. Literaturhinweise

I. Versuch einer Geschichte der Montage im Theater

Bei Sergej M. Eisenstein ist die Funktion der Montage eng verbunden mit den Aufgaben des “Proletkult”- Theaters ( “Agitationstheater der Attraktion”[1]) und gehört damit in die Zeit der russischen Theaterrevolution.

Doch das Prinzip der Montage wurde im Theater schon sehr viel früher angewandt. Ihre Geschichte und Vorgeschichte reicht wohl so weit zurück wie die von Boheme und Avantgarde und kann unschwer bis ins 19. Jh. zurückverfolgt werden. Hierzu zählen die Komödien Ludwig Tiecks oder E.T.A. Hoffmanns “Kater Murr” , die wohl niemand als organisch bezeichnen wolle .[2] Ein gutes Beispiel liefert Tiecks “ Der gestiefelte Kater” (1797). Die Uraufführung fand am 20.4.1844 in Berlin am Kgl. Schauspielhaus statt.

Der Inhalt des als Spiel im Spiel aufgeführten Märchenstücks ist im wesentlichen der des fünfzehn Jahre später durch die Brüder Grimm bekanntgewordenen Kindermärchens, das ebenfalls auf den “Chat Botté” Perraults zurückgeht. Die Aufführung dieses Märchens geht aber nun keineswegs glatt vonstatten. Das Publikum spart nicht mit Zwischenbemerkungen und meldet während der zum Teil recht unwahrscheinlichen Vorgänge auf der Bühne Bedenken an: Das Stück biete einem keinen “ festen Standpunkt”, und man könne unmöglich in eine “vernünftige Illusion” hineinkommen. Der Dichter muß auf der Bühne erscheinen, um die Wogen der Empörung zu glätten, was aber erst dem hinzugerufenen “Besänftiger” des Königs mit seinem Glockenspiel und einem Arsenal tanzender Bären und anderer possierlicher Tiere und durch die Einlage eines ganz unprogrammgemäßen “Balletts” gelingt. Zu Beginn des dritten Aktes hebt sich der Vorhang zu früh, so daß der Dichter im Gespräch mit dem Maschinisten auf der Bühne überrascht wird. Nun muß der Hanswurst vortreten und das befremdete Publikum erneut beruhigen, was er dazu benutzt, sich zur Empörung des Dichters über die Kargheit seiner Rolle zu beklagen. Im Epilog schließlich stellt sich der Dichter noch einmal dem unbefriedigten und kritischen Publikum, woraufhin “ aus dem Parterre mit verdorbenen Birnen und Äpfeln und zusammengerolltem Papier nach ihm geworfen” wird ( Regieanweisung ), bis er sich endgültig zurückzieht.

Zu den beiden einander überschneidenden Spielebenen des Märchens und des Theaterabends gesellt sich als dritte die Wirklichkeit des Dichters Tieck selbst. Dieses In- und Durcheinander der Wirklichkeitsbereiche, das dauernde “Aus- der- Rolle- Fallen” der agierenden Personen, dient der satirischen Absicht Tiecks, dessen Stück sich vornehmlich gegen die Mißstände des zeitgenössischen Theaterbetriebs und die Borniertheit eines auf seine Bildung pochenden Publikums wendet, das sich für die Rührstücke Ifflands und Kotzebues begeistert und aufwendigen Dekorationen mehr Aufmerksamkeit schenkt als dem Geschehen auf der Bühne. Tieck fand die Vertauschung der Spielebenen schon in Komödien des Dänen Ludwig Holberg, vor allem in “Ulysses von Ithacia oder Eine deutsche Komödie” von 1725. Darüberhinaus machte sich der Einfluß der phantastischen Märchenkomödien Carlo Gozzis und der Fastnachtsspiele von Hans Sachs und Goethe bemerkbar. Das Stück hat literarisch überaus stark gewirkt, und so ist nicht nur E.T.A. Hoffmanns “ Kater Murr” ein Nachfahre des Katers Hinze , sondern auch zahlreiche spätere Dramen zeigen sich von Tiecks Lustspiel beeinflußt.[3]

Wir können also die Einarbeitung eines Spiels im eigentlichen Spiel als eine erste Montagetechnik auf dem Theater sehen. Doch den Gipfel ihrer historischen Bedeutsamkeit erreicht die Montage in den Avantgarde- Bewegungen und neuen Medien der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts, vor allem auch durch den Triumph von Film und Radio.

Im Expressionismus bekam die Montage eine neue Funktion , nicht nur im Drama , sondern vor allem literarisch. René Schickele beschreibt die Bedeutung des Expressionismus – und meint damit die Avantgarde im Jahre 1916 – so: “ Der Expressionismus bedeute vor allem den Wunsch, neben die Schilderung einen moralischen Willen zu setzen ; er ist kämpferisch; er ist radikal; er schleudert die Kunst, die in und seit unserer Klassik ein vornehmes Privatleben führte, durch die Straße- selbst auf die Gefahr hin, daß sie dort zugrunde geht.”[4]

In dieser Zeit entwickelte sich das expressionistische Stationendrama. Als Vorbild gilt Strindbergs Trilogie “ Nach Damaskus” ( 1898- 1901). Für Strindberg war dieses Werk eine szenische Selbstsuche, ein Versuch, sich in der Vielfalt seiner Erinnerungen wiederzufinden.

In der Gestalt des Unbekannten tritt er sich selbst gegenüber; er betrachtet sich wie einen Fremden, den er begreifen will.

Ernst Toller gab seinem 1919 erschienenen Stationendrama “ Die Wandlung” den Untertitel “Das Ringen eines Menschen”. In sechs Stationen, die sich in 13 Bilder aufgliedern, schildert Toller den verzweifelten Versuch des deutschen Juden Friedrich, der autobiographische Züge trägt, aus seiner rassischen Isolation auszubrechen und in die nationale Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Auf der vorderen Bühne werden die biographischen Stationen des Protagonisten dargestellt. Auf der hinteren, leicht erhöhten Bühne spielen sich Traumszenen ab, die jeweils zum Geschehen auf der vorderen Bühne kontrastieren. Das expressionistische Stationendrama schreibt zwar keine Montage von Szenen vor, es ist sogar oft linear angeordnet, aber da die Szenen “unabhängige Stationen” eines Ganzen sind, eignet sich die Montage hervorragend für die Umsetzung auf der Bühne, wie man bei Toller sehen kann.

Der Expressionismus war in allen seinen Erscheinungsformen ein Protest – sowohl gegen traditionelle Wertvorstellungen wie auch gegen konventionelle Kunstformen. Am konsequentesten waren die Dadaisten. Sie wollten die Sprache zu sich selbst zurückführen, die Laute und Wortkörper vom Ballast falscher Inhalte befreien. Gemeinsam trug man “simultane Gedichte” vor; jeder sprach oder sang gleichzeitig seinen Text Von den Manifesten der Dadaisten gingen viele Anregungen aus, sie wirkten auf das Bauhaus, auf die konkrete Poesie und auf das absurde Theater.

Hierbei kommt es also nicht auf das funktionstüchtige Ganze an, sondern auf die “Dysfunktionalität” der montierten Teile. Dahinter steht der Begriff des nichtorganischen Werkes, das sich in der Montage des Dadaismus, überhaupt in der Avantgarde zwischen Kubismus und Surrealismus kraft des “Konstruktionsprinzips der Reihung” dem organischen Werk der Tradition entgegensetzte und den Betrachter “ zum Verzicht auf Sinnsuche” nötige.[5]

Somit wird der Montage eine doppelte Brauchbarkeit zugeschrieben : zum einen für die Schockästhetik der Vorkriegsavantgarde, zum anderen für die Bewußtseinsbildung in den politischen Auseinandersetzungen der 20er Jahre.

[...]


[1] Sergej M. Eisenstein “ Montage der Attraktion” (1923)

[2] Helmut Kessler “ Zur Avantgarde- und Montage-Diskussion”, LiLi , Heft 46, !982, Seite 17 f.

[3] Hauptwerke der deutschen Literatur Bd. 1, Kindler Verlag, 1994

[4] Hans Gerd Rötzer “ Geschichte der deutschen Literatur”, 1992, Seite 301

[5] Helmut Kreuzer “Zur Avantegarde- und Montage-Diskussion” ,LiLi, Heft 46, 1982

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Technik der Montage im Theater
Untertitel
“Sergej M. Eisenstein, Montage der Attraktionen”
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Theaterwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar: Was ist Dramaturgie ?
Note
1,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
15
Katalognummer
V122578
ISBN (eBook)
9783640279159
ISBN (Buch)
9783656761617
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Technik, Montage, Theater, Seminar, Dramaturgie
Arbeit zitieren
Magister Artium Jennifer Moos (Autor:in), 1999, Die Technik der Montage im Theater, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122578

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