Die Debatte um das Zentrum gegen Vertreibungen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

17 Seiten, Note: 1.9


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Erinnerung an Flucht und Vertreibung
2.1. Erinnerungskulturelle Aspekte
2.2. Organisation und Erinnerungsarbeit der Vertriebenen

III. Das Zentrum gegen Vertreibungen
3.1. Von der Gründung zur politischen Debatte
3.2. Der Gegenentwurf und seine Konsequenzen

VI. Geschichte , Gedenken und ‚Dritter Sektor’

V. Schlussbetrachtung

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Die Debatte um das so genannte Zentrum gegen Vertreibungen[1] zählt zu den viel diskutierten Auseinandersetzungen um Erinnerung und Gedenken in Deutschland. Als typisch geschichtspolitische Debatte gehörte sie zu einer Kette von Kontroversen, die nach den traumatisierenden Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs einen Orientierungsbedarf für die historischen Erinnerungen in Deutschland offenbarten. Hatte man unmittelbar nach dem Krieg noch angezweifelt, „ob das Geschehen einer nahen Vergangenheit, das noch qualmt und dessen Ende womöglich noch nicht absehbar ist […]“[2], sich überhaupt wissenschaftlich aufklären lasse, so stand bald außer Frage, dass die Beschäftigung mit der Epoche der Mitlebenden auch integraler Bestandteil der Erinnerungskultur in Deutschland war. Darüber hinaus offenbarte die Politisierung des ZgV-Konflikts, dass der Bund der Vertriebenen als private Interessensgemeinschaft subjektive Erinnerungsbedürfnisse und -ansprüche verfolgte und auch auf die politische Agenda der Republik setzen konnte. Die vom BdV propagierte Opferperspektive wurde dabei selten mit sachgerechten Argumentationen begründet, so dass sich die Kritik gegen den einseitigen Opferstatus der Vertriebenen stellte und die Alternative in einem gesamteuropäischen Konzept gesucht wurde. Das immense Presseecho, sowie die Äußerungen von Persönlichkeiten der Politik belegten anschaulich das hohe Interesse der deutschen Öffentlichkeit.

Die folgende Arbeit beschäftigt sich demnach im Kern mit der medialen Debatte, so dass im Anschluss die Darstellung der politischen und medialen Mechanismen anschließen kann. Um diese jedoch sachgerecht einordnen zu können, wird in einem ersten Teil die erinnerungskulturelle Ausgangslage skizziert. Weiter sollen die politischen und institutionellen Bedingungen für die Unterstützer einer organisierten Erinnerung aufgezeigt werden, damit der BdV hier als zentraler Akteur deutlich wird. Nach der bereits angesprochenen Untersuchung der Mediendebatte werden kurz die gegenwärtigen Tendenzen aufgegriffen, so dass am Ende ein zusammenfassendes Fazit stehen kann.

II. Erinnerung an Flucht und Vertreibung

2.1. Erinnerungskulturelle Aspekte

Im Kontext der Debatte um ein ZgV gilt die Auseinandersetzung mit der Erfahrung von Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg als grundlegend. Sie war und ist die Triebfeder des BdV und seiner Politik im Rahmen von Geschichte und Erinnerung. Seine Agitation als Interessenvertretung der deutschen Heimatvertriebenen steht jedoch in einem gesamt- gesellschaftlichen Aushandlungsprozess vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis. Geprägt ist dieser Prozess durch den Versuch dauerhafte Formen des Erinnerns und Gedenkens zu finden und auf die Globalisierung der Erinnerungskulturen angemessen zu reagieren.[3] Besonders seit der deutschen Einheit von 1989/90 und der migrationsbedingten Zusammensetzung der Bevölkerung gestaltet sich dieser Prozess anhand von wieder- kehrenden Mediendebatten. Am Beginn des neuen Jahrtausends rückte vor allem eine mehrteilige ZDF-Dokumentation, eine Sonderausgabe des Spiegels und Günter Grass’ Roman ‚Im Krebsgang’[4] das Thema der aus den früheren deutschen Reichsgebieten Vertriebenen in die Öffentlichkeit. Mit der wachsenden Distanz zu den historischen Ereignissen und dem Verlust der Erlebnisgeneration belegten die zunehmend pluralen Umgangsformen die offenen Irritation bei aufgestellten Geschichtsbildern.

Doch ein wichtiger Bestimmungsfaktor für den Umgang mit jener Geschichte war der Zusammenbruch des Kommunismus und die vielteiligen Konsequenzen, die sich aus den ökonomischen, sozialen und mentalen ‚Altlasten’ der DDR ergaben. Somit umfasste das Spannungsfeld u.a. die Frage, ob von den historischen Dauerreflexionen eine stabilisierende oder eine destabilisierende Wirkung auf die noch gefährdeten demokratischen Ordnungen ausgingen. Im Zusammenhang mit der Diskussion um Flucht und Vertreibung galt es darüber hinaus auch solche Entwicklungsprozesse zu behandeln, „die vor 50 oder 75 Jahren abgebrochen worden waren.“[5] Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass auch aus der westdeutschen, stärker pluralistisch strukturierten Erinnerungskultur, Nachhol- und Diskussionsbedarf resultierte. Schließlich sei die ‚Erinnerungslandschaft’, so Bernd Faulenbach, vor 1989 definitiv zweigeteilt gewesen.[6]

Obwohl nach 1945 sämtliche alliierten Besatzungszonen mit den aufkommenden Migrations- wellen aus den Ostgebieten umzugehen hatten, gestaltete sich deren politische und wirtschaftliche Integration unterschiedlich. Als durchaus ähnlich ist jedoch die Tabuisierung des Vertriebenenphänomens in den Besatzungszonen hervorzuheben, was 1946 seinen Ausdruck in dem Koalitionsverbot für Vertriebene durch den Alliierten Kontrollrat fand.[7] Dennoch bedeutete dies nicht, dass in der Nachkriegszeit das Vertriebenenproblem nachhaltig ‚gedeckelt’ wurde, sondern sich im weiteren Verlauf durchaus Formen und Muster des Erinnerns herauskristallisierten. Die politische Förderung beeinflusste und kanalisierte also die Erinnerungskulturen durch die öffentliche Meinung, durch staatliche Stellen, Kommunen, Stiftungen, etc.

Charakteristisch für die Ausgangslage in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) war eine offizielle Sprachverordnung, die das Phänomen der Vertreibung sowie die sowjetische Rolle dabei gezielt verschleiern sollte.[8] Als die Regierung der DDR 1950 die Oder-Neiße-Grenze anerkannte, wurde schließlich die Tabuisierung des Vertreibungsproblems zementiert. Dennoch existierten in der SBZ/ DDR vorerst höhere soziale und finanzielle Integrationshilfen als in der BRD. Es kam zu einem nicht geringen materiellen Ausgleich für Vertriebene, der in Form von Krediten gewährt wurde. Doch letztendlich kam es im Verlauf der 1950er Jahre zu einer propagandistischen Abwendung vom Vertriebenenproblem, was auf das Lastenaus- gleichsgesetz der BRD von 1952 zurückzuführen war.[9] So sei es zu jenem bundes- republikanischen Vorsprung in der vertriebenenbezogenen Sozial- und Entschädigungspolitik gekommen, „den die DDR weder konzeptionell noch materiell wieder einholen konnte.“[10]

Im Gegensatz zur SBZ begünstigte die zunehmende Aufweichung des alliierten Koalitions- verbots in den westlichen Besatzungszonen eine massive Organisationsentwicklung der Vertriebenenverbände. In diesem Zusammenhang wies Samuel Salzborn bereits darauf hin, dass die Lockerung des Koalitionsverbots auf die gewichene Scheu bei den Alliierten zurückzuführen gewesen sei, die osteuropäischen Staaten durch die Zulassung von Vertriebenenorganisationen zu provozieren.[11]

Somit hatte die Behandlung der Vertriebenenfrage einen besonderen Stellenwert in der Geschichtspolitik der beiden deutschen Staaten. Im Zentrum der Erinnerungskultur der DDR stand in erster Linie das Andenken an den Antifaschismus, die Pflege der Traditionen der Arbeiterbewegung und die unbefleckte Anbindung an den Befreierstaat Russland.[12] Hinzu kam, dass die Aufbauphase nach dem Krieg eine schnelle Integration erforderte, aber im Verlauf der 1950er Jahre zunehmend zu einen propagandistischen Pranger für vermeintlich revisionistische Westinteressen avancierte. Unter dem Einfluss der Westmächte öffnete sich hingegen in der BRD zwar bald von politischer Seite ein Fenster für die Erinnerungsarbeit der Vertriebenen, doch auch hier wurde die Inbesitznahme des Problems zu Propagandazwecken schnell offensichtlich. Dennoch gilt die Entwicklung in der BRD im Vergleich zur DDR in erinnerungskultureller und geschichtspolitischer Hinsicht als dynamischer und vielfältiger.

Im Zuge der politisch-kulturellen Wende am Beginn der 1970er Jahre war in beiden Staaten ein nachhaltiger Wandel im Bereich der Erinnerungslandschaft zu verzeichnen. Die Um- wälzungsprozesse veränderten auch die Auseinandersetzung mit Geschichte im Allgemeinen und somit auch die Beschäftigung des Vertriebenenphänomen im Besonderen.[13] Diese so genannte ‚Phase der Vergangenheitsbewältigung’ wurde in der Folge schließlich von einer Situation der stark politisch überformten Auseinandersetzung in den 1980er und 1990er Jahren abgelöst. Aleida Assmann benennt diesen Komplex als ‚Phase der Vergangenheits- bewahrung’, also als einen Prozess, der vom Übergang vom Erinnerungskampf zur Erinnerungskultur gekennzeichnet ist.[14]

Um die Bedingungen einer solchen Übergangsphase innerhalb der Erinnerungskultur besser einordnen zu können, schließt nun ein Teil zur organisierten Erinnerung, seiner für das Gesamtthema relevanten Akteuren und den programmatischen Ausrichtungen an.

2.2. Organisation und Erinnerungsarbeit der Vertriebenen

Die erste Etappe der Geschichte der Vertriebenenverbände war von der Aufnahme und Integration der Umsiedler in der Bundesrepublik, den ersten Organisationsschritten in Verbänden und der Konstituierung des BdV gekennzeichnet. In die Zeit bis zum Beginn der 1960er Jahre fällt auch die Einrichtung des Bundesvertriebenenministeriums und die Gründung und spätere Auflösung der Vertriebenenpartei ‚Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten’. Sie sandte bis 1957 Abgeordnete in den Bundestag und hatte hohes politisches Gewicht.[15]

[...]


[1] Im Folgenden wird der Kürze halber die Abkürzung ‚ZgV’ verwendet.

[2] Sabrow, Martin/ Jessen, Ralph/ Große Kracht, Klaus (Hg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945. München 2003. S. 9

[3] Vgl. Levy, Daniel/ Sznaider, Natan: Erinnerung im globalen Zeitalter. Der Holocaust. Frankfurt am Main 2001.

[4] Vgl. Grass, Günter: Im Krebsgang. Eine Novelle. München 2002.

[5] Vgl. Wolfrum, Edgar: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundsrepublikanischen Erinnerung 1948-1990. Darmstadt 1999. S. 13

[6] Vgl. Faulenbach, Bernd: Deutsche Erinnerungsgesellschaft Ost und West seit 1989/90. In: Cornelißen, Christoph/ Holec, Roman/ Pesek, Jirí (Hg.): Diktatur – Krieg – Vertreibung. Erinnerungskulturen in Tschechien, der Slowakei und Deutschland seit 1945. Essen 2005. S. 153

[7] Nicht nur die politische Betätigung der Vertriebenen wurde eingeschränkt, sondern auch ihre weitere Organisation in lokalen und regionalen Gruppierungen. Vgl. Salzborn, Samuel: Grenzenlose Heimat. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Vertriebenenverbände. Berlin 2000. S. 52

[8] So wurde die Bezeichnung ‚Vertreibung’ durch ‚Umsiedlung’ ersetzt. Vgl. Schwartz, Michael: Vertreibung und Vergangenheitspolitik. Ein Versuch über geteilte deutsche Nachkriegsidentitäten. In: Deutschland Archiv, Nr. 2 (1997). S. 193f.

[9] Vgl. Schwartz, Michael: Ebenda. S. 179

[10] Faulenbach, Bernd: Die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße. Zur wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B51-52 (2002). S. 45

[11] Vgl. Salzborn, Samuel: Ebenda. S. 54

[12] Vgl. Faulenbach, Bernd: Deutsche Erinnerungsgesellschaft Ost und West seit 1989/90. In: Cornelißen, Christoph/ Holec, Roman/ Pesek, Jirí (Hg.): Diktatur – Krieg – Vertreibung. Erinnerungskulturen in Tschechien, der Slowakei und Deutschland seit 1945. Essen 2005. S. 454

[13] Einen guten Überblick zu den unterschiedlichen Fragekomplexen in DDR und BRD liefert auch Bernd Faulenbach. Vgl. Faulenbach, Bernd: Ebenda. S. 455-458

[14] Vgl. Assmann, Aleida: Wendepunkte der deutschen Erinnerungsgeschichte. In: Dies./ Frevert, Ute: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit den deutschen Vergangenheiten nach 1945. Stuttgart 1999. S. 145f.

[15] Dies war auf u.a. den hohen Gesamtbevölkerungsanteil der Vertriebenen zurückzuführen. Auch Konrad Adenauer vertrat die Forderung nach der Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937. Vgl. Faulenbach, Bernd: Die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße. S. 45

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Debatte um das Zentrum gegen Vertreibungen
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Note
1.9
Autor
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V122131
ISBN (eBook)
9783640269013
Dateigröße
459 KB
Sprache
Deutsch
Arbeit zitieren
Christoph Hermes (Autor:in), 2006, Die Debatte um das Zentrum gegen Vertreibungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122131

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