Entwurf einer Unterrichtseinheit

Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung


Hausarbeit, 2007

38 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sachanalyse
2.1 Hans Jonas Verantwortungsethik
2.2 der neue Imperativ
2.3 Entwicklung einer Zukunftsethik - Problematik
2.4 neue Formen der Verantwortung

3. Didaktische Analyse
3.1 Vorbemerkung
3.2 Lernziele
3.2.1 Inhaltliche Lernziele
3.2.2 Methodische Lernziele:
3.2.3 Umsetzung der Lernziele
3.3. geplanter Unterrichtsverlauf
3.4 . Begründung der verwendeten Methoden

4. Resumee

Anhang

5. Material
5.1 Bild für den Unterrichtseinstieg
5.2 Arbeitsblätter
5.2.1 Arbeitsblatt:
5.2.3 Gruppenarbeit

6. Literatur

1. Einleitung

Der Fokus des Seminars ´Didaktik des Philosophie- und Ethikunterrichts´ liegt auf der vierten didaktischen Grundfrage - dem „Wie des methodischen Vermittelns von ethisch-philosophischen Sachverhalten und Problemen.“[1]

In meiner Hausarbeit werde ich allerdings versuchen, das von mir ausgesuchte Thema sowohl auf seiner Relevanz für die Schüler hin zu untersuchen als auch geeignete Methoden zur Vermittlung vorzustellen. Ich werde mich also bemühen, alle didaktisch wichtigen Punkte bei der Konkretisierung meiner Unterrichtsstunde zu berücksichtigen, auch wenn der Bezug zu den Schülern ein fiktiver bleiben muss, da es sich nur um eine fiktive Stunde handelt. Ich richte mich also danach, dass „jede didaktische Reflexion ... möglichst plausible Antworten auf vier Grundfragen zu geben (versucht): Was soll wem, wozu und wie gelehrt werden?[2]

Es gibt mehrere Gründe, warum die Zukunftsethik des jüdischen Philosophen Hans Jonas (19903-1993) sich gut für eine Unterrichtsreihe in der Schule eignet. Zunächst halte ich die ethische Frage nach der Verantwortung für die Auswirkungen und Folgen unseres Handelns für besonders relevant angesichts der rasanten technischen Entwicklungen und der fatalen Folgen für die Umwelt, z.B. den Klimawandel, wo wir nicht an der Frage vorbeikommen, wie man das Überleben der Menschheit sicherstellen und die Erde lebenswert erhalten kann. Es handelt sich also um ein Unterrichtsthema, das mir selbst wichtig ist und zu dem ich einen persönlichen Bezug habe – ganz im Sinne von Anselm Grün, der gesagt hat: „Lehren heißt zeigen, dass man etwas liebt.“.

Vom Lehrplan aus betrachtet sollen die Schüler mit philosophischem Denken bekannt gemacht werden, indem sie sich mit philosophischen Texten auseinandersetzen. Außerdem besteht der Anspruch, Themen zu wählen, die den Schülern nicht völlig fremd sind und sie in ihrer momentanen Situation ansprechen. Da man die ethischen Leitsätze von Hans Jonas an den unterschiedlichsten Beispielen aufzeigen kann, besteht hier die Möglichkeit, sich je nach Schülerinteresse mit der Gentechnik, der Sterbehilfe oder einem anderen Bereich zu beschäftigen. Eine möglichst enge Verbindung von Thema und Interessen der Schüler und Schülerinnen ist schon im Lehrplan verankert, wenn die „Vermittlung von ethisch relevantem Sachwissen, dessen Bezugspunkt die Lebenswelt der Schüler ist“ als eins der Ziele des Ethikunterrichts genannt wird sowie die „Reflexion von Möglichkeiten, Sach-, Sinn- und Lebensfragen in Rückbindung an Theorie und Tradition zu klären.“[3]

Das vermittelte theoretische Wissen sollte also immer im Bezug zur Lebenswelt der Schüler stehen und konkrete Handlungs- und Entscheidungshilfe bieten, so dass die Schüler sich persönlich angesprochen fühlen und - im Idealfall - vom Unterricht fürs Leben profitieren. Natürlich ist dies ein hoher Anspruch und es ist sicher nicht einfach, diesem Anspruch gerecht zu werden. Auch wenn man es sicher nicht schafft, alle Schüler zu begeistern, so denke ich doch, dass die Thematik viel zur Motivation beiträgt, auch wenn für einen Unterrichtserfolg die Person des Lehrers und seine Art zu unterrichten eine weit größere Rolle spielen, wie ich bei meinem Praktikum an der Deutschen Schule Toulouse beobachtet habe. Dieser Punkt wird auch in Bezug auf die kritisch-kommunikative Didaktik genannt, so heißt es bei Volker Pfeifer:„Die Beziehungsebene ist in der Regel für gelungenes Kommunizieren wichtiger als die Inhaltsebene. Inhalte werden von Schülern nur dann wahrgenommen, wenn die Beziehung zum Kommunizierenden nicht gestört ist.“[4]

Jonas Ethik behandelt keine schwer verständlichen, abstrakten Probleme, sondern thematisiert eine inzwischen allgemein anerkannte Problemsituation, die durch die technischen Möglichkeiten des Menschen entstanden ist. So macht er nicht nur die Umweltzerstörung zu einem wichtigen Thema, sondern geht auch auf medizinische Probleme wie Sterbehilfe oder Klonen ein. Ich denke, dass diese Themen nach 30 Jahren nichts von ihrer Aktualität verloren haben und es gerade für Schüler wichtig ist, sich die Auswirkungen ihrer Handlungen bzw. Unterlassungen bewusst zu machen. Denn aus ihnen werden eines Tages die künftigen Ärzte, Politiker und Firmenchefs, die vielleicht in ihrem Leben aufgrund ihrer (politischen) Macht vor schweren ethischen Entscheidungen stehen werden. Aber auch wenn die meisten Menschen nicht in solche Machtpositionen gelangen, bleiben ihnen ethische Entscheidungen nicht erspart. Eine Sensibilisierung für die Bedrohtheit der Natur und allen Lebens einschließlich des Menschen durch menschliches Tun und der daraus erwachsenden Verantwortung halte ich daher für extrem wichtig. Denn gerade die Entscheidung Geld oder Umweltschutz stellt sich immer wieder, im Kleinen wie im Großen. Nicht erst den mächtigen Konzernchef, jeden Menschen betreffen diese Entscheidungen, auch wenn das Ausmaß der Folgen meistens proportional zur Macht steht, wie Jonas schon betonte.

Auch wenn heute Umweltschutz eine viel benutztes Wort ist, macht man sich doch nicht ständig Gedanken über sein tägliches Verhalten, sondern lebt der Bequemlichkeit halber in einem Zustand des theoretisch Wissens, aber praktisch Verdrängens. Das Besprechen solcher elementaren Probleme rüttelt vielleicht den ein oder anderen wach und bewirkt ein Umdenken, auch wenn es zunächst nur in kleinen Dingen ist . Aber selbst wenn es zu keiner wirklichen Handlungsänderung kommt, so ist doch das Befassen mit solchen Problemen wichtig. Den Schülern soll nicht nur theoretisches Wissen vermittelt werden, sondern ihre Entwicklung zu selbstständig denkenden Menschen soll gefördert werden. Genau dies meint Pfeifer, wenn er fordert: „Der Jugendliche soll von fragloser Hinnahme oder naiver Übernahme herkömmlicher und lautstark propagierter aktueller Verhaltensmuster befreit werden zu autonomer Moral.“[5] Auch der Lehrplan nennt in den ´Leitgedanken zum Kompetenzerwerb für Ethik` folgendes Lernziel: „Ausbildung der Fähigkeit zu selbstständigem Denken und der Fähigkeit, dieses im Gespräch zu überprüfen und überprüfen zu lassen.“[6] Die Ethik von Hans Jonas bietet sich zur Diskussion und eigenen Stellungnahme geradezu ideal an, weil kein abstraktes Konstrukt oder hochkomplexes Lehrgebäude ihren Kern bildet, sondern leicht nachvollziehbare Grundsätze.

Auch bestehende Moral- und Wertvorstellungen[7] sollen mit den Schülern besprochen und anhand von Problemsituationen überdacht werden, denn die Bildungsstandards Ethik „orientieren sich an den Problemfeldern, in denen Fragen der Wertklärung und Wertbeurteilung, Normenbegründung und -durchsetzung überhaupt erst entstehen.“[8]

Da Jonas angesichts des rasanten technischen Fortschritts unsere Einstellung und Werte als änderungsbedürftig ansieht, weil die globalen Auswirkungen unseres Tuns häufig nicht mit in eine Entscheidung einbezogen werden, bietet er somit die Gelegenheit, über tradierte Wertvorstellungen nachzudenken und sie zu überprüfen.

Im Lehrplan Baden-Württemberg ist für die Klasse 11/12 jeweils ein zweistündiger Ethikunterricht mit insgesamt 11 Themenbereichen vorgesehen, worunter die Verantwortungsethik explizit genannt wird, denn die wichtigsten Ethikkonzeptionen sollen den Schülern vertraut gemacht werden.[9] Wenn man sich mit Hans Jonas und seinem neuen kategorischen Imperativ beschäftigt, ist es von Vorteil, dass Kants Ethik laut Lehrplan ebenfalls Thema ist. Man kann also direkt auf vorhandenes Wissen der Schüler zurückgreifen, was das Verständnis und die Arbeit am neuen Thema erleichtert. In einem Vergleich der beiden Imperative können die Schüler eigenständig die Unterschiede herausarbeiten und das Neue an Jonas Ansatz begreifen.

Im folgenden werde ich einen knappen Überblick über Jonas Ethik geben, die dem Lehrer vertraut sein sollte, und dann auf die nähere Unterrichtsplanung, Lernziele und genauen Verlauf der Unterrichtseinheit eingehen. Das verwendete Material findet sich im Anhang.

2. Sachanalyse

2.1 Hans Jonas Verantwortungsethik

Der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas, der 1903 in Mönchengladbach geboren wurde und nach mehreren Jahren in Israel und Kanada schließlich in New York lebte und dort 1993 schließlich starb, bekam 1987 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für sein Werk „Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“.

In seinem Werk von 1979 analysiert er den Zustand der Welt und die Situation des Menschen. Er kommt zu dem Schluss, dass durch die neuen Handlungsmöglichkeiten, die dem Menschen durch den technischen Fortschritt gegeben sind, eine ganz neue Art von Verantwortung entstanden ist. Denn während in früheren Zeiten der Mensch nur kleine Bereiche der Macht errichten konnte, wie z.B. in der Stadt, und er der Natur nie einen wirklichen Schaden antun konnte, hat sich die menschliche Macht inzwischen derart ausgeweitet, dass sie zu einer ernsten Gefahr für die Welt geworden ist. Während es für frühere Ethiken somit ausreichte, sich mit dem Nahbereich menschlichen Handelns zu beschäftigen und die menschliche Verantwortung im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen festzumachen, braucht es heutzutage eine Ethik, die weit über diesen Nahbereich hinausreicht. Auch Erfindung und Anwendung sind keine getrennten Bereiche mehr, der Erfinder muss nun immer damit rechnen, dass sich seine Erfindung selbstständig macht und für Dinge verwendet wird, die er so niemals gewollt geschweige denn geplant hatte.

Durch diese „Zwangsläufigkeit der Anwendung“ trägt also bereits die Aneignung neuer Fähigkeiten ethische Bedeutung. Diese werden nicht immer für positive Handlungen genutzt wie das Beispiel Regine Kathers eindringlich zeigt : „Das Wissen um die Umwandlung von Masse in Energie, das Einstein 1905 aus rein theoretischem Interesse formuliert hatte, ermöglichte auch die Konstruktion der Atombomben, die 1945 auf Hiroshima und Nagasaki fielen und als Mittel im Wettrüsten zwischen den USA und der UdSSR zum ersten Mal die Zerstörung des Planeten Erde in den Blick treten ließ. Die Atombombe wurde zu einem unübersehbaren Zeichen, dass die Technologie nicht nur den humanitären Fortschritt ermöglichen, sondern auch die Grundlage des Lebens auf der Erde zerstören kann.“[10]

Jonas Analyse hat gezeigt, dass ganz neue Kräfte und Mächte durch die moderne Technik freigesetzt wurden und unter anderem die nie zuvor dagewesene Situation entstanden ist, dass das Fortbestehen der gesamtem Menschheit in Gefahr ist. Doch die weitere Existenz der Menschheit gilt für Jonas als Grundbedingung seiner Zukunftsethik. Aber „welche Kraft soll die Zukunft in der Gegenwart vertreten?“, wenn doch diejenigen, die diesen Schutz brauchen, noch nicht einmal existieren? Denn „das Nichtexistente hat keine Lobby und die Ungeborenen sind machtlos.“[11]

Es gilt also zuerst, eine Theorie für eine neue Ethik zu finden, bevor diese dann zur Anwendung kommen kann, wobei die konkrete Durchsetzung Sache der Politik ist. Gefragt sind jedoch immer wir - die heute Lebenden - um den späteren Generationen ein menschenwürdiges Leben nicht unmöglich zu machen.

Im Folgenden soll nun Jonas ´Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation´ dargestellt werden, die es sich zu ihrer Aufgabe gemacht hat, diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden.

Hier sieht Jonas ein gravierendes Problem, da „eben dieselbe Bewegung, die uns in den Besitz jener Kräfte gesetzt hat, deren Gebrauch jetzt durch Normen geregelt werden muss - die Bewegung des modernen Wissens in Gestalt der Naturwissenschaft - ...durch eine zwangsläufige Komplementarität die Grundlagen fortgespült (hat), von denen Normen abgeleitet werden konnten, und die bloße Idee von Norm zerstört (hat).“[12]

Auch wenn Jonas dem modernen Menschen ein Gefühl für Normen nicht abspricht, so ist es doch von Unsicherheit geprägt und gegenüber „der wertfreien bzw. moralfreien Rationalität der Naturwissenschaft“[13] hat es einen schweren Stand. „Nun zittern wir in der Nacktheit eines Nihilismus, in der größte Macht sich mit größter Leere paart, größtes Können mit geringstem Wissen davon, wozu.“[14]

Da die Religion bei weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr ihren früheren Einfluss hat, kann sie hier nicht weiterhelfen, um die „extremen Kräfte zügeln (zu können), die wir heute besitzen und dauernd hinzuerwerben und auszuüben beinahe gezwungen sind.“[15] Was früher die Religion übernommen hat, das Vermitteln von Normen und Werten, droht in Zeiten von weitverbreitetem Atheismus oder zumindest Desinteresse an religiöser Orientierung zu verkümmern. So kann „eine Religion, die nicht da ist, der Ethik ihre Aufgabe nicht abnehmen.“[16] Diese Situation, in der die Idee von verbindlichen Normen zerstört ist, nennt Jonas ein „ethischen Vakuum“[17], welches durch eine neue Ethik wieder gefüllt werden müsse.

An anderer Stelle bittet Jonas darum, sich immer wieder bewusst zu machen, dass die Naturwissenschaften einen Teil der Wahrheit widerspiegeln, aber eben nicht den ganzen.[18] und man kann dies darauf beziehen, dass man mit naturwissenschaftlichen Beweisen und Theorien letztendlich nichts über den Sinn und Wert des Lebens und ethische Verpflichtungen, die daraus herrühren, erfährt. Ja gerade die Naturwissenschaften durch ihre rein pragmatische Natur- und Weltinterpretation scheinen jede andere Sicht der Natur unmöglich zu machen. Die „herrschende wissenschaftliche Ansicht der Natur versagt ...mit Entschiedenheit jedes theoretische Recht, über die Natur noch als etwas zu Achtendes zu denken“[19]

Warum aber fordert Jonas genau dieses ein und hält es für unverzichtbar, der Natur diesen Stellenwert einzuräumen?

Gebote und Verbote sind wichtig, um eine konkrete Möglichkeit zum Handeln zu unterdrücken. Jonas führt als Beispiel das Gebot „du sollst nicht töten an“, welches nur deswegen existiert, weil der Mensch die Möglichkeit zum Töten hat und diese auch nutzt. „Ein solcher Druck geht von den neuen technologischen Handlungsvermögen des Menschen aus, deren Ausübung mit ihrem Dasein gegeben ist.“[20] Erst durch die neuen Möglichkeiten gewinnt die Erstellung einer neuen Ethik ihre Dringlichkeit - denn wozu man keine Möglichkeit und nicht die Fähigkeit hat, muss auch nicht verboten werden.

Nur durch seine vielseitigen und extremen Handlungsmöglichkeiten und die daraus resultierende Macht ist der Mensch in die Lage gekommen, nicht nur für sich selbst und seine Angehörigen, sondern für den Fortbestand der Menschheit in Zukunft Verantwortung zu übernehmen. Aber nicht nur gegenüber dem Mitmenschen ist er verpflichtet, denn auch „die gesamte Biosphäre des Planeten“ fällt nun in seinen Verantwortungsbereich und durchbricht damit das anthropozentrische Monopol der Ethik. „Das Alleinrecht des Menschen auf menschliche Rücksicht und sittliche Beachtung ist genau mit seinem Gewinn einer fast monopolistischen Macht über alles andere Leben durchbrochen worden. Als eine planetarische Macht ersten Ranges darf er nicht mehr nur an sich selbst denken.“[21] So ist „die Zukunft der Menschheit ...die erste Pflicht menschlichen Kollektivverhaltens“[22] und „die Zukunft der Natur“ ist darin mit enthalten, um ein menschenwürdiges Leben möglich zu machen, „denn verarmtes außermenschliches Leben, verarmte Natur, bedeutet auch verarmtes menschliches Leben“.[23]

Jonas folgert jedoch nicht nur aus dem praktischen Nutzen der Natur für den Menschen ihren Wert, sondern er vertritt die Meinung, dass „die in langem Schöpfertum der Natur hervorgebrachte und jetzt uns ausgelieferte Lebensfülle der Erde um ihrer selbst willen Anspruch auf unsere Hut“[24] habe. Also nicht allein aus menschlichem, egozentrischen Interesse, sondern aus ihrem Eigenrecht lässt sich die vorher schon angesprochene Pflicht zur Wahrung der Natur ableiten , so dass „jede willkürliche und unnötige Auslöschung von Arten an sich schon zum Verbrechen wird, ganz abgesehen von den gleichlautenden Ratschlägen des verständigen Selbstinteresses; und es wird zur transzendenten Pflicht des Menschen, die am wenigsten wiederherstellbare, unersetzbarste aller „Resourcen“ zu schützen - den unglaublich reichen Genpool, der von Äonen der Evolution hinterlegt worden ist.“[25]

2.2 der neue Imperativ

In Anlehnung an Kants kategorischen Imperativ, den er in seiner Ethik „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ entwickelt und der den Anspruch hat, für alle vernunftbegabten Wesen unbedingt und überall zu gelten, versucht sich Jonas ebenfalls an der Formulierung eines solchen kategorischen Imperativs, also einem allgemeingültigen Prinzip zur moralischen Beurteilung von Handlungen.

Kant bewertet eine Handlung deontologisch, d.h. nicht die Auswirkung der Handlung sondern die Absicht des Handelnden ist Kriterium für moralisches gutes Handeln. Während mit einem hypotetischen Imperativ ein bestimmter individueller Zweck verfolgt wird, soll beim kategorischen Imperativ keine Mittel-Zweck-Relation vorliegen, sondern die Pflicht zu etwas sollte das Motiv der Handlung sein. Kant fordert mit dem kategorischen Imperativ, dass eine Handlung an sich gut sein sollte und somit eine absolute Forderung und ein unbedingtes Sollen, ohne Rücksicht auf Zwecke beinhaltet.

Eine der von Kant formulierten Möglichkeiten dieses Imperativs lautet: „Handle so, daß du auch wollen kannst, daß deine Maxime allgemeines Gesetz werde.“[26]

Dieser Imperativ beinhaltet nicht zwangsläufig die von Jonas geforderte Pflicht zum Erhalt der Menschheit und einer auch in Zukunft bewohnbaren Welt. Denn Kants Formulierung „drückt logische Selbstverträglichkeit oder -unverträglichkeit, nicht sittliche Approbation oder Revulsion aus.“[27] Rein logisch gesehen, lässt sich diese Pflicht also nicht begründen, denn „das Opfer der Zukunft für die Gegenwart ist logisch nicht angreifbarer als das Opfer der Gegenwart für die Zukunft.“[28]

Um seine Forderungen zu einer unbedingten Pflicht zu machen, formuliert Jonas ebenso wie Kant mehrere Formen eines kategorische Imperativ, den er den neuen Anforderungen anpasst und von dem er sagt: „für mich...ist dieser Imperativ der einzige, auf den die Kantische Bestimmung des Kategorischen, das heißt Unbedingten, wirklich zutrifft.“[29]

Jonas nennt mehrere Möglichkeiten, diesen neuen Imperativ zu formulieren, eine davon lautet: „Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“[30]

Die unbedingte Forderung auf Einhaltung dieses Imperativs ist dem „alten“ und dem „neuen“ Imperativ gemeinsam. Bei Kant spielen allerdings die Folgen einer Handlung keine Rolle, wenn etwas in guter Absicht unternommen wird und es letztendlich schlimme Folgen hat, war es trotzdem eine gute Tat. Hier liegt der wesentliche Unterschied zu Jonas, der uns genau für die unbeabsichtigten oder erst sehr viel später auftretenden Folgen unserer Handlungen verantwortlich machen will.

Ein anderer wesentlicher Unterschied zu Kant ist der Adressat dieses neuen Imperativs, denn während jener vor allem das einzelne Individuum anspricht, liegt der Akzent bei Jonas Anliegen mehr auf dem politischen Handeln. Nicht mehr der Einzelne mit einer momentanen Handlung steht im Fokus der Beurteilung, sondern die globalen Auswirkungen einer Handlung für die Zukunft spielen die bedeutendste Rolle. Aber auch über dieser kollektiven Verantwortung darf nicht vergessen werden, dass auch Regierungen oder Konzerne aus einzelnen Personen bestehen, daher mahnt Jonas:

„Eines sollen wir jedoch nicht vergessen: Auch jene großen Akteure bestehen aus Individuen. Es sind letzlich doch wieder Menschen, jeder ein Individuum für sich, die solche Körperschaften bilden. Man spricht nicht zu Konzernen, man spricht mit anderen Menschen; dieser betreffende Andere mag Generaldirektor sein oder Dezernent in dem und dem Ministerium usw. oder gar Präsident.“[31]

Jeder Einzelne hat so zwar das Recht, sein Leben aufs Spiel zu setzen oder sein jetziges Wohl für ein späteres Glück zu riskieren, aber wir haben nicht das Recht, das Wohl der Menschheit heute oder in Zukunft zu gefährden. Dies nimmt Jonas erst einmal als Axiom an, denn er sagt, dass diese Forderung ohne Transzendenzbezug und Glauben an einen Schöpfergott vielleicht überhaupt nicht zu begründen sei. So gehört der neue Imperativ „nicht selber in die Ethik als einer Lehre vom Tun, sondern in die Metaphysik als einer Lehre vom Sein, wovon die Idee des Menschen ein Teil ist.“[32]

Im Folgenden soll die Entwicklung einer Zukunftsethik, die auf dem genannten Axiom aufbaut, vorgestellt werden.

2.3 Entwicklung einer Zukunftsethik - Problematik

Da man keine genauen Vorhersagen machen kann, die die Auswirkungen in der fernen Zukunft und das Ausmaß der Schäden aufgrund von Fernwirkungen heutigen Handelns anbelangen, ist die Entwicklung einer Zukunftsethik nicht einfach, denn “Zukunftswissen ist per se kein Wissen von Fakten, sondern eines von Möglichkeiten.”[33] Da Jonas aber überzeugt ist, dass die Menschheit dringend einer solchen Ethik bedarf, um sich in ihrem Handeln zu beschränken, schlägt Jonas die „Heuristik der Furcht“ vor. Es gehört somit zu unserer Pflicht, „uns zukünftige Ereignisse als Fernwirkungen gegenwärtigen Handelns so anschaulich wie irgend möglich darzustellen; das heißt, wir müssen uns mit Hilfe unserer Vorstellungskraft vom größtmöglichen Unfall ein Bild machen, uns eine öde, radioaktiv verseuchte Erde ohne Wälder unter riesigem Ozonloch vorstellen.“[34] Diese Vorstellung bezeichnet Jonas als „die erste Pflicht der Zukunftsethik.“[35]

Die Vorstellung alleine reicht allerdings nicht aus und es wird zur „zweiten Pflicht“, sich darum zu bemühen, ein dieser Vorstellung angemessenes Gefühl zu bekommen. Dieses durch die schreckliche Vorstellung hervorgerufenen Gefühl der Furcht soll uns die Bedeutung und die Dringlichkeit einer Handlungsänderung vor Augen führen und uns darin bestätigen, dass eine neue Ethik unerlässlich ist.[36]

Wenn man, wie es heute oft der Fall ist, die Folgen einer Handlung nicht kennt und auch nicht mit Sicherheit vorhersagen kann, weil es nie zuvor eine solche Situation gab, fordert Jonas, dass man sich die denkbaren schlimmsten negativen Folgen einer Handlung bewusst macht, um erst dann zu entscheiden, ob man diese negativen Folgen in Kauf nehmen kann oder ob das Risiko zu hoch ist und man wegen der möglichen Auswirkungen darauf verzichtet. Nur wirkliche „gefühlsmäßige Betroffenheit“[37] kann zu einem Umdenken und damit zur erhofften Verhaltensänderung führen. Die Berücksichtigung rationaler und emotionaler Komponenten bei dieser Abwägung möglicher Folgen führt zu einer umfassenderen Entscheidungsgrundlage, die auf einer ganzheitlichen Sichtweise beruht. So erkennen und empfinden wir auch eher, was vielleicht auf dem Spiel stehen könnte an irreversiblen Schäden – etwa nach einem Atomunfall oder mit der unkontrollierten Verbreitung von gentechnisch veränderten Organismen. So schreibt er. „Wir wissen erst, was auf dem Spiele steht, wenn wir wissen, daß es auf dem Spiele steht.“ Jonas fordert also, auf eine Handlung zu verzichten, wenn wir die Folgen nicht abschätzen oder nicht verantworten können, wenn deren unbeabsichtigte Folgen viel schlimmer erscheinen, als das wegen ihr Riskierte wert ist. Momentane Erleichterung durch technischen Fortschritt kann niemals soviel wert sein, um dauerhaft das Leben auf der Welt zu gefährden, daher sagt Jonas, „daß der Unheilsprophezeihung mehr Gehör zu geben ist als der Heilsprophezeihung[38]

Jonas geht so weit, den Umgang mit der Unsicherheit nicht selbst als Ungewisses, sondern als wichtigen Bestandteil der modernen Technik und damit als verpflichtend zu beachtendes Kriterium der ethischen Urteilsbildung anzusehen. Wenn wir unsere Verantwortung anerkennen, dann gebietet uns nicht der „bloßer Rat sittlicher Klugheit“ die Beachtung der Ungewissheit , sondern sie wird zum „unabweisliche(n) Gebot“.[39]

„So ergibt sich das Gebot, in Dingen dieser kapitalen Eventualitäten der Drohung größeres Gewicht als der Verheißung zu geben und apokalyptische Aussichten selbst um den Preis zu meiden, daß man eschatologische Erfüllungen etwa darüber verpaßt“, fasst Jonas seine These zusammen.[40] „Projektion in die Ferne“ sind in Zukunft also bei Entscheidungen und Handlungen unerlässlich und die daraus logischerweise resultierende Ungewissheit muss immer mitberücksichtigt werden.[41] Nach welchem Prinzip man aber mit solchen Zukunftsprognosen und vor allem ihrer Unsicherheit „hinsichtlich des Ausgangs wie der Nebenwirkungen“ umgeht, nennt Jonas „das Element der Wette im Handeln“[42] Dabei stellt sich uns die Frage, „um welchen Einsatz man, ethisch gesprochen, wetten darf.“[43] Jonas geht dabei der Frage nach, ob die Interessen anderer als Wetteinsatz ethisch vertretbar sind und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass das menschliches Handeln immer auch andere betrifft und es unvermeidbar ist, dass mein Handeln „das Schicksal andere in Mitleidenschaft zieht“.[44] Da es also erwiesenermaßen unmöglich ist zu verhindern, dass andere durch meine Taten und mein Handeln betroffen sind, sollten „Mutwille und Leichtfertigkeit“ unbedingt vermieden werden , „im Einsatz des Fremden wie des Eigenen - das heißt die Gewissenlosigkeit darf nicht gedankenlos sein; und mutwillig wäre zum Beispiel der Einsatz des Bedeutenden um nichtiger Ziele wegen.“[45]

Wenn aber der Andere nicht nur in einigen Bereichen von meinem Tun betroffen ist, sondern es um „das Ganze der Interessen Anderer“ geht, darf dies auf keinen Fall riskiert werden. Besonders das Leben des Anderen darf durch meine Taten nicht in Gefahr kommen und es ist meine Pflicht, das Leben und die Würde der Anderen als etwas über meinen Interessen Stehendes zu akzeptieren und zu respektieren und bei meinem Handeln unbedingt zu berücksichtigen. Eine einzige Ausnahme besteht hier allerdings - Jonas nimmt den Staatsmann zum Beispiel - wenn es darum geht „höchstes Übel abzuwenden.“[46] Dies gilt aber wirklich nur in dem Fall, wo man den Einsatz des Ganzen nur deshalb aufs Spiel setzt, um es zu retten, und es ohne dieses Tun schon verloren wäre. Jonas begründet dies damit, dass „man ohne das höchste Gut, aber nicht mit dem höchsten Übel leben“ kann.[47] Er nennt hier als Beispiel das Thema Krieg, “So kommen die furchtbaren, aber moralisch vertretbaren Entscheidungen über Krieg und Frieden zustande, wo um der Zukunft willen der Einsatz die Zukunft selber wird.”[48] Inwieweit man wirklich zum Krieg gezwungen wird und v.a. ob dadurch größeres Übel vermieden werden kann, sei hier dahingestellt.

Ein solches Risiko allerdings einzugehen wegen eines möglichen Gewinns - und sei er noch so groß - ist hingegen keinesfalls zu rechtfertigen. Die „großen Wagnisse der Technologie“ schließt Jonas darum aus dieser Ausnahme aus, da sie nicht eingesetzt werden, um Schlimmes zu vermeiden, sondern „zur stetigen Verbesserung des je Erreichten, d.h. für den Fortschritt.“ und dieser steht „eher im Zeichen des Übermuts als der Notwendigkeit“[49]

War bis jetzt klar geworden, dass unter gewissen Umständen, nämlich um das größte Übel abzuwenden, auch das Interesse anderer und sogar das Ganze der Interessen anderer gewagt werden darf, so engt Jonas diese Handlungsmacht wieder ein. So gilt die „unbedingte Pflicht der Menschheit zum Dasein“ und „über das individuelle Recht zum Selbstmord läßt sich reden, über das Recht der Menschheit zum Selbstmord nicht.“[50]

[...]


[1] Vorlesungsvereichnis Philosophie SS´07, S.29

[2] Ebd, S.29

[3] Lehrplan Ethik Gymnasium Baden-Württemberg

[4] Pfeifer, Volker: Didaktik des Ethikunterrichts, Stuttgart, 2003

[5] Pfeifer, Volker Didaktik des Ethikunterrichts, S.20

[6] Lehrplan. Leitgedanken

[7] Lehrplan: Leitgedanken: „verstehende Erschließung tradierter Wertvorstellungen“

[8] Ebd, S.20

[9] Lehrplan: 4.1 Freiheit und Determination ,4.2 Menschenbilder ,4.3 Pluralismus ,4.4 Glück und Strebensethik: Aristoteles , 4.5 Folgenethik: Bentham / Mill , 4.6 Sollensethik: Kant 4.7 Verantwortungsethik , 4.8 Rechtsethik , 4.9 Wissenschafts- und Technikethik , 4.10 Medizinethik ,4.11 Religion: Phänomenologie

[10] Kather, Regine: Was ist Leben, S.206

[11] Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung; S.55

[12] Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.57

[13] Böhler, Dietrich: Orientierung und Verantwortung, S.98

[14] Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.57

[15] Ebd, S.57

[16] Ebd, 58

[17] Ebd, S.57

[18] Jonas, Hans: Leben, Wissenschaft und Verantwortung, S.108

[19] Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.29

[20] Ebd, S.58

[21] Böhler, Dietrich: Orientierung und Verantwortung, S.72

[22] Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.245

[23] Böhler, Dietrich, Orientierung und Verantwortung, S.72

[24] Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.245

[25] Böhler, Dietrich: Orientierung und Verantwortung, S.73

[26] Zitiert nach: Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.35

[27] Ebd, S.35

[28] Ebd, S.35

[29] Ebd, 92

[30] Jonas, PV,S.36

[31] Jonas, Hans: in Böhler, Dietrich (hrgs):Ethik für die Zukunft, S. 354

[32] Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.92

[33] Kather, Regine: Was ist Leben, S.198

[34] Wetz, Franz Josef: Hans Jonas zur Einführung, S.114

[35] Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.64

[36] Ebd, S.65

[37] Wetz, Franz Josef: Hans Jonass zur Einführung, S.114

[38] Jonas, Hans: das Prinzip Verantwortung:, S.70 Hervorhebung im Original

[39] Ebd, S.82

[40] Ebd, S.71

[41] Ebd, S.76

[42] Ebd, S.77

[43] Ebd, S. 76

[44] Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.72

[45] Ebd, S.72

[46] Ebd, S.79

[47] Ebd, S.79

[48] Ebd, S.78

[49] Ebd, S.79

[50] Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, S.80

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Entwurf einer Unterrichtseinheit
Untertitel
Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Grundriss einer Didaktik des Philosophie- und Ethikunterrichts
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
38
Katalognummer
V121949
ISBN (eBook)
9783640267255
ISBN (Buch)
9783640267453
Dateigröße
616 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entwurf, Unterrichtseinheit, Grundriss, Didaktik, Philosophie-
Arbeit zitieren
Lydia Kanngießer (Autor:in), 2007, Entwurf einer Unterrichtseinheit , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121949

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