Pressefreiheit in Deutschland - Illusion oder Realität?


Bachelorarbeit, 2008

48 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Geschichte der Pressefreiheit in Deutschland
2.1 Geschichte der Zensur
2.2 Folgen der Revolution + der Kampf um die Pressefreiheit
2.3 Pressefreiheit im Nationalsozialismus
2.4 Pressefreiheit nach dem Ende der 2. Weltkriegs
2.5 Wirkungen der Grundrechte

3. Etappen der Einschränkung von Pressefreiheit
3.1 Das Lüth- Urteil
3.2 Das Blinkfüer- Urteil
3.3 Die Spiegel- Affäre
3.4 Die Cicero- Affäre

4. Der Bundesnachrichtendienst (BND)
4.1 Geschichte, Aufbau und Funktion des BND
4.2 Überwachung von Nachrichtenjournalisten

5. Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung
5.1 Entstehung, Inhalt
5.2 Kritik

6. Der Deutsche Presserat
6.1 Aufbau, Tätigkeit
6.2 Der Pressekodex
6.3 Konkrete Beispiele
6.4 Netzwerk Recherche

7. Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte durch die Presse
7.1 Caroline- Urteile
7.2 Schröder Urteil

8. Die Mediendemokratie und ihre Folgen

9. Schlusswort.

10. Executive Summary

11. Literaturverzeichnis

1. EINLEITUNG

Pressefreiheit ist in Deutschland ein Grundrecht, das durch Artikel 5 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert ist:

„(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“[1]

Dieses Grundrecht soll vor staatlichen Eingriffen in die Inhalte und Modalitäten der Kommunikation schützen. Ziel ist dabei nicht, Schranken zu errichten, sondern eine positive Ordnung zu schaffen, die der Vielfalt der Meinungen Raum bieten kann und soll.

Medienfreiheit wird so nicht nur Journalisten geboten, sondern auch Rezipienten und ermöglicht insofern einen Prozess der öffentlichen und privaten Meinungsbildung insgesamt.[2] Das Bundesverfassungsgericht hat diese Bestimmungen im „Spiegel- Urteil“ von 1966 noch präzisiert: „ Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich.“[3]

Der Staat gewährt Journalisten auf dieser Grundlage freien Zugang zu Presseberufen, die freie Gründung von Presseorganen sowie einen einklagbaren Informationsanspruch gegenüber Behörden, den Informantenschutz und das Redaktionsgeheimnis. Hierzu zählt auch das Zeugnisverweigerungsrecht, welches Informationen und Informanten des Journalisten schützen soll.[4] Indem die Presse Öffentlichkeit herstellt, ermöglicht sie damit ein Forum für Kritik, Stellungnahme, Kontrolle und Mitwirkung der Meinungsbildung innerhalb eines Staates und dessen Gesellschaft.[5]

Die Pressefreiheit ist der zentrale Wert innerhalb einer Demokratie, sie ist darüber hinaus auch ein Menschenrecht und dennoch ist sie keine Selbstverständlichkeit. In über 100 Staaten wird noch heute die Pressefreiheit beeinträchtigt, verletzt und unterbunden, obwohl weltweit die meisten Staaten mittlerweile internationale Verträge über ihre Einhaltung und den Schutz der Menschenrechte unterzeichnet haben.[6]

Die Vereinigung „Reporter ohne Grenzen“ wählte Deutschland in seinem Jahresbericht Ende 2007 lediglich auf Platz 20 der Rangliste der Pressefreiheit eines Landes. Die Realisierung der Pressefreiheit in einem demokratischen Staat wie Deutschland, derer wir uns oft viel zu sicher sind, scheint somit nicht problemlos gegeben. Zwar ist sie, verglichen mit Ländern, in denen Demokratie und Pressefreiheit ein Fremdwort sind, in Deutschland als Grundrecht verankert, doch gerade da sie diesen Status innehat, wird sie scheinbar – oft mittelbar – in ihren Tiefen so erschüttert, wie man es innerhalb einer Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland nicht erwarten würde.

In meiner Bakkalaureatsarbeit „Pressefreiheit in Deutschland – Illusion oder Realität?“ möchte ich zunächst auf die Geschichte der Pressefreiheit in Deutschland eingehen und mich anschließend mit verschiedenen Etappen der Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland beschäftigen. Hierbei werde ich auch auf den Bundesnachrichtendienst und mögliche Einschränkungen, die durch diesen erfolgen, sowie auf das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eingehen. Des weiteren beschäftige ich mich mit dem Deutschen Presserat, und möchte folglich als Beispiele der Einschränkung des Persönlichkeitsrechts durch die Presse das Caroline- Urteil sowie das Schröder- Urteil behandeln. Als letzten Punkt befasse ich mich mit der Mediendemokratie und ihren Folgen um anschließend zu einem Schlusswort zu gelangen.

Da bis zum momentanen Zeitpunkt nur wenige wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema vorherrschen, werde ich mich in vielen Fällen auf Artikel bzw. Abhandlungen aus der Presse beziehen. Gegenstand meiner Arbeit ist ausdrücklich nicht die Kommunikationsfreiheit, die sich auf alle Medien bezieht, da die Behandlung dieses Bereichs für meine Arbeit zu ausufernd wäre. Meine Forschungsinteresse liegt im Bereich der Printmedien und somit in der Pressefreiheit gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes. Ich verzichte des weiteren bewusst auf Hypothesen, da meine Arbeit vorrangig eine Abhandlung ist. Diese Abhandlung lässt sich meiner Meinung nach besser ohne Hypothesen in ihrem Grundsatz und in ihrer Gesamtheit erforschen. Dennoch richte ich mich nach einer themenübergreifenden wissenschaftlichen Fragestellung, die folgendermaßen lautet:

Inwieweit ist es Journalisten innerhalb Deutschlands möglich, frei und ohne – jegliche – Einschränkungen durch den Staat, Wirtschaft oder Konkurrenzmedien zu berichten?

2. GESCHICHTE DER PRESSEFREIHEIT IN DEUTSCHLAND

2.1 Geschichte der Zensur

Johannes Gutenberg erfand um 1450 den Buchdruck in Mainz. Diese Technik ermöglichte erstmals die schnelle, massenhafte Verbreitung von Aussagen und verschaffte politischen, religiösen und sozialen Ideen eine bis dahin nicht gekannte Breitenwirkung.[7] Die Kirche übte schon vor der Einführung der Buchdrucks Zensurmaßnahmen aus. Das Wort „Zensur“, abgeleitet vom lateinischen „censura“, bedeutet die Amtsführung eines mit hoheitlicher Gewalt ausgestatteten Zensors.[8] In den achtziger Jahren der 15. Jahrhunderts wurden die ersten kirchenkritischen Flugblätter verteilt, woraufhin der Erzbischof von Mainz für seine Diözese eine geistliche Zensurkommission einrichtete, die gegen diese Flugblätter vorgehen sollte. Da die Flut kirchlicher Schriften jedoch nicht nachließ, wurde bald für die gesamte Kirche die Vorzensur eingerichtet, die von den Bischöfen ausgeübt werden sollte.

An der Schwelle zum 17. Jahrhundert kam die im deutschen Sprachraum eingeführte Verbreitung periodischer Druckwerke auf, was für die staatliche Zensur zu einem planmäßigen Aufbau der Aufsichtsbehörden führte. Zeitungen wurden damals gemeinschaftlich gelesen und diskutiert, was auch eine kritische Auseinandersetzung des Inhalts mit sich brachte. Parallel zu dieser allmählichen Herausbildung einer politischen Öffentlichkeit entwickelte sich die Aufklärung. In dieser Konstellation der politischen Öffentlichkeit sowie der Aufklärung entwickelte sich die theoretische Idee der Pressefreiheit in Deutschland, die als elementares Menschenrecht eingefordert wurde. Trotz schärfster Überwachungsmaßnahmen ließ sich der Freiheitsgedanke nicht auf Dauer unterdrücken.

Länder wie England, Amerika und vor allem Frankreich durch die französische Revolution waren Vorläufer der Pressefreiheit.[9] Die Hauptforderungen der Aufständischen der Pariser Februar-Revolution von 1848 waren eine Volksvertretung und Pressefreiheit. Diese wurden, nach mehreren Aufständen in deutschen Städten, von den deutschen Regierungen bewilligt. In Frankfurt am Main wurde von einem verfassungsgebendem Parlament folglich erstmals ein Grundrechtskatalog entworfen, der in Artikel 4 die Pressefreiheit garantierte. Die neue Reichsverfassung von 1849 proklamierte die materielle und formale Pressefreiheit. Zensurale Maßnahmen und indirekte Pressekontrolle bestanden weiterhin, dennoch vermochten sie den

Gedanken der Pressefreiheit nicht aufzuhalten.[10] Die Reichsverfassung von 1849 trat zwar nie in Kraft, die Zensur war dennoch offiziell abgeschafft, Die Pressefreiheit blieb und bleibt somit eine Errungenschaft des Revolutionsjahres 1848. Die Politik versuchte nun, da eine Vorzensur nun nicht mehr direkt möglich war, indirekt Einfluss auf die Presse zu nehmen.

2.2 Folgen der Revolution und der Kampf um die Pressefreiheit

Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 entstand das deutsche Kaiserreich unter Bismarck. Das Reichspressegesetz vom 7. Mai 1874 führte die Pressefreiheit einheitlich im Deutschen Reich ein. Sie konnte jedoch mit einfacher Mehrheit eingeschränkt oder wieder aufgehoben werden, das Gesetz hatte somit keinen Verfassungsrang.[11]

Während des ersten Weltkriegs wurde die Presse einer strengen Zensur des Kriegspresseamtes unterworfen. Die in Weimar zusammengetretene Nationalversammlung verabschiedete nach dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches im August 1919 eine republikanische Reichsverfassung, die in ihrem Grundrechtskatalog die Meinungs- und Pressefreiheit sicherstellte. In Art. 118 hieß es:

„Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. An diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder Angestelltenverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht. Eine Zensur findet nicht statt...“.[12] Sondergesetze zum Nachteil der Presse waren nicht mehr möglich, doch die Grundrechte konnten durch allgemeine Gesetze beschränkt werden.

2.3 Pressefreiheit im Nationalsozialismus

Die Nationalsozialisten beseitigten die Pressefreiheit vollends. Schon fünf Tage nach ihrer Machtergreifung gab eine Verordnung des Reichstagspräsidenten dem Reichsinnenminister die Handhabe, Zeitungen und Zeitschriften wegen „unrichtiger Nachrichten“ zu verbieten. Noch in der Nacht des Reichstagsbrandes sprach das preußische Innenministerium ein Verbot der sozialdemokratischen und kommunistischen Presse aus.[13] Das Recht der Meinungs- und Pressefreiheit wurde „zum Schutze von Volk und Staat“ bis auf weiteres (sollte heißen: bis zum Ende des Dritten Reiches) außer Kraft gesetzt. So konnte gegen politisch „verdächtige“ Journalisten und Verleger vorgegangen werden und die legislative Gewalt war auf die Regierung übergegangen. Juden wurden vollständig ausgeschlossen von der Profession. Die

Nationalsozialisten begannen, durch „Gleichschaltung“ aller Organisationen, ihre Machtbasis zu verbreiten und zu festigen. Propaganda erfolgte in Form von unpolitisch scheinender Unterhaltungsprogramme. Das im Oktober 1933 erlassene „Schriftleitergesetz“ verpflichtete die Journalisten allein auf den Dienst am Staat und entzog den Presseverlagen jegliche publizistische Funktion. Schon sechs Monate vor der Niederlage des Hitler-Staates waren in Washington und London konkrete Pläne für den Aufbau einer demokratischen Presse in Deutschland entwickelt worden. Der Herausgabe von Veröffentlichungen aller Art sollte nur solchen Personen gestattet sein, denen die Besatzungsmacht hierfür eine besondere Lizenz erteilte. Die Personen wurden verpflichtet, sich einer strengen Vorzensur zu unterwerfen und allgemeine Richtlinien und Arbeitsanweisungen der Militärbehören zu befolgen.

2.4 Pressefreiheit nach dem Ende des zweiten Weltkriegs

Im Frühjahr 1949 begann das Staatsgebilde der Bundesrepublik Deutschland immer deutlichere Konturen anzunehmen, so dass die Besatzungsmächte begannen das System der Reglementierung, mit dem auch die Lizenzvergabe verbunden war, nach und nach abzubauen. Im September 1949 trat das von der Alliierten Kommission erlassene „Gesetz Nr. 5“ in Kraft, das jedem in der Bundesrepublik lebenden Deutschen (mit Ausnahme ehemaliger Nationalsozialisten) das Recht zubilligte, ohne vorherige Genehmigung Periodika und Einzelschriften zu veröffentlichen. Bereits im Mai war das vom Parlamentarischen Rat und von den Besatzungsmächten genehmigte Grundgesetz in Kraft getreten, das die Pressefreiheit

– neben der Meinungsäußerungs- und Meinungsverbreitungsfreiheit sowie der Informationsfreiheit – in Artikel 5 ausdrücklich gewährleistet.

Auf dem Gebiet der DDR blieb die Presse dagegen einem Lizenzsystem unterworfen, der Vertrieb von Presseerzeugnissen bedurfte einer vorherigen staatlichen Erlaubnis.

Pressefreiheit konnte sich in Ostdeutschland somit erst nach der Öffnung der Grenzen und dem Zusammenbruch der DDR durchsetzen.[14]

Die in Art.5 des Grundgesetzes proklamierte Meinungsfreiheit ist ein unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit und ein elementarer, konstitutiver Bestandteil der Demokratie. Unerheblich ist, ob die Meinungsäußerung bzw. Stellungnahme richtig oder falsch ist. Auch für die Informationsfreiheit gilt, dass nur wenn Staatsbürger sich frei unterrichten können, diese sich eine kritische Meinung bilden können und bei Wahlen in der Lage sind, demokratisch verantwortlich zu handeln. Massenmedien sollen ihre Rolle als Medien im öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess wahrnehmen. Sie stellen einen allgemeinen Meinungsmarkt dar, leisten einen Bildungsbeitrag und konstituieren ein politisches Forum für die Kommunikation zwischen der Bevölkerung und ihren Repräsentanten. Voraussetzung ist hierfür jedoch die staatsunabhängige Organisation der Massenmedien sowie des Binnen- und Außenpluralismus, d.h. alle gesellschaftlichen Gruppen und geistlichen Richtungen müssen zu Wort kommen können.

2.5 Wirkungen der Grundrechte

Schon im Jahr 1849 wurden mit der Paulskirchenverfassung Grundrechte verabschiedet, diese Verfassung erlangte jedoch keine Geltung. Auch die Reichsverfassung von 1871 enthielt keinen Grundrechtskatalog. Erst mit der Weimarer Verfassung 1919 erlangten die Grundrechte in Deutschland Verfassungsrang, dennoch galten sie nur im Rahmen der Gesetze und waren somit keine subjektiv-öffentlichen Rechte. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wird dem vorgebeugt, indem die Verfassung über die Gesetze gestellt wird, die wiederum nur in ihrem Rahmen gelten. Es besteht des weiteren die Möglichkeit, seine Grundrechte einzuklagen. Die Pressefreiheit ist somit nicht nur subjektives Abwehrrecht, sondern wirkt auch in objektiv- rechtlicher Dimension als institutionelle Garantie der Einrichtung „freie Presse“. Es ist Aufgabe des Staates, für ein freies und privatwirtschaftlich organisiertes Pressewesen zu sorgen.[15] Grundrechte sind ihrem Inhalt und ihrer Geschichte nach vor allem individuelle Rechte (Menschenwürde, Gleichheits- und Freiheitsrechte, Glaubensfreiheit) und schützen somit konkrete Bereiche menschlicher Freiheit. Artikel fünf des Grundgesetzes schützt die Kommunikationsfreiheit und somit die Pressefreiheit. Die freie, individuelle und öffentliche Meinungsbildung ist der gemeinsame Schutzbereich der Kommunikationsfreiheiten des Grundgesetzes. Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erfährt der Artikel 5 des Grundgesetzes entscheidende Konkretisierungen.

3. ETAPPEN DER EINSCHRÄNKUNG VON PRESSEFREIHEIT

Forschungsfrage: Welche Kriterien führten – vor allem in neuester Zeit – dazu, dass Deutschland momentan lediglich auf Platz 20 der Rangliste der Pressefreiheit, beobachtet durch Reporter ohne Grenzen, liegt?

3.1 Das Lüth- Urteil

Das Lüth- Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Grundsatzurteil zur Grundrechtsdogmatik. Es beschäftigt sich dem Umfang des Meinungsäußerungsgrundrechts und hebt dessen Bedeutung hervor.[16]

Der Vorsitzende des Hamburger Presseamtes, Erich Lüth, rief 1950 zum Boykott des Films „Unsterbliche Geliebte“ auf. Diesen Aufruf begründete er damit, dass der Regisseur des Films auch unter dem nationalsozialistischen Regime einen antisemitischen Propagandafilm gedreht hatte. Nachdem zwei Filmgesellschaften gegen den Aufruf Lüths geklagt hatten, wurde Lüth wegen sittenwidriger Aufforderung zum Boykott bei Androhung einer Geld- oder Haftstrafe dazu verurteilt, seine Boykottaufforderungen zu unterlassen. Gegen dieses Urteil legte er erfolgreich Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass eine Meinungsäußerung, die eine Aufforderung zum Boykott enthalte, nicht notwendig gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB verstoße und bei Abwägung aller Umstände durch die Freiheit der Meinungsäußerung verfassungsrechtlich gerechtfertig sein könne.[17]

Das Bundesverfassungsgericht trifft hierbei somit auch prinzipielle Feststellungen zur Frage der Drittwirkung von Grundrechten. In erster Linie sind diese zwar Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat, dennoch verkörpert sich in ihnen auch eine objektive Werteordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten. Keine bürger- rechtliche Vorschrift darf im Widerspruch zu den Grundrechten stehen, die Vorschriften des Privatrechts müssen vielmehr im Geiste der grundrechtlichen Ordnung ausgelegt werden. Generalklauseln der privatrechtlichen Vorschriften gelten daher zu Recht als Einbruchstellen der Grundrechte in das bürgerliche Recht, so dass auch Zivilrichter an die Grundrechte gebunden sind.[18]

Das Bundesverfassungsgericht bekennt sich hiermit zur Lehre der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten.

3.2 Das Blinkfüer- Urteil

Nachdem 1961 die Mauer zwischen West- und Ostdeutschland errichtet wurde, versendeten die damals marktbeherrschenden Verlagshäuser Axel Springer und „Die WELT“ ein Rundschreiben an die Zeitungs- und Zeitschriftenhändler in Hamburg und forderten dazu auf, keine Zeitungen und Zeitschriften mehr zu verkaufen, in denen Rundfunk- und Fernsehprogramme aus der DDR abgedruckt wurden. Im Falle einer Zuwiderhandlung müssten die Verlagshäuser ihre Geschäftsbeziehungen zu den Händlern überdenken. Der Herausgeber und Chefredakteur der vor allem im Raum Hamburg verbreiteten Wochenzeitung „Blinkfüer“, die unter anderem das Rundfunkprogramm der DDR abdruckte, reichte daraufhin Klage wegen wettbewerbswidrigen Boykottaufrufs ein. Während der Bundesgerichtshof die Klage zurückwies, hatte eine Verfassungsbeschwerde Erfolg.[19]

Ein Boykottaufruf ist der Entscheidung zufolge zwar als Mittel des geistigen Meinungskampfes durch die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Grundgesetz gedeckt, allerdings dann nicht mehr, wenn er sich nicht nur auf geistige Argumente beschränkt sondern sich Mitteln bedient, die den Angesprochenen in der Möglichkeit, seine Entscheidung frei und ohne wirtschaftlichen Druck zu treffen, beeinträchtigt. Die Ausübung wirtschaftlichen Drucks verletzt der Entscheidung zufolge die Chancengleichheit beim Prozess der Meinungsbildung und widerspricht somit dem Wesen des Grundrechts der freien Meinungsäußerung. Das Vorgehen des Verlags Axel Springer und der Zeitung „Die WELT“ war somit unangemessen und unzulässig, da diese versuchten, mit wirtschaftlichen Mitteln unter Ausnutzung ihrer monopolartigen Stellung einen politischen Machtkampf auszuüben.[20]

[...]


[1] Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 5

[2] Dreier Horst, Wittreck Fabian: Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, Mohr Siebeck Verlag 2006

[3] BVerfGE 20, 174

[4] Vgl.: http://www.bundestag.de/dasparlament/2006/04/themaderwoche/003.html

[5] Vgl.: Beer, Miriam Nathalie: Die Wirkweisen der Pressefreiheit. Grin-Verlag, Bonn Bad- Godesberg Juli 2000, S.6

[6] Vgl.: Beer, Miriam Nathalie: Die Wirkweisen der Pressefreiheit. Grin-Verlag, Bonn Bad- Godesberg Juli 2000,S.6

[7] Vgl.: Löffler, Martin/ Ricker, Reinhart: Handbuch des Presserechts. München 1994, S.23

[8] Vgl.: Hoffmann 2006 (https://www.uni-hohenheim.de/i430a/lehre/veranst/download/skripten/gdvk/gdvk- 17.pdf )

[9] Vgl.: Beer, Miriam Nathalie: Die Wirkweisen der Pressefreiheit. Grin-Verlag, Bonn Bad- Godesberg Juli 2000 S.13 ff

[10] Vgl.: Hoffmann 2006( https://www.uni-hohenheim.de/i430a/lehre/veranst/download/skripten/gdvk/gdvk- 17.pdf )

[11] Vgl.: Hoffmann 2006( https://www.uni-hohenheim.de/i430a/lehre/veranst/download/skripten/gdvk/gdvk- 17.pdf )

[12] „Weimarer Reichsverfassung 1919 (http://www.verfassungen.de/de/de19-33/verf19.htm)

[13] Vgl.: Beer, Miriam Nathalie: Die Wirkweisen der Pressefreiheit. 2000, S.22

[14] Vgl.: Löffler, Martin/ Ricker, Reinhart 1994, S. 28f

[15] Vgl.: Beer, Miriam Nathalie: Die Wirkweisen der Pressefreiheit. 2000, S. 99

[16] Enzyklopädie Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCth-Urteil)

[17] Vgl.: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfGE 7,198

[18] Vgl.: BVerfGE 7,198ff

[19] Vgl.: Beer, Miriam Nathalie: Die Wirkweisen der Pressefreiheit. 2000,S.79

[20] Vgl.: BVerfGE 25,256ff

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Pressefreiheit in Deutschland - Illusion oder Realität?
Hochschule
Universität Wien
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
48
Katalognummer
V121947
ISBN (eBook)
9783640267859
ISBN (Buch)
9783640267965
Dateigröße
590 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pressefreiheit, Deutschland, Illusion, Realität
Arbeit zitieren
Julia Weber (Autor:in), 2008, Pressefreiheit in Deutschland - Illusion oder Realität?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121947

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