Atta Troll - Ein Sommernachtstraum


Klassiker, 2009

108 Seiten

Heinrich Heine (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

Motto

Vorrede

Caput I

Caput II

Caput III

Caput IV

Caput V

Caput VI

Caput VII

Caput VIII

Caput IX

Caput X

Caput XI

Caput XII

Caput XIII

Caput XIV

Caput XV

Caput XVI

Caput XVII

Caput XVIII

Caput XIX

Caput XX

Caput XXI

Caput XXII

Caput XXIII

Caput XXIV

Caput XXV

Caput XXVI

Caput XXVII

Motto

Aus dem schimmernden, weißen Zelte hervor

Tritt der schlachtgerüstete, fürstliche Mohr;

So tritt aus schimmernder Wolken Tor

Der Mond, der verfinsterte, dunkle, hervor.

»Der Mohrenfürst« von Ferd. Freiligrath

Vorrede

Der »Atta Troll« entstand im Spätherbste 1841 und ward fragmentarisch abgedruckt in der »Eleganten Welt«, als mein Freund Heinrich Laube wieder die Redaktion derselben übernommen hatte. Inhalt und Zuschnitt des Gedichtes mußten den zahmen Bedürfnissen jener Zeitschrift entsprechen; ich schrieb vorläufig nur die Kapitel, die gedruckt werden konnten, und auch diese erlitten manche Variante. Ich hegte die Absicht, in späterer Vervollständigung das Ganze herauszugeben, aber es blieb immer bei dem lobenswerten Vorsatze, und wie allen großen Werken der Deutschen, wie dem Kölner Dome, dem Schellingschen Gotte, der preußischen Konstitution usw., ging es auch dem »Atta Troll« – er ward nicht fertig. In solcher unfertigen Gestalt, leidlich aufgestutzt und nur äußerlich geründet, übergebe ich ihn heute dem Publiko, einem Drange gehorchend, der wahrlich nicht von innen kommt.

Der »Atta Troll« entstand, wie gesagt, im Spätherbste 1841, zu einer Zeit, als die große Emeute, wo die verschiedenfarbigsten Feinde sich gegen mich zusammengerottet, noch nicht ganz ausgelärmt hatte. Es war eine sehr große Emeute, und ich hätte nie geglaubt, daß Deutschland so viele faule Äpfel hervor bringt, wie mir damals an den Kopf flogen! Unser Vaterland ist ein gesegnetes Land; es wachsen hier freilich keine Zitronen und keine Goldorangen, auch krüppelt sich der Lorbeer nur mühsam fort auf deutschem Boden, aber faule Äpfel gedeihen bei uns in erfreulichster Fülle, und alle unsere großen Dichter wußten davon ein Lied zu singen. Bei jener Emeute, wo ich Krone und Kopf verlieren sollte, verlor ich keins von beiden, und die absurden Anschuldigungen, womit man den Pöbel gegen mich aufhetzte, sind seitdem, ohne daß ich mich zu einer Widerrede herabzulassen brauchte, aufs kläglichste verschollen. Die Zeit übernahm meine Rechtfertigung, und auch die respektiven deutschen Regierungen, ich muß es dankbar anerkennen, haben sich in dieser Beziehung verdient um mich gemacht. Die Verhaftsbefehle, die von der deutschen Grenze an, auf jeder Station, die Heimkehr des Dichters mit Sehnsucht erwarten, werden gehörig renoviert, jedes Jahr, um die heilige Weihnachtzeit, wenn an den Christbäumen die gemütlichen Lämpchen funkeln. Wegen solcher Unsicherheit der Wege wird mir das Reisen in den deutschen Gauen schier verleidet, ich feiere deshalb meine Weihnachten in der Fremde und werde auch in der Fremde, im Exil, meine Tage beschließen. Die wackern Kämpen für Licht und Wahrheit, die mich der Wankelmütigkeit und des Knechtsinns beschuldigten, gehen unterdessen im Vaterlande sehr sicher umher, als wohlbestallte Staatsdiener, oder als Würdeträger einer Gilde, oder als Stammgäste eines Klubs, wo sie sich des Abends patriotisch erquicken am Rebensafte des Vater Rhein und an meerumschlungenen schleswig-holsteinschen Austern.

Ich habe oben mit besonderer Absicht angedeutet, in welcher Periode der »Atta Troll« entstanden ist. Damals blühte die sogenannte politische Dichtkunst. Die Opposition, wie Ruge sagt, verkaufte ihr Leder und ward Poesie. Die Musen bekamen die strenge Weisung, sich hinfüro nicht mehr müßig und leichtfertig umherzutreiben, sondern in vaterländischen Dienst zu treten, etwa als Marketenderinnen der Freiheit oder als Wäscherinnen der christlich-germanischen Nationalität. Es erhub sich im deutschen Bardenhain ganz besonders jener vage, unfruchtbare Pathos, jener nutzlose Enthusiasmusdunst, der sich mit Todesverachtung in einen Ozean von Allgemeinheiten stürzte und mich immer an den amerikanischen Matrosen erinnerte, welcher für den General Jackson so überschwenglich begeistert war, daß er einst von der Spitze eines Mastbaums ins Meer hinabsprang, indem er ausrief: »Ich sterbe für den General Jackson!« Ja, obgleich wir Deutschen noch keine Flotte besaßen, so hatten wir doch schon viele begeisterte Matrosen, die für den General Jackson starben, in Versen und in Prosa. Das Talent war damals eine sehr mißliche Begabung, denn es brachte in den Verdacht der Charakterlosigkeit. Die scheelsüchtige Impotenz hatte endlich, nach tausendjährigem Nachgrübeln, ihre große Waffe gefunden gegen die Übermüten des Genius; sie fand nämlich die Antithese von Talent und Charakter. Es war fast persönlich schmeichelhaft für die große Menge, wenn sie behaupten hörte, die braven Leute seien freilich in der Regel sehr schlechte Musikanten, dafür jedoch seien die guten Musikanten gewöhnlich nichts weniger als brave Leute, die Bravheit aber sei in der Welt die Hauptsache, nicht die Musik. Der leere Kopf pochte jetzt mit Fug auf sein volles Herz, und die Gesinnung war Trumpf. Ich erinnere mich eines damaligen Schriftstellers, der es sich als ein besonderes Verdienst anrechnete, daß er nicht schreiben könne; für seinen hölzernen Stil bekam er einen silbernen Ehrenbecher.

Bei den ewigen Göttern! damals galt es, die unveräußerlichen Rechte des Geistes zu vertreten, zumal in der Poesie. Wie eine solche Vertretung das große Geschäft meines Lebens war, so habe ich sie am allerwenigsten im vorliegenden Gedicht außer Augen gelassen, und sowohl Tonart als Stoff desselben war ein Protest gegen die Plebiszita der Tagestribünen. Und in der Tat, schon die ersten Fragmente, die vom »Atta Troll« gedruckt wurden, erregten die Galle meiner Charakterhelden, meiner Römer, die mich nicht bloß der literarischen, sondern auch der gesellschaftlichen Reaktion, ja sogar der Verhöhnung heiligster Menschheitsideen beschuldigten. Was den ästhetischen Wert meines Poems betrifft, so gab ich ihn gern preis, wie ich es auch heute noch tue; ich schrieb dasselbe zu meiner eignen Lust und Freude, in der grillenhaften Traumweise jener romantischen Schule, wo ich meine angenehmsten Jugendjahre verlebt und zuletzt den Schulmeister geprügelt habe. In dieser Beziehung ist mein Gedicht vielleicht verwerflich. Aber du lügst, Brutus, du lügst, Cassius, und auch du lügst, Asinius, wenn ihr behauptet, mein Spott träfe jene Ideen, die eine kostbare Errungenschaft der Menschheit sind und für die ich selber soviel gestritten und gelitten habe. Nein, eben weil dem Dichter jene Ideen in herrlichster Klarheit und Größe beständig vorschweben, ergreift ihn desto unwiderstehlicher die Lachlust, wenn er sieht, wie roh, plump und täppisch von der beschränkten Zeitgenossenschaft jene Ideen aufgefaßt werden können. Er scherzt dann gleichsam über ihre temporelle Bärenhaut. Es gibt Spiegel, welche so verschoben geschliffen sind, daß selbst ein Apollo sich darin als eine Karikatur abspiegeln muß und uns zum Lachen reizt. Wir lachen aber alsdann nur über das Zerrbild, nicht über den Gott.

Noch ein Wort. Bedarf es einer besondern Verwahrung, daß die Parodie eines Freiligrathschen Gedichtes, welche aus dem »Atta Troll« manchmal mutwillig hervorkichert und gleichsam seine komische Unterlage bildet, keineswegs eine Mißwürdigung des Dichters bezweckt? Ich schätze denselben hoch, zumal jetzt, und ich zähle ihn zu den bedeutendsten Dichtern, die seit der Juliusrevolution in Deutschland aufgetreten sind. Seine erste Gedichtesammlung kam mir sehr spät zu Gesicht, nämlich eben zur Zeit, als der »Atta Troll« entstand. Es mochte wohl an meiner damaligen Stimmung liegen, daß namentlich der »Mohrenfürst« so belustigend auf mich wirkte. Diese Produktion wird übrigens als die gelungenste gerühmt. Für Leser, welche diese Produktion gar nicht kennen – und es mag deren wohl in China und Japan geben, sogar am Niger und am Senegal –, für diese bemerke ich, daß der Mohrenkönig, der zu Anfang des Gedichtes aus seinem weißen Zelte, wie eine Mondfinsternis, hervortritt, auch eine schwarze Geliebte besitzt, über deren dunkles Antlitz die weißen Straußfedern nicken. Aber kriegsmutig verläßt er sie, er zieht in die Negerschlacht, wo da rasselt die Trommel, mit Schädeln behangen – ach, er findet dort sein schwarzes Waterloo und wird von den Siegern an die Weißen verkauft. Diese schleppen den edlen Afrikaner nach Europa, und hier finden wir ihn wieder im Dienste einer herumziehenden Reutergesellschaft, die ihm, bei ihren Kunstvorstellungen, die türkische Trommel anvertraut hat. Da steht er nun, finster und ernsthaft, am Eingange der Reitbahn und trommelt, doch während des Trommelns denkt er an seine ehemalige Größe, er denkt daran, daß er einst ein absoluter Monarch war, am fernen, fernen Niger, und daß er gejagt den Löwen, den Tiger –

»Sein Auge ward naß; mit dumpfem Klang

Schlug er das Fell, daß es rasselnd zersprang.«

Geschrieben zu Paris im Dezember 1846

Heinrich Heine

Caput I

Rings umragt von dunklen Bergen,

Die sich trotzig übergipfeln,

Und von wilden Wasserstürzen

Eingelullet, wie ein Traumbild,

Liegt im Tal das elegante

Cauterets. Die weißen Häuschen

Mit Balkonen; schöne Damen

Stehn darauf und lachen herzlich.

Herzlich lachend schaun sie nieder

Auf den wimmelnd bunten Marktplatz,

Wo da tanzen Bär und Bärin

Bei des Dudelsackes Klängen.

Atta Troll und seine Gattin,

Die geheißen schwarze Mumma,

Sind die Tänzer, und es jubeln

Vor Bewundrung die Baskesen.

Steif und ernsthaft, mit Grandezza,

Tanzt der edle Atta Troll,

Doch der zott'gen Ehehälfte

Fehlt die Würde, fehlt der Anstand.

Ja, es will mich schier bedünken,

Daß sie manchmal cancaniere,

Und gemütlos frechen Steißwurfs

An die Grand'-Chaumière erinnre.

Auch der wackre Bärenführer,

Der sie an der Kette leitet,

Scheint die Immoralität

Ihres Tanzes zu bemerken.

Und er langt ihr manchmal über

Ein'ge Hiebe mit der Peitsche,

Und die schwarze Mumma heult dann,

Daß die Berge widerhallen.

Dieser Bärenführer trägt

Sechs Madonnen auf dem Spitzhut,

Die sein Haupt vor Feindeskugeln

Oder Läusen schützen sollen.

Über seine Schulter hängt

Eine bunte Altardecke,

Die als Mantel sich gebärdet;

Drunter lauscht Pistol und Messer.

War ein Mönch in seiner Jugend,

Später ward er Räuberhauptmann;

Beides zu verein'gen, nahm er

Endlich Dienste bei Don Carlos.

Als Don Carlos fliehen mußte

Mit der ganzen Tafelrunde,

Und die meisten Paladine

Nach honettem Handwerk griffen –

(Herr Schnapphahnski wurde Autor) –,

Da ward unser Glaubensritter

Bärenführer, zog durchs Land

Mit dem Atta Troll und Mumma.

Und er läßt die beiden tanzen

Vor dem Volke, auf den Märkten; –

Auf dem Markt von Cauterets

Tanzt gefesselt Atta Troll!

Atta Troll, der einst gehauset,

Wie ein stolzer Fürst der Wildnis,

Auf den freien Bergeshöhen,

Tanzt im Tal vor Menschenpöbel!

Und sogar für schnödes Geld

Muß er tanzen, er, der weiland,

In des Schreckens Majestät,

Sich so welterhaben fühlte!

Denkt er seiner Jugendtage,

Der verlornen Waldesherrschaft,

Dann erbrummen dunkle Laute

Aus der Seele Atta Trolls;

Finster schaut er wie ein schwarzer

Freiligräthscher Mohrenfürst,

Und wie dieser schlecht getrommelt,

Also tanzt er schlecht vor Ingrimm.

Doch statt Mitgefühl erregt er

Nur Gelächter. Selbst Juliette

Lacht herunter vom Balkone

Ob den Sprüngen der Verzweiflung. – –

Juliette hat im Busen

Kein Gemüt, sie ist Französin,

Lebt nach außen; doch ihr Äußres

Ist entzückend, ist bezaubernd.

Ihre Blicke sind ein süßes

Strahlennetz, in dessen Maschen

Unser Herz, gleich einem Fischlein,

Sich verfängt und zärtlich zappelt.

Caput II

Daß ein schwarzer Freiligräthscher

Mohrenfürst sehnsüchtig lospaukt

Auf das Fell der großen Trommel,

Bis es prasselnd laut entzweispringt:

Das ist wahrhaft trommelrührend

Und auch trommelfellerschütternd –

Aber denkt euch einen Bären,

Der sich von der Kette losreißt!

Die Musik und das Gelächter,

Sie verstummen, und mit Angstschrei

Stürzt vom Markte fort das Volk,

Und die Damen, sie erbleichen.

Ja, von seiner Sklavenfessel

Hat sich plötzlich losgerissen

Atta Troll. Mit wilden Sprüngen

Durch die engen Straßen rennend –

(Jeder macht ihm höflich Platz) –,

Klettert er hinauf die Felsen,

Schaut hinunter, wie verhöhnend,

Und verschwindet im Gebirge.

Auf dem leeren Marktplatz bleiben

Ganz allein die schwarze Mumma

Und der Bärenführer. Rasend

Schmeißt er seinen Hut zur Erde,

Trampelt drauf, er tritt mit Füßen

Die Madonnen! reißt die Decke

Sich vom scheußlich nackten Leib,

Flucht und jammert über Undank,

Über schwarzen Bärenundank!

Denn er habe Atta Troll

Stets wie einen Freund behandelt

Und im Tanzen unterrichtet.

Alles hab er ihm zu danken,

Selbst das Leben! Bot man doch

Ihm vergebens hundert Taler

Für die Haut des Atta Troll!

Auf die arme schwarze Mumma,

Die, ein Bild des stummen Grames,

Flehend, auf den Hintertatzen,

Vor dem Hocherzürnten stehnblieb,

Fällt des Hocherzürnten Wut

Endlich doppelt schwer, er schlägt sie,

Nennt sie Königin Christine,

Auch Frau Muñoz und Putana. – –

Das geschah an einem schönen,

Warmen Sommernachmittage,

Und die Nacht, die jenem Tage

Lieblich folgte, war süperbe.

Ich verbrachte fast die Hälfte

Jener Nacht auf dem Balkone.

Neben mir stand Juliette

Und betrachtete die Sterne.

Seufzend sprach sie: »Ach, die Sterne

Sind am schönsten in Paris,

Wenn sie dort, des Winterabends,

In dem Straßenkot sich spiegeln.«

Caput III

Traum der Sommernacht! Phantastisch

Zwecklos ist mein Lied. Ja, zwecklos

Wie die Liebe, wie das Leben,

Wie der Schöpfer samt der Schöpfung!

Nur der eignen Lust gehorchend,

Galoppierend oder fliegend,

Tummelt sich im Fabelreiche

Mein geliebter Pegasus.

Ist kein nützlich tugendhafter

Karrengaul des Bürgertums,

Noch ein Schlachtpferd der Parteiwut,

Das pathetisch stampft und wiehert!

Goldbeschlagen sind die Hufen

Meines weißen Flügelrößleins,

Perlenschnüre sind die Zügel,

Und ich laß sie lustig schießen.

Trage mich, wohin du willst!

Über luftig steilen Bergpfad,

Wo Kaskaden angstvoll kreischend

Vor des Unsinns Abgrund warnen!

Trage mich durch stille Täler,

Wo die Eichen ernsthaft ragen

Und den Wurzelknorr'n entrieselt

Uralt süßer Sagenquell!

Laß mich trinken dort und nässen

Meine Augen – ach, ich lechze

Nach dem lichten Wunderwasser,

Welches sehend macht und wissend.

Jede Blindheit weicht! Mein Blick

Dringt bis in die tiefste Steinkluft,

In die Höhle Atta Trolls –

Ich verstehe seine Reden!

Sonderbar! wie wohlbekannt

Dünkt mir diese Bärensprache!

Hab ich nicht in teurer Heimat

Früh vernommen diese Laute?

Caput IV

Ronceval, du edles Tal!

Wenn ich deinen Namen höre,

Bebt und duftet mir im Herzen

Die verschollne blaue Blume!

Glänzend steigt empor die Traumwelt,

Die jahrtausendlich versunken,

Und die großen Geisteraugen

Schaun mich an, daß ich erschrecke!

Und es klirrt und tost! Es kämpfen

Sarazen und Frankenritter;

Wie verzweifelnd, wie verblutend,

Klingen Rolands Waldhornrüfe!

In dem Tal von Ronceval,

Unfern von der Rolandsscharte –

So geheißen, weil der Held,

Um sich einen Weg zu bahnen,

Mit dem guten Schwert Duranda

Also todesgrimmig einhieb

In die Felswand, daß die Spuren

Bis auf heut'gem Tage sichtbar –

Dort in einer düstren Steinschlucht,

Die umwachsen von dem Buschwerk

Wilder Tannen, tief verborgen,

Liegt die Höhle Atta Trolls.

Dort, im Schoße der Familie,

Ruht er aus von den Strapazen

Seiner Flucht und von der Mühsal

Seiner Völkerschau und Weltfahrt.

Süßes Wiedersehn! Die Jungen

Fand er in der teuren Höhle,

Wo er sie gezeugt mit Mumma;

Söhne vier und Töchter zwei.

Wohlgeleckte Bärenjungfraun,

Blond von Haar, wie Pred'gerstöchter;

Braun die Buben, nur der Jüngste

Mit dem einz'gen Ohr ist schwarz.

Dieser Jüngste war das Herzblatt

Seiner Mutter, die ihm spielend

Abgebissen einst ein Ohr;

Und sie fraß es auf vor Liebe.

Ist ein genialer Jüngling,

Für Gymnastik sehr begabt,

Und er schlägt die Purzelbäume

Wie der Turnkunstmeister Maßmann.

Blüte autochthoner Bildung,

Liebt er nur die Muttersprache,

Lernte nimmer den Jargon

Des Hellenen und des Römlings.

Frisch und frei und fromm und fröhlich,

Ist verhaßt ihm alle Seife,

Luxus des modernen Waschens,

Wie dem Turnkunstmeister Maßmann.

Am genialsten ist der Jüngling,

Wenn er klettert auf dem Baume,

Der, entlang der steilsten Felswand,

Aus der tiefen Schlucht emporsteigt

Und hinaufragt bis zur Koppe,

Wo des Nachts die ganze Sippschaft

Sich versammelt um den Vater,

Kosend in der Abendkühle.

Gern erzählt alsdann der Alte,

Was er in der Welt erlebte,

Wie er Menschen viel und Städte

Einst gesehn, auch viel erduldet,

Gleich dem edlen Laertiaden,

Diesem nur darin unähnlich,

Daß die Gattin mit ihm reiste,

Seine schwarze Penelope.

Auch erzählt dann Atta Troll

Von dem kolossalen Beifall,

Den er einst durch seine Tanzkunst

Eingeerntet bei den Menschen.

Er versichert, jung und alt

Habe jubelnd ihn bewundert,

Wenn er tanzte auf den Märkten

Bei der Sackpfeif' süßen Tönen.

Und die Damen ganz besonders,

Diese zarten Kennerinnen,

Hätten rasend applaudiert

Und ihm huldreich zugeäugelt.

Oh, der Künstlereitelkeiten!

Schmunzelnd denkt der alte Tanzbär

An die Zeit, wo sein Talent

Vor dem Publiko sich zeigte.

Übermannt von Selbstbegeistrung,

Will er durch die Tat bekunden,

Daß er nicht ein armer Prahlhans,

Daß er wirklich groß als Tänzer –

Und vom Boden springt er plötzlich,

Stellt sich auf die Hintertatzen,

Und wie eh'mals tanzt er wieder

Seinen Leibtanz, die Gavotte.

Stumm, mit aufgesperrten Schnauzen,

Schauen zu die Bärenjungen,

Wie der Vater hin und her springt

Wunderbar im Mondenscheine.

Caput V

In der Höhle, bei den Seinen,

Liegt gemütskrank auf dem Rücken

Atta Troll, nachdenklich saugt er

An den Tatzen, saugt und brummt:

»Mumma, Mumma, schwarze Perle,

Die ich in dem Meer des Lebens

Aufgefischt, im Meer des Lebens

Hab ich wieder dich verloren!

Werd ich nie dich wiedersehen,

Oder nur jenseits des Grabes,

Wo von Erdenzotteln frei

Sich verkläret deine Seele?

Ach! vorher möcht ich noch einmal

Lecken an der holden Schnauze

Meiner Mumma, die so süße,

Wie mit Honigseim bestrichen!

Möchte auch noch einmal schnüffeln

Den Geruch, der eigentümlich

Meiner teuren schwarzen Mumma,

Und wie Rosenduft so lieblich!

Aber ach! die Mumma schmachtet

In den Fesseln jener Brut,

Die den Namen Menschen führet,

Und sich Herrn der Schöpfung dünkelt.

Tod und Hölle! Diese Menschen,

Diese Erzaristokraten,

Schaun auf das gesamte Tierreich

Frech und adelstolz herunter,

Rauben Weiber uns und Kinder,

Fesseln uns, mißhandeln, töten

Uns sogar, um zu verschachern

Unsre Haut und unsern Leichnam!

Und sie glauben sich berechtigt,

Solche Untat auszuüben

Ganz besonders gegen Bären,

Und sie nennen's Menschenrechte!

Menschenrechte! Menschenrechte!

Wer hat euch damit belehnt?

Nimmer tat es die Natur,

Diese ist nicht unnatürlich.

Menschenrechte! Wer gab euch

Diese Privilegien?

Wahrlich nimmer die Vernunft,

Die ist nicht so unvernünftig!

Menschen, seid ihr etwa besser

Als wir andre, weil gesotten

Und gebraten eure Speisen?

Wir verzehren roh die unsern,

Doch das Resultat am Ende

Ist dasselbe – Nein, es adelt

Nicht die Atzung; der ist edel,

Welcher edel fühlt und handelt.

Menschen, seid ihr etwa besser,

Weil ihr Wissenschaft und Künste

Mit Erfolg betreibt? Wir andre

Sind nicht auf den Kopf gefallen.

Gibt es nicht gelehrte Hunde?

Und auch Pferde, welche rechnen

Wie Kommerzienräte? Trommeln

Nicht die Hasen ganz vorzüglich?

Hat sich nicht in Hydrostatik

Mancher Biber ausgezeichnet?

Und verdankt man nicht den Störchen

Die Erfindung der Klistiere?

Schreiben Esel nicht Kritiken?

Spielen Affen nicht Komödie?

Gibt es eine größre Mimin,

Als Batavia, die Meerkatz'?

Singen nicht die Nachtigallen?

Ist der Freiligrath kein Dichter?

Wer besäng den Löwen besser

Als sein Landsmann, das Kamel?

In der Tanzkunst hab ich selber

Es so weit gebracht wie Raumer

In der Schreibkunst – schreibt er besser,

Als ich tanze, ich der Bär?

Menschen, warum seid ihr besser

Als wir andre? Aufrecht tragt ihr

Zwar das Haupt, jedoch im Haupte

Kriechen niedrig die Gedanken.

Menschen, seid ihr etwa besser

Als wir andre, weil eu'r Fell

Glatt und gleißend? Diesen Vorzug

Müßt ihr mit den Schlangen teilen.

Menschenvolk, zweibein'ge Schlangen,

Ich begreife wohl, warum ihr

Hosen tragt! Mit fremder Wolle

Deckt ihr eure Schlangennacktheit.

Kinder! hütet euch vor jenen

Unbehaarten Mißgeschöpfen!

Meine Töchter! Traut nur keinem

Untier, welches Hosen trägt!«

Weiter will ich nicht berichten,

Wie der Bär in seinem frechen

Gleichheitsschwindel räsonierte

Auf das menschliche Geschlecht.

Denn am Ende bin ich selber

Auch ein Mensch, und wiederholen

Will ich nimmer die Sottisen,

Die am Ende sehr beleid'gend.

Ja, ich bin ein Mensch, bin besser

Als die andern Säugetiere;

Die Intressen der Geburt

Werd ich nimmermehr verleugnen.

Und im Kampf mit andern Bestien

Werd ich immer treulich kämpfen

Für die Menschheit, für die heil'gen

Angebornen Menschenrechte.

Caput VI

Doch es ist vielleicht ersprießlich

Für den Menschen, der den höhern

Viehstand bildet, daß er wisse,

Was da unten räsoniert wird.

Ja, da unten in den düstern

Jammersphären der Gesellschaft,

In den niedern Tierweltschichten,

Brütet Elend, Stolz und Groll.

Was naturgeschichtlich immer,

Also auch gewohnheitsrechtlich,

Seit Jahrtausenden bestanden,

Wird negiert mit frecher Schnauze.

Von den Alten wird den Jungen

Eingebrummt die böse Irrlehr',

Die auf Erden die Kultur

Und Humanität bedroht.

»Kinder« – grommelt Atta Troll,

Und er wälzt sich hin und her

Auf dem teppichlosen Lager –

»Kinder, uns gehört die Zukunft!

Dächte jeder Bär und dächten

Alle Tiere so wie ich,

Mit vereinten Kräften würden

Wir bekämpfen die Tyrannen.

Es verbände sich der Eber

Mit dem Roß, der Elefant

Schlänge brüderlich den Rüssel

Um das Horn des wackern Ochsen;

Bär und Wolf, von jeder Farbe,

Bock und Affe, selbst der Hase,

Wirkten ein'ge Zeit gemeinsam,

Und der Sieg könnt uns nicht fehlen.

Einheit, Einheit ist das erste

Zeitbedürfnis. Einzeln wurden

Wir geknechtet, doch verbunden

Übertölpeln wir die Zwingherrn.

Ende der Leseprobe aus 108 Seiten

Details

Titel
Atta Troll - Ein Sommernachtstraum
Autor
Jahr
2009
Seiten
108
Katalognummer
V121705
ISBN (eBook)
9783640257102
ISBN (Buch)
9783640257195
Dateigröße
722 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Atta, Troll, Sommernachtstraum
Arbeit zitieren
Heinrich Heine (Autor:in), 2009, Atta Troll - Ein Sommernachtstraum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121705

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