Deutschland - Ein Wintermärchen


Klassiker, 2009

98 Seiten

Heinrich Heine (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

Caput I

Caput II

Caput III

Caput IV

Caput V

Caput VI

Caput VII

Caput VIII

Caput IX

Caput X

Caput XI

Caput XII

Caput XIII

Caput XIV

Caput XV

Caput XVI

Caput XVII

Caput XVIII

Caput XIX

Caput XX

Caput XXI

Caput XXII

Caput XXIII

Caput XXIV

Caput XXV

Caput XXVI

Caput XXVII

Vorwort

Das nachstehende Gedicht schrieb ich im diesjährigen Monat Januar zu Paris, und die freie Luft des Ortes wehete in manche Strophe weit schärfer hinein, als mir eigentlich lieb war. Ich unterließ nicht, schon gleich zu mildern und auszuscheiden, was mit dem deutschen Klima unverträglich schien. Nichtsdestoweniger, als ich das Manuskript im Monat März an meinen Verleger nach Hamburg schickte, wurden mir noch mannigfache Bedenklichkeiten in Erwägung gestellt. Ich mußte mich dem fatalen Geschäfte des Umarbeitens nochmals unterziehen, und da mag es wohl geschehen sein, daß die ernsten Töne mehr als nötig abgedämpft oder von den Schellen des Humors gar zu heiter überklingelt wurden. Einigen nackten Gedanken habe ich im hastigen Unmut ihre Feigenblätter wieder abgerissen, und zimperlich spröde Ohren habe ich vielleicht verletzt. Es ist mir leid, aber ich tröste mich mit dem Bewußtsein, daß größere Autoren sich ähnliche Vergehen zuschulden kommen ließen. Des Aristophanes will ich zu solcher Beschönigung gar nicht erwähnen, denn der war ein blinder Heide, und sein Publikum zu Athen hatte zwar eine klassische Erziehung genossen, wußte aber wenig von Sittlichkeit. Auf Cervantes und Molière könnte ich mich schon viel besser berufen; und ersterer schrieb für den hohen Adel beider Kastilien, letzterer für den großen König und den großen Hof von Versailles! Ach, ich vergesse, daß wir in einer sehr bürgerlichen Zeit leben, und ich sehe leider voraus, daß viele Töchter gebildeter Stände an der Spree, wo nicht gar an der Alster, über mein armes Gedicht die mehr oder minder gebogenen Näschen rümpfen werden! Was ich aber mit noch größerem Leidwesen voraussehe, das ist das Zeter jener Pharisäer der Nationalität, die jetzt mit den Antipathien der Regierungen Hand in Hand gehen, auch die volle Liebe und Hochachtung der Zensur genießen und in der Tagespresse den Ton angeben können, wo es gilt, jene Gegner zu befehden, die auch zugleich die Gegner ihrer allerhöchsten Herrschaften sind. Wir sind im Herzen gewappnet gegen das Mißfallen dieser heldenmütigen Lakaien in schwarzrotgoldner Liv. Ich höre schon ihre Bierstimmen: »Du lästerst sogar unsere Farben, Verächter des Vaterlands, Freund der Franzosen, denen du den freien Rhein abtreten willst!« Beruhigt euch. Ich werde eure Farben achten und ehren, wenn sie es verdienen, wenn sie nicht mehr eine müßige oder knechtische Spielerei sind. Pflanzt die schwarzrotgoldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschtums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben. Beruhigt euch, ich liebe das Vaterland ebensosehr wie ihr. Wegen dieser Liebe habe ich dreizehn Lebensjahre im Exile verlebt, und wegen ebendieser Liebe kehre ich wieder zurück ins Exil, vielleicht für immer, jedenfalls ohne zu flennen oder eine schiefmäulige Duldergrimasse zu schneiden. Ich bin der Freund der Franzosen, wie ich der Freund aller Menschen bin, wenn sie vernünftig und gut sind, und weil ich selber nicht so dumm oder so schlecht bin, als daß ich wünschen sollte, daß meine Deutschen und die Franzosen, die beiden auserwählten Völker der Humanität, sich die Hälse brächen zum Besten von England und Rußland und zur Schadenfreude aller Junker und Pfaffen dieses Erdballs. Seid ruhig, ich werde den Rhein nimmermehr den Franzosen abtreten, schon aus dem ganz einfachen Grunde: weil mir der Rhein gehört. Ja, mir gehört er, durch unveräußerliches Geburtsrecht, ich bin des freien Rheins noch weit freierer Sohn, an seinem Ufer stand meine Wiege, und ich sehe gar nicht ein, warum der Rhein irgendeinem andern gehören soll als den Landeskindern. Elsaß und Lothringen kann ich freilich dem deutschen Reiche nicht so leicht einverleiben, wie ihr es tut, denn die Leute in jenen Landen hängen fest an Frankreich wegen der Rechte, die sie durch die französische Staatsumwälzung gewonnen, wegen jener Gleichheitsgesetze und freien Institutionen, die dem bürgerlichen Gemüte sehr angenehm sind, aber dem Magen der großen Menge dennoch vieles zu wünschen übriglassen. Indessen, die Elsasser und Lothringer werden sich wieder an Deutschland anschließen, wenn wir das vollenden, was die Franzosen begonnen haben, wenn wir diese überflügeln in der Tat, wie wir es schon getan im Gedanken, wenn wir uns bis zu den letzten Folgerungen desselben emporschwingen, wenn wir die Dienstbarkeit bis in ihrem letzten Schlupfwinkel, dem Himmel, zerstören, wenn wir den Gott, der auf Erden im Menschen wohnt, aus seiner Erniedrigung retten, wenn wir die Erlöser Gottes werden, wenn wir das arme, glückenterbte Volk und den verhöhnten Genius und die geschändete Schönheit wieder in ihre Würde einsetzen, wie unsere großen Meister gesagt und gesungen und wie wir es wollen, wir, die Jünger – ja, nicht bloß Elsaß und Lothringen, sondern ganz Frankreich wird uns alsdann zufallen, ganz Europa, die ganze Welt – die ganze Welt wird deutsch werden! Von dieser Sendung und Universalherrschaft Deutschlands träume ich oft, wenn ich unter Eichen wandle. Das ist mein Patriotismus.

Ich werde in einem nächsten Buche auf dieses Thema zurückkommen, mit letzter Entschlossenheit, mit strenger Rücksichtslosigkeit, jedenfalls mit Loyalität. Den entschiedensten Widerspruch werde ich zu achten wissen, wenn er aus einer Überzeugung her vorgeht. Selbst der rohesten Feindseligkeit will ich alsdann geduldig verzeihen; ich will sogar der Dummheit Rede stehen, wenn sie nur ehrlich gemeint ist. Meine ganze schweigende Verachtung widme ich hingegen dem gesinnungslosen Wichte, der aus leidiger Scheelsucht oder unsauberer Privatgiftigkeit meinen guten Leumund in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen sucht und dabei die Maske des Patriotismus, wo nicht gar die der Religion und der Moral, benutzt. Der anarchische Zustand der deutschen politischen und literarischen Zeitungsblätterwelt ward in solcher Beziehung zuweilen mit einem Talente ausgebeutet, das ich schier bewundern mußte. Wahrhaftig, Schufterle ist nicht tot, er lebt noch immer und steht seit Jahren an der Spitze einer wohlorganisierten Bande von literarischen Strauchdieben, die in den böhmischen Wäldern unserer Tagespresse ihr Wesen treiben, hinter jedem Busch, hinter jedem Blatt versteckt liegen und dem leisesten Pfiff ihres würdigen Hauptmanns gehorchen.

Noch ein Wort. Das »Wintermärchen« bildet den Schluß der »Neuen Gedichte«, die in diesem Augenblick bei Hoffmann und Campe erscheinen. Um den Einzeldruck veranstalten zu können, mußte mein Verleger das Gedicht den überwachenden Behörden zu besonderer Sorgfalt überliefern, und neue Varianten und Ausmerzungen sind das Ergebnis dieser höheren Kritik.

Hamburg, den 17. September 1844

Heinrich Heine

Caput I

Im traurigen Monat November war's,

Die Tage wurden trüber,

Der Wind riß von den Bäumen das Laub,

Da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,

Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen

In meiner Brust, ich glaube sogar

Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,

Da ward mir seltsam zumute;

Ich meinte nicht anders, als ob das Herz

Recht angenehm verblute.

Ein kleines Harfenmädchen sang.

Sie sang mit wahrem Gefühle

Und falscher Stimme, doch ward ich sehr

Gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang von Liebe und Liebesgram,

Aufopfrung und Wiederfinden

Dort oben, in jener besseren Welt,

Wo alle Leiden schwinden.

Sie sang vom irdischen Jammertal,

Von Freuden, die bald zerronnen,

Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt

Verklärt in ew'gen Wonnen.

Sie sang das alte Entsagungslied,

Das Eiapopeia vom Himmel,

Womit man einlullt, wenn es greint,

Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,

Ich kenn auch die Herren Verfasser;

Ich weiß, sie tranken heimlich Wein

Und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,

O Freunde, will ich euch dichten!

Wir wollen hier auf Erden schon

Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,

Und wollen nicht mehr darben;

Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,

Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug

Für alle Menschenkinder,

Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,

Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,

Sobald die Schoten platzen!

Den Himmel überlassen wir

Den Engeln und den Spatzen.

Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,

So wollen wir euch besuchen

Dort oben, und wir, wir essen mit euch

Die seligsten Torten und Kuchen.

Ein neues Lied, ein besseres Lied!

Es klingt wie Flöten und Geigen!

Das Miserere ist vorbei,

Die Sterbeglocken schweigen.

Die Jungfer Europa ist verlobt

Mit dem schönen Geniusse

Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,

Sie schwelgen im ersten Kusse.

Und fehlt der Pfaffensegen dabei,

Die Ehe wird gültig nicht minder –

Es lebe Bräutigam und Braut,

Und ihre zukünftigen Kinder!

Ein Hochzeitkarmen ist mein Lied,

Das bessere, das neue!

In meiner Seele gehen auf

Die Sterne der höchsten Weihe –

Begeisterte Sterne, sie lodern wild,

Zerfließen in Flammenbächen –

Ich fühle mich wunderbar erstarkt,

Ich könnte Eichen zerbrechen!

Seit ich auf deutsche Erde trat,

Durchströmen mich Zaubersäfte –

Der Riese hat wieder die Mutter berührt,

Und es wuchsen ihm neu die Kräfte.

Caput II

Während die Kleine von Himmelslust

Getrillert und musizieret,

Ward von den preußischen Douaniers

Mein Koffer visitieret.

Beschnüffelten alles, kramten herum

In Hemden, Hosen, Schnupftüchern;

Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien,

Auch nach verbotenen Büchern.

Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht!

Hier werdet ihr nichts entdecken!

Die Konterbande, die mit mir reist,

Die hab ich im Kopfe stecken.

Hier hab ich Spitzen, die feiner sind

Als die von Brüssel und Mecheln,

Und pack ich einst meine Spitzen aus,

Sie werden euch sticheln und hecheln.

Im Kopfe trage ich Bijouterien,

Der Zukunft Krondiamanten,

Die Tempelkleinodien des neuen Gotts,

Des großen Unbekannten.

Und viele Bücher trag ich im Kopf!

Ich darf es euch versichern,

Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest

Von konfiszierlichen Büchern.

Glaubt mir, in Satans Bibliothek

Kann es nicht schlimmere geben;

Sie sind gefährlicher noch als die

Von Hoffmann von Fallersleben! –

Ein Passagier, der neben mir stand,

Bemerkte mir, ich hätte

Jetzt vor mir den preußischen Zollverein,

Die große Douanenkette.

»Der Zollverein« – bemerkte er –

»Wird unser Volkstum begründen,

Er wird das zersplitterte Vaterland

Zu einem Ganzen verbinden.

Er gibt die äußere Einheit uns,

Die sogenannt materielle;

Die geistige Einheit gibt uns die Zensur,

Die wahrhaft ideelle –

Sie gibt die innere Einheit uns,

Die Einheit im Denken und Sinnen;

Ein einiges Deutschland tut uns not,

Einig nach außen und innen.«

Caput III

Zu Aachen, im alten Dome, liegt

Carolus Magnus begraben.

(Man muß ihn nicht verwechseln mit Karl

Mayer, der lebt in Schwaben.)

Ich möchte nicht tot und begraben sein

Als Kaiser zu Aachen im Dome;

Weit lieber lebt' ich als kleinster Poet

Zu Stukkert am Neckarstrome.

Zu Aachen langweilen sich auf der Straß'

Die Hunde, sie flehn untertänig:

»Gib uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wird

Vielleicht uns zerstreuen ein wenig.«

Ich bin in diesem langweil'gen Nest

Ein Stündchen herumgeschlendert.

Sah wieder preußisches Militär,

Hat sich nicht sehr verändert.

Es sind die grauen Mäntel noch

Mit dem hohen, roten Kragen –

(Das Rot bedeutet Franzosenblut,

Sang Körner in früheren Tagen.)

Noch immer das hölzern pedantische Volk,

Noch immer ein rechter Winkel

In jeder Bewegung, und im Gesicht

Der eingefrorene Dünkel.

Sie stelzen noch immer so steif herum,

So kerzengrade geschniegelt,

Als hätten sie verschluckt den Stock,

Womit man sie einst geprügelt.

Ja, ganz verschwand die Fuchtel nie,

Sie tragen sie jetzt im Innern;

Das trauliche Du wird immer noch

An das alte Er erinnern.

Der lange Schnurrbart ist eigentlich nur

Des Zopftums neuere Phase:

Der Zopf, der eh'mals hinten hing,

Der hängt jetzt unter der Nase.

Nicht übel gefiel mir das neue Kostüm

Der Reuter, das muß ich loben,

Besonders die Pickelhaube, den Helm

Mit der stählernen Spitze nach oben.

Das ist so rittertümlich und mahnt

An der Vorzeit holde Romantik,

An die Burgfrau Johanna von Montfaucon,

An den Freiherrn Fouqué, Uhland, Tieck.

Das mahnt an das Mittelalter so schön,

An Edelknechte und Knappen,

Die in dem Herzen getragen die Treu'

Und auf dem Hintern ein Wappen.

Das mahnt an Kreuzzug und Turnei,

An Minne und frommes Dienen,

An die ungedruckte Glaubenszeit,

Wo noch keine Zeitung erschienen.

Ja, ja, der Helm gefällt mir, er zeugt

Vom allerhöchsten Witze!

Ein königlicher Einfall war's!

Es fehlt nicht die Pointe, die Spitze!

Nur fürcht ich, wenn ein Gewitter entsteht,

Zieht leicht so eine Spitze

Herab auf euer romantisches Haupt

Des Himmels modernste Blitze! – –

Zu Aachen, auf dem Posthausschild,

Sah ich den Vogel wieder,

Der mir so tief verhaßt! Voll Gift

Schaute er auf mich nieder.

Du häßlicher Vogel, wirst du einst

Mir in die Hände fallen,

So rupfe ich dir die Federn aus

Und hacke dir ab die Krallen.

Du sollst mir dann, in luft'ger Höh',

Auf einer Stange sitzen,

Und ich rufe zum lustigen Schießen herbei

Die rheinischen Vogelschützen.

Wer mir den Vogel herunterschießt,

Mit Zepter und Krone belehn ich

Den wackern Mann! Wir blasen Tusch

Und rufen: »Es lebe der König!«

Caput IV

Zu Köllen kam ich spätabends an,

Da hörte ich rauschen den Rheinfluß,

Da fächelte mich schon deutsche Luft,

Da fühlt ich ihren Einfluß –

Auf meinen Appetit. Ich aß

Dort Eierkuchen mit Schinken,

Und da er sehr gesalzen war,

Mußt ich auch Rheinwein trinken.

Der Rheinwein glänzt noch immer wie Gold

Im grünen Römerglase,

Und trinkst du etwelche Schoppen zuviel,

So steigt er dir in die Nase.

In die Nase steigt ein Prickeln so süß,

Man kann sich vor Wonne nicht lassen!

Es trieb mich hinaus in die dämmernde Nacht,

In die widerhallenden Gassen.

Die steinernen Häuser schauten mich an,

Als wollten sie mir berichten

Legenden aus altverschollener Zeit,

Der heil'gen Stadt Köllen Geschichten.

Ja, hier hat einst die Klerisei

Ihr frommes Wesen getrieben,

Hier haben die Dunkelmänner geherrscht,

Die Ulrich von Hutten beschrieben.

Der Cancan des Mittelalters ward hier

Getanzt von Nonnen und Mönchen;

Hier schrieb Hochstraaten, der Menzel von Köln,

Die gift'gen Denunziatiönchen.

Die Flamme des Scheiterhaufens hat hier

Bücher und Menschen verschlungen;

Die Glocken wurden geläutet dabei

Und Kyrie eleison gesungen.

Dummheit und Bosheit buhlten hier

Gleich Hunden auf freier Gasse;

Die Enkelbrut erkennt man noch heut

An ihrem Glaubenshasse. –

Doch siehe! dort im Mondenschein

Den kolossalen Gesellen!

Er ragt verteufelt schwarz empor,

Das ist der Dom von Köllen.

Er sollte des Geistes Bastille sein,

Und die listigen Römlinge dachten:

In diesem Riesenkerker wird

Die deutsche Vernunft verschmachten!

Da kam der Luther, und er hat

Sein großes »Halt!« gesprochen –

Seit jenem Tage blieb der Bau

Des Domes unterbrochen.

Er ward nicht vollendet – und das ist gut.

Denn eben die Nichtvollendung

Macht ihn zum Denkmal von Deutschlands Kraft

Und protestantischer Sendung.

Ihr armen Schelme vom Domverein,

Ihr wollt mit schwachen Händen

Fortsetzen das unterbrochene Werk,

Und die alte Zwingburg vollenden!

O törichter Wahn! Vergebens wird

Geschüttelt der Klingelbeutel,

Gebettelt bei Ketzern und Juden sogar;

Ist alles fruchtlos und eitel.

Vergebens wird der große Franz Liszt

Zum Besten des Doms musizieren,

Und ein talentvoller König wird

Vergebens deklamieren!

Er wird nicht vollendet, der Kölner Dom,

Obgleich die Narren in Schwaben

Zu seinem Fortbau ein ganzes Schiff

Voll Steine gesendet haben.

Er wird nicht vollendet, trotz allem Geschrei

Der Raben und der Eulen,

Die, altertümlich gesinnt, so gern

In hohen Kirchtürmen weilen.

Ja, kommen wird die Zeit sogar,

Wo man, statt ihn zu vollenden,

Die inneren Räume zu einem Stall

Für Pferde wird verwenden.

»Und wird der Dom ein Pferdestall,

Was sollen wir dann beginnen

Mit den Heil'gen Drei Kön'gen, die da ruhn

Im Tabernakel da drinnen?«

So höre ich fragen. Doch brauchen wir uns

In unserer Zeit zu genieren?

Die Heil'gen Drei Kön'ge aus Morgenland,

Sie können woanders logieren.

Folgt meinem Rat und steckt sie hinein

In jene drei Körbe von Eisen,

Die hoch zu Münster hängen am Turm,

Der Sankt Lamberti geheißen.

Der Schneiderkönig saß darin

Mit seinen beiden Räten,

Wir aber benutzen die Körbe jetzt

Für andre Majestäten.

Zur Rechten soll Herr Balthasar,

Zur Linken Herr Melchior schweben,

In der Mitte Herr Gaspar – Gott weiß, wie einst

Die drei gehaust im Leben!

Die Heil'ge Allianz des Morgenlands,

Die jetzt kanonisieret,

Sie hat vielleicht nicht immer schön

Und fromm sich aufgeführet.

Der Balthasar und der Melchior,

Das waren vielleicht zwei Gäuche,

Die in der Not eine Konstitution

Versprochen ihrem Reiche,

Und später nicht Wort gehalten – Es hat

Herr Gaspar, der König der Mohren,

Vielleicht mit schwarzem Undank sogar

Belohnt sein Volk, die Toren!

Caput V

Und als ich an die Rheinbrück' kam,

Wohl an die Hafenschanze,

Da sah ich fließen den Vater Rhein

Im stillen Mondenglanze.

»Sei mir gegrüßt, mein Vater Rhein,

Wie ist es dir ergangen?

Ich habe oft an dich gedacht

Mit Sehnsucht und Verlangen.«

So sprach ich, da hört ich im Wasser tief

Gar seltsam grämliche Töne,

Wie Hüsteln eines alten Manns,

Ein Brümmeln und weiches Gestöhne:

»Willkommen, mein Junge, das ist mir lieb,

Daß du mich nicht vergessen;

Seit dreizehn Jahren sah ich dich nicht,

Mir ging es schlecht unterdessen.

Zu Biberich hab ich Steine verschluckt,

Wahrhaftig, sie schmeckten nicht lecker!

Doch schwerer liegen im Magen mir

Die Verse von Niklas Becker.

Er hat mich besungen, als ob ich noch

Die reinste Jungfer wäre,

Die sich von niemand rauben läßt

Das Kränzlein ihrer Ehre.

Wenn ich es höre, das dumme Lied,

Dann möcht ich mir zerraufen

Den weißen Bart, ich möchte fürwahr

Mich in mir selbst ersaufen!

Daß ich keine reine Jungfer bin,

Die Franzosen wissen es besser,

Sie haben mit meinem Wasser so oft

Vermischt ihr Siegergewässer.

Das dumme Lied und der dumme Kerl!

Er hat mich schmählich blamieret,

Gewissermaßen hat er mich auch

Politisch kompromittieret.

Denn kehren jetzt die Franzosen zurück,

So muß ich vor ihnen erröten,

Ich, der um ihre Rückkehr so oft

Mit Tränen zum Himmel gebeten.

Ich habe sie immer so liebgehabt,

Die lieben kleinen Französchen –

Singen und springen sie noch wie sonst?

Tragen noch weiße Höschen?

Ich möchte sie gerne wiedersehn,

Doch fürcht ich die Persiflage,

Von wegen des verwünschten Lieds,

Von wegen der Blamage.

Der Alfred de Musset, der Gassenbub',

Der kommt an ihrer Spitze

Vielleicht als Tambour, und trommelt mir vor

All seine schlechten Witze.«

So klagte der arme Vater Rhein,

Konnt sich nicht zufriedengeben.

Ich sprach zu ihm manch tröstendes Wort,

Um ihm das Herz zu heben:

»O fürchte nicht, mein Vater Rhein,

Den spöttelnden Scherz der Franzosen;

Sie sind die alten Franzosen nicht mehr,

Auch tragen sie andere Hosen.

Die Hosen sind rot und nicht mehr weiß,

Sie haben auch andere Knöpfe,

Sie singen nicht mehr, sie springen nicht mehr,

Sie senken nachdenklich die Köpfe.

Sie philosophieren und sprechen jetzt

Von Kant, von Fischte und Hegel,

Sie rauchen Tabak, sie trinken Bier,

Und manche schieben auch Kegel.

Sie werden Philister ganz wie wir,

Und treiben es endlich noch ärger;

Sie sind keine Voltairianer mehr,

Sie werden Hengstenberger.

Der Alfred de Musset, das ist wahr,

Ist noch ein Gassenjunge;

Doch fürchte nichts, wir fesseln ihm

Die schändliche Spötterzunge.

Und trommelt er dir einen schlechten Witz,

So pfeifen wir ihm einen schlimmern,

Wir pfeifen ihm vor, was ihm passiert

Bei schönen Frauenzimmern.

Gib dich zufrieden, Vater Rhein,

Denk nicht an schlechte Lieder,

Ein besseres Lied vernimmst du bald –

Leb wohl, wir sehen uns wieder.«

Ende der Leseprobe aus 98 Seiten

Details

Titel
Deutschland - Ein Wintermärchen
Autor
Jahr
2009
Seiten
98
Katalognummer
V121704
ISBN (eBook)
9783640257065
ISBN (Buch)
9783640257096
Dateigröße
601 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutschland, Wintermärchen
Arbeit zitieren
Heinrich Heine (Autor:in), 2009, Deutschland - Ein Wintermärchen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121704

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