Drusen in Israel

Identität und Selbstverständnis der zeitgenössischen israelischen Drusen


Hausarbeit, 2007

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung: Drusen in Israel - ein Sonderfall ?

2 Geschichte
2.1 al-Häkim
2.2 Hamza und Darazï

3 Die Religion

4 Die Gesellschaft

5 Die Drusen in Israel
5.1 Drusen vor der Staatsgründung Israels
5.2 Drusen nach der Staatsgründung
5.3 Drusische Identität in Israel
5.3.1 Das politische System
5.3.2 Das Rechtssystem
5.3.3 Die Drusen im Golan
5.3.4 Diskriminierungen
5.4 Der religiöse Rat
5.5 Bildung
5.6 Der Schrein von Šu'aib
5.7 Die Armee
5.7.1 Wehrdienst
5.7.2 Einsatz

6 Drusische Identität
6.1 Drusische Identität in der Literatur
6.2. Konzept der Erinnerungsgemeinschaft

7 Versuch eines Ausblickes

8 Literatur

1 Einleitung: Drusen in Israel - ein Sonderfall ?

Sie sprechen Arabisch, ihr Glaube ist geheim und der Dienst in der israelischen Armee ist für sie obligatorisch. Obwohl die Drusen viele kulturelle Gemeinsamkeiten mit den Paläs­tinensern haben, sehen sie sich primär als Teil der israelischen Nation. Die Rede ist von den israelischen Drusen, Staatsbürgern Israels, die gleichzeitig zur großen Gemeinschaft der Drusen gehören.

Sie gelten als eine arabische, religiöse Gruppierung im Vorderen Orient, die sich im 11. Jahrhundert vom orthodoxen Islam abspaltete. Einerseits verstehen die Drusen sich als Teil der großen arabischen umma und versuchen vom Mehrheitsislam als Teil der arabischen Gemeinschaft/Gesellschaft anerkannt zu werden.[1] Andererseits haben sie schon immer versucht, sich mit den jeweiligen Herrschern gut zu stellen, um so ihre Glaubensgemeinschaft zu erhalten und lokale Macht zu sichern. Die Drusen sind für ihre Loyalität gegenüber der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft bekannt. Dies gilt für die Zeit des osmanischen Reichs wie auch für die Drusen im heutigen Staat Israel[2], der mit seiner Politik des 'divide et impera' von den Drusen Loyalität erwirbt, indem er ihnen Autonomie gibt.

In dieser Arbeit möchte ich aufzeigen, dass durch gemeinsame Interessen der drusischen Eliten und der israelischen Verwaltung eine eigens drusische Identität konstruiert wird, wo­nach sich die israelischen Drusen nicht mehr als Part der großen arabischen umma sehen, sondern als loyaler Bestandteil der israelischen Nation. Ich werde Mechanismen auf politischer, rechtlicher und militärischer Ebene darstellen und analysieren, die zur Konstruktion jener drusischen Identität führen.

Den theoretischen Rahmen bildet das Konzept Jan Assmanns, nach dem sich jede „Wir- Gruppe“ als eine Erinnerungs- und Schicksalsgemeinschaft charakterisieren lässt. Das kollektive kulturelle Gedächtnis spielt für die Identität einer Gruppe die entscheidende Rolle. Mit diesem Konzept möchte ich erstens erklären, wie die drusische Kohäsion sich über mehr als tausend Jahre erhalten konnte und zweitens die angenommene jüdisch- drusische Konstruktion erhellen.

Am Anfang steht ein kurzer historischer Abriss der drusischen Religionsgemeinschaft und eine Einführung in die drusische Religion und Gesellschaft. Im zweiten Teil widme ich mich den Drusen in Israel, dem Leben vor und unter israelischer Herrschaft. Hier zeige ich die Identitätskonstruktion auf politischer, rechtlicher und militärischer Ebene auf. Im dritten Teil beschäftige ich mich mit der drusischen Identität in der Literatur sowie dem Konzept der Erinnerungsgemeinschaft, abschließend mit dem Versuch eines Ausblicks.

Die arabischen Termini sind wie bei Arbeiten in diesem Fachbereich üblich in der DMG- Umschrift transferiert.

2 Geschichte

Die Geschichte der Drusen ist stark mit dem sechsten Fatimidenkalifen al-Häkim bi-Amri- Allah (997 - 1021 n. Chr.) verbunden. Die Herrschaft der Fatimiden reichte von 909 - 1171 n. Chr. und hatte ihrZentrum in Kairo. AlsAbspaltung der Siebenerschiiten erkennen sie Ismail als den den siebten Kalifen an, der in die übersinnliche Welt eingegangen ist und die Urreligen wiederherstellen wird.

2.1 al-Häkim

Der sechste Fatimidenkalif al-Häkim besitzt für den Glauben der Drusen besondere Be­deutung: Er wird als letzte Reinkarnation Gottes angesehen. Bei den zahlreich vorhandenen Geschichten über die Taten al-Häkims ist schwer zu unterscheiden, welche geschichtlich belegt sind und welche von pro-abbasidischen Schreibern und Christen hinzugedichtet wurden. Jedenfalls wird al-Häkim in der Literatur häufig als exzentrischer Herrscher mit jähzornigen Gefühlsausbrüchen beschrieben. Demnach nahm er willkürliche Hinrichtungen vor und, um den schiitischen Glauben weiter zu verbreiten, ließ er ab 1008 Kirchen und Synagogen plündern und zerstören. Diese Maßnahmen machte er allerdings später wieder rückgängig.[3] Er verstand sich selbst als Treuhänder Gottes (amïn alläh) mit dem Ziel, aus seinem Volk eine ideale Gemeinde (umma) unter einem vorbildlichen Lehrer (imäm) zu machen.[4] Als die viele Dekrete, mit denen er den Weingenuss verbat, wirkungslose blieben, verbot er nicht nur den Wein, sondern ließ auch die Rohstoffe - Trauben, Rosinen und Honig-vernichten.[5]

Jedoch auch positive Leistungen al-Häkims werden berichtet. Zu seinen bedeutendsten Schöpfungen zählt die Gründung einer wissenschaftlichen Akademie, des dar al-'ilm mit einer zur damaligen Zeit einmaligen Bibliothek. Die Rätselhaftigkeit seines Wesens führte zu Vermutungen über einen übernatürlichen Charakter Häkims, da die Manifestation Gottes für die Menschen niemals vollständig zu verstehen sei.

In seinen letzten Lebensjahren begann er sich in Wollgewänder zu kleiden und auf einem Esel zu reiten. Von einem Ausritt kehrte er nicht mehr zurück und es wird angenommen, dass seine Schwester Stitt el-Mulk ihn ermorden ließ.

Während der letzten Regierungsjahre des Kalifen trat eine sektiererische Lehre hervor, die in al-Häkim eine Inkarnation Gottes sah und dies mit dem Ende des islamischen Gesetzes verband.[6] Daraus gründete sich die Lehre der Drusen.

2.2 Hamza und DarazJ

Als Gründer des Drusentums gilt Hamza ibn 'AU, der von der Göttlichkeit al-Häkims über­zeugt war und die neue Lehre in Kairo verbreitete. Seine Schriften bildeten das Funda­ment des Kanons der Drusen. Der Kanon l-hikma aš-šarífa („Das Edle Wissen“) umfasst 11 Epistel und ist in sechs Büchern angeordnet.

Hamza entwickelte das drusische Gottesverständnis, wonach Gott für die Menschen nicht fassbar ist und alles und jedes durchdringt. Er glaubte zudem, dass Gott sich in Häkim zum letzten Mal manifestiert habe und erst zum jüngsten Gericht wiedererscheinen werde. Von Häkim selbst sind keine Reaktionen aufdie neue Lehre berichtet.

„Inwieweit al-Häkim das Treiben dieses Propheten geduldet oder gar ermuntert hat und ob er selbst der 'Versuchung der Göttlichkeit [van Ess] erlegen ist, bleibt ungewiss, eine eindeutige Stellungnahme zugunsten der neuen Lehre hat erjedenfalls nicht abgegeben.“[7]

Der ominöse Abgang al-Häkims verstärkte die Vorstellung seiner Göttlichkeit noch mehr. Al-Hamza verband die neue Lehre mit neoplatonischen Theorien, ließ Anklänge gnostisch- er Sekten einfließen und erschufso einen theoretischen Hintergrund für die neue Religion.

Ein weiterer Missionar der neuen Lehre war der aus Persien stammende Muhammad ibn Ismä'TI ad-DarazJ. Nach ihm wurden die Anhänger des neuen Glaubens als darazi benannt; diese Bezeichnung und ihre Pluralform durüz haben bis heute Bestand.

Hamza und DarazJ verbreiteten die neue Lehre (da'wa), die sich nicht nur als neue Sekte des Islam verstand, sondern vielmehr als neue Religion eine eigene Kosmologie propa­gierte, die antinomisch ausgerichtet, das Ende des islamischen Rechts verkündete. Zwischen DarazJ und Hamza kam es zu Auseinandersetzungen über die Methode der Missionierung. DarazJ bekehrte die Menschen gewaltvoll mit Einschüchterung und Bedrohung, wogegen Hamzä aufdie StärkewohlüberlegterArgumente vertraute.[8] Der neue Glaube wurde nach Häkims Tod von dessen Nachfolger Kalif az-Zähir (1021 - 1036) stark verfolgt, der die neue Lehre nicht anerkannte. Die Drusen flüchteten daraufhin in den Untergrund.

„Damit hatte die Verkündigung der drusischen Glaubenslehren nach einer relativ kurzen Phase aktiver Missionierung Mitte des 11. Jahrhunderts ein Ende: Das Tor der da'wa war geschlossen. Die Drusen wurden zu einer 'geschlossenen' Gemein­schaft, die Eheschließungen mit Außenstehenden verbot, ihre Lehre geheim hielt und sich durch taqïya [...] ihrem jeweiligen Umfeld anzupassen versuchte.[9]

Als die Drusen selbst im Untergrund unter der fatimidischen Herrschaft Unterdrückung ausgesetzt waren, wanderten sie in das Gebiet des heutigen Libanon aus, der bis heute als Zentrum der Drusen gilt. Von dort siedelten sie am Berg Hermon und verbreiteten sich weiter in die Schuf-Berge, nach Galiläa und bis zum Karmelberg bei Haifa. Einige zogen auch nach Syrien, ins haurän, in die Vororte von Damaskus und in die Gegend um Aleppo. Nach dem Zerfall des osmanischen Reichs und der Entstehung der Nationalstaaten im Nahen Osten sahen sich die Drusen Mitte des 20. Jahrhunderts plötzlich in drei voneinander stark variierenden politischen und sozialen Systemen verteilt: Syrien, Libanon und Israel.

3 Die Religion

Die Drusen bezeichnen sich selbst als muwahhidün und ihren Glauben entsprechend als din at-tawhld. Damit wird in ihrem Glauben der zentrale Stellenwert an die Einheit Gottes deutlich.

Nach drusischem Glauben hat sich Gott zehnmal in menschlicher Gestalt offenbart, das letzte Mal in der Verkörperung al-Häkims. Seitdem herrscht die Zeit der gaiba („Abwesen­heit“), die für die Drusen eine Zeit der Probe und Prüfung ist, ist der sie keinen direkten Zugang mehr zum tawhld haben und umso standfester in ihrem Glauben sein müssen. Weiterhin ist Gott für sie nicht nur der Schöpfer der Welt, sondern die Welt selbst. Gott erschuf den Allintellekt, al-aql al-kulll.

Zentraler Bestandteil der drusischen Religion sind die fünf kosmischen Prinzipien (hudüd), die sich auch in den fünf Farben (grün, rot, gelb, blau, weiss) der drusischen Flagge widerspiegeln. Vom 'aql, der Weisheit (dem Licht) schuf Gott die universelle Seele (an- nafs al-kullJya). Vom Licht der Seele entstand das Wort (kalima) und vom Wort der Vorhergehende (as-säbiq) und daraus der Folgende.[10] Dies bildet die fünf kosmischen Prinzipien Intelligenz, Seele, Wort, Vorhergehender, Nachfolgender.

Die Drusen glauben an die Seelenwanderung (taqammus), wobei der Körper nur eine Hül­le für die Seele darstellt, die, sobald der Druse stirbt, in einem anderen drusischen Körper wiedergeboren wird.[11] Der Glaube an die Reinkarnation entbindet die Drusen von der Vorstellung eines Paradieses. Dieses existiert zwar in der Religion der Drusen, hat aber nur spirituellen Charakter.[12]

Zentraler Bestandteil der drusischen Religion ist auch die taqiyya, die Verstellung. Das zum Schutz des Glaubens in einer feindlichen Mehrheitsgesellschaft bei vielen schiitischen Strömungen erlaubte Konzept der taqiyya beinhaltet das Unterlassen des Pflichtmäßigen und Tun des Tabuisierten, um in feindlicher Umgebung nicht aufzufallen und damit der Religionsgemeinschaft zu schaden.

Die Besonderheiten der drusischen Religion sind zentral für die drusische Identität und Selbstverständnis, aufdas ich im zweiten Teil derArbeit eingehen werde.

[...]


[1] Vgl. Klein S.9f.

[2] Ausnahme ist der Drusenaufstand 1920 im Hadramaut gegen die Franzosen, der sich zu einem gesamtarabischen Aufstand ausweitete.

[3] Vgl. Klein, S. 27.

[4] Vgl. Halm1987, S. 177.

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. ebd.

[7] Halm, 1987, S. 182.

[8] Vgl. Klein, S. 32.

[9] Schenk, S. 46f.

[10] Vgl. Klein, S. 36f.

[11] Dabei kann man immer nur in einem Menschen, genauer nur in einem Drusen wiedergeboren werden und nicht in Tieren, wie es beispielsweise bei den Nusairiern der Fall ist.

[12] Vgl. Ebd S. 46.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Drusen in Israel
Untertitel
Identität und Selbstverständnis der zeitgenössischen israelischen Drusen
Hochschule
Universität Leipzig  (Orientalisches Institut)
Veranstaltung
Islamische Häresien
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
24
Katalognummer
V121538
ISBN (eBook)
9783640263301
ISBN (Buch)
9783640263370
Dateigröße
520 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Drusen, Minderheiten in Israel, Schrein von Shu'aib, invented tradition, Heiligenschreine, Israel
Arbeit zitieren
Anselm Schelcher (Autor:in), 2007, Drusen in Israel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121538

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