Wandel der Mitarbeiterführung bei kommunalen und regionalen Energieversorgungsunternehmen als Konsequenz der Veränderung energiewirtschaftlicher Rahmenbedingungen


Diplomarbeit, 2008

126 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhangverzeichnis

1 Einleitung, Problemstellung und Aufbau

2 Die Veränderung der energierechtlichen Rahmenbedingungen auf dem deutschen Strom- und Gasmarkt
2.1 Der Strom- und Gasbinnenmarkt vor der Liberalisierung
2.1.1 Die Energiewirtschaft als wettbewerbspolitischer Ausnahmebereich
2.1.2 Die wirtschaftliche Struktur der Energiewirtschaft in Deutschland
2.2 Grundlegende Informationen zur Liberalisierung des Energiebinnenmarktes – Energieversorgungsunternehmen im Zwiespalt von Ökonomie und öffentlichen Interessen
2.3 Die gesetzlichen Entwicklungen des Energiebinnenmarktes
2.3.1 Die EU-Binnenmarktrichtlinien von 1996 bzw. 1998 und die Beschleunigungsrichtlinien von 2003 für Strom und Gas
2.3.2 Das neue EnWG im Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts von 1998 und dessen Novellierung in 2003
2.3.3 Das neue EnWG im zweiten Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts von 2005
2.3.4 Zukünftige europarechtliche Entwicklungen
2.4 Auswirkungen der neuen rechtlichen Rahmenbedingungen auf die Unternehmensorganisation und -prozesse in Energieversorgungsunternehmen

3 Möglichkeiten zur professionellen Bewältigung von Veränderungsprozessen
3.1 Change-Management als Konzept zum Umgang mit Veränderungsprozessen in der Energiewirtschaft
3.2 Theoretische Grundlagen des Change-Managements
3.2.1 Segmente und Aspekte des Change-Managements
3.2.2 Ablauf von Veränderungsprozessen
3.3 Ausgewählte Arten von Veränderungsprozessen
3.3.1 Business (Process) Reengineering
3.3.2 Organisationsentwicklung
3.3.3 Lean Management (Kaizen)
3.3.4 Lernende Organisation

4 Theorie der (Mitarbeiter-) Führung
4.1 Der Führungsbegriff in der Betriebswirtschaftslehre
4.1.1 Entwicklung des Führungsphänomens und Begriffsklärung
4.1.2 Einordnung der Personalführung in die Managementlehre
4.2 Theorien der Personalführung
4.2.1 Einführende Aussagen zu Führungstheorien
4.2.2 Eigenschaftstheorie
4.2.3 Rollentheorie
4.2.4 Situationstheorie
4.2.5 Interaktionstheorie

5 Führungsstile und -modelle
5.1 Der Begriff Führungsstil
5.2 Idealtypische Ansätze von Führungsstilen
5.2.1 Die Idealtypen nach Max Weber
5.2.2 Das Führungsstil-Kontinuum nach Tannenbaum/Schmidt
5.3 Realtypische Ansätze von Führungsstilen
5.3.1 Die Iowa-Studien
5.3.2 Die Ohio-Studien
5.4 Präskriptive Modelle als reale Führungshilfen
5.4.1 Das Kontingenzmodell nach Fiedler
5.4.2 Das Entscheidungsmodell nach Vroom/Yetton
5.4.3 Das Verhaltensgitter nach Blake/Mouton
5.4.4 Die Reifegradtheorie nach Hersey/Blanchard
5.5 „Moderne“ Normkonzepte der Mitarbeiterführung für die Führungspraxis
5.5.1 Transaktionale und transformationale Führung
5.5.2 Internes Unternehmertum
5.5.3 Vertrauen als beziehungsorientiertes Führungskonzept
5.5.4 Systemische Führung

6 Führung unter neuen Rahmenbedingungen
6.1 Einführung
6.2 Allgemeine Aspekte einer Unternehmenskultur
6.2.1 Der Begriff „Unternehmenskultur“
6.2.2 Die innere Aufbau einer Unternehmenskultur nach Schein
6.2.3 Die Führungskultur als Teil der Unternehmenskultur
6.3 Mitarbeiterführung in Zeiten des organisationalen Wandels
6.3.1 Gesellschaftlich-ökonomische Entwicklungen des 21. Jahrhunderts und ihre Auswirkungen auf kommunale und regionale Energieversorgungsunternehmen
6.3.2 Das Verhalten von Führungskräften bei Veränderungen der Rahmenbedingungen – Das Management zunehmend komplexer Systeme
6.3.3 Operative Führungsaufgaben zur Begleitung und erfolgreichen Bewältigung von Veränderungsprozessen
6.3.4 Langfristige Veränderung des übergeordneten Führungsparadigmas zur Bewältigung von Komplexität und Dynamik
6.3.5 Coaching als innovatives führungskulturelles Verständnis im neuen Managementparadigma
6.3.6 Personalauswahl von Führungskräften

7 Erhebung von Veränderungen in der Mitarbeiterführung bei Führungskräften in Energieversorgungsunternehmen durch die Liberalisierung des Energiemarktes
7.1 Besonderheiten der durchgeführten Datenerhebung
7.1.1 Die schriftliche Befragung als geeignete Erhebungsmethode
7.1.2 Die Auswahl der befragten Personen
7.1.3 Die Nutzung eines Online-Befragungssystems zur professionellen Durchführung der Befragung
7.1.4 Der allgemeine Aufbau des Fragebogens
7.2 Die Inhalte und die Ziele der Fragen
7.2.1 Einleitende Erklärungen zur Befragung
7.2.2 Allgemeiner Fragenteil zur Teilnehmerstruktur
7.2.3 Fragen zur Auswahl von Führungskräften, zur Führungskultur und zu Führungsgrundsätzen
7.2.4 Fragen zum (idealtypischen) Führungsstil
7.2.5 Fragen zur Charakterisierung des Führungsverständnisses
7.2.6 Fragen zu Verhaltenseigenschaften
7.2.7 Fragen zur Tätigkeitsverteilung
7.3 Auswertung der Ergebnisse
7.3.1 Auswertung der Fragen zur Teilnehmerstruktur
7.3.2 Auswertung der Fragen zur Auswahl von Führungskräften, zur Führungskultur und zu Führungsgrundsätzen
7.3.3 Auswertung der Fragen zum (idealtypischen) Führungsstil
7.3.4 Auswertung der Fragen zur Charakterisierung des Führungsverständnisses
7.3.5 Auswertung der Fragen zu Verhaltenseigenschaften von Führungskräften in Energieversorgungsunternehmen
7.3.6 Auswertung der Fragen zur Tätigkeitsverteilung im Arbeitsalltag

8 Interpretation der Ergebnisse und Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis
Printmedien
Onlinemedien

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Prozessablaufplan von Veränderungsprozessen

Abb. 2: Das Führungsstil-Kontinuum von Tannenbaum/Schmidt

Abb. 3: Fragenblock „Allgemeine Strukturfragen“

Abb. 4: Fragenblock „Kriterien Führungskräfteauswahl“

Abb. 5: Fragenblock „Führungsgrundsätze und Führungskultur“

Abb. 6: Fragenblock „Führungsstile“

Abb. 7: Fragenblock „Führungsverhalten/Führungsverständnis“

Abb. 8: Fragenblock „Verhaltenseigenschaften von Führungskräften“

Abb. 9: Fragenblock „Tätigkeitsverteilung von Führungskräften“

Abb. 10: Ergebnisdiagramme „Allgemeine Strukturfragen“

Abb. 11: Ergebnisdiagramme „Auswahl von Führungskräften“

Abb. 12: Ergebnisdiagramme „Führungsgrundsätze/Führungskultur“

Abb. 13: Ergebnisdiagramme „Führungsstil“

Abb. 14: Ergebnisdiagramme „Idealtypischer Führungsstil“

Abb. 15: Ergebnisdiagramme „Führungsverhalten/Führungsverständnis“

Abb. 16: Ergebnisdiagramme „Verhaltenseigenschaften von Führungskräften“

Abb. 17: Ergebnisdiagramme „Tätigkeitsverteilung von Führungskräften“

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Rollenkonflikte von Führungskräften

Tab. 2: Situationsdeterminanten des Führungshandelns

Anhangverzeichnis

Anhang I: Entwicklung des deutschen Energiewirtschaftsrechts

Anhang II: Die vier Unbundlingformen in tabellarischer Übersicht

Anhang III: Die situative Führungstheorie

Anhang IV: Die Entwicklung und Beeinflussung präskriptiver Führungsmodelle

Anhang V: Das Kontigenzmodell der Führung nach Fiedler

Anhang VI: Das Entscheidungsmodell nach Vroom/Yetton

Anhang VII: Das Verhaltensgitter von Blake/Mouton

Anhang VIII: Das Glockenkurvenmodell der situativen Führung

Anhang IX: Entwicklungsmodell zum Mitunternehmertum

Anhang X: Verhaltensmuster von Führungkräften in Veränderungssituationen

Anhang XI: Coaching: Von der direkten zur indirekten Führung

Anhang XII: Der Fragenbogen Seite 1

Anhang XIII: Der Fragebogen Seite 2

Anhang XIV: Der Fragebogen Seite 3

Anhang XV: Der Fragebogen Seite 4

Anhang XVI: Der Fragebogen Seite 5

Anhang XVII: Der Fragebogen Seite 6

Anhang XVIII: Der Fragebogen Seite 7

Anhang XIX: Der Fragebogen Seite 8

„Das einzig Stetige ist der Wandel“

(Heraklit)

1 Einleitung, Problemstellung und Aufbau

Veränderungen gehören in allen Bereichen zum Leben des Menschen und damit auch zu dem Alltag von Organisationen und Unternehmen. Wandlungsprozesse und damit verbundene Anpassungen entsprechen jedoch oftmals nicht dem menschlichen Bedürfnis nach Stabilität, Sicherheit und Ordnung, woraus ein Spannungsverhältnis entsteht.

Kommunale und regionale Energieversorgungsunternehmen (im weiteren Verlauf EVU) in Deutschland sehen sich seit dem Beginn der europäischen Liberalisierungstendenzen auf den Energiemärkten im Jahre 1996 für den Elektrizitätsbereich und 1998 für den Gassektor, erheblichen, weitestgehend politisch motivierten organisatorischen Veränderungszwängen ausgesetzt. Die erste Wegmarkierung für marktwirtschaftlichen Wettbewerb auf den europäischen Energiemärkten wurde damit gesetzt. Speziell in Deutschland konkretisierten sich diese Bestrebungen durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts im Jahre 1998. Zentrales Ziel des Bundeswirtschaftsministeriums war damals die Einführung von brancheninternem Wettbewerb durch Abschaffung der kartellrechtlichen Bereichsausnahme der Energiewirtschaft, also durch Abschaffung der geschlossenen Versorgungsgebiete von Strom- und Gasversorgern.[1]

Heute befinden sich EVU in einem völlig neuen Umfeld mit sich immer weiter verändernden Umwelt- und Marktbedingungen. Der gesamte Energiesektor in Deutschland ist vor allem gezeichnet von einer erhöhten Wettbewerbsintensität und ist damit auch neuerdings dem beschleunigten gesellschaftlich-ökonomischen Wandel des 21. Jahrhunderts gleichermaßen wie alle andere Branchen ausgesetzt. Wo bis vor einigen Jahren Demarkations- und Konzessionsverträge für feste Versorgungsgebiete und einen festen Abnehmerstamm sorgten, stehen heute die Worte „Kunde“[2] und „Konkurrenz“ auf der Agenda. Die Wechselquote bei den privaten Stromkunden lag im Jahr 2007 immerhin bereits bei 11 %, was ca. 1,3 Millionen Haushaltskunden entspricht.[3] Der Kampf um die Endkunden, dabei ist nicht nur von großen Sondervertragskunden die Rede, sondern auch von den Privatkunden, ist also mittlerweile in vollem Gange. Insbesondere kleinere Stadtwerke können den ruinösen Preisoffensiven größerer Energiekonzerne nur schwer begegnen. Es müssen daher offensive und innovative Strategien entwickelt werden, um langfristig auf dem Energiemarkt bestehen zu können. Im Zuge dessen stellt sich insbesondere für alle kommunalen und regionalen Energieversorger zunehmend die Frage, inwiefern die bisherigen Organisations- und Managementstrukturen den neuen Anforderungen gerecht werden können, wie also dem steigenden Leistungs- und Konkurrenzdruck auf dem Energieendverteilungsmarkt auf operativer Ebene sowie dem weiter fortschreitenden Wandel der gesellschaftlich-ökonomischen Rahmenbedingungen die Stirn geboten werden kann. Neben der strategischen Neupositionierung in den Kerngeschäften, also dem Verkauf von Strom und Gas, z.B. durch neue, differenziertere Preismodelle, können auch neue Produkte oder Unternehmenszusammenschlüsse, z.B. in Form von Fusionen oder strategischen Partnerschaften, ein geeigneter Weg sein, um das langfristige Überleben des jeweiligen EVU zu sichern. Daneben ist es wichtig, alle Organisationsprozesse so effizient und flexibel wie möglich zu gestalten, um dem Kunden weiterhin eine sichere, aber dennoch preislich angemessene Lieferung von Energie zu bieten. Dies ist allerdings auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass der gesetzlich manifestierte Bürokratieaufwand durch die Auflagen der Regulierungsbehörden zur Sicherung des Wettbewerbs immer weiter erheblich steigen wird.

Das Verhalten der Führungskräfte ist künftig zunehmend maßgeblich dafür, wie die notwendigen Organisationsveränderungen und strategischen Neuausrichtungen an die Mitarbeiter verständlich kommuniziert und wie damit zusammenhängende Veränderungsmaßnahmen letztendlich erfolgreich für alle Beteiligten durchgesetzt werden können. Dabei ist es auch sehr wichtig zu beachten, dass Veränderungen oftmals zu einer Umgestaltung von Machtverhältnissen führen, da sich die sozialen Strukturen und Rangordnungen verschieben und es somit fast immer sowohl Gewinner als auch Verlierer innerhalb einer Organisation gibt.[4]

Genau an diesem Punkt soll diese Arbeit ansetzen und versuchen, Aussagen darüber zu finden, wie Führungskräfte den neuen Herausforderungen auf Grund des fundamentalen Wandels in der kommunalen und regionalen Energieversorgung begegnen können. Die zentrale Fragestellung ist also, inwiefern die bisherigen Führungsstrukturen im energiewirtschaftlichen Umfeld, erwachsen aus monopolistischen Marktgegebenheiten, den heutigen Entwicklungen im Sinne der europaweiten Liberalisierungsbestrebungen des Energiemarktes noch gerecht werden können und welche langfristigen Veränderungen das bestehende Führungsparadigma erfahren muss, um dem Wandel sowie der ansteigenden Komplexität und Dynamik im neuen Wettbewerbsumfeld erfolgreich zu begegnen.

Zur Bearbeitung der beschriebenen Aufgabenstellung wurde für diese Arbeit eine Struktur gewählt, die systematisch den Bogen, von den aktuellen energierechtlichen Veränderungen bis hin zu der Feststellung der bereits umgesetzten und ggf. noch notwendigen Veränderungen im Bereich der Mitarbeiterführung im energiewirtschaftlichen Umfeld spannen soll. Im ersten Kapitel werden daher zunächst die Veränderungen und Entwicklungen des europäischen Energierechts und insbesondere deren Auswirkungen auf die deutsche Energiewirtschaft beschrieben. Zentraler Inhalt des darauffolgenden Kapitels ist das Phänomen Change Management, welches eine systematisierte Möglichkeit für das professionelle Managen von Veränderungen darstellt.[5] Es wird auf theoretische Weise beleuchtet, wie mit intern geplanten oder von außen auferlegten Veränderungen umgegangen werden kann. Im dritten Bereich steht das komplette Theoriekonstrukt der Mitarbeiterführung im Vordergrund. Es geht um allgemeine Betrachtungen, Begriffserklärungen sowie die Beschreibung von Führungstheorien, -stilen und -modellen. Als nächstes wird sodann das Thema Führung in eher praxisorientierter Art und Weise zu Zeiten des organisationalen Wandels beleuchtet. Es wird aufgezeigt, in welche Richtung sich das Verhalten von Führungskräften bei Veränderungen der Rahmenbedingungen zum Management zunehmend komplexer Systeme entwickeln muss. Als letzte große Einheit dieser Arbeit erfolgt eine schriftliche Befragung von Führungskräften aus unterschiedlichen Organisationsbereichen in der Energiewirtschaft mittels eines speziellen Online-Fragebogens, welche auf diesem Wege Stellung zu den bereits umgesetzten, aber ggf. noch notwendigen Veränderungen im Bereich der Mitarbeiterführung als Folge des grundsätzlichen Wandels in der Energiewirtschaft nehmen sollen. Abschließend werden die Rückläufe ausgewertet und in einer Schlussfolgerung letztendlich zusammengefasst.

2 Die Veränderung der energierechtlichen Rahmenbedingungen auf dem deutschen Strom- und Gasmarkt

2.1 Der Strom- und Gasbinnenmarkt vor der Liberalisierung

2.1.1 Die Energiewirtschaft als wettbewerbspolitischer Ausnahmebereich

Kaum eine Regelungsmaterie der deutschen Rechtsordnung ist so stark von der Wechselwirkung zwischen Technik, Ökonomie und Recht geprägt wie das Energierecht. So ist die leitungsgebundene Strom- und Gaswirtschaft von politischen Einflüssen der Historie immer wieder sehr stark beeinflusst worden. Während bspw. die Elektrifizierung im vierten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts noch als Luxusgut betrachtet wurde, so wird nach der heutigen Verfassungs- und Rechtssprechungskonzeptionen die Energieversorgung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge gesehen.[6] Die Daseinsvorsorge hat die Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse zu sozial angemessenen Bedingungen zum Zweck und ist Teil der öffentlichen Verwaltung. Der wesentliche Unterschied zu einer privatwirtschaftlichen Betätigung liegt weitestgehend in der Verpflichtung zur Bedürfnisbefriedigung ohne Chance auf Gewinnerzielung.[7] Vor den europaweiten Liberalisierungstendenzen der EU zählten die Versorgungsunternehmen der leitungsgebundenen Energiewirtschaft bisweilen mit der Verkehrs-, Kommunikations-, Agrar-, Kredit- und Versicherungswirtschaft sowie einer Reihe von freien und handwerklichen Berufen zu den wettbewerbspolitischen Ausnahmebereichen in Deutschland. Dies lag daran, dass für den Bereich Energie bis zum Jahre 1998 das 1935 in Kraft getretene Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft – Energiewirtschaftsgesetz (EnergG) – galt. Die Energiewirtschaft wurde seither als wichtige Grundlage des wirtschaftlichen und sozialen Lebens betrachtet, welche unter Einbeziehung der öffentlichen Gebietskörperschaften einheitlich zu führen war und bei der die volks-wirtschaftlich schädlichen Auswirkungen des Wettbewerbs zu verhindern waren.[8] Somit galt die traditionell herrschende Meinung, dass die Strom- und Gaswirtschaft sich nicht für den Wettbewerb eignet, was dazu führte, dass in vielen Staaten die Energieversorgung verstaatlicht bzw. eine Kartellierung durch vereinbarte gegenseitige Wettbewerbsverbote zugelassen wurde.[9] Diese Ausnahmeregelungen stehen in einem fundamentalen Widerspruch zu marktwirtschaftlichen und wettbewerblichen Wirtschaftsstrukturen, wie sie in Deutschland in den Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) aus dem Jahre 1957 konkretisiert sind.[10] Gemäß § 103 Abs. 1 GWB, waren die Energie- und Wasserwirtschaft von den allgemeinen Forderungen des GWB ausgeschlossen, so dass die dort kodifizierten Regelungen bspw. keine Anwendung auf die sogenannten Konzessions- und Demarkationsverträge fanden, welche im Wesentlichen die Marktgebiete der kommunalen und regionalen EVU in der Vergangenheit rechtlich absicherten. In den Konzessionsverträgen war die Höhe der Konzessionsabgabe, welche die Strom- und Gasnetzbetreiber für das ausschließliche Wegerecht innerhalb eines bestimmten Gemeindegebiets zur Verlegung und Wartung ihrer Versorgungsnetze an die jeweilige Kommune entrichteten, geregelt. Demarkationsverträge sind Gebietsabsprachen zwischen Energieversorgern, durch welche diese sich gegenseitig dazu verpflichten, in einem bestimmten Gebiet die Versorgung zu unterlassen.[11] Die Laufzeit dieser wettbewerbsbeschränkenden Vertragskonstellationen durfte gemäß § 103a GWB nicht länger als 20 Jahre betragen. Als Konsequenz bestanden besondere Aufsichts- und Eingriffsrechte des Staates, die im EnergG und im GWB manifestiert waren. Dazu gehörten bspw. die Investitionsaufsicht, die Tarifaufsicht und die Vertragsaufsicht für Tarifkunden.

Die im Folgenden genannten staatlichen Regulierungsmechanismen sind zusammenfassend charakteristisch für Unternehmen in wettbewerbspolitischen Ausnahmebereichen:

- Sie sind staatliches Eigentum oder der Staat ist an diesen Unternehmen beteiligt.
- Es gibt Marktzutritts- und Marktaustrittsregelungen einschließlich Investitionslenkungsmechanismen.
- Es sind Eingriffe in die Preisfestsetzungsautonomie sowie die Gestaltungsfreiheit an Konditionen und Absatzstrukturen der Unternehmen vorhanden.[12]

2.1.2 Die wirtschaftliche Struktur der Energiewirtschaft in Deutschland

In Deutschland hat sich für die öffentliche Stromversorgung eine pluralistische Struktur mit drei Stufen entwickelt, welche in ihrer Grundform auch heute noch weitestgehend Bestand hat:

1) Die Verbundwirtschaft

Die Verbundunternehmen sind für die Großstromproduktion, das Transportnetz (Höchst- und Hochspannungsnetz) und die Frequenzhaltung zuständig. Ihre Kunden sind hauptsächlich Regionalverteiler und Stadtwerke.

2) Die Regionalversorger

Die Regionalversorger übernehmen die flächendeckende Verteilung des Stromes zu Stadtwerken und auch zu Gewerbe- und Privatkunden. Sie betreiben die Mittel- und Niederspannungsnetze.

3) Die kommunalen Energieversorger (Stadtwerke)

Die Stadtwerke beliefern den Strom bis zum Endkunden, also bis zur Steckdose. Auf dieser Stufe war und ist bisher kaum ein Verbundunternehmen oder Regionalversorger tätig.[13]

Im Gassektor sind ähnliche Strukturen sichtbar:

1) Die Produktions- und Förderebene

Das in Deutschland benötigte Erdgas stammt zu über 80 % aus dem Ausland, wie z.B. aus Russland, Norwegen und Niederlande.

2) Die Import- und Großhandelsstufe

Die Importgesellschaften führen das aus dem Ausland stammende Erdgas ein und verteilen es an die regionalen und kommunalen EVU. Das größte Importunternehmen in Deutschland ist die E.ON Ruhrgas AG.

3) Die Verteilerstufe (Stadtwerke)

Die Unternehmen auf dieser Stufe übernehmen die Versorgung von Industrie, Kraftwerken, Haushalten und Kleinverbrauchern im kommunalen und regionalen Bereich.[14]

Wirft man einen Blick auf die Unternehmensstrukturen in der Energiewirtschaft so wird ersichtlich, dass die Abgrenzung der unterschiedlichen Stufen keinesfalls mit dem Tätigwerden jeweils nur auf diesen Stufen agierender Unternehmen korrespondiert. Vielmehr ist gegenwärtig eine Vielzahl von Unternehmen unterschiedlicher vertikaler Integrationstiefe am Markt aktiv. Kommunale und regionale Versorger bedienen dabei vor allem die Verteilungs- und Vertriebsstufe. Wobei die Vertriebsstufe wiederum ein Markt ist, auf dem keine monopolistischen Engpasselemente ersichtlich sind.[15]

2.2 Grundlegende Informationen zur Liberalisierung des Energiebinnenmarktes – Energieversorgungsunternehmen im Zwiespalt von Ökonomie und öffentlichen Interessen

Die Strom- und Gaswirtschaft hat in den letzten 10 Jahren fundamentale Veränderungen erfahren, so dass für diesen Wirtschaftszweig mit Inkrafttreten der europäischen Binnenmarktrichtlinie für Elektrizität (EltRl) im Jahre 1996 und der europäischen Erdgasrichtlinie (GasRl) im Jahre 1998 ein neues Zeitalter begann. Aus heutiger Sicht kann man aber noch nicht sagen, dass dieser Veränderungsprozess bereits abgeschossen ist; vielmehr ist er immer noch in vollem Gange. Durch Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts (EnWG) am 29. April 1998 wurde speziell in Deutschland die gebietsmonopolistisch geprägte Energiewirtschaft und die damit einhergehende Abschottung der Märkte grundlegend verändert. Vor dem Jahre 1998 existierte wie bereits beschrieben in der leitungsgebundenen deutschen Energiewirtschaft aufgrund gesetzlicher Kodifizierungen kaum bzw. gar kein Wettbewerb. Langfristige Lieferverträge und Demarkationsabsprachen, die jedem EVU ein bestimmtes Territorium zusicherten, zeigten die verfestigten Monopolstrukturen, die auf dem Weg zum freien Energiemarkt große Barrieren darstellten. Mit deren Wegfall im Jahre 1998 begann der Wettbewerb um den Kunden. Von da an mussten die EVU umdenken und sich an die neuen Anforderungen eines liberalisierten Energiemarktes anpassen. Sie müssen heute mehr denn je als Unternehmen im Dienste des Kunden auftreten, das heißt als Dienstleistungsunternehmen. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, befindet sich der Kampf um den Kunden noch in den Anfängen, ist aber grundsätzlich von jährlich steigenden Zuwachsraten geprägt. Eine elementare Frage, die sich hierbei stellt, ist, wie sich die kommunalen und regionalen EVU durch eine geeignete Unternehmensstrategie einerseits dem teilweise ruinösen Preiswettbewerb stellen, aber andererseits dennoch die Versorgungssicherheit im öffentlichen Interesse gewährleisten und dem Postulat der umweltverträglichen Energieversorgung entsprechen können. Ohne das Thema an dieser Stelle zu sehr ausdehnen zu wollen, soll grundsätzlich darauf hingewiesen werden, dass sich nahezu alle EVU in Deutschland, welche sich in der Regel immer noch zu großen Teilen eigentumsrechtlich im Besitz öffentlicher Gebietskörperschaften befinden, trotz aller wettbewerbsrechtlichen Entwicklungen weiterhin in einem Widerstreit ökonomisch-marktwirtschaftlicher Prinzipien und den Anforderungen zur Erfüllung des Gemeinwohls im Sinne der öffentlichen Daseinsvorsorge innerhalb einer Kommunen befinden. Daher ist es wichtig, dass trotz des politisch motivierten, wettbewerblich ausgerichteten Systems, den Strom- und Gasversorgern genügend rechtliche, finanzielle und personelle Möglichkeiten verbleiben, um dem energierechtlichen Umweltverträglichkeitsziel sowie den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit sowie der Versorgungssicherheit, welche zentrale Forderungen des novellierten EnWG darstellen und im weiteren Verlauf noch näher erläutert werden, auch künftig gerecht zu werden. Dazu müssen alle EVU, gleichgültig ob in privatem oder öffentlichem Eigentum, mit gleichen Vor- und Nachteilen im Wettbewerb ausgestattet werden. Des Weiteren sind zur Verwirklichung öffentlicher, wettbewerbsorientierter Unternehmen, Einschränkungen durch das Gemeindewirtschaftsrecht in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, wie z.B. das Subsidiaritätsprinzip[16], die Bindung an einen engen öffentlichen Zweck oder das Örtlichkeitsprinzip, als veraltete „Zöpfe“, welche mit dem Status als Monopolversorger korrespondierten, abzuschneiden.[17]

Grundsätzlich wird nämlich mit der Liberalisierung des Energiebinnenmarktes das Ziel verfolgt, die Elektrizitäts- und Erdgasmärkte durch die schrittweise Einführung des Wettbewerbs zu öffnen und so die Effizienz im Energiesektor und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft insgesamt zu verbessern. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sind allerdings weiter dazu aufgefordert, die Interessen des Gemeinwohls aller Bürgerinnen und Bürger zu berücksichtigen, umweltpolitische Ziele zu verfolgen und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.[18]

Da sich diese Arbeit ausschließlich mit den Veränderungen von Führungsstrukturen in deutschen EVU beschäftigt, werden im weiteren Verlauf vorwiegend nur noch die nationale Energieordnung und deren Entwicklung in den vergangenen zwölf Jahren betrachtet.

2.3 Die gesetzlichen Entwicklungen des Energiebinnenmarktes

2.3.1 Die EU-Binnenmarktrichtlinien von 1996 bzw. 1998 und die Beschleunigungsrichtlinien von 2003 für Strom und Gas

Wie in den vorangegangenen Ausführungen kurz erwähnt, wurde mit der EU-Richtlinie Elektrizität 96/92/EG (EltRl) des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates die Basis für einen einheitlichen Elektrizitätsbinnenmarkt festgelegt und somit die Liberalisierungsentwicklungen auf dem Energiemarkt in Europa weiter vorangetrieben. Mit dieser Richtlinie wurden gemeinsame Vorschriften für die Elektrizitätserzeugung,
-übertragung und -verteilung erlassen. Sie regelt ferner die Organisation und Funktionsweise des Elektrizitätssektors, den Marktzugang, die Kriterien und Verfahren für die Ausschreibungen und die Vergabe von Genehmigungen sowie den Betrieb der Netze. Die Elektrizitätsunternehmen müssen nach kommerziellen Grundsätzen betrieben und hinsichtlich der Rechte und Pflichten gleich behandelt werden. Die Mitgliedstaaten können ihnen öffentliche Dienstleistungspflichten bezüglich der Sicherheit, der Regelmäßigkeit, der Qualität und des Preises von Lieferungen auferlegen. Ziel ist die Verwirklichung eines wettbewerbsorientierten und in ökologischer Hinsicht zuverlässigen und nachhaltigen Elektrizitätsmarktes. Die Richtlinie trat am 19. Februar 1997 in Kraft. Die Umsetzungsfrist in nationales Recht der Mitgliedstaaten wurde für zwei Jahre angesetzt.

Diese Richtlinie stellt jedoch nur einen Handlungsrahmen im Bereich der Elektrizitätsversorgung da. Die Regelung genauer Modalitäten bleibt den Mitgliedsstaaten bei der Übertragung der Richtlinie in nationales Recht weitestgehend selbst überlassen. Der Zugang zu den Netzen für andere Stromanbieter ist unabhängig von der jeweiligen Staatsordnung zu gewährleisten, damit eine Gleichwertigkeit unter den EU-Ländern garantiert ist.[19]

Neben dem Strombereich gehörte zur Vollendung des europäischen Energiebinnenmarktes auch die Öffnung der Gasmärkte. Getrennt von der EltRl wurde daher die GasRl beschlossen. Sie trat am 10. August 1998 in Kraft und die Mitgliedsstaaten hatten ebenso zwei Jahre Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Die Hauptziele sind dabei der EltRl fast identisch gleichzusetzen. Unterschiedlich hierbei ist jedoch bspw., dass die Verwirklichung des Binnenmarktes im Erdgassektor den Verbund und die Interoperabilität der Netze, z.B. durch kompatible Gasbeschaffenheiten, begünstigen soll, da es bei Erdgas unterschiedliche chemische Zusammensetzungen und Qualitäten gibt, so dass es grundsätzlich nicht möglich ist, Kunden in anderen Versorgungsgebieten mit Gas zu beliefern.[20]

Beide Richtlinien wurden im Jahr 2003 gleichzeitig durch die sogenannten Beschleunigungsrichtlinien Strom (2003/54) und Gas (2003/55) abgelöst. Inhaltlich sind beide weitestgehend gleich gehalten und nehmen lediglich auf spezifische Besonderheiten von Strom bzw. Gas Bezug. Als zentrales Anliegen der Richtlinien erscheint das sogenannte Unbundling in Gestalt einer nicht mehr nur buchhalterischen, sondern nunmehr auch rechtlichen Entflechtung vertikaler Versorgungsstrukturen. Zudem sollen die beiden Beschleunigungsrichtlinien durch die Umsetzung in nationales Recht einen "nicht diskriminierenden" Netzzugang, Kostentransparenz und angemessene Netzentgelte europaweit gewährleisten. Weiteres wichtiges Ziel ist die Pflicht zur Installation einer staatlichen Regulierungsbehörde.[21] Die Bedeutung des Unbundlings und dessen Umsetzungsformen werden im nachfolgenden Kapitel zum Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) näher erläutert.

2.3.2 Das neue EnWG im Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts von 1998 und dessen Novellierung in 2003

Als Folge der EltRl ist am 29. April 1998 das Gesetz zur Neureglung des Energiewirtschaftsrechts in Kraft getreten, welches den bedeutendsten Meilenstein zur weitreichenden Marktöffnung im Energiesektor innerhalb Deutschlands, im Sinne eines grundlegenden Paradigmenwechsels von einer monopolistischen Energieversorgung unter umfassender Staatsaufsicht hin zu einer wettbewerbsmäßigen Leistungserbringung, darstellt.[22] Das genannte Gesetz ist in fünf Artikel gegliedert mit folgenden Inhalten:

1) Artikel 1 enthält das neue EnWG, also die Novellierung des bereits erwähnten EnergG von 1935.
2) Artikel 2 befasst sich mit Aufhebung der §§ 103 f. GWB für Strom und Gas, nämlich mit der Abschaffung der kartellrechtlichen Bereichsausnahme für die leitungsgebundene Energieversorgungswirtschaft.
3) Artikel 3 verändert das Gerätesicherheitsgesetz und das Stromeinspeisungsgesetz.
4) Artikel 4 regelt die Überleitung laufender Konzessionsverträge. In § 2 EnWG befindet sich zudem der sogenannte Reziprozitätsgrundsatz, wonach Elektrizitätsunternehmen bis Ende 2006 den Netzzugang für aus dem Ausland gelieferten Strom ablehnen konnten, soweit der Abnehmer nicht auch von Dritten hätte beliefert werden können.
5) Artikel 5 regelt Inkraft- und Außerkrafttreten von diversen Vorschriften.[23]

Das im Folgenden etwas näher zu beleuchtende, in Artikel 1 novellierte EnWG und dessen Regelungen, galten zwar grundsätzlich auch für den Gasmarkt. Allerdings konnte die erst später im August 1998 verabschiedete GasRl nicht mehr vollständig umgesetzt werden. Das Ziel des Gesetzes ist in § 1 EnWG verankert und spricht von einer möglichst sicheren, preisgünstigen und umweltverträglichen Versorgung mit Elektrizität und Gas im Interesse der Allgemeinheit. Ein weiterer wichtiger Eckpunkt ist die durch
§ 6 EnWG geschaffene Möglichkeit der Durchleitung von Strom mittels Nutzung der in fremdem Eigentum stehenden Versorgungsleitungen zur Belieferung von Kunden in entfernten Versorgungsgebieten nach dem Modell des verhandelten Netzzugangs (§ 5 EnWG), unter Zahlung eines angemessenen Netznutzungsentgelts. Die gesetzliche Zugangsregelung für den Gasmarkt beschränkte sich auf die Bestimmungen in
§ 19 IV Nr. 4 GWB.[24]

Die zu einem späteren Zeitpunkt beschlossenen sogenannte Verbändever-einbarungen für Strom und Gas (im weiteren Verlauf VV) sollten die Kriterien der verhandelten Netznutzungsbedingungen und der Durchleitungsentgeltbestimmungen auf privatrechtlicher Ebene zwischen Energieverbraucher und Netznutzer vorerst genauer regeln. Diese VV wurden von den energiewirtschaftlichen Fachverbänden getragen und sollten die Interessen ihrer Mitglieder, also den ihnen angeschlossenen EVU, wahrnehmen. Sie hatten jedoch die prinzipielle Schwäche, dass sie im Sinne von zivilrechtlichen Verträgen nur Bindungswirkung für die Parteien hatten, welche diese auch unterzeichnet hatten, und somit für die nicht den Verbänden angeschlossenen EVU nicht von Belang waren. Am 20. Mai 2003, also nahezu fünf Jahre nach Inkrafttreten der GasRl, wurde das EnWG im Wege der sogenannten Gasnovelle um die Bestimmungen für die Gaswirtschaft erweitert und somit § 6 EnWG (1998) durch § 6a EnWG (2003) eine entsprechende Gasmarktzugangsregelung zur Seite gestellt. Um den VV, als einzig bestehende Regelungsbasis für das Modell des verhandelten Netzzugangs, ein gesteigertes Maß an Verbindlichkeit beilegen zu können, wurden die Vereinbarungen durch die Gasnovelle 2003 in den §§ 6, 6a EnWG (2003) mit der (widerlegbaren) Vermutung des Vorliegens einer guten fachlichen Praxis ihrer Rechtskonformität aufgewertet.[25] Das Vorliegen einer guten fachlichen Praxis ist dann gegeben, wenn bei der Verwirklichung des Netzzugangs die vollständige Berücksichtigung der VV vermutet wird.[26] Diese Regelung wurde von politischer Seite jedoch immer wieder zunehmend kritisiert, da es fragwürdig schien, dass gravierende energierechtliche Grundsätze staatlicherseits in die Hände privatwirtschaftlicher Verbände zu legen seien. Zudem wurde die kartellrechtliche Kontrolle durch diese Vermutungswirkung erheblich beschränkt. Die VV liefen offiziell bereits am 31. Dezember 2003 mit der Verwirklichung der Beschleunigungsrichtlinien für Strom und Gas aus, wurden jedoch in der Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des neuen EnWG in 2005 in der energiewirtschaftlichen Praxis als Orientierung stiftende Leitlinien weiter genutzt.[27]

Um die Netznutzungsentgelte unter Berücksichtigung der Interessenlagen sowohl des Netzinhabers als auch des Zugangspetenten als möglichst angemessen zu bewerten, sind eine höchstmögliche Transparenz der Kostenzuordnung zu fördern sowie Quersubventionierungen zu verhindern. An dieser Stelle setzen Legitimation und Funktionen der vertikalen Desintegration ein. Und zwar dann, wenn der Netzbetrieb als fortwährendes natürliches Monopol aus der Wertschöpfungskette herausgelöst und von den vor- und nachgelagerten Stufen, d.h. Einkauf bzw. Erzeugung und Vertrieb, abgetrennt werden soll. Mit den §§ 4, Abs. 4, 9 EnWG von 1998 bzw. 2003 ist zur Verwirklichung der Desintegration bzw. Entflechtung das sogenannte Unbundling, die gesetzliche Grundlage geschaffen worden. Die Entflechtungstiefe kann sehr unterschiedlich ausfallen. Sehr weitgehend ist eine organisatorische Desintegration mit gesellschaftsrechtlichen Implikationen mittels Bildung eigenständiger Rechtssubjekte (Legal Unbundling). Als abgeschwächte Variante des gesellschaftsrechtlichen Unbundlings kommt eine verwaltungstechnische Form, das sogenannte operationelle Unbundling, im Sinne getrennter Abteilungen in Betracht. Ein Informationsaustausch zwischen Netzbetrieb und den vor- und nachgelagerten Aktivitäten hat nicht zu erfolgen, es sei denn, diese Informationen sind für die Erfüllung der Aufgaben im Rahmen der Durchleitungsabwicklung notwendig (Informationelles Unbundling). Zudem ist eine buchhalterische Entflechtung im Wege einer separaten Kontenführung gemäß § 9 EnWG durchzuführen, welcher auch getrennte Jahresabschlüsse (Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung) entlang der Wertschöpfungskette erforderlich macht.[28] Diese vier genannten Unbundlingformen sind in Anhang I nochmal tabellenartig darstellt.

2.3.3 Das neue EnWG im zweiten Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts von 2005

Das zweite Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts (NeuRegG) zur Umsetzung der beiden bereits erwähnten Beschleunigungsrichtlinien für Strom (2003/54) und Gas (2003/55) ist am 13. Juli 2005 in Kraft getreten. Kernstück ist das EnWG 2005 mit insgesamt zehn Teilen. Auf untergesetzlicher Ebene wird es durch vier Verordnungen für den Netzzugang und die Kalkulation von Netzentgelten, jeweils getrennt für Strom und Gas, flankiert. Die wesentlichsten Eckpunkte für einen erneuerten energiewirtschaftlichen Ordnungsrahmen werden im Folgenden kurz erörtert.

Die traditionelle Trias einer sicheren, preisgünstigen und umweltverträglichen Energieversorgung wird in § 1 EnWG um die Zielvorgaben Verbraucherfreundlichkeit und Effizienz erweitert. Daneben sind ebenso bedeutend die Regulierungsziele eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs sowie die Sicherung eines langfristig angelegten, leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Netzen der Energieversorgung. Diese Leitlinien geben wichtigen Qualitätserwägungen bei der Netzsicherheit, neben Regulierung und Effizienzsteigerung, gleichberechtigt Raum. Im zweiten Teil, den §§ 6-10 EnWG, wird, den europäischen Vorgaben zur Entflechtung folgend, die rechtliche, operationelle, informatorische und buchhalterische Entflechtung von vertikal integrierten EVU, wie bereits im vorherigen EnWG ansatzweise geregelt, mit den bereits erwähnten Zielen konkretisiert. EVU mit über 100.000 Netzkunden sind zur Umsetzung des rechtlichen (legal) Unbundling verpflichtet, wonach die Gründung eines rechtlich selbstständigen Netzbetreibers erforderlich ist. Eine Übersicht findet sich in Anhang II.

Im Bereich des Netzanschlusses führt das neue EnWG zu gravierenden Veränderungen. § 17 EnWG verpflichtet die Betreiber von Energieversorgungsnetzen neben Letztverbrauchern, auch gleich- bzw. nachgelagerte Versorgungsnetze sowie Leitungen, Erzeugungs- und Speicheranlagen an ihre Netze anzuschließen. Netzanschluss und Netzzugang müssen zu angemessenen, transparenten und diskriminierungsfreien Bedingungen erfolgen.[29] Dabei muss dem Grundsatz „interne gleich externe Behandlung“ entsprochen werden, der vor dem Hintergrund der Überführung vormals monopolistischer Märkte in den Wettbewerb konzipiert wurde. Es soll damit der Anreiz für den vertikal integrierten früheren Monopolisten entfallen, interne Nachfrager gegenüber Wettbewerbern zu bevorzugen.[30] § 18 EnWG legt eine allgemeine Anschlusspflicht für Netzbetreiber der allgemeinen Versorger gegenüber Letztverbrauchern zu allgemeinen Bedingungen fest. Da die Beschleunigungsrichtlinien die Option des verhandelten Netzzugangs auf privatrechtlicher Basis ausschließen, werden in den
§§ 20-23 EnWG die gemeinsamen Bestimmungen über den Zugang zu Energieversorgungsnetzen und die Genehmigungspflicht von Netznutzungsentgelten geregelt.[31] Für Gas gibt es darüber hinaus, auf Grund der unterschiedlichen physikalischen Beschaffenheit im Vergleich zu Strom, noch zusätzliche gesetzliche Bestimmungen. Die Details des Netzzugangs nach den Vorgaben der genannten Paragraphen, werden durch Nutzung der in § 24 EnWG enthaltenen Rechtsgrundlage für den Erlass von Rechtsverordnungen konkretisiert. Diese Ermächtigungsgrundlage erstreckt sich dabei sowohl auf die Zugangsregulierung als auch auf den im Bereich der Zugangsbedingungen wichtigen Spezialfall der Entgeltregulierung, getrennt nach Strom und Gas. Diese vier Rechtsverordnungen sind im Juli 2005 in Kraft getreten.[32] Die ex-ante durchzuführende Prüfung und Genehmigung der kostenbasierten Netznutzungsentgelte durch die Regulierungsbehörde soll zur Wahrung der Diskriminierungsfreiheit nicht vertikal integrierter Wettbewerber die Forderung nach überhöhten Entgelten durch den Netzbetreiber verhindern.[33] Ab 01. Januar 2009 wird die statische kostenbasierte Entgeltfindung durch die sogenannte Anreizregulierung ersetzt, welche die Erlöse und Preise von den tatsächlich angefallenen Kosten entkoppelt. Sie bezweckt in erster Linie Effizienzsteigerungen bei den Netzbetreibern, indem sie dem Preisführer den Anreiz gibt, sein Verhalten bei gleichzeitigem Erhalt seines Qualitätsniveaus effizienter zu gestalten, um damit wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Die entscheidenden Punkte zur Realisierung der Anreizregulierung wurden per Rechtsverordnung vom
06. November 2007 festgelegt.[34]

Zum Abschluss des Kapitels über die wichtigsten energierechtlichen Neuerungen des EnWG 2005 sei noch gesagt, dass der Energiebelieferung von Letztverbrauchern ein eigener Teil gewidmet wird (§§ 36-42 EnWG), insbesondere zur Wahrung der Zielsetzungen aus § 1 EnWG.[35] Die nahezu gesamte zweite Hälfte des neuen EnWG beschreibt zudem die institutionelle Ausgestaltung der Energieregulierung durch die Bundesnetzagentur als oberste Regulierungsbehörde und den dazugehörigen Landesregulierungsbehörden.[36]

2.3.4 Zukünftige europarechtliche Entwicklungen

Wie bereits in den vorherigen Kapiteln beschrieben, hat die Europäische Kommission bereits durch die im Jahre 2003 verabschiedeten Energiebinnenmarktrichtlinien mit dem Erfordernis der gesellschaftsrechtlichen Entflechtung, ergänzt durch Vorgaben zur organisatorischen und informatorischen Trennung, eine weitreichende Herauslösung des Netzbetriebs aus den vertikal integrierten EVU zur Herstellung und Förderung von Wettbewerb bewirkt. Nach einer Sektorenuntersuchung Anfang 2007 hat die Kommission jedoch eine Vielzahl von Defiziten auf dem europäischen Energiebinnenmarkt angemahnt, wie z.B. fehlende Marktintegration, ungenügende Investitionen oder vertikale Marktabschottung und die damit zusammenhängende fehlende Versorgerwechselbereitschaft. Als Ursache für diese Probleme wird die immer noch weiter bestehende Existenz von vertikal integrierten EVU genannt, die einerseits die Energieversorgungsnetze kontrollieren und andererseits über eine erhebliche Marktmacht auf den Großhandels- und Vertriebsmärkten verfügen. Um diesen Missständen zu begegnen, hat die Kommission im September 2007 das sogenannte dritte Liberalisierungspaket zur weiteren Öffnung des europäischen Energiebinnenmarktes auf den Weg gebracht. Herzstück dieses Maßnahmenpakets sind die in den Richtlinienentwürfen enthaltenen Bestimmungen zur vollständigen eigentumsrechtlichen Entflechtung, um den Interessenkonflikt vertikal integrierter EVU aufzulösen. Die Ziele können dabei grob mit den Schlagwörtern „mehr Wettbewerb durch den Ausschluss von Diskriminierungen“ und „mehr Investitionen“ umrissen werden.[37]

2.4 Auswirkungen der neuen rechtlichen Rahmenbedingungen auf die Unternehmensorganisation und -prozesse in Energieversorgungsunternehmen

Die Wandlung der „alten Energiewelt“ hin zu marktwirtschaftlich geprägten Strukturen mit der Schaffung einer funktionierenden, diskriminierungsfreien, aber dennoch regulierten wettbewerblichen Chancengleichheit zwischen EVU, welche im Prinzip von der Beibehaltung der Zugehörigkeit zur öffentlichen Daseinsvorsorge konterkariert wird, kann nur durch eine radikale Aufgabe des Status quo mit einem zukunftsgerichteten Umdenken in der bisherigen Arbeitsweise umgesetzt werden. Viele Auswirkungen auf Organisation und Prozesse sind bereits in den vorangegangenen Ausführungen bereits angeschnitten worden. So sollen an dieser Stelle nur eine Auswahl von Veränderungsmaßnahmen genannt werden, die ich in meiner mehrjährigen beruflichen Tätigkeit in der Energiewirtschaft aktiv mitgestaltet habe.

Ein sehr gutes Beispiel ist z.B. die Umsetzung der verschiedenen Unbundlingformen. Die Forderung nach einer getrennten Kontenführung in den Sparten Strom und Gas führte zu einem erheblichen Umbau des gesamten internen und externen Rechnungswesens mit deutlich erweiterten Berichtspflichten. Das informationelle Unbundling forderte die strenge Einhaltung von Kommunikationsrestriktionen zur Wahrung der Vertraulichkeit und diskriminierungsfreien Behandlung von wirtschaftlich sensiblen Informationen zwischen Netzbetrieb und Vertrieb. Dies machte bspw. die Untersuchung aller relevanten Geschäftsprozesse zwischen den genannten Geschäftsbereichen hinsichtlich der strömenden Informationsflüsse und deren eventuell notwendiger Umstrukturierung erforderlich. Durch das organisatorische bzw. gesellschaftsrechtliche Unbundling wurde der gesamte Strom- und Gasnetzbetrieb aus der vertikal integrierten Unternehmensorganisation teilweise bzw. vollständig herausgelöst. Dass all diese Maßnahmen fundamentale Auswirkungen auf Personalstrukturen und Arbeitsprozesse haben, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Zusätzlicher Aufbau von fachkundigen Personalressourcen ist dafür oftmals erforderlich, bei gleichzeitiger Steigerung der Effizienzvorgaben durch die Regulierungsbehörden, auf Grund der bis dato häufig vorgenommenen Pauschalkappung kostenbasierter Netzentgelte. Eine Verschärfung dieser Entwicklungen durch die Umsetzung der Anreizregulierung ab 2009 ist zu erwarten. Die technische und kaufmännische Abwicklung von Netzdurchleitungen, z.B. bei der Belieferung von Endkunden durch fremde Vertriebseinheiten im eigenen angestammten Netzgebiet, erfordern den Aufbau neuer Organisationseinheiten und Investitionen in spezialisierte EDV-Systeme. Der damit zusammenhängende Verlust von Gas- und Stromkunden, machen die Schaffung neuer Absatzmöglichkeiten bzw. die Kreation neuer Produkte und Dienstleistungen notwendig. Viele, insbesondere kleinere EVU, fühlen sich diesen zukünftigen Anforderungen nicht mehr alleine gewachsen und gehen strategische Partnerschaften bspw. mit größeren EVU ein. Dies geschieht mitunter auch zur Verwirklichung von Größendegressionseffekten, um sich im Sinne regulatorischer Vorgaben effizienter aufzustellen.

3 Möglichkeiten zur professionellen Bewältigung von Veränderungsprozessen

3.1 Change-Management als Konzept zum Umgang mit Veränderungsprozessen in der Energiewirtschaft

Das Arbeiten in Organisationen unterliegt einem ständigen Wandel, da sich Organisationen selbst laufend verändern müssen. Bei den Auslösern des Wandels handelt es sich um veränderte Rahmenbedingungen, wie z.B. globalisierte Märkte und dadurch auftretende internationale Konkurrenz, wirtschaftliche Krisen, Produktinnovationen oder veränderte Gesetzeslagen. Insbesondere Letzteres trifft auf die Strukturen der deutschen Energiewirtschaft besonders zu. Je unterschiedlicher die Anforderungen des Marktes und der sonstigen Umstände sind, desto flexibler müssen Organisationen darauf reagieren und adäquate Veränderungsprozesse anstoßen.[38] Es lässt sich anhand der vorangegangenen Ausführungen des letzten Kapitels leicht nachvollziehen, dass die professionelle Bewältigung von Veränderungsprozessen, bedingt durch die Tatsache, dass zwischen 1935 und 1996 kaum ein größerer Wandel der Rahmenbedingungen stattgefunden hat, für EVU eine besonders große Herausforderung darstellt.

Ausmaß und Geschwindigkeit des Wandels können je nach Organisation unterschiedlich sein. Die Tatsache aber, dass Veränderungen stattfinden, und zwar zunehmend schneller und mit höherer Komplexität, gilt heute für alle Organisationen gleichermaßen. Der Wandel kann dabei einerseits unbeabsichtigt und eher zufällig verlaufen, andererseits kann er durch bewusste Entscheidungen des Managements hervorgerufen und somit als rationaler Anpassungsvorgang an die Umwelt tituliert werden.[39] Mit dieser Art von Veränderungsprozessen beschäftigt sich das Phänomen des Change-Managements, welches folgendermaßen definiert werden kann:

„Change-Management ist die Strategie des geplanten und systematischen Wandels, der durch die Beeinflussung der Organisationsstruktur, Unternehmenskultur und individuellem Verhalten zu Stande kommt, und zwar unter größtmöglicher Beteiligung der betroffenen Arbeitnehmer. Die gewählte ganzheitliche Perspektive berücksichtigt die Wechselwirkung zwischen Individuen, Gruppen, Organisationen, Technologie, Umwelt, Zeit sowie die Kommunikationsmuster, Wertestrukturen, Machtkonstellationen etc., die in der jeweiligen Organisation real existieren.“[40]

Dieses Kapitel soll keine vollständige Übersicht über alle fachlichen Aspekte des Change-Managements liefern, sondern lediglich allgemeine Grundlagen bezüglich. des professionellen Umgangs mit Veränderungsprozessen vermitteln, da ja im Fokus dieser Arbeit das Thema Mitarbeiterführung unter geänderten energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen steht. Um jedoch den Führungsaspekt als zentralen Erfolgsfaktor in Veränderungsprozessen, wie im gesamten Kapitel 6 näher beleuchtet, besser verstehen und einordnen zu können, sind theoretische Hintergründe dazu unerlässlich.

3.2 Theoretische Grundlagen des Change-Managements

3.2.1 Segmente und Aspekte des Change-Managements

Geplante Veränderungen, in der Regel auf einer visionären Strategie aufbauend, können im Bereich der Aufbau- und Ablauforganisation, dem sozialen Gefüge und im persönlichen Arbeitsverhalten (Kultur) vorgenommen werden. Sie haben generell eine fachliche und eine überfachliche Seite. Auf der fachlichen Seite unterliegen Veränderungen einem eher stringenten Verlauf, wie im nächsten Kapitel beschrieben. Die überfachliche Seite beschreibt die weichen und individuellen Reaktionen, die durch jede fachliche Veränderung bei Mitarbeitern und Führungskräften angestoßen werden. Sie sind selten planbar und kaum nach einem festen Ablaufschema umsetzbar. Überfachliche Aspekte sind wichtig, um fachliche Veränderungen zum Erfolg zu führen. Daher sollten Sie im besonderen Fokus der Führungskräfte stehen (siehe Kapitel 6.3.3). Dazu gehören bspw.:

- die Akzeptanz der fachlichen Inhalte einer Veränderung,
- die Überzeugung von der Notwendigkeit der Veränderung,
- die Bereitschaft, die Veränderung mitzutragen,
- die Unterstützung bei der konkreten Umsetzung der Veränderung.[41]

3.2.2 Ablauf von Veränderungsprozessen

Viele Autoren im Themenfeld des Change-Managements haben versucht, Standardabläufe von Veränderungsprozessen zu beschreiben, die sich oft stark ähneln. In der folgenden Prozessdarstellung, die sich hauptsächlich an die Ausführungen von Kotter anlehnen und durch Aspekte von Kraus u.a. ergänzt werden, sind die wichtigsten Schritte eines organisatorischen Wandels beschrieben.[42]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Prozessablaufplan von Veränderungsprozessen

In obiger Darstellung werden bereits die wichtigsten Instrumente eines effizienten Change-Managements benannt. Einige davon sollen an dieser Stelle nochmal auf Grund ihrer besonderen Bedeutung eindringlicher erwähnt werden. Einer der wichtigsten Aspekte in Veränderungsprozessen ist bspw. die Erzeugung einer Vision als allgemein gehaltene, positive Vorstellung vom Unternehmen in der Zukunft. Daraus resultiert die Ableitung von kurz-, mittel- und langfristigen Zielen sowie einer Strategie als grundsätzlicher Weg zur Erreichung derselben.[43] Unter Umständen ist auch parallel eine Organisationsdiagnose notwendig, um geplant und systematisch Informationen über den inneren Zustand der Organisation zu gewinnen.[44] Ebenso wichtig für das Managen von Veränderungen ist ein professionelles Projektmanagement, um Zeitpläne, Aufgabenverteilungen und Entscheidungspunkte systematisch zu definieren. Der Projektauftrag sollte dazu schriftlich festgehalten und die bereits angesprochenen Ziele klar formuliert werden.[45] Die in diesem Zusammenhang letzte zu nennende Hauptaufgabe im Change-Management ist die Kommunikation der Vision, der Strategie und der Ziele sowie der Notwendigkeit und Richtigkeit der Veränderungsmaßnahmen, um Verständnis und Engagement für eine neue Richtung zu erzielen. Die wirkliche Kraft einer Vision kann dann vollständig freigesetzt werden, wenn die meisten der in eine Unternehmung oder Aktivität einbezogenen Menschen ein gemeinsames Verständnis ihrer Ziele und ihrer Kursrichtung haben. Dieses gemeinsame Verständnis unterstützt die Motivation und Koordination der für die Transformationen notwendigen Handlungen. Dabei ist hervorzuheben, dass Kommunikation hauptsächlich die Aufgabe der Führungskräfte ist, was in den folgenden Ausführungen zum Thema Mitarbeiterführung zu Zeiten des organisationalen Wandels näher erläutert wird.[46]

3.3 Ausgewählte Arten von Veränderungsprozessen

3.3.1 Business (Process) Reengineering

Reengineering-Maßnahmen erstrecken sich auf alle Sektoren des Managements, von der Strategie über Organisation und Personal bis hin zu den Systemen. Zentraler Punkt ist allerdings der organisatorische Bereich, da eine Umstellung von der isolierten Optimierung der vertikalen Wertschöpfungsfunktionen zu einer Optimierung von funktionsübergreifenden horizontalen Wertschöpfungsprozessen erfolgen soll.[47] Ziel ist es, durch die grundlegende Neugestaltung von Geschäftsprozessen markante Verbesserungen (Quantensprünge) der unternehmerischen Leistung zu erzielen.[48] Diese top-down angelegte Konzeption orientiert sich an den erfolgskritischen Geschäftsprozessen, richtet diese auf die Bedürfnisse des Kunden aus und konzentriert sich auf die vorhandenen Kernkompetenzen unter Nutzung modernster Informationstechnologien. Reengineering-Konzepte sind sehr mechanistisch angelegt. Der Mensch spielt eine eher untergeordnete Rolle.[49]

3.3.2 Organisationsentwicklung

Organisationsentwicklung ist eine umfassende und stark partizipative Methode der Veränderung in Organisationen. Es geht darum, vorhandenes Potential zu aktivieren und zu erweitern. Die Organisation und ihre Mitglieder werden aktiviert und befähigt, sich mit den Anforderungen interner und externer Umwelten auseinanderzusetzen. Dafür werden die betroffenen Personen aktiv in die Entwicklung und Umsetzung von Lösungen und Antworten im Sinne einer mitarbeiterorientierten Führung einbezogen. Probleme und Chancen werden als Ausgangspunkt und Triebfeder für Veränderungen genutzt. Alle Veränderungsmaßnahmen werden kontinuierlich sowie prozesshaft gesteuert und gestaltet.[50]

3.3.3 Lean Management (Kaizen)

Hierbei handelt es sich um ein integriertes Managementkonzept, in dessen Mittelpunkt der Kampf gegen die Verschwendung steht. Dabei steht weniger der Kundennutzen, sondern die Verbesserung der Zeit- und Kosteneffizienz im Vordergrund.[51] Die Philosophie des Lean Managements wird oft mit den Begriffen „Kaizen“ oder auch „Kontinuierlicher Veränderungsprozess“ umschrieben. Mithilfe einer schlanken Produktion sollen die Vorteile der Massenproduktion (Stückkostenreduzierung, Schnelligkeit) mit den Vorteilen der handwerklichen Produktion (Qualität, Flexibilität) vernetzt werden. Teamwork, im Sinne von teilautonomen Arbeitsgruppen, bildet im Lean Management die dominante Arbeitsform.[52]

3.3.4 Lernende Organisation

Die lernende Organisation kann als ein Modell beschrieben werden, das der Idee des ständigen Wandels am nächsten kommt und damit auch als Veränderungskonzept auf höchstem Entwicklungsniveau beschrieben werden kann. Das in der lernenden Organisation stattfindende organisationale Lernen ist als aktive Auseinandersetzung mit dem jeweils spezifischen Umfeld darauf ausgerichtet, das kollektive Wissens- und Verhaltensrepetoire ständig zu verbessern, um eine Steigerung der organisationalen Effizienz zu bewirken.[53] Durch ein ständiges, unmittelbar auf die Realitäten der Organisation ausgerichtetes, kollektives Lernen sollen die Betroffenen gemeinsam neue Erkenntnisse konstruieren, die zu einer steten, vorausschauenden Anpassung der Organisation an die sich verändernden Bedingungen der Umwelt, in der sie operiert, führt.[54]

4 Theorie der (Mitarbeiter-) Führung

4.1 Der Führungsbegriff in der Betriebswirtschaftslehre

4.1.1 Entwicklung des Führungsphänomens und Begriffsklärung

Führung kann als in allen Kulturen gegenwärtiges sowie überzeitliches Konzept innerhalb von Gemeinschaften gesehen werden, in denen Aufgaben arbeitsteilig erfüllt werden. Führung ist immer dann notwendig, wenn mehrere Personen in einer menschlichen Gemeinschaft an einer Problemlösung arbeiten. Dabei dehnt sich der Führungsbegriff nicht nur auf Unternehmen und öffentliche Verwaltungen aus, sondern bspw. auch auf Familien, den Staat, Kindergärten oder Schulen. Selbst im Tierreich ist das Phänomen Führung z.B. in Rudeln, Herden oder in Revieren präsent.[55] Führen, geführt werden und sich selbst führen, kann damit im Allgemeinen als Folge der Arbeitsteilung und einer damit verbundenen Rollendifferenzierung, wie sie in der unternehmerischen Praxis existent ist, begriffen werden.[56]

Viele unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen, wie Anthropologie, Sozialpsychologie, Soziologie, Politologie und Betriebswirtschaftslehre beschäftigen sich, insbesondere seit Beginn des 20. Jahrhunderts, mit dem Phänomen der Führung. Alle brachten in ihren Ansätzen oft sehr heterogene Erklärungsansätze hervor. Multidisziplinäre Ausrichtungen der Führungsforschung findet man in der verhaltenswissenschaftlichen Betriebswirtschaftslehre, der Organisationssoziologie und der Organisationspsychologie. Während die Betriebswirtschaftslehre ihren Fokus eher auf die sachlich-instrumentelle Beeinflussung im Sinne der Führung von Personal lenkt, widmet sich die Organisationspsychologie der interindividuellen Beeinflussung, also der Führung von Individuen. Die gesellschaftlich-strukturelle Beeinflussung, also die Führung sozialer Aggregate, ist Thema der Organisationssoziologie.[57]

Hinsichtlich einer einheitlichen Erklärung des Führungsbegriffs findet man in der gesamten Personalführungs- und Managementliteratur eine Vielzahl von Begriffsdefinitionen, die im Kern jeweils eine ähnliche bzw. gleichartige Aussage treffen. An dieser Stelle werden daher explizit nur zwei Definitionen aufgeführt:

Die klassische Betriebswirtschaftslehre erklärt den Begriff „Führung“ bzw. die auf Menschen ausgerichtete betriebliche „Personalführung“ als eine durch die Führungskraft durchgeführte Beeinflussung betrieblichen Personals unter Einsatz von Führungsinstrumenten und Berücksichtigung der Situation auf einen gemeinsam zu erzielenden Erfolg hin.[58]

Eine ähnliche Definition liefert Rosenstiel, der Führung als bewusste und zielbezogene Einflussnahme auf Menschen beschreibt. Dabei lassen sich die konkret zu erreichenden Ziele aus den Zwecken des Betriebes, d.h. aus den übergeordneten Unternehmenszielen, ableiten.[59]

4.1.2 Einordnung der Personalführung in die Managementlehre

Hinsichtlich der Wortherkunft ist der Managementbegriff direkt dem englischsprachigen Raum entlehnt. So bedeutet das Verb „to manage“ so viel wie handhaben, bewerkstelligen, leiten, führen. Management in seiner tätigkeitsorientierten Interpretation bezeichnet eine besondere Art von Aktivitäten in arbeitsteiligen Handlungszusammenhängen. Sie sind in der Regel immer dann notwendig, wenn Menschen sich zur gemeinsamen Erbringung einer Leistung zusammenfinden.[60] Gemeinsames Arbeiten an Problemlösungen impliziert eine gewisse Zielbezogenheit. Indem Unternehmen als sich selbst organisierende soziale Handlungseinheiten definiert werden, welche auf die langfristige Erreichung gemeinsamer Ziele ausgerichtet sind, ist unmittelbar eine Instanz notwendig, welche an dieser Stelle übergeordnete Aufgaben oder Funktionen wie Organisieren, Führen, Leiten, Gestalten, Planen oder Steuern übernimmt, um alle Organisationseinheiten auf das gemeinsame Ziel hin zu orientieren.[61] Dadurch wird deutlich, dass unter dem einheitlich verwendeten Managementbegriff zwei zentrale Funktionen subsumiert sind. Die beschriebene Instanz, als Gruppe von Personen, welche die genannten Aufgaben wahrnimmt bzw. ausführt, entspricht der „institutionellen“ Betrachtungsweise des Managementbegriffs. Unter dem „funktionalen“ Ansatz versteht man die Erfüllung der typischen Managementaufgaben bzw. -funktionen.[62]

Der Managementbegriff hat zudem sowohl in der Umgangssprache als auch in der wissenschaftlichen Verwendung verschiedene Bedeutungen in unterschiedlichen Breiten. Disziplinen, wie z.B. die Psychologie, die Soziologie, die Politologie liefern Forschungsergebnisse zum Erfahrungsobjekt „Management“. Allerdings unabhängig von den erbrachten Forschungsergebnissen der einzelnen Wissenschaften, gelten die Betriebswirtschaftslehre (für den deutschsprachigen Raum) bzw. die Business Administration (für den angelsächsischen Bereich) als prädestiniert, um Managementwissen an Studenten und Praktiker weiterzugeben. Die zu dem Überbegriff Managementwissen gesammelten Forschungsergebnisse der einzelnen Disziplinen können in drei große Bereiche gegliedert werden:[63]

1) Unternehmensführung:

Die Unternehmensführung bezieht sich auf wirtschaftliche Institutionen und gilt als betriebswirtschaftlicher Teil des Managementwissens (Business Administration).

2) (Personal-) Führung:

Dieser Bereich bezieht sich auf Personen und Kleingruppen und kann damit als verhaltenswissenschaftlicher Teil des Managementwissens bezeichnet werden.

3) Unternehmensforschung/Operations Research:

Dieser Bereich stellt auf formalwissenschaftliche Inhalte (Management Sciences) ab und erkundet bestimmte Verfahren des Managementhandelns.

Bereits aus diesen Ausführungen wird erkenntlich, dass im deutschsprachigen Gebrauch die überwiegende Anzahl von Fachautoren das Wort Management in der Regel mit dem Begriff Führung, Leitung oder auch Unternehmensführung gleichsetzen. Damit verbunden sind zuerst nur in der Betriebswirtschaftslehre bekannte sachbezogene Führungs-, Leitungs- und Verwaltungsaufgaben, welche dem funktionalen Managementbegriff gleichkommen. Erst später kam die personenbezogene, verhaltenswissenschaftliche Perspektive des Managements hinzu, die sogenannte Menschen- bzw. Personalführung.[64] Hinsichtlich der Unterschiede zwischen Unternehmensführung und Personalführung lässt sich festhalten, dass bei letzterer, welche zudem oft auch als Mitarbeiterführung oder nur Führung bezeichnet wird, das unmittelbare Verhältnis zwischen Vorgesetzen und Mitarbeitern im Vordergrund steht. Es geht dabei um das interpersonelle Verhalten und den Beeinflussungsstil, welchen Führungskräfte hinsichtlich ihrer Mitarbeiter anwenden sollten. Unternehmensführung hingegen beschreibt die Lenkung des Gesamtsystems mit den oben beschriebenen Aufgaben wie Organisieren, Führen, Leiten, Gestalten, Planen oder Steuern. Damit stellt sie ein gestaltendes Eingreifen in den gesamten Wertschöpfungsprozess des Unternehmens dar, das Koordinierungs- und Harmonisierungshandeln im Hinblick auf sämtliche Elemente der Wertschöpfungskette.[65] Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Gestaltung von persönlichen Beziehungen in Unternehmungen lediglich ein Teilaspekt der Unternehmensführung beschreibt und somit als Führungsbegriff im engeren Sinne beschrieben werden kann. Management bzw. Unternehmensführung als gesamtes Gestaltungs- und Lenkungshandeln inkorporiert damit Personalführungsaspekte.[66]

Zusammenfassend soll an dieser Stelle noch eine den Kern der Thematik treffende Definition der Begrifflichkeit „Management“ von Ulrich und Fluri angeführt werden. Die beiden Autoren beschreiben Management „als die Leitung soziotechnischer Systeme in personen- und sachbezogener Hinsicht mit Hilfe professioneller Methoden. In der sachbezogenen Dimension des Managements geht es um die Bewältigung von Aufgaben, die sich aus den obersten Zielen des Systems ableiten, in der personenbezogenen Dimension um den richtigen Umgang mit allen Menschen, auf deren Kooperation das Management zur Aufgabenerfüllung angewiesen ist.[67]

4.2 Theorien der Personalführung

4.2.1 Einführende Aussagen zu Führungstheorien

Wissenschaftliche Theorien, zu denen auch die Führungstheorien zählen, können als Aussagensysteme verstanden werden, welche die Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Evaluation empirischer Sachverhalte sowie die Ableitung neuer, prinzipiell empirisch testfähiger Hypothesen ermöglichen. Gerade im sozialwissenschaftlichen Bereich, zu dem die (Personal-) Führung, wie in Abschnitt 4.1.1 beschrieben, zu einem großen Teil gehört, ist es jedoch sehr schwierig, konsistente sowie logisch widerspruchsfreie Aussagensysteme aufzustellen, da man nie wirklich sicher sein kann, ob eine einzige Sichtweise die Realität zutreffend zu erfassen in der Lage ist. Führungstheorien sollen Bedingungen, Strukturen, Prozesse und Ursachen von Führung gemäß oben genannter Definition beschreiben, erklären und prognostizieren. Im Mittelpunkt aller Fragestellungen steht dabei, gemessen an ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten, die Evaluierung des Führungserfolgs. Bisher ist es sowohl Wissenschaftlern als auch Praktikern nicht gelungen, ein allgemein akzeptiertes Konzept in Bezug auf das Führungsphänomen zu finden, was vermutlich darin liegt, dass es sich dabei um ein komplexes, dynamisches und abstraktes Konstrukt handelt, was mit realen naturwissenschaftlichen Erfahrungs- und Erkenntnisobjekten wenig gemein hat. Diese Entwicklung wird zudem verstärkt durch die Beteiligung der zahlreichen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (z.B. Psychologie, Soziologie, Betriebswirtschaftslehre) an entsprechenden Erklärungsversuchen, mit sehr heterogenen forschungsmethodischen Herangehensweisen.[68]

Ralph Stogdill hat bereits vor ca. 30 Jahren verschiedene Betrachtungsweisen zur Erforschung und Erklärung des Führungsbegriffs unterschieden, welche je nach Erkenntnisziel variieren. Dazu gehören:

1) Führung als Mittelpunkt des Gruppenprozesses
2) Führung als Persönlichkeit des Führers
3) Führung als Fähigkeit, bei anderen Einverständnis zu erreichen
4) Führung als Ausübung von Einfluss
5) Führung als Handlung oder Verhalten
6) Führung als eine Form der Überredung
7) Führung als Machtbeziehung
8) Führung als Ergebnis von Interaktion
9) Führung als Instrument zur Zielerreichung
10) Führung als Rollendifferenzierung
11) Führung als Initiierung von Strukturen.[69]

Auch wenn die Führungsforschung in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein wird, die hochkomplexe Führungswirklichkeit umfassend und allgemeingültig abzubilden, lassen sich in der Entwicklung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Problemen und Erklärungsversuchen hinsichtlich von Personalführung gemäß den Ausführungen von Macharzina vier Haupttheorieströmungen erkennen, welche sich auch weitestgehend in den elf Betrachtungsweisen Stogdills wiederfinden lassen. Dazu gehören im Einzelnen:

1) die Eigenschaftstheorie bzw. personenorientierte Führungstheorie
2) die Rollentheorie bzw. positionsorientierte Führungstheorie
3) die Situationstheorie
4) die Interaktionstheorie.

Andere Kategorisierungsmöglichkeiten, wie sie von anderen Autoren benannt werden, bleiben in dieser Arbeit außer Acht. Die vier genannten Ansätze werden in den folgenden Unterkapiteln theoretisch näher erläutert und hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen kritisch gewürdigt.[70]

4.2.2 Eigenschaftstheorie

Der klassische eigenschaftstheoretische Ansatz der Führung konzentriert sich einzig und allein auf die Führungsperson und lokalisiert in ihr die Bedingungen sowohl für den persönlichen Karriere-, wie auch den organisationalen Leistungserfolg.[71] Damit werden reduktionistisch alle sonstigen Bedingungsgrößen des Führungserfolgs, wie bspw. die Geführten, die Aufgaben, die Situation usw. systematisch ausgeblendet. Ausgangspunkt des Eigenschaftsansatzes ist die Annahme, dass ein Führer über bestimmte physische und psychologische Merkmale verfügt, durch die er sich von seinen Untergebenen abhebt.[72] Auf Grund dieser Definition ist es nicht überraschend, dass diese Theorie im angelsächsischen Sprachgebrauch auch als Great-Man-Theorie bezeichnet wird. Unter Eigenschaften versteht man dabei relativ breite und zeitlich stabile Dispositionen zu bestimmten Verhaltensweisen, die konsistent in verschiedenen Situationen auftreten.[73] Damit wird nochmal deutlich, dass die Voraussetzungen zur Übernahme von Führungspositionen situationsinvariant sind.[74]

Die Vielzahl von Varianten der Eigenschaftstheorie lassen sich nach Macharzina über drei zentrale Fragen bündeln, die bis heute nicht abschließend beantwortet werden konnten und weiterhin im Fokus wissenschaftlichen Interesses stehen:

1) Sind die den Führungserfolg stiftenden Eigenschaften bereits angeboren oder können diese im Rahmen des Sozialisationsprozesses auch erlernt werden?
2) Ist der Führungserfolg auf das Vorhandensein einzelner Persönlichkeitseigenschaften zurückzuführen oder kommt es auf eine ganz bestimmte Anordnung bzw. Konstellation mehrerer Merkmale an?
3) Besteht tatsächlich eine Invarianz des Führungserfolgs von den situativen Bedingungen oder müssen die Eigenschaften von Führungskräften nicht doch zum Handlungskontext passen?[75]

Verschiedene empirische Überprüfungen hinsichtlich der relevanten Eigenschaften haben zu unterschiedlichen Befunden geführt. Es existieren drei klassische sogenannte Sammelreferate, welche korrelationsstatistische empirische Befunde zu Persönlichkeitsmerkmalen von Führern liefern. Zwei davon gehen auf Stogdill zurück (1948 und 1974), eine dritte auf Mann (1959). In Stogdills erster Studie war das Ergebnis, dass Personen mit Führungspositionen in Bezug auf die folgenden fünf Faktoren die durchschnittlichen Mitglieder einer Gruppe übertreffen:

1) Befähigung (z.B. Intelligenz, Urteilskraft)
2) Leistung (z.B. Schulleistung, Wissen)
3) Verantwortlichkeit (z.B. Zuverlässigkeit, Selbstvertrauen)
4) Teilnahme (z.B. Aktivität, Anpassungsfähigkeit)
5) Status (z.B. sozio-ökonomische Position, Popularität).[76]

Mann hat in seinem Sammelreferat von 1959 die empirischen Befunde über die Beziehung zwischen Persönlichkeitsmerkmalen von Individuen und deren Führungsverhalten in Gruppen kritisch gesichtet. Dabei stehen insbesondere Intelligenz, Anpassung und Extraversion in einer positiven Beziehung zum Führungsverhalten. In Stogdills zweitem empirischen Sammelreferat von 1974, welches zudem eine gewisse Situationsabhängigkeit erfolgsstiftender Persönlichkeitsmerkmale zulässt, zeigte sich, dass Attribute wie Verantwortungsbereitschaft, Aufgabenerfüllung, Durchhaltevermögen hinsichtlich Zielerreichung, Kreativität, Selbstvertrauen, Stressresistenz oder Beeinflussungsfähigkeit gekennzeichnet sind.[77]

Abschließend kann gesagt werden, dass die Eigenschaftstheorie in der Praxis sehr geschätzt wird, vor allem natürlich bei solchen Personen, die Führungspositionen innehaben, da sie als Bestätigung für ihre vermeintlich besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten herhalten. Ferner ist die Popularität auch auf die Einfachheit, Plausibilität und relativ leichte Anwendbarkeit zurückzuführen. Diesen positiven Aspekten steht aber fast ein überwiegender Teil negativer Kritik gegenüber. Dazu gehören die Theoriedefizite, die mangelnde Berücksichtigung der Situation, die Messmethoden und die Nichtberücksichtigung der Interdependenz von Charaktereigenschaften im Führungsprozess.[78] Zudem sind Eigenschaften keine gegenständlichen Gegebenheiten sondern theoretische Konstrukte, die nur aus beobachtbaren Verhaltensweisen erschlossen werden können und deren methodische Erfassung daher nicht unproblematisch ist. Schließlich ist auch fraglich, ob die ermittelten Eigenschaften Voraussetzungen des Führungserfolgs oder die Folgen des Erreichens einer Führungsposition sind.[79]

4.2.3 Rollentheorie

Die Rollentheorie, hauptsächlich aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich entsprungen, erweitert die Eigenschaftstheorie insofern, indem sie ihr Erkenntnisinteresse auf die zwischen Führungskräften und den Gruppenmitgliedern ablaufenden Reiz-Reaktions-Prozesse legt. Insbesondere wird bedacht, dass sich Führung erst aus dem Wechselspiel der Handlungserwartungen der Partner in der Gruppe herauskristallisiert.[80] Dies bedeutet, dass bspw. die Erwartungen an einen Abteilungsleiter, die von verschiedenen anderen sozialen Positionen wie z.B. Sachbearbeiter an diesen gestellt werden, im Wesentlichen die Führungsrolle definiert. Dabei kann der Begriff „Rolle“ als Bündel normativer Erwartungen von häufig unterschiedlichen Erwartungsträgern (Sendern) beschrieben werden, die sich an die Inhaber bestimmter sozialer Positionen richten.[81] Rollenformulierungen tragen wesentlich zur Komplexitätsreduktion, Denkentlastung, Erwartungsstabilisierung, Koordination, Legitimation und damit zur Handlungstransparenz und -fähigkeit bei. Sie sind folglich das vorweggenommene Einverständnis zur Standardisierung des Verhaltens und der Haltung.[82] Jedes Mitglied einer Gesellschaft erwirbt im Verlaufe des Sozialisationsprozesses die Fertigkeit, mehrere Rollen auszufüllen und Rollenerwartungen nachzukommen. Dabei nimmt jeder Mensch gleichzeitig verschiedene Positionen im Leben ein. Wo immer sich Gruppen konstituieren, wie bspw. auch in Unternehmen und Organisationen, entwickeln sich stets Rollendifferenzierungen, oftmals auch nach Rangordnungen.[83]

[...]


[1] Vgl. Erman/Wetzel 1999, S. 11.

[2] Um einen besseren Textfluss zu gewährleisten, erfolgt in dieser Arbeit die Geschlechterbenennung lediglich in maskuliner Form. Diese schließt jedoch gleichermaßen das Femininum ein.

[3] Vgl. Powernews.org – Nachrichten 2008.

[4] Vgl. Kraus u.a. 2006, S. 13.

[5] Vgl. ebenda, S. 15.

[6] Vgl. Theobald/Theobald 2001, S. 1.

[7] Vgl. Schöneich 2004, S. 37.

[8] Vgl. Neu 1999, S. 9.

[9] Vgl. Weizsäcker 2004, S. 9.

[10] Vgl. ebenda, S. 9 und GWB.

[11] Vgl. Mengers 2007, S. 24 f.

[12] Vgl. Neu 1999, S. 9.

[13] Vgl. Leuschner 2000, S. 3: u. Theobald 2003, S. 10.

[14] Vgl. Ruhrgas AG 2007, S. 31 f.

[15] Vgl. Brunekreeft/Keller 2000, S. 125 ff.

[16] Das Subsidiaritätsprinzip ist ein gesellschaftspolitisches Prinzip, nach dem übergeordnete Einheiten (z.B. der Staat) solche Aufgaben wahrnehmen, zu denen untergeordnete Einheiten (z.B. private Unternehmen) nicht in der Lage sind.

[17] Vgl. Schöneich 2004, S. 38.

[18] Vgl. Kronberger 2002, S. 4.

[19] Vgl. Europäische Union 2002.

[20] Vgl. Richtlinie 98/30/EG 1998.

[21] Vgl. Germer u.a. 2007, S. 58f., Rn. 14.

[22] Vgl. König u.a., S. 26.

[23] Vgl. Ermann/Wetzel 1999, S. 11.

[24] Vgl. Germer u.a. 2007, S. 68, Rn. 26 ff.

[25] Vgl. ebenda, S. 69 f., Rn. 30 f.

[26] Vgl. König u.a. 2006, S. 26.

[27] Vgl. Germer u.a. 2007, S. 70, Rn. 32.

[28] Vgl. Theobald/Theobald 2001, S. 68 f.

[29] Vgl. Germer u.a. 2007, S. 72 ff., Rn. 36 ff.

[30] Vgl. König u.a. 2006, S. 51.

[31] Vgl. Germer u.a. 2007, S. 75, Rn. 42.

[32] Vgl. König u.a. 2006, S. 66.

[33] Vgl. ebenda, S. 83 ff.

[34] Vgl. ebenda, S. 102 ff.

[35] Vgl. ebenda, S. 139.

[36] Vgl. ebenda, S. 183.

[37] Vgl. Koenig u.a. 2008, S. 7.

[38] Vgl. Stolzenberg/Heberle 2006, S. 2.

[39] Vgl. Kleingarn 1997, S. 39.

[40] Gabler 1997, S. 2897.

[41] Vgl. Stolzenberg/Heberle 2006, S. 2 ff.

[42] Vgl. Abbildung aus Kotter 1997, S. 38 f. u. Kraus u.a. 2006, S. 19.

[43] Vgl. Doppler/Lauterburg 2005, S. 171 f.

[44] Vgl. ebenda, S. 237.

[45] Vgl. Kraus u.a. 2006, S. 222 f.

[46] Vgl. Kotter 1997, S. 119.

[47] Vgl. Reiß 1997, S. 37.

[48] Vgl. Osterloh/Frost 1998, S. 22.

[49] Vgl. Kraus u.a. 2006,S. 22.

[50] Vgl. ebenda, S. 28 f.

[51] Vgl. Reiß 1997, S. 47.

[52] Vgl. Kraus u.a. 2006, S. 31 f.

[53] Vgl. ebenda, S. 34 f.

[54] Vgl. Dubs 1995, S. 158.

[55] Vgl. Wunderer 2003, S. 4.

[56] Vgl. Hentze u.a. 2005, S. 1.

[57] Vgl. ebenda, S. 1 f.

[58] Vgl. Rahn 2005, S. 30.

[59] Vgl. Rosenstiel u.a. 2003, S. 4.

[60] Vgl. Jung u.a. 2007, S. 3.

[61] Vgl. Franken 2004, S. 239.

[62] Vgl. Reimer 2005, S. 13 f.

[63] Vgl. Staehle 1999, S. 72 f.

[64] Vgl. ebenda, S. 70.

[65] Vgl. Macharzina 2003, S. 40.

[66] Vgl. Jung u.a. 2007, S. 4 f.

[67] Vgl. Ulrich/Fluri 1992, S. 13.

[68] Vgl. Wunderer 2004, S. 270 ff.

[69] Vgl. Stogdill 1974, S. 7 f.

[70] Vgl. Macharzina 2003, S. 481.

[71] Vgl. Neuberger 2002, S. 224.

[72] Vgl. Hentze u.a. 2005, S. 173.

[73] Vgl. Wunderer 2004, S. 275.

[74] Vgl. Weibler 2001, S. 137.

[75] Vgl. Macharzina 2003, S. 481.

[76] Vgl. Wunderer/Grundwald 1980, S. 114 ff.

[77] Vgl. Macharzina 2003, S. 482.

[78] Vgl. Hentze u.a. 2005, S. 179 ff.

[79] Vgl. Reimer 2005, S. 219.

[80] Vgl. Macharzina 2003, S. 484.

[81] Vgl. Wunderer 2003, S. 294.

[82] Vgl. Neuberger 2002, S. 314.

[83] Vgl. Wunderer 1980, S. 130.

Ende der Leseprobe aus 126 Seiten

Details

Titel
Wandel der Mitarbeiterführung bei kommunalen und regionalen Energieversorgungsunternehmen als Konsequenz der Veränderung energiewirtschaftlicher Rahmenbedingungen
Hochschule
Wissenschaftliche Hochschule Lahr
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
126
Katalognummer
V121499
ISBN (eBook)
9783640264223
Dateigröße
1683 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wandel, Mitarbeiterführung, Energieversorgungsunternehmen, Führung, EVU, Energiewirtschaft, Führungsstil, Energieversorgung, Unternehmensführung
Arbeit zitieren
Burkhard Hergenhan (Autor:in), 2008, Wandel der Mitarbeiterführung bei kommunalen und regionalen Energieversorgungsunternehmen als Konsequenz der Veränderung energiewirtschaftlicher Rahmenbedingungen , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121499

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