Mythos Pygmalion

Ein Textvergleich von Ovid und John Updike


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2003

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1. Pygmalion hat die Frauenwelt satt. Er hält das weibliche Geschlecht für verbrecherisch und bleibt daher ehelos. Jedoch ist er ein geschickter Bildhauer und schafft mit eigener Hand die Statue eines wunderschönen Mädchens, in die er sich prompt verliebt. Er beschenkt und bekleidet sie, küsst sie und meint, sie erwidere seine Küsse. Jedoch ist dies alles nur Täuschung, sie ist und bleibt unbelebtes Elfenbein – bis zum Feiertag der Venus: Pygmalion opfert und bittet die Göttin der Liebe und Schönheit indirekt, seinem Mädchen Leben einzuhauchen. Und das Wunder geschieht, sie wird lebendig, die beiden heiraten mit dem Segen der Göttin und die ehemalige Statue gebiert neun Monate später Paphos, „de qua tenet insula nomen“, von welcher die Insel ihren Namen erhält.

Diese ungewöhnliche Liebesgeschichte mit Happyend findet sich in Ovids `Metamorphosen`, einer antiken Sammlung von über 250 Verwandlungsgeschichten, wie z.B. Daidalos und Ikaros, Pyramus und Thisbe, Orpheus und Eurydice u.v.m. Über den Autor selbst wissen wir vor allem das, was in seiner Autobiographie (Tristia IV 10) geschrieben steht: Er wurde am 20. März 43 v. Chr. in Sulmo geboren, ist dem italienischen Landadel angehörig und studiert und lebt trotz der Liebe zu seiner Heimat in Rom. Sein Studium der Rhetorik hinterlässt tiefe Spuren in seinem Werk, auch befasst er sich mit juristischen Dingen. Den Gefallen, die Senatorenlaufbahn einzuschlagen, tut er seinem Vater jedoch nicht, da diese durch das Prinzipat viel von ihrer Anziehungskraft verloren hatte. Abgesehen vom politischen Desinteresse, entdeckte Ovid schon früh sein dichterisches Talent, das sich trotz aller Bemühungen, eine lohnendere Karriere zu beginnen, immer heftiger Bahn bricht. Er verkehrt im Dichterkreis um Corvinus, dessen herausragendstes Mitglied der Elegiker Tibull darstellt, dem Ovid sowohl zahlreiche Themen als auch Kenntnisse über Versaufbau verdankt. Ovid beginnt ebenfalls als Elegiker und beschäftigt sich als Dichter zeit seines Lebens vorrangig mit der Liebe, was ebenfalls ein typisches Merkmal seiner Generation ist: Wie der Staatsmann als altrömisches Ideal ausgedient hat, so verschiebt sich das Interesse der jungen Dichter von der Gesellschaft zum Privaten und damit rückt in logischer Konsequenz die Liebe als Leitmotiv unbestritten in den Vordergrund. Natürlich entwickelte die Liebeselegie seit ihren Anfängen in Catull eine ganze Reihe von Konventionen, die Ovid gern parodierte oder in satirischer Absicht rhetorisch überlud. Werke in dieser Richtung sind die ‚Amores’, Liebeselegien in fünf Büchern, die ‚Ars Amatoria’, die Büchlein über die Liebeskunst, in denen beiden Geschlechtern Tipps und Ratschläge zum möglichst unbeschwerten Liebesgenuss gegeben werden, außerdem ein kleines Werk über Schönheitspflege und die ‚Remedia amoris’, Heilmittel gegen die Liebe. Man erkennt also unschwer sein übergroßes Interesse für alles, was mit Liebe und Erotik zusammenhängt und zwar vor allem für die psychologisch-psychische Seite, außerdem lässt er auch schon in dieser ersten Schaffensperiode einen deutlichen Hang zum Mythos erkennen („expedit esse deos et, ut expedit, esse putemus“, so begründet Ovid seinen Glauben in der ‚Ars Amatoria’), der sich in den ersten Jahren nach Christi Geburt in den Metamorphosen niederschlägt und damit den zweiten Teil seiner schöpferischen Tätigkeit charakterisiert.

Im Jahre 8 n. Chr. wird er verbannt, offiziell wegen der (acht Jahre zuvor erschienenen!) unsittlichen ‚Ars Amatoria’, inoffiziell aber deutet Ovid mehrfach an, „etwas Verbotenes gesehen“ zu haben. Im Exil wendet er sich wieder der Elegie zu und legt unter anderem seine übergroße Sehnsucht nach Rom und seiner Schönheit in seine Verse. Auch verfasst er ein Lobgedicht auf Tiberius und Augustus, aber es hilft alles nichts: Er wird nicht begnadigt und stirbt 17 n. Chr. im Exil in Tomi.

Der ‚Pygmalion’ ist ebenso wie die anderen Metamorphosen keine vom Autor erdachte Geschichte sondern ein typisch antiker, weit verbreiteter Stoff, der auch in anderen Versionen im Umlauf war. Was aber macht den Zauber dieser bekannten Geschichte aus?

Ich glaube, es ist die Möglichkeit der Erfüllung von Träumen, der Realisierung des Unmöglichen – und damit ist nicht nur die Belebung der Statue gemeint. Dieser Mythos ist die poetisierte Version vom Traum der Künstler von der Beseelung ihrer Schöpfung und wurde nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in Literatur und Theater immer wieder thematisiert. Auch wird darin kritisch vor der Überschätzung der eigenen Werke gewarnt, er enthält die Mahnung, sich nicht vom schönen Schein täuschen zu lassen und vor allem nichts höher zu achten, nur weil es dem eigenen Ingenium entspringt.

Um sich in die Person des Pygmalion versetzen zu können, müssen die äußeren Umstände entsprechend schlecht sein, damit er überhaupt Verständnis erhält und man ihn nicht als verschrobenen, hochmütigen, eitlen Künstler abtun kann. Pygmalion sehnt sich nach einer reineren Form von Liebe als der, welche ihm tagtäglich am Beispiel der Frauen, die „aevum per crimen agentis“, ihr Leben mit Verbrechen verbringen, vor Augen geführt wird. Diese „Verbrechen“ werden kaum anderer Art als die der Treulosigkeit und des Ehebruchs sein – eine für Ovid höchst untypische Aussage, rät er doch in der ‚Ars Amatoria’ noch zum Ehebruch nach Belieben, dem Vergnügen ohne Verpflichtung und Reue, ja, gibt den Frauen sogar Ratschläge, wie sie ihre Ehemänner am besten überlisten können! Pygmalion muss also ein außerordentlich sittsamer Mann sein, mit einem für den Normalbürger fast unvorstellbaren Rechtsempfinden, der von der Frauenwelt bitter enttäuscht und gekränkt worden sein muss – dies wiederum ist wohl für weitaus mehr Männer vorstellbar und rechtfertigt Pygmalions Hass auf das weibliche Geschlecht zumindest ein wenig. Die Konsequenz dieser seiner Entscheidung ist die Ehelosigkeit und auch eine lange Phase der sexuellen Enthaltsamkeit, währenddessen er die berühmte Statue schafft. Interessanterweise verliert Ovid kein Wort über das Motiv des Bildhauers, ob er denn nun die Statue absichtlich als Gegengewicht zum Rest der Frauenwelt schafft, um ihnen durch ein Beispiel vollkommener Schönheit und Sittsamkeit den Spiegel vorzuhalten, oder ob es einfach im Zuge seiner Schaffenstätigkeit als Bildhauer geschah, die jedoch bei Ovid im Gegensatz zu den meisten anderen Pygmaliontexten kein einziges Mal erwähnt wird. So wirkt es, als sei dieses Bild der perfekten Frau wie unabsichtlich entstanden „mira feliciter arte sculpsit“, er meißelte glücklich durch wundersame Kunst, so ist also auch schon die Entstehung der Figur allein eine Art Wunder, d.h., die Person des Schaffenden als genialem Bildhauer tritt in den Hintergrund und die anschließende Liebe zur Statue kann nicht als bloße Selbstverliebtheit interpretiert werden. Pygmalion kann auch kaum glauben, dass sie kein wirkliches Mädchen sein soll, so vollkommen ist ihm die eigene Täuschung gelungen. Auch dies zeigt, wie völlig unabhängig von seinen Fähigkeiten er die Statue betrachtet. Und doch ist seine Liebe vorrangig die Liebe zu seinem Werk – keine Eigenliebe, aber hätte er sie nicht selbst geformt, hätte sie kaum seinem vollkommenen Wunschbild entsprechen können, wie die Liebe eines Vaters zu seiner Tochter niemals objektiv sein könnte und alles, was sie leistet, in gewisser Weise auch auf ihn zurückfällt. Durch die Mühe und Sorgfalt, die er in das Bildnis gesteckt hat und die seine Erwartungen noch vervielfachen, empfindet er sein Werk als noch viel vollkommener als es eigentlich ist; so fungiert es gleichzeitig als Objekt und Verstärker seiner Liebe (s. Zitat S.1). Pygmalion behandelt sein Werk wie es ihm erscheint, nämlich als lebendiges Mädchen, dem es gefällt, wenn es beschenkt oder hübsch zurechtgemacht wird. Dieses Betragen ist keineswegs so ungewöhnlich, wie die Geschichte des verliebten Bildhauers, sondern schildert unter deren Deckmantel das häufige Benehmen von Verliebten, die in all ihrer Verliebtheit die wahren Bedürfnisse der geliebten Person übersehen und glauben, alles, was sie tun, müsse Freude bereiten, da sie es ja schließlich mit Liebe tun! Doch Pygmalion und sein Verhalten erscheinen bestenfalls rührend, aber in ihrer Vergeblichkeit fast schon lächerlich. Es scheint, als sei Pygmalion auf ewig diesem Wahn verfallen, aus dem es kein Entrinnen gibt, in Liebe zu seiner „Gemahlin“ entbrannt, die niemals erwidert werden kann. Vielleicht könnte man diese vergebliche und im wahrsten Sinne blinde Liebe auch philosophisch deuten, auch wenn das gewagt ist: Enthält dieser uralte Mythos vielleicht eine versteckte Kritik an der Weltanschauung der Menschen, die meinen, alles, was sie sähen, sei Realität? Findet sich im Pygmalion mythologisiert vielleicht eine Verwandtschaft mit dem Höhlengleichnis? Jedenfalls ist die Situation eine ähnliche: Er sieht und sieht doch nicht, er liebt, aber er liebt nicht den vermeintlich geliebten Gegenstand, sondern ein Wesen, das er in jener Statue zu sehen glaubt, eine Frau mit ihren Zügen. Geschieht uns das nicht allzu oft? Verfallen wir nicht häufig einem Wahn und glauben fest an ihn, bis die Zeit unsere Irrtümer aufklärt? Zu oft betrachten wir das jenige als Seiend von dem wir keinerlei anschauliche Beweise haben (ich erinnere beispielsweise an die Kreuzzüge, wo Glaube ( = Nichtwissen) sich als Wissen ausgab und schreckliches Geschehen verursachte). In dieser Situation befindet sich Pygmalion und wirkt in all seiner rührenden Vergeblichkeit menschlich, allzumenschlich. Es ist schließlich kein Wahnsinniger, dem dies unterläuft, sondern ein eigentlich völlig durchschnittlicher Mensch, ein Bildhauer, dem die Frauenwelt auf die Nerven geht. Nichts Außergewöhnliches oder Unverständliches., sondern menschlicher Alltag. Man sollte sich selbst immer wieder überprüfen, ob man Verallgemeinerungen und Vorurteile nicht doch trotz aller Liberalität gerne als erwiesene Wahrheit ansieht. Jedenfalls befindet sich Pygmalion in genau diesem verzweifelten Zustand, dessen er sich in lichten Momenten auch bewusst ist, und im gewöhnlichen Alltag wäre er auch bis zu dem Punkt, an dem er sich frei entscheidet, seinen Zustand zu verändern, darin gefangen. Doch nun kommen diejenigen ins Spiel, die nach antikem Glauben in besonderen Situationen in das Leben der Menschen eingreifen, je nachdem belohnend oder bestrafend; Letzteres taucht vor allem in Zusammenhang mit einer Hybris auf, dem hochmütigen Aufbegehren der Menschen gegen die Götter, gotteslästerlichem Verhalten, wie bei den ‚Lykischen Bauern’, welche die Rache der Latona trifft, Missachtung der Riten, wie es bei den Erzählerinnen der Metamorphosen der Fall ist, die aufgrund bewussten Fehlens beim Fest des Bacchus am Ende in Fledermäuse verwandelt werden. Doch Pygmalion beweist Gottesfürchtigkeit (pietas), „cum munere functus“, als er das von ihm verlangte Amt verrichtet und der Venus geopfert hat, darf er zaghaft seine Bitte vorbringen, die er so bescheiden wie möglich formuliert: Er bittet nicht um die Belebung der Statue, weil ihm das zu hochmütig erscheint, sondern wünscht sich nur eine Gattin, die dieser gleiche. So viel Anstand wird natürlich belohnt, Venus versteht, was der Liebende meint und erfüllt ihm den Wunsch. So werden in dieser Geschichte die beiden Hauptthemen des Ovid geschickt verknüpft, Liebe/Erotik und Mythos erscheinen als untrennbare Einheit und funktionieren nur im Zusammenspiel. Gleichzeitig hat der ‚Pygmalion’ eine Lehrfunktion; wie viele der Metamorphosen, weist er auf die Bedeutung der Frömmigkeit hin und verspricht bei erwünschtem Verhalten den Lohn, nämlich die Wahrwerdung eines fast hoffnungslos gehegten Wunsches, die Vollbringung von Wundern. Nicht unbedingt Wunder wie die Fleischwerdung von Elfenbein, aber:

Ist erfüllte Liebe nicht an sich schon ein Wunder?

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Mythos Pygmalion
Untertitel
Ein Textvergleich von Ovid und John Updike
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V121480
ISBN (eBook)
9783640262779
ISBN (Buch)
9783640262809
Dateigröße
661 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Wettbewerbsarbeit für die Stiftung Humanismus Heute, die mit dem 1. Platz ausgezeichnet wurde
Schlagworte
Pygmalion Ovid Metamorphose John Updike Verwandlung, Mythos, Pygmalion, Ovid, Metamorphose, Interpretation, John Updike
Arbeit zitieren
Theresa Marx (Autor:in), 2003, Mythos Pygmalion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121480

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