Die NATO-Osterweiterung - Ein Angriff auf Russlands regionalen Machtanspruch?


Projektarbeit, 2008

154 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Historischer Abriss
2.1 UdSSR/ Russland
2.2 NATO
2.3 Die Osterweiterung der NATO

3 Aktueller Forschungsstand

4 Theoretischer Hintergrund
4.1 Überblick
4.2 Theorieansätze
4.2.1 Realismus
4.2.2 Struktureller Ansatz
4.2.3 Nye: Hard-, Softund Smart-Power
4.3 Anpassung des Konzeptes von Barnett & Duvall und Nye

5 Abgrenzung der Region

6 Methodik
6.1 Qualitative Sozialforschung
6.1.1 Begründung für eine qualitative Herangehensweise
6.1.2 Merkmale qualitativer Forschung
6.2 Theorie der qualitativen Sozialforschung
6.2.1 Symbolischer Interaktionismus (SI)
6.2.2 Phänomenologie
6.2.3 Schnittmengen der Ansätze
6.3 Quantitativevs. qualitative Sozialforschung
6.4 Untersuchungsdesign: Dokumentenanalyse
6.5 Untersuchungsmethoden: (Zusammenfassende) qualitative Inhaltsanalyse
6.6 Gütekriterien qualitativer Sozialforschung
6.7 Auswertung mittels MAXQDA
6.7.1 Kategoriensystem
6.7.2 Codieren
6.7.3 Code-Häufigkeit
6.7.4 Intercoderreliabilität und Textzusammenfügung
6.7.5 Codeplan
6.7.5.1 Erläuterungen zum Codeplan

7 Auswertung/ Analyse
7.1 Allgemeine Anmerkung
7.2 Erweiterung erwünscht?
7.2.1 Amtszeit Jelzin (1991 – 1999)
7.2.2 Amtszeit Putin (2000-2008)
7.3 NATO-Erweiterung empfunden als
7.3.1 Amtszeit Jelzin (1991-1999)
7.3.2 Amtszeit Putin (2000-2008)
7.4 Gründe für die Erweiterung
7.4.1 Amtszeit Jelzin (1991-1998)
7.4.2 Amtszeit Putin (2000-2008)
7.5 Gründe gegen Erweiterung
7.5.1 Amtszeit Jelzin (1991-1999)
7.5.2 Amtszeit Putin (2000-2008)
7.6 Russische Reaktionen auf die NATO-Osterweiterung
7.6.1 Amtszeit Jelzin (1990-1999)
7.6.2 Amtszeit Putin (2000 – 2008)
7.7 Westliche Reaktionen auf die NATO-Osterweiterung
7.7.1 Amtszeit Jelzin (1990-1999)
7.7.2 Amtszeit Putin (2008-2008)
7.8 Souveränität
7.9 Charakterisierung von Russland
7.9.1 Amtszeit Jelzin (1991 – 1999)
7.9.2 Amtszeit Putin (2000 – 2008)
7.10 Wahrnehmung der Staatsführer
7.10.1 Amtszeit Jelzin (1991 – 1999)
7.10.2 Amtszeit Putin (2000 – 2008)
7.11 Staatsführer allgemein
7.11.1 Amtszeit Jelzin (1991 – 1999)
7.11.2 Amtszeit Putin (2000 – 2008)
7.12 Wahrnehmung vom Westen
7.12.1 Amtszeit Jelzin (1991 – 1999)
7.12.2 Amtszeit Putin (2000 – 2008)
7.13 Wahrnehmung von Russland
7.13.1 Amtszeit Jelzin (1991 – 1999)
7.13.2 Amtszeit Putin (2000 – 2008)
7.14 Alternativen zur NATO-Osterweiterung
7.14.1 Amtszeit Jelzin (1991 – 1999)
7.14.2 Amtszeit Putin (2000 – 2008)
7.15 Strategische Partnerschaft der NATO mit Russland als unerwünscht oder erwünscht empfunden?
7.15.1 Amtszeit Jelzin (1991 – 1999)
7.15.2 Amtszeit Putin (2000 – 2008)

8 Ergebnis

9 Fazit/ Ausblick

10 Kritik

11 Literaturverzeichnis

12 Anhang
12.1 Abbildungsverzeichnis
12.2 Tabellenverzeichnis
12.3 Codesystem in MAXQDA

1 Einleitung

Russland ist der größte Flächenstaat der Welt, sein Territorium erstreckt sich auf über 17,1 Mio. km² und verläuft über zwei Kontinente: Europa und Asien (vgl. Stadelbauer 2001: 10). Während der letzten zwanzig Jahre erfuhr das Land zahlreiche territoriale Veränderungen, besonders durch den Zusammenbruch der Sowjetunion. Daraus entstanden geopolitische Streitigkeiten und Konflikte aufgrund ethnischer oder ökonomischer Probleme, wie z. B. der Streit mit Georgien um Abchasien und Südossetien oder der Tschetschenienkonflikt (vgl. Stadelbaur 2001; Halbach 2001; Heinemann-Grüder 2001: 86).

Auch ökonomisch kam es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 zu einem großen Umbruch und so ist die Planwirtschaft einer „spezifisch 'russische[n]' Marktwirtschaft“ (Höhmann 2001: 120) gewichen. Trotz der Etablierung zahlreicher westlicher wirtschaftlicher Prinzipien, blieb der Erfolg lange nicht sichtbar. Noch im Jahre 2000 sieht sich Russland auf das Niveau eines Drittweltlandes herab rutschen, da sich viele der ehemaligen Ostblockstaaten gen Westen orientieren und der NATO beitreten wollen (vgl. Putin 2000). Die ehemaligen Teilrepubliken der Sowjetunion versuchen damit, den direkten Einfluss Russlands zu reduzieren. Der bisherige, direkte Einflussbereich Russlands auf das ehemaligen sowjetische Gebiet nahm zunehmend ab und führte zum Bild eines verwundeten russischen Bä- ren, der nur noch die paar Meter vor dem Höhleneingang unter Kontrolle hat, was ein Problem für das Selbstverständnis von Russland darstellt. Es sieht sich nicht als ein schwacher Staat, sondern noch immer in einer ähnlichen Rolle, wie zu Zeiten des Kalten Kriegs: ein mächtiger Staat, der schon allein aufgrund der ständigen Mitgliedschaft und des Vetorechts im Sicherheitsrat sowie dem größten Atomwaffenarsenal der Welt einen Gegenpol zu den USA bilden kann. Es reicht jedoch nicht aus, nur Faktoren aufzuführen, die für sich alleine stehend, kaum Erklärungskraft besitzen.

So geht Russland unterschiedliche Wege um seinen Führungsanspruch weiterhin aufrecht zu erhalten: Auf der einen Seite erhöhen Russland, China und die USA, stetig ihre Verteidigungshaushalte. Auf der anderen Seite strebt Russland seit 2000 eine strategische Partnerschaft mit China an, wobei jedoch nur vermutet werden kann, dass dies geschah, um dem Machtstreben der USA entgegenzuwirken. Wird sich

Russland daher auch zukünftig in Richtung Asien orientieren um seine Macht auszubauen bzw. zu stabilisieren?

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wechselte Russlands Rolle während der Ära Jelzin vom Gegenspieler hin zum neuen Partner des Westens. Gerade Jelzin galt dabei als „verlässlicher Partner des Westens“ (Baur 2001: 97). Bereits Anfang der 90er Jahre kam es zu vielen Übereinstimmungen bezüglich der Interessen der beiden Partner (vgl. ebd.). Ab Mitte der 90er Jahre traten jedoch Brüche in den Beziehungen zwischen dem Westen und Russland auf. Grund hierfür war zum einen der erste Tschetschenienkrieg 1995 und zum anderen der Widerstand Russlands gegen die Erweiterung der NATO (vgl. ebd.: 98).

Die NATO stellte während des Kalten Kriegs den militärische Gegenspieler der Sowjetunion bzw. des Warschauer Pakts dar. Dabei war Moskau der politisch Kern des Warschauer Pakts und ist nach wie vor das politische Zentrum Russlands. Es stellt sich die Frage, in wie weit die alten Denkmuster und Feindesbilder noch immer die Politik Moskaus bestimmen. Zum einen kann für Russland die mächtige Militärallianz an seinen Staatsgrenzen als direkte Bedrohung verstanden werden, weshalb eine (bedingungslose) Zustimmung zur NATO-Osterweiterung vonseiten Russland nicht erwartet wird. Zum anderen werden von beiden Seiten partnerschaftliche Gespräche geführt und Wünsche nach mehr Zusammenarbeit geäußert um die Beziehungen zwischen der NATO und Russland zu verbessern. Allgemein stellt sich jedoch die Frage, ob die NATO-Osterweiterung einen Angriff auf den regionalen Machtanspruch Russlands darstellt und welche Möglichkeiten Russland offen stehen, um seinen eigenen Willen durchzusetzen?

Im folgenden wird der Inhaltliche Aufbau der vorliegenden Projektarbeit kurz erläutert: Zu Beginn soll die historische Entwicklung (Kapitel 2) der UdSSR bzw. Russlands sowie des vermeintlichen Kontrahenten, der NATO, dargestellt werden. Auch der Prozess der Erweiterung wird mit seinen Grundlagen, Beweggründen und Bedingungen kurz dargestellt, um ein Verständnis für die jüngeren geschichtlichen Ereignisse zu erreichen, da diese für die spätere Analyse von Bedeutung sind. Der historische Überblick betrachtet daher die Amtszeiten der letzten beiden Präsidenten, Jelzin (1991 – 1999) und Putin (2000 – 2008). Beide standen nach der Umbruchphase zwar für eine stabilere Politik, als zu Zeiten der Sowjetunion, jedoch lassen sich bereits aufgrund ihrer Lebensläufe deutliche Unterschiede erkennen, welche sich vermutlich auch in ihren politischen Handlungen bzw. Äußerungen widerspiegeln.

Anschließend wird der aktuelle Forschungsstand präsentiert (Kapitel 3), indem mithilfe der breit gefächerten Literatur ein Überblick über die Beziehung zwischen der NATO und Russland gegeben wird. So nimmt beispielsweise Rasmussen eine Untersuchung vor, welche sich auf Ulrich Becks Theorieansatz der Reflexiven Moderne stützt und leitet daraus eine selbst verursachte Bedrohung für Europa durch die NA- TO-Osterweiterung ab. Shevtsova führt hingegen eine eher deskriptive Untersuchung der Politik unter Putin durch. Ebenso untersuchen auch Allison, Light und White die Beziehungen zwischen Europa und Russland für den Zeitraum der Präsidentschaft Putins.

Den Hintergrund der Untersuchung (Kapitel 4) bildet ein theoretisches Konzept, bestehend aus dem Ansatz von Barnett und Duvall und Nye. Erstere folgen dabei einer strukturbezogenen Denkweise welche es ermöglicht, unterschiedliche Formen von Einfluss in Beziehungen deuten zu können. Nye verfolgt einen mehr akteursorientierten Ansatz indem er sich besonders mit den Akteuren und ihren Handlungen in Bezug auf Macht und Leadership auseinandersetzt. Aus diesen beiden theoretischen Konzepten erfolgt eine analysebezogene Anpassung.

In Kapitel 5 wird eine kurze Eingrenzung der Region vorgenommen. Dabei werden die für die Untersuchung relevanten Gebiete vorgestellt und eingegrenzt. Dies ist notwendig, da die Analyse sich nur auf Staaten bezieht, die auch in den Beziehungen zwischen Russland, der NATO sowie für Russlands Einfluss im geografischen Europa eine Rolle spielen.

Im darauffolgenden Kapitel (Kapitel 6) erfolgt eine detaillierte Einführung in der Methodik der Untersuchung. Dabei soll ein kurzer Überblick über die Qualitative Sozialforschung vermittelt und anhand der zugehörigen Theorie erläutert werden. Ergänzend dazu erfolgt ein Vergleich der Quantitativen und der Qualitativen Untersuchungsmethoden, eine Darstellung des Untersuchungsdesigns, der Untersuchungsmethoden und der Gütekriterien Qualitativer Sozialforschung. Schließlich soll eine kurze Einführung und einen Überblick über die Auswertungsmöglichkeiten mit der Software MAXQDA gegeben werden mit dem die in verschiedenen (westlichen und russischen) Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten Dokumente codiert und ausgewertet wurden. Bevor jedoch die Auswertung der Dokumente erfolgt, wird das von den Autoren entwickelte Kategorienbzw. Codesystem dargestellt. Nach selbigem System wurden die recherchierten Dokumente analysiert bzw. ausgewertet (Kapitel 7).

Den Kern der Arbeit bildet die Auswertung der Quellen in Kapitel 7, indem diese, auf Basis der zuvor dargelegten Überlegungen entwickelten Codes, ausgewertet werden. Dabei sollen die jeweils am Ende der Code-Analyse stehenden „grauen Kästen“ die wichtigsten Punkte der Amtszeit Jelzin und Putin zusammenfassen um ein besseres Verständnis zu erreichen. Ein Vergleich der beiden Präsidenten erfolgt ebenfalls. Die Ergebnisse der Auswertung werden im Schlusskapitel nochmals bilanziert und gedeutet (Kapitel 8). Im Vorletzten Kapitel (Kapitel 9) wird ein Fazit gezogen und ein kurzer Ausblick gegeben.

Abschließend erfolgt in Kapitel 10 eine Selbstkritik mit Verbesserungsvorschlägen.

2 Historischer Abriss

Im Folgenden sollen kurz die historischen Entwicklungen der NATO und der Sowjetunion bzw. Russlands dargestellt werden. Anschließend werden einige Fakten, sowie Grundlagen, Beweggründe und Ziele der NATO-Osterweiterung beschrieben, um einen Einblick in das Thema dieser Arbeit zu erhalten.

Da für die vorliegende Projektarbeit ausschließlich die Phase vom Ende des Zweiten Weltkriegs bzw. der Gründungszeitpunkt der NATO am 04. April 1949 von Interesse ist, in der die beiden Protagonisten in direkter Konkurrenz zu einander standen, wird nicht die gesamte Geschichte der Sowjetunion bzw. Russlands dargelegt.

2.1 UdSSR/ Russland

Als im Mai 1945 die Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Berlin unterzeichnet wurde, beendete dies einen Krieg, der auf sowjetischer Seite 20 Millionen Menschen das Leben kostete und nahezu den gesamten westlichen Teil des Landes zerstörte.

Schnell zeigte sich, dass die Alliierten unterschiedliche Vorstellungen von einer angemessenen Deutschlandund Europapolitik hatten. Die UdSSR betrieb von Anfang an eine „Sowjetisierung“ der mittel-osteuropäischen Staaten. Die Expansionsbestrebungen der Sowjetunion führten bald nach dem Krieg zu ersten offen Feindseligkeiten unter den ehemaligen Verbündeten (Berlin Blockade). Bis zum Tod von Stalin 1953, verschärfte sich die Konfrontation.

Mit der Gründung des Warschauer Paktes 1955, wurde der „Frontverlauf“ des Kalten Krieges endgültig manifestiert. Unter Stalins Nachfolger, Chruschtschow, kam es erstmals zu Verhandlungen zwischen den Blöcken, da auf beiden Seiten erkannt wurde, dass die jeweiligen Waffenpotenziale einer offenen Auseinandersetzung unabsehbare Folgen haben könnte (Theorie der friedlichen Koexistenz). So wurden trotz Berlin-Ultimatum und Kuba-Krise, ein Atomtestabkommen und der Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet. Mit den Gesprächen über die Begrenzung strategischer Rüstung (SALT I & II) und der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), war der Höhepunkt der Entspannungspolitik erreicht. Doch mit der, ab Mitte der 1980er Jahre, erneut betriebenen Aufrüstung vonseiten der UdSSR und dem daran anschließenden NATO- Doppelbeschluss, kam es zu einer neuerlichen „Eiszeit“, also dem Abbruch aller Rüstungsverhandlungen, zwischen den Blöcken.

Die ständig wachsenden Rüstungsausgaben stellten nach „inoffiziellen Berechnungen russischer Ökonomen [...] in der 1980er Jahren auf 20 bis 25% des Bruttosozialprodukts“ (Simon 2002: 205) dar, was in etwa dem vierfachen der Belastungen der USA entsprach. Allerdings „bei einem wesentlich niedrigeren Gesamtniveau der wirtschaftlichen Entwicklung“ (Simon 2002: 205). Dies war von der sowjetischen Wirtschaft jedoch nicht mehr zu schultern und so kam es, dass 1985 unter Michail Gorbatschow als neuem Generalsekretär der KPdSU, mit den Begriffen „Perestroika“ (Umbau) und „Glasnost“ (Offenheit), nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Reformen in der UdSSR durchgeführt wurden.

Doch die Reformen kamen zu spät. Nach dem sich von 1990 an alle Sowjetrepubliken, nach und nach für souverän erklärten (Litauen und Georgien erklärten sich sogar unabhängig), war der Zerfall der UdSSR nicht mehr auf zuhalten. „Im Dezember 1991 verschwand ein System, das weder durch einen äußern Feind noch durch einen Aufstand der Gesellschaft hinweggefegt wurde, sondern das in sich zusammensackte, weil alle tragenden Säulen morsch geworden waren und das schwergewichtige Gebäude Sowjetunion mit dem gewaltigen Anbau des Sowjetimperiums nicht mehr tragen konnten: ein perfekter systemischer Kollaps“ (Plaggenborg 2001:70). Nach dem gescheiterten Augustputsch 1991 wurde Gorbatschow abgesetzt und die KPdSU verboten. Der formale Rücktritt Gorbatschows als Präsident und die Gründung der GUS, lösten die UdSSR auf.

Bereits Mitte der 1980er hatte die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) unter Führung von Boris Jelzin nach größerer Selbstständigkeit von der Zentralregierung der UdSSR gestrebt und sich 1990 für souverän erklärt. Nach dem Augustputsch kommunistischer Kräfte, der am Widerstand der Bevölkerung scheiterte, und der Gründung der GUS, sowie der Auflösung der Sowjetunion, folgte auf die Umbenennung in „Russische Föderation“, am 04. Oktober 1993 die erste verfassungsgebende Konferenz. Nach der Abstimmung der Bevölkerung über den Verfassungsentwurf, trat dieser am 12. Dezember des Jahres in Kraft.

Die demokratische Transformation unter Jelzin hatte „in Russland eine eigentümliche politische und wirtschaftliche Ordnung hervorgebracht“ (Schröder 2002: 268). Die Amtszeit Jelzins war begleitet von Korruption, dem Ausverkauf der wirtschaftlichen Infrastruktur und dem Aufbau einer Oligarchie. Der Aufbau demokratischer Institutionen war zwar geglückt, aber die wirtschaftliche Lage und die innere Sicherheit waren ernüchternd.

Jelzins Nachfolger, Wladimir Putin, der das Amt des Präsidenten am 01.01.2001 übernahm, begann von Anfang an damit, die russische Wirtschaft zu modernisieren und Russland zurück auf die Weltbühne zu führen. Von vielen Kritikern werden die augenscheinlichen Erfolge während der Amtszeit Putins für teuer erkauft gehalten. Verstaatlichung von Unternehmen, Monopolisierung der Medien und die Unterdrü- ckung der Opposition sind die Hauptargumente seiner Gegner. Seine Befürworter dagegen sehen genau darin den einzigen Weg, Russland weiter zu stabilisieren.

Wie die beiden im Auftreten und Regieren sehr unterschiedlichen Präsidenten auf die Erweiterungsbestrebungen der NATO reagiert haben oder ob überhaupt ein Unterschied auszumachen ist, soll im weiteren Verlauf dieser Arbeit analysiert werden.

2.2 NATO

Nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten die Westeuropäer und ihre nordamerikanischen Verbündeten mit zunehmender Sorge die expansive Ausrichtung der UdSSR. So wurde, trotz eines Versprechens aus der Kriegszeit, die Mannschaftsstärke der Roten Armee nicht reduziert. Das Gebaren der sowjetischen Führung ließ befürchten, dass getroffene internationale Vereinbarungen und die Charta der Vereinten Nationen nicht ausreichen würden um, „nationale Souveränität oder Unabhängigkeit demokratischer Staaten [...] zu gewährleisten“ (Handbuch NATO 2001: 31). Die Etablierung undemokratischer Herrschaftsformen in einigen mittelund osteuropäischen Staaten (z. B. der Staatsstreich in der Tschechoslowakei im Juni 1948) oder die im April 1948 begonnene Berlin-Blockade verstärkten diese Befürchtungen.

Als Reaktion auf das anhaltend aggressive und expansive Verhalten der UdSSR folgten Verhandlungen zwischen den westeuropäischen Ländern, den USA und Kanada mit dem Ziel der „Schaffung einer großen nordatlantischen Allianz auf der Grundlage von Sicherheitsgarantien und gegenseitigen Verpflichtungen“ (ebd.: 32).

Anfangs bestanden die Aufgaben der NATO, nach Auffassung ihres ersten Generalsekretärs Lord Hastings Lionel Ismay, darin „die Amerikaner in Westeuropa, die Russen außen vor und die Deutschen unter Kontrolle zu halten“ (Wiegrefe 1999: 1). Ihrem Verständnis nach ist die NATO „eine internationale Organisation, die auf dem Grundsatz der intergouvernementalen Zusammenarbeit souveräner Staaten basiert und neben dem Hauptziel der militärischen Verteidigung auch die Kooperation im politischen, ökonomischen und kulturellen Bereich auf der Grundlage demokratischer Regierungsformen und marktwirtschaftlicher Ordnung der Ökonomie anstrebt“ (Schmidt 1995: 657f.).

Nach Auffassung von Johannes Varwick, kann die Entwicklung der NATO in sechs, sich teilweise überlappende Phase unterteilt werden: „Neben der Aufbauund Ausbauphase 1949-1955, der Konsolidierungsphase 1956-1966, der Phase der Entspannungspolitik 1967-1973 und der Phase intra-atlantischer Konflikte 1973-1985 lässt sich die Zeit zwischen 1986 und 1991 als Übergangsphase bezeichnen. Die sechste Phase beginnt 1991 mit einem weiteren Umdenken der NATO in Bezug auf die Gewährleistung von Sicherheit in Europa“ (Varwick 1999: 8).

In der ersten Phase der NATO-Entwicklung, sah sich die Allianz einer deutlichen Übermacht an sowjetischen Truppen, im konventionellen Bereich, gegenüber. Das nukleare Waffenpotenzial der USA spielte in dieser Phase des Bündnisses noch eine sehr untergeordnete Rolle. Deshalb wurde rasch begonnen, die europäischen Streitkräfte konventionell aufzurüsten. Durch die Aufnahme der BRD in die NATO und im Gegenzug die Aufnahme der DDR in den Warschauer Pakt, waren in dieser Phase auch die endgültigen „Frontverläufe“ des Kalten Krieges gezogen. Erst gegen Ende dieser Phase entwickelte die Allianz eine strategische Konzeption, die der konventionellen Unterlegenheit und der nuklearen Überlegenheit Rechnung trug. Auf jeden Angriff von sowjetischer Seite sollte mit dem Einsatz von Atomwaffen geantwortet werden. In der Konsolidierungsphase wurde die Blockbildung zunehmend deutlicher, was nicht zuletzt im Bau der Berliner Mauer veranschaulicht wurde. Das zunehmende Aufholen der UdSSR im Bereich der nuklearen Waffentechnologie hatte für die Allianz zur Folge, dass ein neues strategisches Konzept entwickelt werden musste. Nicht mehr die uneingeschränkte Vergeltung jedweden russischen Angriffs wurde nun in Betracht gezogen, sondern die „flexible Antwort“ („Flexible Response“). Das heißt, dass je nach Situation entweder konventionelle oder nukleare Verteidigungsoder Angriffsmaßnahmen ergriffen werden sollten. Das „Gleichgewicht des Schreckens“, also die Pattsituation bezüglich der Waffenarsenale, zeigte erstmals, dass eine Eskalation der Auseinandersetzung zwischen den Blöcken, zur völligen Zerstö- rung Europas bzw. der ganzen Welt führen könnte. Allerdings eröffnete diese Situation, „paradoxerweise den Weg zu ersten vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen Ost und West“ (Alvarez 2004: 22).

Da sich über Jahre hinweg das strategische Gleichgewicht als stabil erwiesen hatte glaubte niemand an eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Böcken. So kam es das in dieser Phase der „Entspannungspolitik“, erstmals Verhandlungen über Rüstungskontrollen geführt wurden, da keine Seite eine Bedrohung der eigenen vitalen Interessen befürchten musste. Ausdruck dieser Entspannung waren die Verhandlungen und die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von Helsinki. Strategisch begegnete die NATO dieser neuen Situation mit einer militärisch-politischen Doppelstrategie. So sollte im Harmel-Bericht, die „(militärischen) Abschreckungsund Verteidigungsanstrengungen“ (ebd.: 27) beibehalten, aber gleichzeitig „durch eine Politik der Entspannung gegenüber dem Ostblock flankiert werden“ (ebd.: 27).

Als Antwort auf die zunehmende Aufrüstung der UdSSR ab Mitte der 1970er Jahre reagierte die NATO, unter Führung der USA, mit dem NATO-Doppelbeschluss. Mit der Stationierung neuer Waffensysteme in Europa, bei gleich bleibender Verhandlungsbereitschaft, wurde versucht, die Maxime „Verhandlung plus Verteidigung“ aus dem Harmel-Bericht voranzutreiben. Doch die USA begannen, nachdem Scheitern der Rüstungskontrollgespräche mit der UdSSR 1983, mit Hilfe neuer Waffensysteme, wie z. B. der „Strategic Defense Initiative“ (SDI), ihre wirtschaftlichen und technologischen Vorteile auszuspielen. So sollte das strategische Gleichgewicht zugunsten der NATO verschoben werde. Doch entscheidender und prägender war diese Phase aufgrund der inneren Auseinandersetzungen im Bündnis. „Gelegentliche Spannungen zwischen einzelnen Bündnispartner waren keineswegs ein neues Phänomen und bei einer so heterogenen Mitgliederstruktur und der geographischen Ausdehnung der Allianz auch zu erwarten“ (ebd.: 29). Doch das aggressive Auftreten der USA gegenüber dem Ostblock führte bei vielen europäischen Verbündeten zu der Ansicht, dass die USA ihre eigene Sicherheit über die der anderen Mitglieder stellte. Zudem konnte bei einigen Kriegen (Vietnam, Falkland) und Krisen (Suez-Kanal), bei welchen NATO-Mitglieder involviert waren, kein einheitliches Auftreten erreicht werden. Auch wirtschaftliche Unstimmigkeiten führten in dieser Phase zu intraatlantischen Konflikten, so z. B. die isländisch-britische Auseinandersetzung bezüglich der Fischfangrechte im Nordatlantik.

Durch den Führungswechsel in der Sowjetunion 1985, mit welcher der Reformer Michail Gorbatschow, Generalsekretär der KPdSU wurde, veränderte sich das Verhältnis der beiden Blöcke zueinander grundlegend. Nach einer erneuten und beschleunigten Periode der Entspannung, folgten rasch die Auflösung des Warschauer Paktes sowie der Zusammenbruch des Sowjetimperiums. Abrüstungsverhandlungen die nach dem bzw. mit dem NATO-Doppelbeschluss auf Eis gelegt wurden, konnten wieder aufgenommen werden. Erstmals konnten auch Mechanismen zur Kontrolle der Einhaltung der Verträge etabliert werden, beispielsweise im INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces Treaty) von 1987.

Doch entscheidender für das Ende des Ost-West-Konflikts war der interne Zusammenbruch des Ostblocks. Beginnend 1989 mit der Etablierung demokratischer Systeme in Staaten des Warschauer Pakts (Tschechoslowakei, Ungarn etc.), über den Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung Deutschland 1989/90, bis zur Auflösung des Warschauer Paktes und schließlich dem Zerfall der Sowjetunion 1991.

2.3 Die Osterweiterung der NATO

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts stand die NATO vor neue Herausforderungen. „Es mussten neuartige Kooperationsformen entwickelt werden, die dem Wunsch von zahlreichen mittelund osteuropäischen Staaten nach Mitgliedschaft in der NA- TO ebenso Rechnung tragen sollten, wie dem russischen Aufbegehren gegen eine Erweiterung des westlichen Einflussgebietes“ (Varwick 1999: 8f.).

Die Grundlage für einen Beitritt eines neuen Mitglieds ist Art. 10 des Nordatlantikvertrages, im dem es heißt: „Die Parteien können durch einstimmige Entscheidung jeden anderen europäischen Staat, der in der Lage ist, die Grundsätze dieses Vertrags zu fördern und zur Sicherheit des nordatlantischen Gebiets beizutragen, zum Beitritt einladen“ (NATO Handbuch 2001: 69). Konkret bedeutet dies für die Beitrittskandidaten spezifische politische und wirtschaftliche Ziele zu erreichen. „Dazu gehört die Beilegung internationaler und ethnischer Konflikte oder externer territorialer Auseinandersetzungen auf friedlichem Wege, die Demonstration einer Verpflichtung zu Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten, die Einrichtung einer demokratischen Kontrolle ihrer Streitkräfte sowie die Förderung von Stabilität und Wohlergehen durch wirtschaftliche Freiheit, soziale Gerechtigkeit und verantwortliches umweltpolitisches Handeln“ (Baltzer 2004: 16).

Begründet wird die Erweiterung damit, dass mit dem Ende des Ost-West-Konflikts, sowohl die Chance als auch die Notwendigkeit „zur Errichtung einer verbesserten Sicherheitsstruktur im gesamten euro-atlantischen Raum bestehe, ohne erneut Trennlinien zu ziehen“ (NATO Handbuch 2001: 70), denn durch „die NATO-Erweiterung wird niemand bedroht. Die NATO bleibt ein Verteidigungsbündnis, dessen Hauptzweck in der Erhaltung des Friedens im euro-atlantischen Raum und der Gewährleistung der Sicherheit seiner Mitglieder besteht“ (ebd. 70).

Bereits dreimal wurden neue Mitglieder in das Bündnis aufgenommen (1952 die Türkei und Griechenland, 1955 die Bundesrepublik Deutschland und 1982 Spanien). Der Unterschied zu den bisher beigetretenen Staaten besteht darin, dass die neuen Beitrittsstaaten nun allesamt aus dem ehemaligen Warschauer-Pakt stammen (vgl. Tabelle 1: Übersicht über die Beitrittsphasen). Mit jedem neuen Mitglied aus dieser Staatengruppe nähert sich der Einflussbereich der Allianz an die Grenzen Russlands. Russland sieht sich nun seinerseits zunehmend „umzingelt“ von ehemaligen Verbündeten, die lange Zeit eine Art Pufferzone für die eigenen Sicherheitsinteressen darstellten.

Die Osterweiterung der NATO ist daher ein alt bekannter Schritt unter neuen Vorzeichen. War die Erweiterung zu Zeiten des Kalten Krieges ein strategischer Schachzug um dem Gegner Einflusssphären streitig zumachen. So ist es heute, ohne einen Gegner im Format einer Supermacht, wie es die UdSSR früher war, ein Taktieren unter gleichberechtigten Partnern. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass Erweiterungen, die nicht in Abstimmung mit Russland verlaufen, nicht den Zielen der NATO, nämlich die Gewährleistung eines euro-atlantischen Sicherheitsraumes, dienlich sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Übersicht über die Beitrittsphasen

3 Aktueller Forschungsstand

Die vorhandene Literatur zur NATO-Russland-Beziehung ist sehr vielfältig und gleichzeitig geprägt von unterschiedlichen Annäherungsweisen an die Problematik. Mikkel Vedby Rasmussen unternimmt in seinem Aufsatz „Reflexive Security: NA- TO and International Risk Society“ von 1999 eine Adaption von Ulrich Becks Theorieansatz der reflexiven Moderne auf die Ebene der internationalen Beziehungen. Er stellt die Frage, wie sich die Sicherheitspolitik des Westens nach dem Ende des kalten Krieges erklären lässt und geht von der soziologischen Grundannahme des Thomas-Theorems aus, dass die Wirklichkeit sozial konstruiert ist und es somit auch keine objektiven Sicherheitsbedrohungen geben kann (vgl. Fuchs/ Lautmann/ Rammstedt/ Wienold 1988: 786; Rasmussen 2001: 286f.). Dies hat zur Folge, dass auch keine universelle Sicherheitstheorie entworfen werden kann. Deshalb leitet er, angelehnt an Beck, Risiko als operatives Sicherheitskonzept ab und beschreibt dies als „systematic way of dealing with hazards and insecurities induced and introduced by modernization itself“ (Rasmussen 2001: 290). Ausgelöst durch zweckrationales Handeln und dessen logischen Folgen entstehen Entwicklungen, deren Resultate die Logik des Handeln in Frage stellen. Er definiert ferner drei konstitutive Elemente des Risikos: „Management“, „The Presence of the Future“ und den „Boomerang Effect“ (vgl. Rasmussen 2001: 291ff.). „Management“ beinhaltet das Umgehen mit endlosen Risiken, welche eine ständige Transformation der Methoden notwendig machen. Dies stellt die Hauptaufgabe der Politik dar. „Presence of the Future“ weist auf die handlungsbestimmende Deutung der Zukunft hin, die Leitfunktion von Zukunftsszenarien für die aktuelle Politik. Der „Boomerang Effect“ beschreibt hingegen das Phänomen, dass der Verursacher auch der Leidtragende ist, so dass das Selbst zum Objekt der eigenen Aktionen wird. Er wendet dieses Konzept zudem auf die NATO- Russland-Beziehung an und beschreibt, dass durch das Ende des Kalten Krieges hinfällig gewordene, bis dahin gültige Sicherheitskonzept der NATO und die Transformation hin zu dem neuen, 1991 verabschiedeten Sicherheitskonzept mit dem Titel

„Security challenges and risks“. In diesem heißt es „the risks to Allied security that remain are multi-faceted in nature and multidirectional which makes them hard to predict and assess“ (Rasmussen 2001: 299). Dies ist für ihn der Beleg für ein erweitertes Sicherheitskonzept, das der zweckrationalen Logik folgend die NATO- Osterweiterung als Verringerung des Risikos ansieht ein instabiles Europa zu erzeugen (presence of the future). Für ihn stellt der „Boomerang Effect“ die daraus resultierende Destabilisierung Russlands dar, welche genau den gegenteiligen Effekt hat. Eine weniger theoriegeleitete Arbeit präsentiert Lilija Shevtsova mit ihrem Aufsatz

„Russlands Wille zur Weltmacht“. Sie unterstellt Russland unter Putin eine aggressivere Politik als Jelzin und Gorbatschow und führt eine erhöhte Nachfrage russischer Ressourcen, eine stabilere innenpolitische Lage, Putins Popularität und eine weltweite Unzufriedenheit mit dem amerikanischem Hegemon als Gründe an (vgl. Shevtsova 2007: 33ff.). „Die bloße Auflistung der vom Kreml benutzten Begriffe

−−"Netzwerk−Diplomatie" "Mittler", "Brücke", "geopolitisches Dreieck" und schließlich "Energie−Supermacht" −− illustriert, welche neue Stimmung unter der rußländischen Elite herrscht. Sie versucht, sich alle Möglichkeiten offenzuhalten, um sich in unterschiedliche Richtungen bewegen zu können und vermeidet dabei, auch nur eine einzige Verpflichtung einzugehen. Einerseits geht es um eine eigenständige Rolle Rußlands zwischen dem Westen und der restlichen Welt. Andererseits möchte Moskau sich einen Platz im Triumvirat mit den USA und der EU sichern. Im selben Moment offenbart Moskau mit der Betonung Rußlands als "Energiemacht" ein Machtverständnis, das einer Rückkehr zum geopolitischen Denken des 19. Jahrhunderts gleichkommt“ (Shevtsova 2007: 36). Des Weiteren hält sie die anti-westliche Politik Russlands durch die geopolitische Position für logisch, da nur diese einen zentralistischen Staat legitimiert. Dieser zentral organisierte, 'starke Staat' setzt auf geopolitische Attribute wie 'Souveränität' und 'Territorium', was eine Annäherung in Richtung NATO oder der EU erschwert, da keine gemeinsame Wertebasisvorhanden ist (vgl. Shevtsova 2007: 46 f.). Die Beziehung Russland-Europa-USA definiert sie als „geopolitisches Dreieck“, welches gekennzeichnet ist durch Netzwerkdiplomatie, bzw. interessengeleitete Zweckbündnisse. Die generelle Beziehung Russlands zum Westen beschreibt sie als „antagonistische Partnerschaft“. Dies bedeutet zum einen Partner in der Anti-Terror-Koalition und aktives Werben um westliche Investoren durch Russland und zum anderen Kritik an der Annäherung der Ukraine an den Westen bzw. das verstaatlichen westlichen Vermögens. Des Weiteren führt sie Gründe für die Verflechtung Russlands mit den postsowjetischen Staaten an: Diese beinhalten u. a. Migration, Zollfragen, den Kampf gegen den Terrorismus, einen gemeinsamer Absatzmarkt, ein Arbeitskräftereservoir, einen Transportkorridor, eine wechselseitige Durchdringung der Kulturen (russische Sprache) sowie starke wirtschaftliche Verflechtungen. Als Grund dafür, warum sich dennoch viele postsowjetischen Staaten Richtung Westen orientieren, sieht sie die Kommerzialisierung der russischen Außenpolitik, die Energieressourcen als Integrationsmaßnahme missbraucht und somit Ängste schürt (vgl. Shevtsova 2007: 42ff.). Sie sieht jedoch in gemeinsamen Wirtschaftsund Sicherheitsinteressen eine Unvereinbarkeit der Werte - wodurch sie auch den Versuch Russlands erklärt, durch besondere Beziehungen zu Deutschland und Frankreich einen Keil in eine gemeinsame EU-Politik zu treiben (vgl. Shevtsova 2007: 50 ff.). „Die gemeinsamen Wirtschaftsund Sicherheitsinteressen zwischen Rußland und der EU überlagern die Unvereinbarkeit ihrer Werte. Natürlich hängt die künftige Entwicklung davon ab, was sich als stärker erweist − die gemeinsamen Interessen oder die sich widersprechenden Werte“ (Shevtsova 2007: 45).

Einen ausführlichen Überblick über die Beziehungen zwischen Europa und Russland geben ebenso Roy Allison, Margot Light und Stephen White in ihrem Buch „Putin's Russia and the Enlarged Europe“ (Allison/ Ligth/ White 2006). In unterschiedlichen Aufsätzen untersuchen mehrere Autoren russische und westliche Standpunkte und ihr Verhältnis zueinander. Dabei wird festgestellt, dass während Putins Präsidentschaft, the „enlargement of the EU and NATO in 2004 […] has reinforced traditional Russian concerns about the effects of exclusion from the core decision-making processes of these organizations on Russian influence in Europe in general“ (Allison/ Light/ White 2006: 13). Weiterhin wird festgestellt, dass „both sides lack an overall strategic vision of the relationship“ (Allison/ Light/ White 2006: 16), was zu einem begrenzten Fortschritt bei der Koordination gemeinsamer Außenpolitikpositionen führt (vgl. Allison/ Light/ White 2006: 17). Über die Darstellung der bilateralen Politikstrategien Russlands zur Schwächung der Homogenität in der westlichen Allianz, wird zudem die Haltung und der Einfluss von russischen Eliten analysiert, bei welchen fundamentale Kooperationsgegner zwar vorhanden sind, jedoch eine „practical collaboration with NATO in defined fields“ (Allison/ Light/ White 2006: 17) die russische Außenpolitik dominiert. „Putin and his entourage view favourably the programme of cooperation under the NRC [NATO-Russland-Rat; die Verf.], since it is not subordinated to any specific process of transformation of Russia politically or economically“ (Allison/ Light/ White 2006: 18). Auch hier wird für beide Seiten eine mangelnde Politikorientierung an Werten festgestellt, was gleichzeitig jedoch neue Kooperationsfelder ermöglicht, sollte die NATO sich neu orientieren und den Fokus auf globale Missionen legen (vgl. Allison/ Light/ White 2006: 18). In Bezug auf die innerrussische Meinungsbildung zu Russlands Engagement mit der EU und der NA-

TO wird angeführt, dass Agenden politischer Parteien und Kandidaten, repräsentative Meinungsumfragen, sowie Fokusgruppeninterviews russischer Bürger untersucht werden, welche „indicate how far policies aimed at deeper Russian engagement in Europe reflected in society at large“ (Allison/ Light/ White 2006: 18f.). Neben der Bedeutung der öffentlichen Meinung für die Formulierung außenpolitischer Standpunkte zeigen die Autoren, dass auch Außenpolitik für nationale Wahlen wichtig ist. Dies macht deutlich, dass die Unterstützung der russischen Bevölkerung für jedes „europäische Projekt“ Russlands nötig ist[1] (vgl. Allison/ Light/ White 2006: 19). Neben erwartbaren Ergebnissen wie z. B. dass liberale Kandidaten eher eine Öffnung gen Westen befürworten als Nationalisten und Kommunisten, reicht die Analyse bis zu der häufig diskutierten These einer anderen Wertebasis: Lediglich ein Viertel der Befragten 2005 bezeichneten sich „'to a significant extent' or even 'to some extent' as Europeans“ (Allison/ Light/ White 2006: 19). Sie sprachen sich aber gleichzeitig zu 57 % für eine hypothetische EU-Mitgliedschaft Russlands aus, wobei lediglich 10 % die EU als große oder zumindest eine gewisse Bedrohung empfanden (vgl. Allison/ Light/ White 2006: 19). Im Bezug auf die NATO-Osterweiterung wurde herausgefunden, dass innerhalb der Bevölkerung die Erweiterungswelle 2004 mit den baltischen Staaten lediglich als „slight threat or no threat at all to Russian security“ (Allison/ Light/ White 2006: 20) gesehen wurde. Generell kann festgehalten werden, dass die NATO nur von wenigen Russen als Bedrohung wahrgenommen wird.

Auch Rob Johnson beschäftigt sich in seinem Buch „Pulverfass am Hindukusch“ (vgl. Johnson 2008) mit den Herausforderungen im russischen Einflussgebiet. Sein Fokus liegt auf einer Nachzeichnung des Tschetschenien-Konflikts bei dem sich Prä- sident Putin „mehr auf den Einsatz einer schlagkräftigen Streitmacht […] und weniger um die Kritik des Westens“ (Johnson 2008: 152) kümmerte als sein Vorgänger Jelzin. Er betont zum einen die wirtschaftliche Abhängigkeit der neu entstandenen Staaten von Moskau und zum anderen Moskaus Angst vor dem Islam und einem weiter wachsenden Einflussgebiet Amerikas (u. a. im Zuge der NATO- Osterweiterung). Ob im Tschetschenien-Krieg oder der russischen Beteiligung am Bürgerkrieg in Tadschikistan, die Russen sehen sich für die gesamte Region des ehemaligen Sowjetischen Gebietes weiter verantwortlich (vgl. Johnson 2008: 199ff.). Andere Autoren wie z. B. Roland Götz, „Die Reform der öffentlichen Wirtschaft in Russland“ (vgl. Götz 2003), oder Vlad Ivanenko mit seinem Aufsatz „Russlands Platz auf dem Weltmarkt“ (vgl. Ivanenko 2007) konzentrieren sich auf die wirtschaftlichen Abhängigkeiten Russlands von den Energieexporten, die Verstaatlichung des Energiesektors sowie die Verflechtung der russischen Wirtschaft mit den ehemaligen GUS-Staaten, welche eine interessante Analyse darstellen, jedoch nur ein Teilaspekt der Erklärung der russischen Außenpolitik sichtbar machen. Anna Steinel schreibt in ihrer Dissertation „Power, structures, and norms: determinants and patterns of NATO-Russia relations since 1997“ (vgl. Steinel 2007) treffend: „cooperation implies an effective pooling of interests and capacities that serves the best interests of both parties. It is largely this status quo that official texts and treaties between NATO and Russia refer to – a spirit that has ended a history of confrontation. My research has revealed that neither confrontation or cooperation, or even conflict or cooperation, adequately describe the relation between NATO and Russia“ (Steinel 2007: 182f.). Weiter führt sie an, dass die zwei Runden der NATO-Osterweiterung „indicators of incidents” waren, „where realist conceptualizations of IR theory were at play from the Russian point of view. [...] it is really a zero-sum scenario where only one actor consistently sees himself as being caught up in a zero-sum situation, and moreover, as a loser of that game“ (Steinel 2007: 184). Steinel sieht Russland daher einen eigenen Weg beschreiten, wobei die NATO noch immer Handlungsweisen aus Zeiten des Kalten Krieges adaptiert, wie z. B. im Kosovo Krieg, der ohne UN- Mandat geführt wurde und so ein russisches Veto im Sicherheitsrat umgangen werden konnte(vgl. Steinel 2007: 185).

Der Überblick über den Forschungsstand verdeutlicht, dass die NATO-Russland- Beziehungen einem Prozess unterliegen, der von ehemaliger Feindschaft, über interessengeleitete Zusammenarbeit, bis zu einer auf gemeinsamen Werten basierenden, Partnerschaft reicht und noch nicht abgeschlossen ist. Da die Politik der NATO, aber vor allem die Außenpolitik Russlands, weder rein wertegeleitet noch ausschließlich wirtschaftlich dominiert ist und zudem, wie Steinel feststellt, noch immer durch alte Machtstrukturen geprägt ist, wird in der vorliegenden Projektarbeit auf ein Theoriekonzept zurückgegriffen, in dem eine modifizierte Machtvariable Verwendung findet. Ein zentraler Punkt der vorgenommenen Untersuchung ist die unterschiedliche Wahrnehmung des NATO-Russland-Verhältnisses und der daraus folgenden Konsequenzen. Neue Herausforderungen wie z. B. der internationale Terrorismus werden als gemeinsame Bedrohung wahrgenommen und scheinen eine Zusammenarbeit zu erleichtern. Eine Integration Russlands in eine europäische Sicherheitspolitik stößt jedoch an Grenzen, da hierfür ein geteilter Wertekanon notwendig wäre, der sogar unter den westlichen Partnern nur schwer verwirklicht werden kann und einen ständigen Abstimmungsprozess benötigt. Ein grundlegender Wertewandel in Russland, der für eine vollständige Integration Russlands in Europa notwendig wäre, ist nicht zu erkennen.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion führe die Annäherung Russlands an den Westen unter Jelzin zu einem wahrgenommenen Verlust an Einfluss für Russland und wurde durch eine von Amerika vorangetriebene Integration der NATO gen Osten genutzt. Die Identitätsbildung wurde innerhalb des Bündnisses schwerer und wie schon beim NATO-Doppelbeschluss, dem Vietnamund Falkland-Krieg oder der Frage des US-Raketenschirms in Osteuropa, wurden Risse deutlich.

Schon bei der Frage nach der Integration in das westliche Bündnis waren es gerade die neuen Beitrittsländer, die gegen eine zu starke Integration waren, um ihren Beitritt nicht zu konterkarieren.

Im Kosovokrieg wurde, wie auch beim Krieg gegen den Terror, zwar gemeinsam agiert, jedoch im Bosnieneinsatz der NATO die russische Meinung bewusst ignoriert. So zeigte auch die westliche Allianz nur eine Bereitschaft zur punktuellen Zusammenarbeit.

Unter Putin fand in Russland hingegen eine Entwicklung statt, die bedingt durch die gescheiterte Annäherung seines Vorgängers Jelzin den Schwerpunkt auf Zweckbündnisse und bilaterale Abkommen legte. Er setzte, nach das Ansehen zurückgewonnen werden konnte, bewusst andere Akzente, wie z. B. sein hartes Durchgreifen im Tschetschenien-Krieg deutlich machte.

Wie viele der aufgeführten Autoren feststellen, halten beide ehemalige Großmächte teilweise an 'realistischen' Verhaltensweisen aus der Zeit des alten Krieges fest, was einerseits die gegenseitige Annäherung erschwert und eine Berücksichtigung 'realistischer' Theorie bei der Anwendung notwendig macht.

Zum anderen ist gerade der Zerfall der Sowjetunion sowie das verschiedene und unterschiedlich starke 'aufeinander-Zugehen' ein Indiz für Entscheidungen die wertebasiert sind bzw. für ein hohes Maß an subjektiver Wahrnehmung welche die Entscheidungen beeinflusst.

Es soll versucht werden, die unterschiedliche Wahrnehmung und deren Gründe zu analysieren. Daher sollen gemeinsame wirtschaftliche Interessen, gemeinsame Institutionen, Drohungen wie z. B. zu Zeiten des kalten Krieges, Misstrauen und Alleingänge beider Seiten (u. a. im Kosovo oder Tschetschenien-Krieg) analysiert und verdeutlicht werden. Das hierfür notwendige theoretische Gerüst wird im nachfolgenden Abschnitt dargelegt.

4 Theoretischer Hintergrund

4.1 Überblick

Russland hat zwar einen Wandel hin zur Demokratie vollzogen, jedoch hat das politische System einen besonders machtzentralisierten Charakter (vor allem bezogen auf die Exekutive). Dies ist hauptsächlich der historischen Pfadabhängigkeit geschuldet, welche die Entwicklung Russlands bestimmte. Als ein demokratisches System nach westlichen Vorstellungen kann Russland daher nicht bezeichnet werden. Zum einen strebt die herrschende Partei nach mehr Entscheidungskompetenzen und zum anderen ist die vorhandene Opposition (die Kommunistischen Partei) keine demokratische Alternative. „Die wichtigsten politischen Prozesse […] [bleiben; die Verf.] an die Persönlichkeit der Führungsfigur gebunden und die personalisierte Führung ist nach wie vor der Kern der Macht“ (Schewzowa 2001: 34). Somit wird die Tradition der autokratischen Herrschaft fortgeführt. In Russlands System erfüllt der Leader eine Vermittlerfunktion zwischen verschiedenen Gesellschaftsbereichen und steht über allen Institutionen, die er koordiniert (vgl. ebd.: 35). Dies impliziert die Machtzentralität im System, die der Präsident als Staatsoberhaupt erfüllt.

Im folgenden sollen zwei Ansätze zur Konzeptualisierung von Macht vorgestellt werden die in der Forschung der Internationalen Beziehungen als besonders relevant erscheinen. Die Basis für die weiter Konzeptualisierung legt der Theorieansatz des Realismus, da dieser auch gegenwärtig noch sehr häufig Verwendung findet. Anschließend wird der strukturalistische Ansatz von Barnett und Duvall erläutert, der neue Möglichkeiten für die qualitative Analyse bietet. Des Weiteren wird der Ansatz von Joseph S. Nye aufgeführt, der ein sehr anwendungsorientiertes Konzept entwickelte, das sich aufgrund seiner Einfachheit besonders eignet und nur wenigen Anpassungen bedarf. Aus diesen Ansätzen wird anschließend ein Konzept von Macht entwickelt, dass für die Forschungsarbeit leitend ist.

4.2 Theorieansätze

4.2.1 Realismus

Macht ist in Anlehnung an Max Weber „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel wo- rauf diese Chance beruht“ (Weber, zitiert nach Nohlen 2002: 282f.). Diese Auffassung von Macht wird von vielen Autoren geteilt, die sich mit dem Begriff auseinandersetzen. Eine weitere oft zitierte Definition stammt von Dahl, der Macht als die Fähigkeit ansieht, einen anderen Akteur dazu zu bringen, das zu tun, was er sonst nicht tun würde (Dahl nach Barnett/ Duvall 2005 ).

Wissenschaftler der Internationalen Beziehungen haben sich in der Vergangenheit häufig auf eine auf dem Realismus beruhende Auffassung von Macht gestützt. Danach ist Macht „the ability of states to use material resources to get others to do what they otherwise would not“ (Barnett/ Duvall 2005: 40).

Bei dieser Definition tritt der Begriff der materiellen Ressourcen in den Vordergrund. Während Weber und Dahl keine Mittel ausgeschlossen haben, wird hier der Fokus auf Ressourcen wie z. B. Waffen, Geld und Rohstoffe gelegt.

Den Grundstein für das Verständnis von Macht im Realismus legte Hans Morgenthau, welcher das Konzept von Macht in den Vordergrund der Forschung stellte. Er war der Meinung, dass Staaten miteinander um Macht wetteifern, da Macht das grundlegende Bedürfnis von Staaten ist, um in der anarchischen Struktur des Staatengefüges bestehen zu können. Diese Annahme über die Struktur der Staaten geht im Realismus u. a. auf Thomas Hobbes' Verständnis vom Urzustand der menschlichen Beziehungen zurück, in dem jeder befürchten muss, der Willkür des anderen ausgesetzt zu sein. Den Schutz der Menschen kann letztlich nur der Staat als oberstes Machtorgan garantieren. Anders als für die Menschen, gibt es für das Gefüge der Staaten keine Möglichkeit, den eigenen Machtanspruch an einen übergeordneten Souverän abgeben zu können, der als Gegenleistung für Schutz sorgt bzw. vor der Willkür der anderen schützt (vgl. Baylis/ Smith/ Owens 2008). Daher kann die Anarchie nicht überwunden werden. Dieses fehlende Element sowie die Annahme, dass Staaten, wie auch Menschen, egoistische Akteure sind, zwingen die Staaten dazu, selbst für Ihren Schutz zu sorgen. Daraus resultiert ein Streben nach Sicherheit, wobei ein Staat effektive Sicherheit nur dann erzielen kann, wenn er die anderen Staaten dominiert. Staat A hat z. B. die Macht über die Staaten B, C und D, so dass sie für ihn somit keine Bedrohung mehr darstellen.

Am effektivsten kann sich ein Staat verteidigen und andere beherrschen, wenn er über mehr und zudem stärkere militärische Ressourcen verfügt, als andere Staaten. Daher streben Staaten nach militärischer Macht, wobei sie zugleich versuchen, ihr Machtpotenzial bestmöglich auszubauen. Entscheidend für einen Staat ist jedoch, dass er stets höhere Gewinne bzw. Zuwächse erzielt, als die Staaten, von denen für ihn Gefahr ausgeht oder ausgehen könnte.

Ergänzende Ressourcen, die in der realistischen Auffassung von Macht eine Rolle spielen und in Forschungsarbeiten oft einbezogen werden, sind u. a. das Bruttosozialprodukt, die Größe und die Größe der Bevölkerung eines Staates (vgl. Schmidt 2005: 529).

Zusammenfassend kann die realistische Auffassung von den Internationalen Beziehungen als ein fortwährender Kampf der egoistischen Staaten um Macht und um relative Ressourcenvorteile bezeichnet werden (ebd.: 524). Dementsprechend geht der Realismus von einem relativen Machtwachstum aus.

4.2.2 Struktureller Ansatz

Ein weiterer Ansatz zur Analyse von Macht geht von ihrer Entstehung in sozialen Beziehungen aus. So sehen Barnett und Duvall Macht als die Produktion von Effekten, in und durch soziale Beziehungen, welche die Kapazitäten von Akteuren bilden, um ihr Schicksal und ihre Umstände festzulegen. Das Konzept beinhaltet zwei Dimensionen: Zum einen die verschiedenen Arten der „social relations“ (Barnett/ Duvall 2005: 42), durch die Macht ausgeübt wird und zum anderen die Nähe der Beziehung. Aus diesen beiden Dimensionen leiten sie daraufhin vier Machtkonzepte ab: Compulsory, Institutional, Structural, Productive (vgl. Abbildung 1: Vier Konzepte von Macht nach Barnett/ Duvall (Barnett/Duvall 2005: 48)).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Vier Konzepte von Macht nach Barnett/ Duvall (Barnett/Duvall 2005: 48)

Das erste Konzept von Macht stellt die „Compulsory Power“ dar. Dabei stehen die Akteure in direkter Beziehung zueinander und der Machteinfluss erfolgt durch unmittelbare Handlungen bestimmter Akteure. Es besteht somit direkte Kontrolle über einen oder mehrere andere Akteure (vgl. Barnett/ Duvall 2005: 49).

„Compulsory Power” stützt sich auf die Definition von Dahl: „the ability of A to get B to do what B otherwise would not do“ (ebd.). Die Definition beinhaltet drei grundsätzliche Prämissen:

- A muss die Absicht besitzen, die Handlung von B in eine bestimmte Richtung zu verändern. Sollte das Ergebnis jedoch eine andere als die erwartete Richtung sein, so zählt es nicht als durch Macht herbeigeführt.
- Zwischen A und B muss ein Konflikt bezüglich des Ergebnisses der von B geplanten Handlung vorliegen, wobei B verlieren muss.
- A ist erfolgreich, da er über materielle Ressourcen verfügt, die er selbst bewusst wahrnimmt und die auch von anderen wahrgenommen werden können. Diese müssen dazu führen, dass B seine Handlung ändert (vgl. Barnett/ Duvall 2005: 49f.).

Ein zentrale Änderung zu Dahl nehmen Barnett und Duvall bezüglich der Annahme über die Absicht vor: Ein Akteur hat ihrer Ansicht nach auch Macht über andere, selbst wenn er sie nicht absichtlich ausübt. Diese wird z. B. bei Kollateralschäden deutlich, die zwar unbeabsichtigt sind, aber anderen dennoch Schaden zufügen. Daraus wird ersichtlich, dass Macht teilweise erst durch die Auswirkungen beim betroffenen Akteur sichtbar wird (vgl. Barnett/ Duvall 2005: 50).

Eine direkte Kontrolle über einen anderen ist beim Konzept der „Compulsory Power“ nicht nur aufgrund von materiellen Ressourcen möglich, sondern auch durch normative und symbolische Ressourcen. Es ist beispielsweise für einen materiell schwächeren Akteur möglich, Handlungen eines stärkeren Akteurs durch rechtliche Normen einzuschränken und auch Internationale Organisationen können durch ihr moralisches Ansehen und ihre Expertise Staaten und andere Organisationen zu Verhaltensänderungen zwingen (vgl. Barnett/ Duvall 2005: 50).

Das zweite Konzept stellt die „Institutional Power“ dar und beschreibt, anders als „Compulsory Power“, diffuse Handlungen der Akteure. So besitzt A beispielsweise keine direkten Mittel oder Institutionen, welche B beeinflussen könnten. Somit sind beide von einander sozial distanziert. Sofern diese Institutionen nicht direkt vom Akteur A gesteuert werden, sondern er indirekt auf sie Einfluss nimmt, greift das Konzept der „Institutional Power“. Der Fokus liegt somit auf der speziellen Beziehung zwischen A und der Institution, welche zur Beeinflussung beitragen kann (vgl. Barnett/ Duvall 2005: 52f.). Als Beispiel eignet sich hier der Einfluss der USA auf die NATO, wenn es um Beitrittskandidaten geht. Zwar sind die Mitgliedsstaaten formal gleichberechtigt und somit bestimmt kein Staat direkt die Handlungslinien. Dennoch ist der Einfluss der USA so groß, dass bei den Erweiterungswellen der Vergangenheit ihre Interessen, manche Staaten eher aufzunehmen als andere, eindeutig berücksichtigt worden sind (vgl. auch Kap.7).

Das Konzept der „Structural Power“ umfasst hingegen die Machtformen und Kapazitäten, welche direkt und beidseitig anerkannt verfasst sind. Dies sind z. B. durch Satzungen oder Verfassungen festgelegte Positionen der Akteure, durch welche sie mit Ressourcen, die an die Position gebunden sind, ausgestattet werden. Dadurch werden nicht nur die Positionen, sondern auch die Form der Akteure selbst und die damit verbundenen Interessen definiert. Daher beschäftigt sich das Konzept der

„Structural Power“ mit der Bestimmung der jeweiligen sozialen Kapazitäten und Interessen. Die Besonderheit von „Structural Power“ liegt darin begründet, dass durch die Akzeptanz der Strukturen und Positionen der involvierten Akteure, auch ohne einen ersichtlichen Einfluss seitens des Akteur A, Macht ausgeübt werden kann. Zum Beispiel erfolgt durch die Einteilung der Länder anhand ihrer Produktivität in Industrienationen und Entwicklungsländer eine Ausübung der Macht nach dem

Konzept der „Structural Power“. Würde den Ländern die Wahl zwischen beiden Begriffen gelassen werden und sie außerhalb der Strukturen, welche die Anforderungen für Industrienationen festschreiben, nach ihrem eigenen Befinden fragen, so würden sie sich höchst wahrscheinlich selbst als eine Industrienation bezeichnen, da sie keinen Vergleich hätten und nur den positiveren Begriff wählen würden.

Angemerkt sei hier, dass sich Ansätze zur „Structural Power“ auch bei Steven Lukes und Alexander Wendt finden lassen (vgl. Barnett/ Duvall 2005: 53ff., vgl. auch Lukes 2005).

Aufgrund dieser Form der Machtstruktur muss zur Ausübung von „Structural Power“ kein Konflikt zwischen den beiden Akteuren vorliegen.

Die vierte Form von Macht, die „Productive Power“, überschneidet sich in mehreren Punkten mit der „Structural Power“. Sie wird von verfassten sozialen Prozessen bestimmt, die durch sinnvolles Handeln der Akteure beeinflusst werden können. Dabei werden ebenso die sozialen Kapazitäten der Akteure durch soziale Strukturen bestimmt und gleichzeitig ihre Interessen und ihre Selbstverständnisse produziert. Aber anders als „Structural Power“ bringt „Productive Power“ diffuse und verallgemeinerbare soziale Prozesse mit sich. Damit sind Prozesse gemeint, die zum einen Systeme von Sinn und Bedeutung herstellen und zum anderen Netzwerke, die sich gegenseitig formen können. Solche Prozesse stellen den Diskurs (nicht im Habermas'schen Sinn) dar, der Sinn produziert und festlegt, welcher gelebt, erfahren und transformiert wird. Dies erfolgt vor allem innerhalb von überschaubaren Strukturen (vgl. Barnett/ Duvall 2005: 55). Dadurch sind Diskurse soziale Beziehungen der Macht, da sie die Art und Weise, wie gelebt wird, und auch die Tätigkeitsbereiche in der Gesellschaft definieren.

Diskursive Prozesse und Handlungen produzieren sinnstiftende soziale Identitäten und Kapazitäten (vgl. Barnett/ Duvall 2005: 55f.). Ein Beispiel von „Productive Power“ durch Diskurs stellt die Klassifikation von Staaten durch andere Staatsführer als Schurkenstaaten dar.

Durch Diskurs werden Bedeutungen geschaffen, die Asymmetrien der gesellschaftlichen Kapazitäten bedingen, wodurch wiederum Macht ausgeübt werden kann.

Das Machtkonzept von Barnett/ Duvall erhebt nicht den Anspruch vollkommen zu sein und hat zudem einige Schwächen. Der Hauptkritikpunkt ist die mangelnde

Trennschärfe der Konzepte, die jedoch bereits von den beiden Autoren eingeräumt wird.

Ebenso schwer ist die genaue Bestimmung der Akteure. Wer übt Macht aus und wer wird beeinflusst? In der Praxis ist dies nur schwer umzusetzen, da dieses Problem bei allen Konzepten zur Machtanalyse auftritt, sobald es sich um komplexe Strukturen handelt, die zu analysieren sind.

4.2.3 Nye: Hard­, Soft­ und Smart­Power

Nye beschrieb 1990 in „Bound To Lead“ eine heute viel diskutierte Klassifikation von Macht. Wie Bially Mattern anmerkt, existierten bereits Konzepte, die Charakteristika von Soft-Power als eine Form von Macht beschrieben[2]. Jedoch hat Nye das Konzept auf eine praxisbezogene Ebene verlagert und Beschreibungen zur Entwicklung und Nutzung dieses Machtkonzepts entwickelt, u. a. auch für den amerikanischen Senatsausschuss für Internationale Beziehungen (vgl. Lukes 2005: 485; Bially Mattern 2005: 587f.; vgl. auch Nye 2008).

Nye unterscheidet zwei Formen von Macht: Hardund Soft-Power. Was ist jedoch „Macht“ in Nyes Konzept? „At the most general level, power is the ability to influence the behavior of others to get the outcomes one wants“ (Nye 2004). Dabei gibt es drei Möglichkeiten zur Erreichung von Macht: Zwang durch Drohungen, Anreiz durch Zahlungen oder Anziehung bzw. Attraktivität.

Alle drei Möglichkeiten haben gemeinsam, dass durch sie eigenen Ziele aufgrund der Beeinflussung der Handlungen der anderen Akteure erreicht werden können. Dabei stellt „Hard-Power“ die Möglichkeit dar, andere Akteure durch Drohungen zu gewünschten Handlungen zu zwingen und beinhaltet die beiden ersteren Möglichkeiten. Nye bezeichnet sie als „carrots and sticks“ – Anreiz und Zwang (vgl. Nye 2004; vgl. Bially Mattern 2005).

Effektive Zwangsmöglichkeiten sind durch Ressourcenüberlegenheit gegenüber Akteur B gegeben. In den Internationalen Beziehungen sind es vor allem militärische und ökonomische Ressourcen, wie auch die territoriale und Bevölkerungsgröße. Dennoch bleibt bei Nye die Möglichkeit bestehen, Ressourcen von Hard-Power entsprechend dem Kontext der Situation zu bestimmen und sich nicht nur auf die beiden genannten zu beschränken. Daher sind alle Ressourcen möglich, die ein Staat oder andere Akteure der Internationalen Beziehungen dazu verwenden können, einen anderen Akteur zu einer Handlung zu zwingen (vgl. Nye 2004).

Nye erkennt jedoch auch eine weitere Möglichkeit von Macht, die „Soft-Power“, welche ohne Ressourcenüberlegenheit existieren kann. „Sometimes I can affect your behavior without commanding it. If you believe that my objectives are legitimate, I may be able to persuade you without using threats or inducements“ (Nye 2004). Dies ist vor allem in erfolgreichen Führungspositionen zu beobachten: Führungspersonen nutzen häufig Charisma als Machtinstrument, denn gerade durch charismatische Reden lassen sich die Präferenzen anderer ändern, selbst ohne zählbare Ressourcenstärke. Es sind andere Ressourcen notwendig, wie z. B. eine attraktive Persönlichkeit, Kultur, politische Werte und Grundüberzeugungen, die als legitim oder moralisch berechtigt gelten (vgl. Nye 2004).

„Soft-Power“ ist nicht gleichzusetzen mit Einfluss, sondern bedeutet ein Vorhandensein von Attraktivität. Dabei wird vorausgesetzt, dass Attraktivität erst dann existiert, wenn sie von einem anderen Akteur wahrgenommen wird. Dies eröffnet dem ersteren die Möglichkeit, den anderen zu beeinflussen. „… soft power: getting the outcomes one wants by attracting others rather than manipulating their material incentives. It co-opts people rather than soerces them“ (Nye 2008b: 29).

Eine zweite wichtige Komponente von „Soft-Power“ ist die Kommunikationsfähigkeit. Damit Attraktivität auf andere wirken kann, muss sie transportiert werden. Die im letzten Jahrhundert entstandenen neuen Medien wie Radio, Fernsehen und Internet ermöglichen es, intensivere und schnellere Wirkungen durch Informationen zu erzielen als zuvor. Beispielsweise erreichten die Bilder der Anschläge des 11. Septembers die Bevölkerung aufgrund von TV und Internet sehr schnell und führten zu einem tief greifenden Empfinden, u. a. auch aufgrund der Häufigkeit der Wiederholungen. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Verbreitung der Ereignisse lediglich durch Zeitungen eine derart schnelle Resonanz und Unterstützung nie erreicht hätte.

Was kann Soft-Power in den Internationalen Beziehungen bewirken? Nye zeichnet in seiner Argumentation einen Verlauf von Hard zu Soft Power auf (vgl. Abbildung 2: Verlauf von Hardzu Soft-Power (Nye 1990: 182)).

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Abbildung 2: Verlauf von Hardzu Soft-Power (Nye 1990: 182)

Dabei kann „Command Power“ mit „Hard-Power“ gleich gesetzt werden, ebenso wie „Co-optive Power“ mit „Soft-Power“, da sie jeweils auf denselben Ressourcen beruhen (vgl. Nye 1990: 181f.). Das besondere an „Soft-Power“ ist die Fähigkeit, Koalitionen zu bilden. Wenn Akteur A sich zu Akteur B hingezogen fühlt, da er z. B. die Ziele von A für legitim hält, wird er sich in diesem Punkt mit A solidarisch zeigen bzw. A kann mit B ohne Widerstand und auf eigene Initiative hin ein Bündnis bilden. Nye merkt an, dass mittels „Hard-Power” zwar keine Kriege gewonnen werden können, jedoch „Winning the peace is harder than winning a war, and soft power is essential to winning the peace“ (Nye, zitiert nach Lukes 2005: 486). Weiter kritisiert Nye die Bemühungen der Bush Regierung, sich bei ihrem Irak-Feldzug auf militärische Überlegenheit zu stützen, um den Terrorismus zu bekämpfen. Der Terrorismus kann sich jedoch allein durch „Soft-Power“ seinen Zulauf und seine Unterstützung sichern, indem sich die Menschen mit der Ideologie und den Zielen identifizieren. Selbiges kann die USA durch den Einsatz von Hard Power nicht verhindern. Die alleinige Aufwendung gigantischer Mittel reicht oftmals nicht aus, um das gewünschte Ziel zu erreichen – weder bei der Bekämpfung des Terrorismus, den Wiederaufbauversuchen oder der Herstellung von Sicherheit und Frieden (vgl. Lukes 2005: 486f.; vgl. SPIEGEL-ONLINE 14.12.2008).

In seinem Buch, „The Powers To Lead“ beschreibt Nye eine dritte Form von Macht: „Smart-Power“. Diese Form stellt jedoch kein komplett neues Konzept dar, sondern ist eine Mischform und gleichzeitig eine Ergänzung zu den beiden vorher erläuterten Konzepten. Wie bereits erwähnt, ist sowohl für „Soft“, als auch für „Hard-Power“ der Kontext der Situation besonders relevant. Die eingesetzten Ressourcen oder Kommunikationsmittel müssen, um effektiv genutzt werden zu können, adäquat zur Situation sein. Die Fähigkeit, dieses zu erkennen und erfolgreich einsetzen zu können, nennt Nye „Contextual IQ“ (Nye 2008b: 83ff.). „Contextual IQ“ besteht aus drei Fähigkeiten: Entwicklungen erkennen, Trends vermarkten und den Stil an den Kontext und an die Bedürfnisse der Anhänger anpassen (vgl. ebd.). Nye entwickelt dieses Konzept auf der Basis von Handlungen einzelner Personen in Führungspositionen im wirtschaftlichen und politischen Leben (meist CEOs und Präsidenten). Dadurch versucht er zu zeigen, wie effektives Leadership möglich ist. Der Leader ist in seiner Analyse meist der formale Vorgesetzte und die Geführten sind die formalen Untergebenen.

4.3 Anpassung des Konzeptes von Barnett & Duvall und Nye

Das Konzept von Barnett und Duvall bietet eine gute Klassifizierung der Machtformen. Es ermöglicht die Strukturen, die zwischen Akteuren bestehen, analysieren zu können. Daher soll ihr Machtkonzept in dieser Arbeit dazu dienen, am Ende der Analyse Strukturen aufzeigen zu können.

Das Konzept von Nye eignet sich besonders aufgrund seines einfachen Aufbaus und der Möglichkeit, die Machtformen in Beziehung zueinander zu setzen. Dies zeigt besonders sein aufgezeigter Verlauf zwischen Hardund Soft-Power und den dazwischen liegenden Verhaltensformen. Es eignet sich für eine Längsschnittanalyse der Machtanwendung d. h., es ist anwendbar, wenn untersucht werden soll, wie sich die Machtanwendung in einer Zeitspanne verändert. Daher erfolgt die Analyse der zentralen Fragestellung dieser Arbeit vor allem mit dem Konzept von Nye, das jedoch auch angepasst werden muss.

Der theoretische Ansatz dieser Arbeit will die Konzepte von Soft-, Hardund Smart- Power in den Internationalen Beziehungen erkennen und messen. Dafür bedarf es einer Anpassung des Konzeptes, um es auf die Ebene der Internationalen Beziehungen übertragen zu können, da es dort kaum eine Situation gibt, in der ein Leader formal festgelegt ist. Es ist anzunehmen, dass die Analyse keine eindeutigen Leader zuweisen können wird. Daher wurde in der Codierung versucht, nach Handlungsund Kooperationsmöglichkeiten zu trennen, denn nur dann werden Handlungen und Aussagen den betroffenen Themenfeldern zugeordnet werden können (vgl. Tabelle 2: Abgeleitetes Machtkonzept).

Unter Hard-Power werden Handlungen definiert, die ressourcengestützte Drohungen beinhalten. Es kann angenommen werden, dass in unserer Analyse diese meist die militärischen Ressourcen betreffen werden. Ein Einsatz der wirtschaftlichen Stärke um kulturelle Konflikte zu lösen, würde zum Beispiel dem Hard-Power Konzept entsprechen.

Als Smart-Power werden danach Handlungen klassifiziert, bei denen versucht wird, sie effektiv entsprechend dem Kontext der Situation einzusetzen. Zum Beispiel werden wirtschaftliche Maßnahmen im wirtschaftlichen Kontext betrachtet und Sanktionen nicht aufgrund eines kulturellen Konfliktes, zu dieser Kategorie zugeordnet.

Das Soft-Power Konzept bedarf hingegen keiner Anpassung. Als wichtigste Instrumente zur Messung von Soft-Power werden erfolgreiche Initiativen zur Zusammenarbeit und Bildung von Bündnissen sein, wie von Nye bereits beschrieben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Abgeleitetes Machtkonzept

Um das entwickelte Machtkonzept anwenden zu können, bedarf es zuvor einer Abgrenzung der Region. Dies ist notwendig, da die Analyse sich nur auf Staaten bezieht, die eine Rolle in Bezug auf die Osterweiterung der NATO spielen.

5 Abgrenzung der Region

Die für die Recherche notwendige Abgrenzung der Region resultiert aus der Fragestellung, welche die Länder der NATO-Osterweiterung sowie Russland beinhaltet. Die NATO besteht derzeitig (Stand: September 2008) aus Belgien, Dänemark, Frankreich, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal, USA, Großbritannien, Türkei, Griechenland, Deutschland und Spanien. Die Osterweiterung der NATO beinhaltet nachfolgende Länder des ehemaligen Ostblocks:

- Tschechien, Polen, Ungarn (seit 1999 Mitglied der NATO)
- Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Slowenien (seit 2004 Mitglied der NATO)

Zusätzlich unterzeichneten Albanien und Kroatien am 9. Juli 2008 in Brüssel die Beitrittsprotokolle.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 ermöglichte den ehemaligen 15 nationalen sozialistischen Räterepubliken/ Unionsrepubliken, sich neu zu orientieren und z. B. eine Ausrichtung gen Westen zu vollziehen. Zur Sowjetunion gehörten folgende 15 Unionsrepubliken (vgl. Abbildung 3: Die 15 russischen Unionsrepubliken (1956-1991) ):

- armenische Unionsrepublik (1),
- aserbaidschanische Unionsrepublik (2),
- weißrussische Unionsrepublik (3),
- estnische Unionsrepublik (4),
- georgische Unionsrepublik (5),
- kasachische Unionsrepublik (6),
- kirgisische Unionsrepublik (7),
- lettische Unionsrepublik (8),
- litauische Unionsrepublik (9),
- moldauische Unionsrepublik (10),
- russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (11),
- tadschikische Unionsrepublik (12),
- turkmenische Unionsrepublik (13),
- ukrainische Unionsrepublik (14),
- usbekische Unionsrepublik (15).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Die 15 russischen Unionsrepubliken (1956-1991)[3]

Die ehemaligen sozialistische Räterepubliken/ Unionsrepubliken öffneten sich z. B. aufgrund von sicherheitspolitischen Aspekten in Richtung Westen, bzw. strebten/ streben einen NATO Beitritt an. Auf die Gründe für bzw. gegen die Erweiterung sowie auf den Aspekt ob der Beitritt zur NATO den russischen Machtanspruch einschränkt, wird in der späteren Analyse (Abschnitt 7) näher eingegangen.

Nach der erfolgreichen Abgrenzung der Region soll im folgenden die weiter Methodik dargelegt werden. Dabei soll ein Überblick über die Vorteile von Qualitativen Untersuchen gegeben werden und u. a. das gewählte Untersuchungsdesign sowie die Untersuchungsmethode näher ausgeführt werden.

[...]


[1] Da die Meinungen der Bevölkerung meist aufgrund von Medienberichten stattfindet, werden in der vorliegenden Projektarbeit ebenso russischsprachige Zeitungsberichte analysiert.

[2] Beispielsweise Steven Lukes 2005: 'Power: A Radical View'

[3] Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:USSR_Republics_Numbered_Alphabetically.png, zugegriffen am 21.09.2008

Ende der Leseprobe aus 154 Seiten

Details

Titel
Die NATO-Osterweiterung - Ein Angriff auf Russlands regionalen Machtanspruch?
Hochschule
Universität Stuttgart  (Institut für Sozialwissenschaften III)
Veranstaltung
Projektseminar - Regionale Führungsmächte
Note
1,0
Autoren
Jahr
2008
Seiten
154
Katalognummer
V121458
ISBN (eBook)
9783640260409
Dateigröße
1483 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit ist eine gemeinsame Projektarbeit der vier Autoren: Jörg Hilpert, Nikolas Hönig, Alexander Rupp, David Witlif
Schlagworte
NATO-Osterweiterung, Angriff, Russlands, Machtanspruch, Projektseminar, Regionale, Führungsmächte
Arbeit zitieren
David Witlif (Autor:in)Jörg Hilpert (Autor:in)Nikolas Hoenig (Autor:in)Alexander Rupp (Autor:in), 2008, Die NATO-Osterweiterung - Ein Angriff auf Russlands regionalen Machtanspruch?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121458

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