Schweigen als Widerstand

Shari Benstock, Sacvan Bercovitch und Michael Ragussis zu Nathaniel Hawthornes "The Scarlet Letter"


Hausarbeit, 2000

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Schweigen als Angelpunkt der drei Betrachtungen

3 The Scarlet Letter als Gender-Diskurs

4 Kompromiss und Aufklärungsstrategie

5 In der Gefangenschaft der Sprache - Ragussis Familiendrama

6 Abschlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Während Michael Ragussis die Geschichte vorwiegend werkimmanent analysiert, beziehen sich die Literaturkritiker Shari Benstock und Sacvan Bercovitch bei ihrer Interpretation von Nathaniel Hawthornes The Scarlet Letter auch auf die sozialen und historischen Hintergründe. Die drei Kritiker stellen jeweils für sie interessante feministische, historische und dekonstruktivistische Positionen in den Vordergrund ihrer Interpretation und decken gleichermaßen die künstliche Beschaffenheit des Buchstaben Amit seiner festgeschriebenen Bedeutungszuordnung auf. Benstock, Bercovitch und Ragussis erkennen den s carlet letter und lösen den Buchstaben als Symbol absoluter geschlechtlicher Differenz[1], als Träger nur einer einzigen historischen Lesart[2] und als Zeichen mit nur einer bestimmten Zuordnung von Bezeichnetem und Bezeichnendem[3] auf.

Mit der Erkenntnis über die Ambiguität des Buchstaben verlieren universale Konstruktionen wie kirchliche und weltliche Institutionen, gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen ihre Gültigkeit. Zudem wird die Heterogenität der mannigfaltigen Interpretationen durch unterschiedliche Perspektiven auf Hawthornes Geschichte unabdingbar. Wie für andere Literatur, gibt es auch für The Scarlet Letter nicht nur eine gültige Herangehensweise. Mit meiner Gegenüberstellung der Ansätze versuche ich Gemeinsamkeiten, aber auch die Möglichkeit gegensätzlicher Betrachtungen, die gleichrangig nebeneinander existieren können, aufzuzeigen.

2 Das Schweigen als Angelpunkt der drei Betrachtungen

Das Schweigen der Protagonistin Hester Prynne kann als zentrales Interpretationsmittel von Benstock, Bercovitch und Ragussis angesehen werden, da alle drei Literaturkritiker sich dieses direkt oder indirekt bedienen.

Die feministische Kritikerin Shari Benstock sieht das Schweigen als Mittel Hesters, sich den männlichen Wertungen und ihrer Macht zu entziehen, sozusagen eine Reversion des „sexuell-textuellen“, also eines fiktiven, limitierten und unwahren Frauenbildes vorzunehmen:

[…] I will argue that the feminine, so powerfully at work in Hawthorne's tale, works not to exploit oppositional structures of sexual-textual difference but rather to expose the fictional nature of these modes, revealing absolute sexual difference as a fantasy of patriarchal oppositional and hierarchial logic. I refer to this figure as the “textual feminine”, since it reveals itself in language, where it both supports traditional notions of femininity and subverts these powerful representations of woman-in-the-feminine.[4]

Der New Historicist Sacvan Bercovitch sieht im Handeln, oder besser dem Nicht- Handeln, Hesters ein Mittel der modernen Aufklärung, das von ihr zur Erziehung der puritanischen Siedlergemeinschaft verwendet wird. Hester betreibt ihm zufolge eine „stille“ Rebellion und nimmt eine Reversion des offenen Konfliktes als didaktisches Mittel vor:

Hester herself imposes the symbol, she signals her recognition that what had seemed a basic problem – basic enough to have made her want to overturn society – is really a question of point of view […].[5]

Der Dekonstruktionist Michael Ragussis erkennt am Schweigen Hesters vorrangig die Kraft der (unterdrückten) Sprache. Insofern könnte man hier das Schweigen als Reversion des Sprachsystems selbst deuten. Im Einklang mit der Vielzahl von Bedeutungszuschreibungen konzentriert er sich allerdings nicht nur auf Hesters Zurückhaltung (also ihrem Schweigen als Bruch mit den puritanischen moralischen Wertvorstellungen), sondern weitet den Blick auf das Schweigen von Arthur Dimmesdale, dem Geistlichen und Geliebten von Hester sowie Roger Chillingworth, dem verschollen geglaubten Ehemann Hesters, aus. Er sieht Pearl, Hesters Tochter, als Symbol und Träger multipler Bedeutungen und fügt somit der Interpretation neue Dimensionen hinzu. Das unterdrückte Wort wird zum Urheber des Familiendramas The Scarlet Letter:

Hawthorne shows the family as the creator of a system of suppression, torture, and violation. In a tale in which the sexual act lies outside the narrative and in which a series of mock engenderments occupy the foreground of narrative, the deepest meaning of engenderment becomes the violation and death that the family makes for itself.[6]

3 The Scarlet Letter als Gender-Diskurs

Der Kern der feministischen Betrachtungsweise Shari Benstocks kann im vorherrschenden Spannungsverhältnis zwischen Repräsentation und Selbstoffenbarung Hesters gesehen werden. So sieht Benstock den s carlet letter als Zeichen verschiedener Substitutionen wie zum Beispiel zum Schutz Hesters Autonomie und ihres Körpers als Sündenkörper, der gleichzeitig die Funktionen der biologischen Reproduktion und symbolischen Repräsentation offenbart. Hesters Körper wird zum Schauobjekt, an dem soziale, religiöse und kulturelle Werte der puritanischen Gesellschaft im Salem des 17. Jahrhunderts eingraviert sind:

Woman's body serves as the space where social, religious, and cultural values are inscribed (quite literally in Hester's case); moreover, it produces the very terms of that inscription: Pearl is the scarlet letter in human form.[7]

Benstock zufolge untergräbt Hester die puritanische Gesellschaft in zweierlei Hinsicht: zum einen nimmt sie mit der Verzierung des Buchstaben einen Eingriff in den repräsentativen Codex der Gemeinschaft vor. Der Buchstabe repräsentiert nun nicht mehr den Begriff 'Ehebruch' und erfüllt seine Straffunktion, sondern dient als Symbol weiblicher Sexualität und wird durch Hester selbst verkörpert. Zum anderen entzieht Hester sich und ihre Tochter[8] dem puritanischen Wertesystem, indem sie den Namen des Vaters von Pearl, verschweigt. Sie weigert sich, sich in die puritanische Gesellschaft ein- und unterzuordnen und negiert die Herrschaft Gottes und des Mannes[9]. Im anhaltenden Schweigen sieht sie ein Mittel, sich nicht in sexuelle, religiöse, rechtliche und wirtschaftliche Vorschriften pressen zu lassen.[10]

Besonders bemerkenswert bei Benstocks feministischer Interpretation scheint die Betonung traditionell weiblicher Ausdrucksformen zu sein. Sie versucht, die sexuell- textuelle Weiblichkeit, also das durch Narrationen erzeugte Abbild, zu untergraben und nachhaltig zu verändern.

[...]


[1] Shari Benstock, “The Scarlet Letter (a)dorée, or the Female Body Embroidered,” Ross C. Murfin, ed., Nathaniel Hawthorne. The Scarlet Letter (New York, New York: Bedford Books of St. Martins Press, 1991) 290.

[2] Sacvan Bercovitch, ,Hawthorne's A-Morality of Compromise” Ross C. Murfin, ed., Nathaniel Hawthorne. The Scarlet Letter (New York, New York: Bedford Books of St. Martins Press, 1991) 356. - “In effect, he in- vites us to participate in a free enterprise democracy of symbol making”.

[3] Die Loslösung von Signifikat und Signifikant sind (unter anderem) impliziert in: “The family member is a sign, like A, with too many significations”: Michael Ragussis, Ross C. Murfin, ed., Nathaniel Hawthorne. The Scarlet Letter (New York, New York: Bedford Books of St. Martins Press, 1991) 327.

[4] Benstock, 290.

[5] Bercovitch, 357.

[6] Ragussis, 328.

[7] Benstock, 289.

[8] Mit der Verschwiegenheit gegenüber der Frage der Tochter, was nun der Scarlet Letter tatsächlich zu be- deuten habe, versucht Hester nicht nur die Weitergabe dieser puritanischen Wertbelegung zu stoppen, sondern die dahinterstehende Denkweise zu entwerten. Der Sinn der Fragestellung selbst wird hinterfragt und negiert.

[9] Hier zeigt sich Benstocks Kritik am Puritanismus als weltliche Materialisierung der männlichen Gottheit mit Gott als Vaterfigur.

[10] Hier überschneiden sich Benstocks und Bercovitchs Sicht, da Bercovitch Hesters „Untergraben“ der ge- sellschaftlichen Wertvorstellungen als „stille“ Revolution darzustellen scheint, welche tiefgreifendere Ver- änderungen hervorzubringen vermag, als es gewaltsame Revolutionen vollbringen könnten: Bercovitch, 347.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Schweigen als Widerstand
Untertitel
Shari Benstock, Sacvan Bercovitch und Michael Ragussis zu Nathaniel Hawthornes "The Scarlet Letter"
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Anglistik und Amerikanistik)
Veranstaltung
Einführung in die amerikanische Literaturwissenschaft II
Note
1,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
16
Katalognummer
V121437
ISBN (eBook)
9783640260270
ISBN (Buch)
9783640260577
Dateigröße
825 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schweigen, Widerstand, Einführung, Literaturwissenschaft, Nathaniel Hawthorne, The Scarlet Letter, Poststrukturalismus, Dekonstruktion
Arbeit zitieren
Bert Bobock (Autor:in), 2000, Schweigen als Widerstand, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121437

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