Zerfall und Neubeginn – Die Gründung der FPÖ


Seminararbeit, 1998

43 Seiten, Note: Sehr Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I.) Einleitung.

II.) Prozess des Zerfalls ~ Die Kluft zwischen liberalem und nationalem Lager
II.1) Die Gründungspersönlichkeiten
Dr. Herbert Kraus
Viktor Reimann
II.2) Gründe für interne Parteidifferenzen ~ verhängnisvolle Personalpolitik und inhomogener Kader auf Länderebene
Verhängnisvolle Personalpolitik ~ Besetzungsproblematik hinsichtlich der Führungspositionen
Inhomogene politische Ausrichtung der Landesverbände
Dr. Fritz Stüber
Gordon Gollob
Die steirische Parteiatmosphäre als Nährboden der nächsten Parteigeneration
Das „Breitner-Komitee“ - Zusammenarbeit verschiedener Gruppen zur Verbreiterung der Basis
Die „Junge Front“
Die Folgen der Personalpolitik am Beispiel „Neuwirth“
Neuwirth - ein Opfer der „Aktion“
II.3) Äußere Anzeichen einer Krise
Wahlergebnisse 9.10.1949
Wahlergebnisse 22.2.1953
Das Problem der inhomogenen Wählerschaft
Keine klare politische Orientierung
Allgemeine politische Veränderungen
II.4)Stärkung der nationalen Kräfte durch die allgemeine Parteikrise
Das Scheitern der Regierungsverhandlungen ~ Auswirkungen auf die Parteizusammensetzung
Bundesverbandstag des VdU am 15./16. Mai 1956 - letzter Versuch Einheit zu demonstrieren
Ergebnisse und Auswirkungen der Wahlen vom 17. 10. 1954
weitere Verluste bei Landtagswahlen :
Gemeinderatswahlen 1955 ð Zurückdrängung des VdU
II.5) WdU ~ Nicht Regierungsfähig ?
Bundespräsidentschaftswahlen und ihre Auswirkungen auf den VdU
Die „Kraus - Eigenaktion“
II.6) Neuformierung des freiheitlichen Lagers
Politische Reaktivierung eines Symbols ~ Dipl. Ing. Reinthaller und der VdU
Zerfall der „alten“ Parteiorganisation
Letzter Rettungsversuch
Machtverschiebung innerhalb des VdU

III. Neubeginn ~ Gründung der FPÖ
III.1) Entstehung der „Freiheitspartei“
Neuordnung des national - freiheitlichen Lagers ~ keine einheitliche Richtung
schrittweise Reaktion der Landesgruppen:
Vollkommene Zersplitterung des VdU
Verschiedene Strömungen im nationalen Lager:
III.2) Durchbruch der Freiheitlichen
Finanzielle Probleme forcieren die Auflösung des VdU
Unionierung der freiheitlichen Gruppierungen
Erstes Wahlergebnis der „neuen“ Einheitspartei ~ Oberösterreichische Landtagswahlen (23. Oktober 1955)
III.3) Namensgebung der neuen Partei
III.4) Kurzparteiprogramm
III.5) 27. März 1956 ~ „Krisensitzung in Salzburg“
Gerüchte um die Kandidatenaufstellung
Unklarheiten bezüglich des weiteren Schicksals des VdU
III.6) Gründungsparteitag der FPÖ in Wien- Im Zeichen der Einheit
Richtlinien der neuen freiheitlichen Partei :
„Untergrunddasein“ ~ Schicksal der VdU–Restgruppen
III.7) Die Nationalratswahl 1956 – Belastungsprobe für die neue Partei
Wahlergebnisse - 13. Mai 1956 ð im Vergleich zu den Ergebnissen der letzten Nationalratswahlen
Parteiinterne Analyse des Wahlergebnisses
Innerer Zusammenhalt trotz negativer Wahlergebnisse
Sieger der Wahl – die große Koalition
III.8) Neuerlicher Versuch einer aktiven Mitregierung der FPÖ ~ „Gemeinsam mit der ÖVP für Dr. Denk“
III.9) Dritter Bundesparteitag in Salzburg

IV.) Zusammenfassung

V.) Literaturübersicht

I.) Einleitung

Die Parteigeschichte des national-liberalen Lagers in Österreich gestaltete sich seit der Parteigründung 1949 einigermaßen turbulent. Der Erfolg bei den Nationalratswahlen 1949 konnte bei den nachfolgenden Wahlen nicht mehr wiederholt werden. Schließlich kumulierten innere und äußere Ereignisse in der Auflösung des VdU (Verein der Unabhängigen) und der Gründung der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs).Was waren die Gründe, die zum Auflösungsprozess des VdU führten? Warum kam es zum Zerwürfnis innerhalb der Partei, hatten die „Großparteien“ Einfluss auf dieses Geschehen? Wie stellte sich die „neue“ Partei dar, und welche Rolle wollte sie zukünftig spielen? In welcher politischen Atmosphäre vollzog sich dieser Wechsel?

Um diese Fragen beantworten zu können, teilte ich die Thematik „Zerfall und Neubeginn ~ Gründung der FPÖ“ in zwei Abschnitte. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit den Gründen des VdU-Zerfalls. Innere und äußere Gegebenheiten trugen dazu bei. Die verhängnisvolle Personalpolitik des VdU-Parteigründers Kraus, die ihn in das parteipolitische Abseits brachte, soll durchleuchtet werden. Eine Analyse der Wahlverluste (Nationalratswahl 1953, Landtagswahlen 1954, Arbeiterkammerwahlen 1954) macht auch die veränderte politische Stimmung im Land sichtbar. Der Oppositionswille schwindet. Die Entnazifizierung ist zu Ende, man widmet sich lieber dem Wiederaufbau und dem gesellschaftlichen Aufstieg. Bedingt durch den inhomogenen Wählerpool des VdU wechseln daher viele ehemalige VdU-Wähler zu den Großparteien ( vor allem der ÖVP).

Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Gründung der FPÖ. Bestärkt durch schlechter werdende Wahlergebnisse und innerparteiliche Zerstrittenheit ging das nationale Lager siegreich hervor. Die Persönlichkeiten, die die „neue“ Partei dominierten und ihr Umgang mit den ersten Krisensituationen werden beschrieben.

Diese Arbeit stützt sich auf Primärquellen (Zeitungsartikel) und Sekundärliteratur. Als besonders wichtig erwiesen sich die Erinnerungen der Parteigründer Kraus und Reimann. Politische Statistiken und kritische Analysen der Parteiprogramme und Politiker hinsichtlich ihrer nationalen Ausrichtung rundeten den Arbeitsbereich ab.

II.) Prozess des Zerfalls ~ Die Kluft zwischen liberalem und nationalem Lager

II.1) Die Gründungspersönlichkeiten

Besondere Bedeutung für Werdegang und „Zerfall“ des VdU besaßen innerhalb der Partei die Vertreter des „liberalen“ Lagers wie ð Dr. Herbert Kraus und Viktor Reimann.

Dr. Herbert Kraus

Kraus, am 18. 11. 1911 in Agram geboren, entstammte einer altösterreichischen Offiziersfamilie. Sein Vater, ein kaiserlich-königlicher Generalstabsoffizier, fiel bereits 1914 am Beginn des Ersten Weltkrieges.

Bedingt durch die häufigen Ortswechsel während seiner Kindheit kam Kraus in Kontakt mit Volksgruppenproblematik (in Italien machten er und seine Mutter Erfahrungen mit der angespannten Situation zwischen Italienern und Deutschen nach dem Krieg) und Sozialismus („Johlende Menschen zogen mit der Fahne durch die Straßen, schlugen Auslagen ein und plünderten. Einem rann das Blut von der Hand.“- Darauf seine Mutter: „Das sind die Roten. Die werden uns auch noch das Letzte wegnehmen. `Gnad uns Gott, wenn sie die Oberhand gewinnen.“[1]) .

Die christliche Erziehung, die er im bischöflichen Konvikt in Brixen und im Jesuitengymnasium in Feldkirch genossen hatte, prägte seine Haltung zur Kirche. Großen Eindruck hinterließen auch die Kriegserlebnisse eines Onkels, wenn dieser von Leichtsinn, Übermut und Sinnlosigkeit des Krieges erzählte.

Nach der Matura in Wien, 1930, bot ihm sein Onkel (Generaldirektor von Siemens) eine Stellung im „Technischen Büro“ der Firma Siemens in Linz an. Er hielt das Betriebsklima aber nicht lange aus und kündigte bereits wieder nach fünf Monaten.

Daraufhin beschloss Kraus, in Wien zu studieren. Während seines Studiums an der Hochschule für Welthandel kam er mit verschiedenen politischen Sichtweisen in Berührung. Die vier Brüder seines Vaters vertraten den liberalen „Schoberblock“, seine Mutter und Mitschüler konnten sich eher mit der christlich-sozialen Partei identifizieren. Bekannte aus dem Arbeitermilieu standen auf der „roten Seite“ des politischen Spektrums. Im Laufe seiner Studienzeit kam er auch mit den Ideen Viktor Frankls in Berührung, der als Dozent einen Vortrag über das kommende unheilvolle Schicksal der Juden hielt.

Bereits 1934 konnte sich Kraus persönlich ein Bild über den Umgang mit Juden im Deutschen Reich machen. Als er wegen der Gründung eines chemischen Betriebes nach Bochum reisen musste, wurde er auf der Rückreise Augenzeuge eines Judenboykotts in Nürnberg. Kraus las während seines Aufenthalts in Deutschland nationalsozialistische Propagandazeitschriften, von denen er sich nach eigenen Angaben abgestoßen fühlte.[2]

1935 promovierte er mit einer Arbeit über den „Krisenzyklus in der Investitionsgüterindustrie“. Er bekam aufgrund seiner Fremdsprachenkenntnisse (Französisch, Russisch, Englisch, Holländisch, Tschechisch) den Posten eines Wirtschaftsredakteurs im „Neuen Wiener Journal“.[3] Bevor diese Zeitschrift aus Gründen der Arisierung eingestellt wurde, konnte er Kontakte zum privaten Berliner Wirtschaftspressedienst (NWD) und dem „Südost-Echo“[4] knüpfen. 1939 ging Kraus endgültig nach Berlin und nahm beide Stellen an.[5]

Im Herbst 1940 arbeitete Kraus als Sonderkorrespondent für fünf Wochen, während der deutsch-russischen Wirtschaftsverhandlungen, in Moskau.[6]

Als 1941 seine Einberufung erfolgte, wirkte er zuerst qualifikationsbedingt (Sprach- und Ortskenntnisse) in der zentralen Auswertungsstelle der sowjetischen Wirtschaftsnachrichten, später gehörte er zeitweilig der umstrittenen „Heeresgruppe Süd“ an. Diese war für die Art und Weise ihrer „Bekämpfung des Partisanentums“ bekannt. Kraus kritisierte manche Aktionen seiner Heeresgruppe in Feldpostbriefen. Einige Briefe wurden abgefangen, und er wurde wegen „Wehrkraftzersetzung“ angeklagt. Seine Verhandlung fand im Oktober 1944 statt, zu Kriegsende am 8. Mai 1945 erfolgte ein Freispruch.[7] Während eines kurzen Heimaturlaubes im März 1945 wurde er kurzfristig Mitglied der Widerstandsbewegung O5.

Seine Eindrücke, inklusive Kritik am kommunistischem System, manifestierte er im Buch „Russland 1941 - Volk, Kultur und Wirtschaft“. Nach Kriegsende konnte er sich aufgrund seiner im Buch geäußerten Russlandkritik und seiner Tätigkeit bei der Abwehr nicht mehr in Wien niederlassen.

Kraus ging zu seiner Schwester und ihrem Mann nach Salzburg. Dort richtete er eine Anfrage an die amerikanische Militärverwaltung, ob er eine gesamtösterreichische Tageszeitung herausgeben dürfte. Dieser Anfrage wurde aber nicht stattgegeben. Er gründete ein Research-Institut „Berichte und Informationen des österreichischen Instituts für Wirtschaft und Politik“ als Ergänzung der demokratischen Einrichtungen. Kraus hoffte, dass eine unabhängige Forschung die Grundlage zu weitblickenden Konzepten und einer über dem Parteikader stehenden Objektivität schaffen könnte.[8]

Durch den Rechtsanwalt Dr. Möbius, der ein Hilfskomitee für Flüchtlinge und befreite politische Häftlinge und Heimkehrer leitete, schloss Kraus Bekanntschaft mit Viktor Reimann und Rudolf Strasser, zwei ehemaligen KZ-Häftlingen.[9]

Viktor Reimann beurteilte Kraus als einen „Mann des Kompromisses“ und „politischen Schauspieler ohne große Menschenkenntnis“ . Er hielt ihn für eine Persönlichkeit, die „vom Wesen her kein Parteiführer, eher Klubobmann und Finanzreferent“ gewesen sei.[10]

Viktor Reimann

Reimann wurde am 25. 1. 1915 in Wien geboren. Nach dem Abschluss des Gymnasiums in Klosterneuburg studierte er zwei Jahre Theologie. er brach das Studium ab, um in Wien Geschichte zu studieren (Promotion 1939). Da er der Roman-Scholz-Gruppe angehört hatte, die gegen den Radikalismus des Nationalsozialismus gerichtet war, wurde er 1940 verhaftet und wegen

Vorbereitung zum Hochverrat von einem Volksgericht zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach dem Krieg wurde er stellvertretender Chefredakteur der Salzburger Nachrichten.[11]

II.2) Gründe für interne Parteidifferenzen ~ verhängnisvolle Personalpolitik und inhomogener Kader auf Länderebene

Interne Konflikte trugen zur Auflösung des, im Februar 1945, gegründeten VdU bei. Ursprünglich als Mittel zur Integration ehemaliger Nazis und anderer Unzufriedener sowie als liberales Gegengewicht zum Proporz der Großparteien erdacht[12], wurde die Partei allgemein als Sammelbecken alter Nazis abgetan und nicht als „mitregierungsfähig“ betrachtet.

Verhängnisvolle Personalpolitik ~ Besetzungsproblematik hinsichtlich der Führungspositionen

Als „besonders schwierig und risikoreich“ stufte Kraus die Bildung des Funktionärskorps der neuen Partei ein.[13] Anders als in den bereits bestehenden Parteien, in denen die zukünftigen Funktionäre meist „von unten“ in ihre Führungspositionen hineingewachsen waren, war hier kein „Grundkader“ vorhanden. Von den Neomitgliedern des VdU schlossen sich einige aus Begeisterung und politischer Berufung der Partei an, andere sahen einen leichten politischen Aufstieg, quasi einen Versorgungsposten auf politischer Ebene, durch ihr Mitwirken innerhalb der jungen Partei. Kraus versuchte in dieser schwierigen Situation durch seine Art der Personalpolitik die rechte Ecke der Partei zurückzudrängen und durch Erweiterung der Parteibasis das liberale Element zu stärken. Sein „politisches Schach“ ging aber nicht auf. Aus Kompromissbereitschaft ließ er Parteifreunde fallen, die Hinzugekommenen waren meist die falsche Wahl.[14]

Inhomogene politische Ausrichtung der Landesverbände

Diverse Vorfälle in den Bundesländern verstärkten den Eindruck, der VdU sei eine „Ehemaligenpartei“. Länderweise gab es große Unterschiede in der politischen Ausrichtung des Funktionärskader und des Wählerstockes.

In der russisch besetzten Zone (Niederösterreich, Burgenland und das oberösterreichische Mühlviertel) gehörten die Wähler fast ausschließlich dem alten nationalen Lager an.

In Wien herrschte ebenfalls ein nationaler Ton vor, der nur wenige Wählerstimmen brachte. Die Mitglieder der VdU waren meist ehemalige Nationalsozialisten, die für eine „gerechtere“ Behandlung ihrer Minderheit eintraten. Einen weiteren Grund für die extremere Ausrichtung innerhalb der russisch besetzten Zone sowie in Wien sah Reimann auch in der strikteren Vorgangsweise der Großparteien und Besatzer gegen den VdU. Am 8. August 1949, fünf Monate nach der VdU-Gründung fand die Generalversammlung des Wiener Landesverbandes statt. Zum Vorsitzenden wurde Ing. Hans Heger gewählt, der im Krieg das Ritterkreuz erworben und während der russischen Gefangenschaft den „Antifaschistischen Eid“ geschworen hatte.[15] Das Erscheinungsbild des Wiener Verbandes wurde aber nicht durch Heger , sondern von Fritz Stüber geprägt.

Dr. Fritz Stüber

Stüber, nach den Nationalratswahlen 1949 Wiener Landesobmann, kam aus dem Kreis der Schönerianer[16]. Während der nationalsozialistischen Diktatur hatte er Hitlerhuldigungen verfasst. Nach Kriegsende sah er es als „heilige Pflicht“ an, den Niedergang des nationalen Gedankengutes zu verhindern. Er blieb kurstreu und wurde daher 1947 wegen neonazistischer Wiederbetätigung verhaftet („Germanische Schwärmerei“). Stüber prägte das „romantisch-nationale“ Image der Wiener Partei. Seine Grundwerte waren ihm immer bedeutender als eine tatsächliche Regierungsmitwirkung, deshalb verachtete er auch die Bemühungen von Kraus an der Regierung teilhaben zu wollen. Dies zeigte sich besonders im Endstadium des Auflösungsprozesses des VdU.[17]

In Tirol und Vorarlberg stützte sich der VdU auf das ehemalige nationalliberale Bürgertum.

In Salzburg war ebenfalls ein starkes nationalliberales Bürgertum mit Distanz zum „System“ der zweiten Republik und ausgeprägten Protestdentenzen vorhanden.[18] Der Parteikader umfasste vor allem ehemalige Heimkehrer.

Der oberösterreichische VdU war eher links orientiert, da viele ehemalige Nationalsozialisten und geflüchtete Volksdeutsche in den Großbetrieben arbeiteten.[19] Nach der Landtagswahl 1945 wurde die WdU in Linz , Wels , und Steyr zur zweitstärksten Partei nach der SPÖ gewählt.[20]

Bereits zur Zeit der Monarchie spielte der, 1886 gegründete Kärntner Bauernbund, der eine Interessenvertretung der weitgehend verarmten Bauernschaft darstellte, als Partei die führende Rolle in der Landespolitik. Das Erwachen der slowenischen Nationalbewegung und die nicht voll durchgesetzte Gegenreformation trugen in dieser Bevölkerungsschicht zur Ausbildung deutsch-nationaler Ideologie und Antiklerikalismus bei.[21] Aufgrund dieser historischen Ausgangsbedingungen hatte der VdU in Kärnten, mit Dr. Robert Scheuch, einen Agrarfachmann, als Obmann, hatte ihre Anhänger bevorzugt im bäuerlichen Milieu.[22] Der steirische Bauernführer Karl Hartleb, 1886 in St. Georgen/Neumarkt geboren, hatte großen Einfluss auf die Politik in Kärnten. Er war als Politiker ein „alter Hase“. Der Höhepunkt seiner Karriere war die Mitwirkung im Kabinett Seipel von 1927 bis 1929 als Innenminister und Vizekanzler. Politisch war er immer noch in der Zwischenkriegszeit verwurzelt und hemmte damit, besonders auf sozialpolitischem Gebiet, den fortschrittlichen Kurs des VdU.[23]

In der Steiermark setzte sich die Spitze der Parteiorganisation aus Kriegsheimkehrern zusammen. Landesobmann war der Jurist Dr. Josef Elsnitz, ein oberschenkelamputierter ehemaliger Panzerjägermajor und Ritterkreuzträger.

Bereits vor Gründung des VdU war eine eher nationale Stimmung in der Steiermark spürbar. Besonderes Aufsehen erregte die Affäre Soucek.[24] Der Grazer Kaufmann war einer der Organisatoren der Werwolfbewegung gewesen.[25] Er wurde 1947 verhaftet und 1949 von einem Volksgericht zum Tode verteil, später aber zu lebenslanger Haft begnadigt und schließlich nach drei Jahren aus dem Gefängnis entlassen.[26]

Diese Tendenz setzte sich einige Jahre darauf mit der Affäre „Gollob“ fort.

Gordon Gollob

Gollob wurde 1912 in Wien geboren. 1933 trat er in ein berittenes Artillerieregiment des österreichischen Bundesheeres ein. Er besuchte die Theresianische Militärakademie und absolvierte eine Motorflugausbildung. 1938 wurde er von der deutschen Luftwaffe übernommen. Gollob wurde Staffeloffizier und bekam das Ritterkreuz mit Eichenlaub, Schwertern und Brillanten. Am 1. Juni 1945 geriet er in britische Gefangenschaft. Nach Ende der Kriegsgefangenschaft, ließ er sich in Kitzbühel nieder.

Als Kraus einen Generalsekretär suchte, stellte sich Gollob vor und bekam, trotz seiner militanten Vergangenheit die Anstellung.

Wegen seiner hohen Kriegsauszeichnungen wurde er bei Versammlungen gefeiert, obwohl er weder ein herausragender Redner noch ein guter Politiker gewesen sein soll.[27] Diese Erfolge verführten Gollob dazu, bei einer Großkundgebung am Grazer Hauptplatz am 23. Juni 1950 (kurz nach den Nationalratswahlen) nach Beendigung der Rede die Zuschauer aufzufordern, die Haydenhymmne mit Kernstocktext zu singen. Als Konsequenz dieser nationalistischen Betätigung wurde der Verband in der Steiermark, wo er die stärkste Anhängerschaft besaß, verboten.[28] Dieser Vorfall beunruhigte die gesamte Führungsspitze des VdU, da man befürchtete, der VdU würde nun allgemein verboten werden.

Auch innerparteiliche Unstimmigkeiten stellten sich ein. Im Hinblick auf das VdU-Budget war Gollob nach Kraus´ Meinung zu wenig sparsam. Im Gegenzug begann Gollob Stimmung gegen Kraus zu machen. Als Folge dieser unerfreulichen Entwicklungen wurde Gollob im Juli 1950 vom VdU ausgeschlossen.[29] Kraus blieb zwar Sieger, war aber innerparteilich schwer angeschlagen.[30]

Die steirische Parteiatmosphäre als Nährboden der nächsten Parteigeneration

Innerhalb der steirischen Parteienlandschaft entwickelte sich auch eine jüngere Parteigeneration, die für die Entwicklung des VdU noch eine entscheidende Rolle spielen sollte. An ihrer Spitze stand Dr. Jörg Kandutsch.

Kandutsch, 1920 in Leoben geboren, wurde nach Absolvierung der Matura zum Reichsarbeitsdienst eingesetzt. 1940 meldete er sich freiwillig zu den Gebirgsjägern. Während des Krieges wurde er viermal verwundet und auch mehrmals ausgezeichnet. Zu Kriegsende war er Oberleutnant und Kompaniechef.

Nach dem Krieg wollte er in Innsbruck Medizin studieren, wurde aber aufgrund des NS-Gesetztes[31] nicht zugelassen. Nach Aufhebung dieser Regelung studierte er Jus und Staatswissenschaften in Graz.

Als VdU-Mitglied hatte er ein Landtagsmandat in der Steiermark inne und baute die Bezirksorganisation in Leoben auf.[32]

[...]


[1] Herbert Kraus, „Untragbare Objektivität“. Politische Erinnerungen 1917 bis 1987 (Wien/München 1988) 13.

[2] Kraus, Untragbare Objektivität 42-63.

[3] Reimann, Dritte Kraft 39.

[4] Das „Südost-Echo“ gehörte zum Reichswirtschaftsministerium für den europäischen Osten.

[5] Kraus, Untragbare Objektivität 87-90.

[6] Kraus, Untragbare Objektivität 116-125.

[7] Kraus, Untragbare Objektivität 132f.

siehe auch : Werner Müller-Kingspor, Neubegründung des freiheitlich-nationalen Lagers in

Österreich von 1945 bis 1949 (phil. Diss.,Wien 1972) 146 - 153.

[8] Reimann,Dritte Kraft 42.

siehe auch : Kraus, Österreich zwischen 1945 und 1955 (Wien79) 19.

Müller-Klingspor, Neubegründung des freiheitlich-nationalen Lagers 100.

[9] Kraus, Untragbare Objektivität 172-174.

Kraus, Österreich 21.

[10] Reimann, Dritte Kraft 39.

[11] Werner Müller-Kingspor, 153.

[12] Kraus, Untragbare Objektivität 193-224.

[13] Ebd. 217.

[14] Reimann , Dritte Kraft 37f.

[15] Reimann, Dritte Kraft 126f.

[16] Schönerer, 1882 Begründer des Deutschnationalen Vereins, war der Überzeugung , daß die Rasse

das Kriterium für die Erlangung aller bürgerlichen Rechte sein sollte. ð Bruce F. Pauley, Eine

Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung zur Auslöschung (Wien

1993) 68-71.

[17] Reimann, Dritte Kraft 126-129.

Müller-Kingspor , Neubegründung 173.

Kraus, Untragbare Objektivität 275.

Wilhelm Svoboda, Die Partei, die Republik und der Mann mit den Vielen Gesichtern

(Wien/Köln/Weimar 1993) 106.

[18] Herbert Dachs, Ausformung und Gewichtung des Salzburger Parteiensystems. In: Parteien und

Wahlen in Österreichs Bundesländern 1945-1991 (Wien1992) 302f.

[19] Reimann, Dritte Kraft 129.

Kurt Piringer, Die Geschichte der Freiheitlichen, Beitrag der dritten Kraft zur österreichischen Politik

(Wien 1982) 30.

[20] Elisabeth Mayr-Kern, Parteien und Wahlen in Oberösterreich. In: Parteien und Wahlen in

Österreichs Bundesländern 1945-1991, ed. Herbert Dachs (Wien 1992) 224f.

[21] Christian Schaller, Parteien und Wahlen in Kärnten. In: Parteien und Wahlen in Österreichs

Bundesländern 1945-1991, ed. Herbert Dachs (Wien 1992) 85.

[22] Reimann, Dritte Kraft 130.

[23] Ebd. 130-132.

Piringer, Geschichte 130.

Kraus, Untragbare Objektivität 218.

[24] Wiener Zeitung 4. 1. 1948. In: Dokumentation zu österreichischen Zeitgeschichte, ed. Josef

Kocensky (Wien 19970) 224.

[25] Werwolfbewegung ~ Untergrundbewegung, die nach dem Untergang des Reiches weiterkämpfen

sollte.

[26] Rechtsextremismus in Österreich nach 1945, ed. Dokumentationsarchiv des österreichischen

Widerstandes (Wien 1979) 20.

Müller - Klingspor, Neubegründung 20.

[27] Reimann, Dritte Kraft 134f.

Piringer, Geschichte 20.

[28] Wiener Zeitung 2. 7. 1950. In: Dokumentation zu österreichischen Zeitgeschichte, ed. Josef

Kocensky (Wien 1970) 247. ð Der VdU in der Steiermark aufgelöst

[29] Neue Front 21.7.1950. In: Dokumentation zu österreichischen Zeitgeschichte, ed. Josef Kocensky

(Wien 1970) 247.

[30] Reimann, Dritte Kraft 134-136.

Piringer, Geschichte 29.

[31] Die Presse 21.12.1946. In: Dokumentation zu österreichischen Zeitgeschichte, ed. Josef Kocensky

(Wien 1970) 222.

[32] Reimann,Dritte Kraft 253f.

Piringer, Geschichte 34.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Zerfall und Neubeginn – Die Gründung der FPÖ
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Das „Dritte Lager“ ~ Zwischensammlung der Nationalen und Populismus (Seminar)
Note
Sehr Gut
Autor
Jahr
1998
Seiten
43
Katalognummer
V121354
ISBN (eBook)
9783640255856
ISBN (Buch)
9783640256587
Dateigröße
610 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
FPÖ, VdU, WdU, Politik, Österreich, Zeitgeschichte, Zerfall, Neubeginn
Arbeit zitieren
Silvia Kornberger (Autor:in), 1998, Zerfall und Neubeginn – Die Gründung der FPÖ, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121354

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