Fähigkeitsselbstkonzepte von Kindern im Anfangsunterricht


Diplomarbeit, 2008

100 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Theoretischer Hintergrund

1. Fähigkeitsselbstkonzept als Komponente vom Selbstkonzept
1.1 Zum Selbstkonzeptbegriff
1.1.1 Historische Einordnung
1.1.2 Versuch einer Definition
1.2 Strukturelle Aspekte des Selbstkonzepts
1.3 Komponenten des Selbstkonzepts
1.4 Zusammenfassung

2. Forschungsgegenstand Fähigkeitsselbstkonzept
2.1 Präzisierung des fähigkeitsbezogenen Selbstkonzeptbegriffes
2.2 Struktur des Fähigkeitsselbstkonzeptes
2.3 Genese von Fähigkeitsselbstkonzepten
2.4 Bedeutung der Fähigkeitsselbstkonzepte für die Schulleistung
2.4.1 Fähigkeitsselbstkonzepte und Schulleistung
2.4.2 Fähigkeitsselbstkonzepte von Kindern im Anfangsunterricht
2.5 Determinanten von Fähigkeitsselbstkonzepten
2.5.1 Helmkes Modell zentraler Determinanten
2.5.2 Quellen akademischer Selbstkonzepte
2.6 Zusammenfassung

3. Bewertung durch signifikant Andere
3.1 Begriffsklärung
3.1.1 Signifikant Andere
3.1.2 Bewertung
3.2 Übernahme von Bewertungen signifikant Anderer
3.2.1 Erklärungsansatz aus Sicht des symbolischen Interaktionismus
3.2.2 Erklärungsansatz aus kognitionstheoretischer Sicht
3.3 Bewertung signifikant Anderer als Quelle
3.4 Zusammenfassung

4. Aktueller Forschungsstand zum Zusammenhang von Fähigkeitsselbstkonzepten und Fähigkeitseinschätzungen der Eltern

5. Fragestellung und Hypothesengenerierung
5.1 Ziele der Untersuchung
5.2 Hypothesenableitung
5.3 Zusätzliche Fragestellungen
5.3.1 Einfluss von Drittvariablen
5.3.2 Einfluss des Geschlechtes

II. Empirische Analyse

6. Überblick über die Studie „Persönlichkeitsund -Lernentwicklung in sächsischen Grundschulen“ (PERLE)

7. Untersuchungsbeschreibung
7.1 Stichprobenbeschreibung
7.2 Untersuchungsablauf
7.3 Untersuchungsinstrumente
7.3.1 Fähigkeitsselbstkonzepterhebung
7.3.2 Elterliche Fähigkeitseinschätzung der Kinder
7.4 Statistische Testverfahren

8. Ergebnisse
8.1 Deskriptive Ergebnisse
8.1.1 Deskriptive Ergebnisse der Fähigkeitsselbstkonzepterhebung
8.1.2 Deskriptive Ergebnisse der Erhebung zur Elterneinschätzung
8.2 Ergebnisse der Hypothesenüberprüfung
8.3 Überprüfung der zusätzlichen Fragestellungen
8.3.1 Überprüfung des Einflusses von Drittvariablen
8.3.2 Überprüfung des Einflusses des Geschlechts

9. Diskussion
9.1 Limitationen
9.2 Diskussion der Deskriptivstatistiken
9.3 Diskussion der Ergebnisse der Hypothesenüberprüfung
9.4 Diskussion der Ergebnisse der zusätzlichen Fragestellungen
9.4.1 Einfluss von Drittvariablen
9.4.2 Einfluss des Geschlechts
9.5 Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Einschätzungen der eigenen Fähigkeiten, wie in einer Vielzahl von Studien aufgezeigt werden konnte, beeinflussen das Verhalten und Erleben in vielfältiger Weise (vgl. Meyer 1984, S. 14). Das Bild, das ein Individuum über seine eigenen Fähigkeiten entwickelt, prägt die Wahrnehmung von Situationen, die Erwartungen an künftige Leistungen sowie die damit verbundenen Handlungen (vgl. Holder 2005, S. 17). Demzufolge spielen Fähigkeitsselbstkonzepte – die als die Gesamtheit kognitiver Repräsentationen der eigenen Fähigkeiten verstanden werden – insbesondere in schulischen Lernund Leistungssituationen eine bedeutsame Rolle. Sie gelten in der Pädagogik als eine wichtige Einflussgröße für leistungsthematisches Verhalten und werden als ein wesentlicher Prädikator für das Ergebnis bisheriger Leistungen sowie für die zukünftige Leistungsentwicklung angesehen (vgl. Schöne et al. 2003, S. 3). Darüber hinaus besteht weitgehend Konsens, dass Fähigkeitsselbstkonzepte über motivationale Variablen vermittelt Lernprozesse fördern und zu besseren akademischen Leistungen führen (vgl. Zeinz/Köller 2006, S. 177). In Anbetracht dessen ist es für die pädagogische Forschung wie auch Praxis von Relevanz, Fähigkeitsselbstkonzepte genauer zu untersuchen. Dabei ist erstaunlich, wie wenig Klarheit über die Bedingungen, die zur Entstehung von Fähigkeitsselbstkonzepten führen, besteht. Es liegt nahe anzunehmen, dass Fähigkeitsselbstkonzepte durch vorangegangene Leistungen und diesen Leistungen zugrunde liegende Fähigkeiten bestimmt sind. In einschlägigen Studien konnten allerdings weitere Determinanten identifiziert werden (vgl. Spinath 2004; Helmke 1992). So werden neben sozialen Vergleichsprozessen und Selbstattribuierungen die Bewertungen durch signifikant Andere wie Lehrer, Peers oder Eltern als wichtige Determinanten angesehen.

In der vorliegenden Arbeit sollen mit Hilfe von Daten aus dem Projekt „Persönlichkeits- und Lernentwicklung von Grundschulkindern in Sachsen“ (PERLE) die Fähigkeitsselbstkonzepte von Kindern im Anfangsunterricht untersucht werden. Es soll analysiert werden, ob die Bewertungen signifikant Anderer im Zusammenhang mit den kindlichen Fähigkeitsselbstkonzepten stehen. Im Zentrum der Betrachtungen dieser Arbeit stehen dabei die Bewertungen der Eltern als signifikant Andere.

Die Befundlage zum Einfluss der Elternbewertungen ist spärlich. Allerdings konnte in einigen wenigen empirischen Studien belegt werden, dass ein Zusammenhang zwischen elterlichen Fähigkeitsbewertungen und den Fähigkeitsselbstkonzepten der Kinder in unterschiedlichen Altersgruppen besteht (vgl. Wigfield et al., 1997; Eccles et al., 1993; Phillips, 1987; Tiedemann, 2000; Parsons/Adler/Kaczala, 1982, Frome/Eccles, 1998). Aufgrund dessen wird hypothetisiert, dass Eltern durch ihre Bewertungen einen Einfluss auf die schulischen Selbstkonzepte und damit auch auf das Leistungsverhalten und die Leistungen ihrer Kinder haben.

Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse ist in vorliegender Arbeit von Interesse, ob bereits in der Schuleingangsphase ein Zusammenhang zwischen den elterlichen Fähigkeitsbewertungen und Fähigkeitsselbstkonzepten der Kinder besteht. Zusätzlich wird auf die Frage eingegangen, ob geschlechtsspezifische Differenzen in den Fähigkeitsselbstkonzepten wie auch in den elterlichen Fähigkeitsbewertungen bestehen, und ob sich auch der Zusammenhang der Fähigkeitsselbstkonzepte und der dazugehörigen Elterneinschätzung geschlechtsspezifisch unterscheidet.

Zur Beantwortung der vorliegenden Untersuchungsfragen wird im ersten Teil der Arbeit der theoretische Hintergrund geklärt, wobei auf zentrale Erkenntnisse der Selbstkonzeptforschung zurückgegriffen wird. So wird in Kapitel eins auf das Fähigkeitsselbstkonzept als Komponente vom Selbstkonzept eingegangen. Im darauf folgenden Kapitel wird das Fähigkeitsselbstkonzept präzisiert, strukturelle Aspekte des Gegenstandes erläutert und wesentliche Determinanten des Konstruktes aufgezeigt. Daraufhin werden in Kapitel drei Bewertungen signifikant Anderer als Quelle akademischer Selbstkonzepte dargelegt und abschließend der aktuelle Forschungsstand zum Zusammenhang von Fähigkeitsselbstkonzepten und elterlichen Fähigkeitseinschätzungen resümiert. Im zweiten Teil der Arbeit wird die empirische Analyse der Untersuchungsfrage behandelt. So wird in Kapitel sechs ein kurzer Überblick über die Studie PERLE gegeben, aus der die hier verwendeten Daten stammen. Danach wird in Kapitel sieben die Methodik der Untersuchung näher beschrieben. Im achten Kapitel werden die Ergebnisse dargestellt und abschließend, werden im Rahmen einer Diskussion (Kapitel neun), ein Resümee aus den Befunden gezogen und mögliche Perspektiven aufgezeigt.

I. Theoretischer Hintergrund

In diesem Teil der Arbeit soll der theoretische Hintergrund für das Verständnis der Untersuchungsfrage geklärt werden. So wird im ersten Kapitel auf das Fähigkeitsselbstkonzept als Komponente vom Selbstkonzept eingegangen. Dem folgend wird in Kapitel zwei das Fähigkeitsselbstkonzept1 präzisiert und es werden wesentliche Determinanten des Konstruktes aufgezeigt. Daraufhin werden in Kapitel drei Einschätzungen signifikant Anderer als Quelle akademischer Selbstkonzepte dargelegt und abschließend der aktuelle Forschungsstand zum Zusammenhang von Fähigkeitsselbstkonzepten und elterlichen Fähigkeitseinschätzungen ihrer Kinder resümiert.

1. Fähigkeitsselbstkonzept als Komponente vom Selbstkonzept

Im folgenden Kapitel wird auf das Konstrukt Selbstkonzept Bezug genommen, da sich der Forschungsgegenstand ‚Fähigkeitsselbstkonzept’ als Ausschnitt des globalen Selbstkonzeptes begreifen lässt. Aufgrund dessen ist es für das theoretische Verständnis von Belang, sich vorab mit dem Selbstkonzept auseinanderzusetzen. Nach allgemeinen Erläuterungen zum Selbstkonzeptbegriff und dessen historische Entwicklung, wird ein Versuch einer Definition vorgenommen. Daraufhin wird mit Hilfe des hierarchischen, multidimensionalen Modell von Shavelson et al. (1976) die Struktur des Selbstkonzeptes genauer betrachtet. Abschließend werden die Komponenten des globalen Selbstkonzeptes dargestellt, um dem eigentlichen Forschungsgegenstand Fähigkeitsselbstkonzept näher zu kommen.

1.1 Zum Selbstkonzeptbegriff

Das Selbst stand schon weit vor den Anfängen der Psychologie im Interesse des Menschen und besitzt auch heute einen großen Stellenwert in der Wissenschaft.

„Das Selbst ist ein Thema mit Konjunktur, vielleicht sogar mit Dauerkonjunktur in der psychologischen Forschung. Es scheint geradezu ein Konzept par excellence für eine Wissenschaft zu sein, die die Psyche des Menschen zum Gegenstand hat.“

(Staudinger/Greve 1997, S. 3)

Aufgrund der langen Tradition und der daraus resultierenden Unübersichtlichkeit gibt es in der psychologischen Forschung kaum ein Gebiet, in dem eine einführende Begriffsbestimmung so notwendig ist wie in der Selbstkonzeptforschung. Demgemäß besteht in der Wissenschaft eine große Begriffsvielfalt. ‚Selbstkonzept’ wird in anderen Konzeptionen synonym zu Begriffen wie Selbst, Selbstwertgefühl, Selbsteinschätzung, Identität oder Persönlichkeit verwendet. Diese unterschiedlichen Begriffe spiegeln dabei jeweils unterschiedlich akzentuierte theoretische Standpunkte wider und bearbeiten unterschiedliche Teilaspekte (vgl. Krupitschka 1990, S. 10f.).2 Der Terminus ‚Selbstkonzept’ war, angesichts dessen Mehrdeutigkeit und nur schwer eingrenzbaren Bedeutungen, lange Zeit in der Psychologie ein umstrittener Begriff, welcher sich aber in den letzten 20 Jahren in der Wissenschaft etabliert hat. Diese Ambiguität lässt sich aus der historischen Entwicklung erklären, welche einem Definitionsversuch vorangestellt werden soll.

1.1.1 Historische Einordnung

Die Frage nach dem Selbst hat Philosophen über Jahrhunderte hinweg beschäftigt. Bereits Aristoteles entwickelte die fundamentale Unterscheidung zwischen körperlichen und seelischen menschlichen Merkmalen (vgl. Flashar 2004, S. 213ff.). Diese kann bei einer weit gefassten Betrachtung als ein erster vorwissenschaftlicher Erklä- rungsversuch angesehen werden. Weitere nennenswerte Philosophen, die sich mit dem Selbst auseinandergesetzt haben, sind unter anderen Descartes, Berkeley, Hobbes und Hume. Den tatsächlichen Ausgangpunkt für die Selbstkonzeptforschung stellt allerdings William James mit seinem Werk „The Principles of Psychology“ (1890) dar. Darin postuliert er den Glauben an ein aktives, handelndes Selbst und gibt eine umfassende und auch heute noch beeindruckende Darstellung von der Natur des Selbst (vgl. James 1892/1984). Nach James` Auffassung bildet das Selbst „die Gesamtheit der Sätze, die sich auf die sie äußernde Person beziehen.“ (Greve 1989, S. 10). James unterscheidet dabei das Selbst in ein „Selbst als zum Bewusstsein kommendes“ („Me“) und ein „Selbst als Bewusstsein habendes“ („I“) (vgl. James 1892/1984). Noch heute ist diese Unterscheidung Kernpunkt vieler psychologischer Ansätze. Cooley (1902), beeinflusst von James´ Entwurf, entwickelte die soziologische Konzeption des Spiegel-Selbst („Looking-glass self“), nach dem das Selbstgefühl davon abhängt, was wir glauben, dass Andere uns sehen. Erst dadurch ist es dem Individuum möglich, sich selbst zum Objekt der eigenen Wahrnehmung zu machen und Identität zu entwickeln (vgl. Cooley 1902/1970). Auch George Mead griff die Unterscheidung von James in seinem Werk „Mind, Self, and Society“ (1934) auf und wies auf den reflexiven Charakter des Selbst hin, d.h., die Fähigkeit des Menschen, Objekt und Subjekt gleichzeitig zu sein (vgl. Mead 1934/1968). Er formte außerdem Cooley`s Ansatz des sozialen Selbst weiter aus, indem er die Anderen konkretisierte und den Begriff ‚significant others’ prägte. Allport, als ein Vertreter der frühen Persönlichkeitspsychologie, entwickelte eine umfassende Theorie des Selbst (1961), die auch heute noch zu den wichtigsten systematischen Ordnungsversuchen zählt. In seinem Werk entwickelte er einen neuen Begriff: das ‚Proprium’, welches Allport als höchstes zentrales Konstrukt betrachtet (vgl. Allport 1961/1973). Folgt man seinem Ansatz, stellt es die einzige Perspektive dar, das Verhalten eines Individuums zu verstehen. In der früheren Vergangenheit sind vor allem die Arbeiten von Hazel Markus (1977) und die Konzeption von Sigrun-Heide Filipp (1979) hervorzuheben. Markus spricht von ‚Selbst-Schemata’, welche eine kognitive Generalisierung über die eigene Person darstellen (vgl. Markus 1977, S. 63ff.). Diese ‚Selbst-Schemata’ organisieren und leiten die Verarbeitung von Informationen, die sich auf die eigene Person beziehen. Filipp`s Ansatz stellt einen zeitigen Beitrag der Forschung zum Selbstkonzept und Informationsverarbeitungsparadigma dar. Sie konzipierte das Selbstkonzept als Wissensstruktur hinsichtlich der eigenen Person und machte fünf Quellen der selbstbezogenen Informationen aus. Ihre Arbeiten untersuchten insbesondere den Prozess der Aufnahme und die Verarbeitung selbstbezogener Informationen (vgl. Filipp 1979, S. 129ff.). Von entscheidender Bedeutung ist auch die Arbeit von Richard Shavelson und Mitarbeitern (1976). Das Shavelson Modell, welches von einem multidimensionalen und hierarchischen Selbstkonzept ausgeht (vgl. Shavelson et al. 1976), prägte insbesondere die Selbstkonzeptforschung in der pädagogischen Psychologie. Da dieser Ansatz das Fundament dieser Untersuchung darstellt, wird er in Kapitel 1.2.2 ausführlich erörtert und soll hier nur erwähnt bleiben.

Die dargestellten Arbeiten haben die Selbstkonzeptforschung des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt und stellen wichtige Anknüpfungspunkte für moderne Konzeptionen dar. Im folgenden Kapitel soll nun, auf Grundlage dieser Ansätze, der Versuch einer Definition gewagt werden.

1.1.2 Versuch einer Definition

Wie im vorangegangenen Kapitel erkennbar wurde, ist das Selbstkonzept ein vielfältig untersuchtes Konstrukt und auch in der Gegenwart bestehen viele verschiedene, methodisch und inhaltlich oftmals divergierende Ansätze. Darüber hinaus sind an der wissenschaftlichen Diskussion über das Selbstkonzept mehrere differente akademische Disziplinen beteiligt, was den Konsens einer allgemeingültig anerkannten Definition erschwert. Dementsprechend ist man in der Wissenschaft von einer einheitlichen, integrativen Theorie zu Aufbau, Struktur und Funktion von Selbstkonzepten noch sehr weit entfernt und es besteht eine Vielfalt an Definitionen. Es soll an dieser Stelle allerdings nicht die Vielzahl der Konzeptionalisierungen in ihrer Heterogenität dargestellt werden. Stattdessen wird ersatzweise auf eine von Filipp entwickelte Kategorisierung zurückgegriffen (vgl. Filipp 1980, S. 106ff.): Die erste Kategorie beinhaltet Ansätze, die „Selbstkonzepte als die individuellen Formen der kognitiven Ausgestaltung des Person-Umwelt Bezuges“ (Filipp 1980, S. 106) ansehen. Vertreter dieser Kategorie heben die Erkenntnis des Individuums hervor, dass die Person als distinktive Entität, also als von der Umwelt abgehoben, existiert. Ansätze der zweiten Kategorie benennen das Selbst als Gesamtheit aller Sichtweisen, die eine Person von sich selbst geformt hat, d. h. sie definieren das Selbstkonzept als kognitive Repräsentation des Selbst. Im Zentrum des Interesses steht hier, mittels welcher Attribute, Merkmale, Kategorien sich eine Person definiert. Schließlich dominiert eine Forschungstradition, welche „Selbstkonzepte ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer affektiv-evaluativen Färbung betrachtet. Darin werden Selbstkonzepte begrifflich gleichgesetzt mit ‚Selbstwertgefühl’ oder ‚Selbstakzentuierung’ … und zur Umschreibung der globalen Selbstwertschätzung einer Person verwendet.“ (Filipp 1980, S. 107). Allerdings anzumerken, dass innerhalb jeder Kategorie ein weites Spektrum an Theorien zu finden ist, weshalb diese Einteilung nur als grobe Kategorisierung angesehen werden darf.

In der vorliegenden Arbeit werden Selbstkonzepte, wie in der Tradition der zweiten Kategorie, als kognitive Repräsentation des Selbst verstanden. Das Selbstkonzept wird dabei als hypothetisches Konstrukt aufgefasst, d.h. als eine Bezeichnung eines komplexen psychischen Sachverhaltes (vgl. Neubauer 1976, S. 12) und ist als „Gesamtheit der (mehr oder minder stabilen) Sichtweisen, die eine Person von sich geformt hat“ (Filipp 1978, S. 107) anzusehen. Das Selbstkonzept wird damit als Ganzheit derjenigen Merkmale gesehen, die das Individuum als zu sich gehörig betrachtet.

„Unter dem Selbstkonzept kann man demnach die Gesamtheit der auf die eigene Person bezogenen Beurteilungen verstehen. Beurteilt werden kann an der eigenen Person im Grunde alles: körperliche und psychische Merkmale aller Art, im einfach beschreibenden, aber auch im bewertenden Sinne, Merkmale aus der Vergangenheit, an die man sich erinnert, oder Merkmale, die man sich gegenwärtig zuschreibt, oder Merkmale, die man sich wünscht, nach denen man strebt, oder von denen man erwartet, sie in Zukunft zu besitzen.“ (Mummendey 1990, S. 55)

Aufgrund der unüberschaubaren Menge an Überzeugungen bildet das Selbstkonzept ein komplexes System von selbst-bezogenen Inhalten (vgl. Greve 2000, S. 18) und es besteht Bedarf, diese Vielzahl der Inhalte systematisch zu ordnen. Greve entwickelte dazu eine dreidimensionale Taxonomie anhand eines Würfelmodells. Dieses Modell besteht aus einer zeitlichen Perspektive, einer Dimension die zwischen realistischem und möglichem Selbst unterscheidet und einer evaluativen Ebene. Die zeitliche Perspektive beinhaltet nicht nur die aktuelle Person, sondern auch die Vergangenheit und Zukunftsaussichten („So bin ich, so war ich, so werde ich sein.“), welche die Identität mitbestimmen. Daran anknüpfend unterscheidet Greve in der zweiten Dimension zwischen dem realen und dem möglichen Selbst und betont in der dritten Dimension, dass der deskriptiven Ebene immer eine evaluative Ebene gegenübersteht. Damit beschränkt sich das Selbstkonzept nicht nur auf eine kognitive Ebene, sondern beinhaltet auch affektive Komponenten (vgl. Abb. 1.1).

Abb. 1.1: Dreigliedrige Taxonomie nach Greve (Greve 2000, S.20)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Mit dieser Einordnung ist jedoch noch nichts darüber gesagt, inwiefern die einzelnen Zellen des Würfels strukturiert sind und wie sich diese Strukturen verändern und entwickeln (vgl. Greve 2000, S. 19ff.). Diese Überlegungen führen zur Frage nach den Strukturen und den dazugehörigen Prozessen des Selbstkonzepts, die auf diesen Inhalten operieren. Auch hier besteht Uneinigkeit unter den Wissenschaftlern.

„Wenn es derzeit überhaupt einen Konsens unter den Selbst-Psychologen gibt, dann besteht er in der Überzeugung, dass selbst-relevante Informationen nicht einfach übernommen und integriert werden, sondern systematisch verarbeitet.“ (Greve 2000, S. 21)

Des Weiteren besteht in der Wissenschaft Unstimmigkeit über die Kontinuität des Selbst. Die traditionelle Selbstkonzeptforschung besagt, dass trotz lebenslanger Entwicklungen, permanenten Veränderungen, wechselnder sozialer Zusammenhänge und Lebensumstände ein einheitliches, stabiles, überdauerndes Selbst existiert, das dem Individuum personale Kontinuität und Identität vermittelt. Dies konnte jedoch in empirischen Untersuchungen nicht ausreichend bestätigt werden. In der neueren Selbstkonzeptforschung spricht man von einem dynamischen Selbstkonzept (vgl. Markus/Wurf 1986, S. 299ff.). Danach ist das Selbst zum einen strukturell multipel, d.h. es besteht aus mehreren kontextgebundenen Substrukturen, und zum anderen prozedural flexibel, d.h. es kann immer nur auf eine Teilmenge der Substrukturen zugegriffen werden (vgl. Hannover 1997, S. 55f.). In Anbetracht dieser Annahmen ist in der aktuellen Selbstkonzeptforschung unumstritten, dass das Selbstkonzept Ergebnis aus zahlreichen sozialen Erfahrungen ist und nicht, wie zunächst angenommen, als unabhängige Einheit besteht. Grundlage bildet dabei die soziale Umwelt und wird in der Auseinandersetzung mit dieser weiterentwickelt (vgl. Neubauer 1976, S. 16ff.). Konsens besteht darüber, dass das Selbstkonzept die Wahrnehmungen und Erwartungen des Individuums beeinflusst und damit das Verhalten moderiert, interpretiert, reguliert, vermittelt und organisiert (vgl. Schneidergruber 1990, S. 34). Diese beiden Annahmen, dass die soziale Umwelt die entscheidende Komponente in der Selbstkonzeptentwicklung darstellt und dass das Selbstkonzept Wahrnehmung, Erwartungen und Verhalten beeinflusst, bilden den Ausgangspunkt für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit und werden in Kapitel zwei in Bezug auf das Fähigkeitsselbstkonzept näher erörtert.

1.2 Strukturelle Aspekte des Selbstkonzepts

Die theoretischen Annahmen über die Struktur des Selbstkonzepts sind vielfältig (vgl. Filipp 1979; Markus 1977; Shavelson et al. 1976; Epstein 1979; Kihlstrom/ Cantor 1984). Dabei steht die Fragestellung im Vordergrund, in welcher Form dieses System strukturiert und organisiert ist. In der Vergangenheit wurde das Selbst als eine globale Einheit, d.h. als zentrale Region der Persönlichkeit beschrieben. In neueren Auffassungen wird stattdessen übereinstimmend von einem System von Teilkonzepten des Selbst ausgegangen. Es kann also nicht mehr von „dem“ globalen Selbst gesprochen werden.

„What began as an apparently singular, static, lump-like entity has become a multidimensional, multifaceted dynamic structure that is systematically implicated in all aspects of social information processing.”

(Markus/Wurf 1986, S. 301)

Die gegenwärtig aktuellen Systematiken betonen die Vielzahl verschiedener, eng verknüpfter, aber abzugrenzenden Bereiche, welche sich in Bezug auf ihren Inhalt, ihrer Bewertung und ihres Zeitbezuges unterscheiden können. Konsens besteht, dass „die einzelnen Selbstaspekte nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern ein organisiertes Ganzes bilden“ (Baldering 1992, S. 8). Die Organisation dieser Fülle von Teilkonzepten wird jedoch je nach Perspektive unterschiedlich dargestellt. Holder unterscheidet dabei zwischen verschiedenen Modellen: Der ersten Kategorie ordnet er Modelle zu, die das Selbstkonzept als Knoten innerhalb eines assoziativen Netzwerkes ansehen, wie Kihlstrom & Cantor (1984). In der Zweiten unterscheidet er Modelle, die das Selbstkonzept als hierarchische kategoriale Struktur auffassen, wie Epsteins´ Entwurf einer integrativen Persönlichkeitstheorie (1979) oder das von Shavelson et al. entwickelte hierarchische, multidimensionale Selbstkonzeptmodell (1976). Der dritten und letzten Kategorie ordnet er Modelle zu, die das Selbstkonzept als System von Selbstschemata verstehen, wie Markus` Modell der Selbstschemata (1977) (vgl. Holder 2005, S. 33ff.). Durchgesetzt haben sich in jüngster Zeit all jene Modelle, welche eine hierarchische Ordnung der Selbstkognitionen postulieren und werden auch in der vorliegenden Arbeit ihre Anwendung finden. Aufgrund dessen wird das Shavelsonmodell mit seiner Multidimensionalität und Hierarchie (vgl. Shavelson 1976) im Folgenden genauer abgebildet.

Das Selbstkonzeptmodell nach Shavelson et al.

Ein Modell, welches insbesondere in der pädagogischen Forschung Einfluss gewann und die Differenziertheit des Konstruktes auf verschiedenen Ebenen mit einbezieht, wurde von Shavelson, Hubner und Stanton (1976) entwickelt. Da in diesem Modell auch eine inhaltliche Struktur von Selbstkonzepten betrachtet wird, stellt es ein wesentliches Fundament dieser Arbeit dar. Shavelson und seine Mitarbeiter gehen grundlegend davon aus, dass das Selbstkonzept organisiert ist, damit eine Person die Vielzahl der Informationen, die sie über sich erhält, klassifizieren und mit Hilfe verschiedener Kategorien zueinander in Beziehung setzen – und somit die Vielfältigkeit der Erfahrungen reduzieren kann (vgl. Shavelson/Bolus 1982). Aufgrund der Vielzahl von Kategorien kann es als multidimensional betrachtet werden. Des Weiteren geht das Shavelsonmodell von einer hierarchischen Struktur des Selbstkonzepts aus (vgl. Abb. 1.2).

Abb. 1.2: Selbstkonzeptmodell nach Shavelson et al. (Shavelson et al. 1976, S. 413)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auf der untersten Ebene finden Evaluationen des eigenen Verhaltens in spezifischen Situationen statt. Bei wiederholter Erfassung können sich diese als stabil erweisen und somit die nächste Ebene konstituieren. Damit verbinden sich mehrere solcher Bewertungsreaktionen und bilden verschiedene Unterbereiche („subareas“) des Selbstkonzepts, wie Englisch („english“), Mathematik („math“) und Geschichte („history“), den sozialpsychologischen Bereichen die Kameraden („peers“) und bedeutsame Andere („significant others“) oder den körperbezogenen Bereichen wie körperliche Fähigkeiten („physical ability“). Diese bringen wiederum die dritte Ebene hervor, welche aus dem Fähigkeitsselbstkonzept („academic self-concept“), dem sozialen Selbst („social self“), emotionalem Selbst („emotional self“) und dem physischen Selbst („physical self“) besteht. Die drei letztgenannten Komponenten werden als „non-academic self-concept“ zusammengefasst. Das „academic self-concept“ und das „non-academic self-concept“ bilden zusammen das generelle Selbstkonzept („general self-concept“), welches die globalen Vorstellungen einer Person über sich selbst beinhaltet (vgl. Shavelson et al. 1976).

So kommt zum Beispiel ein Schulkind aufgrund guter Leistungen zu dem Schluss, „dass es gut in Mathematik“ sei. Wenn es auch in anderen Schulfächern gute Leistungen erbringt, wird es vermutlich daraus schließen, dass es „gut in der Schule“ sei, was die Annahme der hierarchischen Struktur verdeutlicht.

Shavelson et al. postulieren, dass das generelle Selbstkonzept stabil ist, die dem generellen Selbstkonzept untergeordneten Selbstkonzepte aufgrund einer erhöhten Situationsabhängigkeit weniger stabil sind. D. h., es wird angenommen, dass sich durch Erfahrungen zuerst die spezifischen Selbstkonzeptfacetten verändern und die hierarchisch höheren Selbstkonzepte, bestehend aus mehreren spezifischen Selbstkonzeptfacetten, eine breitere Informationsbasis benötigen, um sich zu ändern. Des Weiteren gehen Shavelson und Mitarbeiter davon aus, dass das Selbstkonzept im Verlauf der Entwicklung differenzierter wird. Jüngere Kinder besitzen ihrer Meinung nach ein globales, relativ undifferenziertes Selbstkonzept, welches von Situation zu Situation variiert und sich erst mit zunehmendem Alter weiter ausdifferenziert. Dar- über hinaus wird in dem Modell davon ausgegangen, dass das Selbstkonzept eine deskriptive und eine evaluative Dimension besitzt, d.h., dass Individuen sowohl in der Lage sind, sich zu beschreiben („Ich bin fröhlich“), wie auch zu bewerten („Ich bin ein guter Schüler“) (vgl. Shavelson/Bolus 1982). Schlussendlich betonen Shavelson et al., dass das Konstrukt von anderen Konstrukten abgrenzbar ist.

Die multidimensionale Struktur des Modells wurde hinreichend untersucht und konnte mehrfach empirisch bestätigt werden (vgl. Shavelson et al.1976; Shavelson/Bolus 1982; Marsh 1990; Marsh, Relich/Smith 1983; Byrne 1986; Marsh/Shavelson 1985). Für diesen Ansatz mit differenzierten Selbstkonzepten spricht, dass beispielsweise eine Person in einem Bereich, wie zum Beispiel in der sportlichen Leistungsfähigkeit, ein gutes Selbstkonzept haben kann, in einem anderen Bereich hingegen, wie zum Beispiel mathematischer Leistungsfähigkeit, ein schlechtes Selbstkonzept besitzen kann. Ein globales Selbstkonzept würde die unterschiedlichen Selbstkonzepte der verschiedenen Domänen nicht adäquat beschreiben. Die Forschung brachte allerdings Befunde, die die hierarchische Struktur des Modells nicht vollständig bestätigen konnten. Aufgrund dessen wurden verschiedene Teilbereiche des ursprünglichen Modells revidiert und detaillierter ausgestaltet (vgl. Marsh/Shavelson 1985). Dieses überarbeitete Modell soll, inhaltlich begründet, jedoch erst in Kapitel 2.2 dargestellt werden.

Dessen ungeachtet enthält das Shavelsonmodell Facetten, die bis heute forschungsleitend sind und es gilt mit seiner multidimensionalen Struktur in der heutigen Wissenschaft als etabliert. Die Multidimensionalität ermöglicht, dass einzelne Facetten des generellen Selbstkonzepts als separate Konstrukte gemessen werden können. Insbesondere das Fähigkeitsselbstkonzept wurde und wird aus entwicklungspsychologischer und pädagogischer Perspektive ausgiebig untersucht, wie es auch Anliegen dieser Arbeit ist.

1.3 Komponenten des Selbstkonzepts

Eine allgemeingültig anerkannte Unterteilung des Selbstkonzepts in Subkonzepte ist aufgrund der Vielfalt der Strukturierungsversuche wie auch der Annahme, dass sich die Person als Ganzes erlebt und die Grenzen fließend sind, nicht existent. In der Wissenschaft sind verschiedene Klassifizierungen bekannt (vgl. Samuels 1977; Felger-Pärsch 1995; Eggert/Reichenbach/Bode 2003; Shavelson et al. 1976). In vorliegender Arbeit wird auf Grundlage des in Kapitel 1.2.2 vorgestellten Modells nach Shavelson et al. (1976) das Selbstkonzept in folgende Teilbereiche (vgl. Abb. 1.2) eingeteilt: das Fähigkeitsselbstkonzept, das soziale Selbstkonzept, das emotionale Selbstkonzept und das physische Selbstkonzept. Das soziale Selbstkonzept umfasst die Gesamtheit der kognitiven und affektiven Repräsentationen, die die sozialen Beziehungen reflektieren („Ich habe viele Freunde“). Wie in Abbildung 1.2 erkennbar, beinhaltet es die Beziehungen zu Gleichaltrigen und bedeutsamen Anderen. Unter dem emotionalen Selbstkonzept verstehen Shavelson und seine Mitarbeiter jene mentalen Repräsentationen, die das Erleben und den Umgang mit Gefühlen widerspiegeln („Ich bin schnell traurig“). In einem physischen Selbstkonzept, auch Körperselbstkonzept genannt, sind diejenigen Repräsentationen vereinigt, die sich auf den eigenen Körper beziehen („Ich bin schön“). Das Fähigkeitsselbstkonzept repräsentiert die Selbstwahrnehmung eigener Fähigkeiten („Ich bin ein schlaues Kerlchen“).3 Alle Subkonzepte werden im Shavelson Modell weiter ausdifferenziert (vgl. Marsh/Shavelson 1985; Marsh 1990; Marsh/Byrne/Shavelson 1988).

Folgt man dem Shavelsonmodell, bestehen diese vier Subkonzepte separat, wenngleich nicht ganz unabhängig voneinander und bilden das generelle Selbstkonzept („general self-concept“) (vgl. Shavelson et al. 1976). Dieser Strukturierungsversuch macht es möglich, die einzelnen Konstrukte isoliert voneinander zu untersuchen und ist im Hinblick auf die vorliegende Arbeit von entscheidender Relevanz.

1.4 Zusammenfassung

Da sich das Fähigkeitsselbstkonzept als Ausschnitt des globalen Selbstkonzeptes begreifen lässt, wurde in diesem Kapitel das Selbstkonzept näher erläutert. Es konnte aufgezeigt werden, dass es ein vielfältig untersuchter und nur schwer eingrenzbarer Forschungsgegenstand ist. In vorliegender Arbeit wird das Selbstkonzept als „Gesamtheit der Sichtweisen, die eine Person von sich selbst geformt hat“ (Filipp 1978, S. 107) angesehen und als kognitive Repräsentation verstanden (vgl. Filipp 1979, S. 129). Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass das Selbstkonzept in Interaktion mit der sozialen Umwelt entsteht und die Wahrnehmung, Erwartungen und das Verhalten des Individuums nachhaltig beeinflusst (vgl. Mummendey 1990). Aufgrund der Vielzahl der Definitionsansätze besteht auch bei den strukturellen Annahmen Pluralität. In jüngster Gegenwart haben sich jedoch all jene Modelle durchgesetzt, die eine hierarchische Ordnung postulieren. In Anbetracht dessen nimmt das Selbstkonzeptmodell von Shavelson et al. (1976) einen besonderen Stellenwert für diese Untersuchung ein. Darauf Bezug nehmend unterteilen Shavelson et al. das generelle Selbstkonzept in vier Subkonzepte, wobei das Fähigkeitsselbstkonzept in der vorliegenden Arbeit untersucht werden soll.

2. Forschungsgegenstand Fähigkeitsselbstkonzept

Das Fähigkeitsselbstkonzept wird als Komponente des globalen Selbstkonzeptes verstanden (vgl. Kapitel 1) und soll nun umfassend ergründet werden. Zu Beginn des Kapitels wird der fähigkeitsbezogene Selbstkonzeptbegriff präzisiert und, um die strukturellen Aspekte näher zu beleuchten, das revidierte Marsh/Shavelson Modell (vgl. Marsh/Shavelson 1985; Marsh 1990a) betrachtet. Darauf folgend wird die Fä- higkeitsselbstkonzeptgenese mit Hilfe von Harters Entwicklungsmodell (1983) beschrieben. In Abschnitt 2.4 wird auf den Zusammenhang von akademischen Selbstkonzepten und Schulleistung aufmerksam gemacht, wobei das Schuleingangseinalter im besonderen Fokus steht. Abschließend werden die zentralen Determinanten aufgezeigt und die Quellen akademischer Selbstkonzepte dargelegt.

2.1 Präzisierung des fähigkeitsbezogenen Selbstkonzeptbegriffes

Auch dieses Konzept wird entlang eines weiten Spektrums von Theorietraditionen (vgl. Kapitel 1.2) untersucht und infolge der Vielfalt mit Begriffen unterschiedlichster Art beschrieben (vgl. Holder 2005, S. 31ff.). In der vorliegenden Arbeit wird aufgrund deren Vieldeutigkeit und Unübersichtlichkeit auf Begriffe wie subjektive Kompetenz oder leistungsbezogenes Selbstvertrauen verzichtet und, hinsichtlich widersprüchlicher Definitionsmerkmale, der oft verwendete Begabungsbegriff (vgl. Meyer 1984; Fend et al. 1976) ausgeklammert. In Anlehnung an die Arbeiten von Shavelson et al. (1976) findet der Begriff ‚Fähigkeitsselbstkonzept’4 hier seine Anwendung. Fähigkeiten werden folgendermaßen definiert:

„Im Unterschied zu Begabung, bei der sich die angeborenen Bedingungen (einschließlich einer gewissen Variationsbreite für frühe Anreize der Umwelt) im Vordergrund stehen, schließt die Fähigkeit gleichwertig auch solche Bedingungen ein, die auf Lernprozesse zurückgehen. Fähigkeiten werden letztlich durch die Tätigkeiten und Tätigkeitsbereiche definiert, denen sie zugeordnet werden (Sprache, Mathe, Musik, etc.).“

(Brockhaus 2006, S. 699)

Das Konstrukt Fähigkeitsselbstkonzept bezieht sich auf die Selbstwahrnehmung, Kenntnis und Selbstbewertung der eigenen Leistungen und Fähigkeiten (vgl. Krupitschka 1990, S. 66). Es wird weit gefasst als „die Gesamtheit der Gedanken betreffend der eigenen Fähigkeit“ verstanden (Schöne et al. 2003, S. 4). Dickhäuser und Mitarbeiter definieren das Fähigkeitsselbstkonzept als die „Gesamtheit der kognitiven Repräsentationen eigener Fähigkeit in akademischen Leistungssituationen“ (Dickhäuser et al. 2002, S. 394) und gehen damit explizit auf den Kontext der schulischen Leistungssituation ein. In neueren Konzeptionen wird zwischen einer emotionalen Komponente („Ich bin glücklich mit meiner Leistung.“) und einer kognitiven Komponente („Ich habe die Aufgabe bewältigt.“) unterschieden. Wenngleich Einschätzungen der eigenen Fähigkeiten mit Emotionen verknüpft sind, wird sich in vorliegender Arbeit – zur Präzisierung des Konstruktes – auf die kognitive Komponente beschränkt.

Um zu einem weiteren Verständnis des Gegenstandes beizutragen, wird im folgenden Kapitel die Struktur des Fähigkeitsselbstkonzeptes genauer untersucht.

2.2 Struktur des Fähigkeitsselbstkonzeptes

Im Rahmen des hierarchischen, multidimensionalen Modells von Shavelson et al. (1976) (vgl. Kapitel 1.2.2) wird das Fähigkeitsselbstkonzept als Ausschnitt des globalen Selbstkonzeptes verstanden. Shavelson und seine Mitarbeiter gehen davon aus, dass es ein generelles Fähigkeitsselbstkonzept gibt, welches verschiedene Selbstkonzeptfacetten einzelner Bereiche beinhaltet (vgl. Abb. 1.2). Laut deren Auffassung interkorrelieren diese spezifischen Fähigkeitsselbstkonzepte und bilden zusammen das generelle Fähigkeitsselbstkonzept. In der Wissenschaft konnte die multidimensionale Struktur und dessen Aufgliederung in einzelne Domänen nachgewiesen werden (vgl. Byrne/Gavin 1996; Marsh/Yeung 1996; Yeung et al. 2000). Allerdings erwies sich die hierarchische Struktur als komplexer als ursprünglich postuliert (vgl. Marsh/Shavelson 1985; Marsh 1990a; Marsh/Byrne/Shavelson 1988; Hattie/Marsh 1996). In einer Untersuchung von Marsh/Shavelson wurde festgestellt, dass die spezifischen Fähigkeitsselbstkonzepte nicht oder nur kaum korrelieren und damit nicht, wie anfangs angenommen, zu einem generellen Fähigkeitsselbstkonzept zusammengefasst werden können (vgl. Marsh/Shavelson 1985). Aufgrund dessen wurde das Shavelsonmodell von 1976 revidiert und das Marsh/ Shavelson Modell erarbeitet (vgl. Marsh/Shavelson 1985; Marsh 1990a; Marsh/Byrne/ Shavelson 1988), welches die Struktur der Fähigkeitsselbstkonzepte nach diesen Erkenntnissen genauer abbildet (vgl. Abb. 2.1).

Abb. 2.1: Revidiertes Modell des Fähigkeitsselbstkonzeptes nach Marsh/Shavelson (adaptiert nach Marsh/Byrne/Shavelson 1988)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In dem überarbeiteten Modell wird der ursprüngliche Generalfaktor des Fähigkeitsselbstkonzeptes in zwei Faktoren, das mathematische und das verbale Fähigkeitsselbstkonzept5, aufgegliedert, welche gleichberechtigt auf einer Ebene nebeneinander stehen. Unter diesen beiden Faktoren sind wiederum die einzelnen Fähigkeitsselbstkonzepte der einzelnen Anforderungen subsumiert. Wie in Abbildung 2.1 erkennbar, stehen die Fähigkeitsselbstkonzepte der Bereiche Biologie, Wirtschaft, Geographie, Geschichte sowie das allgemeine schulische Fähigkeitsselbstkonzept sowohl mit dem mathematischen Fähigkeitsselbstkonzept als auch mit dem verbalen Fähigkeitsselbstkonzept der übergeordneten Ebene in Verbindung und sind damit nicht vollkommen unabhängig voneinander. Demgegenüber sind Fremdsprachen und die Muttersprache nur dem verbalen Fähigkeitsselbstkonzept, Mathematik und Physik nur dem mathematischen Fähigkeitsselbstkonzept untergeordnet (vgl. Abb. 2.1). Innerhalb dieser spezifischen Fähigkeitsselbstkonzepte konnte in einschlägigen Studien eine hierarchische Struktur nachgewiesen werden (vgl. Yeung et al. 2000, S. 564ff.).

Das revidierte Modell betrachtet allein akademische Fähigkeiten und beachtet nicht außerschulische Fähigkeitsund Leistungsfaktoren. Bereits Marsh wies auf diesen Schwachpunkt des Modells hin und forderte eine Erweiterung um nicht-akademische Fähigkeiten wie sportlich/motorisch, bastlerisch/kreativ oder musisch/künstlerisch (vgl. Marsh 1990a, S. 635f.).6

Dieses Modell ließ sich wiederholt empirisch bestätigen (vgl. Marsh/Shavelson 1985; Marsh/Byrne/Shavelson 1988; Marsh 1990a) und bildet angesichts dessen die theoretische Grundlage der Untersuchung. Hinsichtlich dieses Ansatzes werden in vorliegender Arbeit die beiden eindeutig voneinander getrennten Subkonzepte, d.h. das mathematische Fähigkeitsselbstkonzept (Rechnen) sowie das verbale Fähigkeitsselbstkonzept (Lesen und Schreiben), untersucht. Nicht-akademische Fähigkeiten sind nicht von Interesse, da sich diese Arbeit im Rahmen des Projektes PERLE auf fachspezifische Kompetenzen in Mathematik und Deutsch beschränkt. Demnach ist es für die vorliegende Untersuchung nun von entscheidender Relevanz zu fragen, wie die schulleistungsrelevanten Fähigkeitsselbstkonzepte entstehen.

2.3 Genese von Fähigkeitsselbstkonzepten

Ein in der Wissenschaft anerkanntes Modell der Selbstkonzeptgenese stellt Harters (1983) entwicklungspsychologische Arbeit dar. Sie befasst sich anhand von Beobachtungen von Kindern und Jugendlichen mit der Selbstkonzeptentwicklung (vgl. Trautwein 2003, S. 26ff.) und entwirft in Anlehnung an Piaget (1969) eine Theorie der Selbstkonzeptgenese. Sie beschreibt die Entwicklung anhand der bekannten Unterteilung Piagets in präoperationale, konkret-operationale und formal-operationale Stadien (vgl. Oerter/Montada 1998, S. 519ff.), erweitert dessen Gedanken jedoch um Folgendes: Erstens betont sie die Kontinuität von Veränderungsprozessen und unterscheidet eine größere Anzahl von Entwicklungsstufen, statt nur von drei Stadien auszugehen. Zweitens geht Harter davon aus, dass die kognitive Entwicklung als Vorrausetzung für die Selbstkonzeptgenese in unterschiedlichen Domänen unterschiedlich schnell statt findet, es dennoch in jeder Altersstufe obere Grenzen der Entwicklung gibt. Außerdem beschreibt sie in ihrer Theorie die Übergänge der einzelnen Entwicklungsstufen mit ihren zugrunde liegenden Prozessen näher als es Piaget tat (vgl. Trautwein 2003, S. 27f.). Wie in Abbildung 2.2 erkennbar, teilt Harter die Selbstkonzeptgenese in sechs Altersstufen (vom Kleinkindalter bis zur späten Adoleszenz) und betrachtet dabei die Struktur/Organisation, wichtige Inhalte sowie die Veridikalität (ob sich Schüler leistungsmäßig eher realistisch einschätzen oder unterbzw. überschätzen). Da für die vorliegende Arbeit die drei in der Kindheit angesiedelten Stufen der Selbstkonzeptentwicklung von Belang sind, werden diese im Folgenden näher dargestellt und auf die anderen Stufen nicht weiter Bezug genommen.

Harters Modell folgend herrscht im Kleinkindalter und in der frühen Kindheit ein „Alles-oder-Nichts“ Denken vor, entweder man ist „gut“ oder „schlecht“. Das Kind kann in diesem Stadium noch nicht zwischen verschiedenen Fähigkeitsbereichen, wie zum Beispiel körperlichen oder geistigen Fähigkeiten, unterscheiden. Sie betont, dass Kinder dieses Alters in ihren Selbstbeschreibungen unterschiedliche Fähigkeiten anführen („Ich kann schnell laufen, weit springen und hoch hüpfen.“), aber noch keine Generalisierungen („Ich bin sportlich.“) bilden können. Aufgrund dessen sind laut Harter die verschiedenen Attribute der Selbstbeschreibung isoliert repräsentiert und können noch nicht als Kategorien im Selbstkonzept integriert werden.7 Des Weiteren werden in dieser Altersgruppe Selbstbeschreibungen insbesondere durch beobachtbare Attributionen wie Eigentum oder Fähigkeiten vorgenommen (vgl. Harter 1998, S. 568ff.). Harter vermutet, dass in dieser Phase noch keine konzeptuellen Kategorien bestehen, d.h., die Repräsentationen einer Dimension sind noch direkt mit der Dimension selbst verknüpft. Zusätzlich betont sie, dass die Bewertungen der eigenen Personen unrealistisch positiv sind, was sie u.a. auf die kognitive Entwicklung der Kinder zurückführt. Demnach ist es einem Kind dieses Alters noch nicht möglich, Informationen über sich selbst systematisch zu integrieren (vgl. Harter 1983, S. 292ff.).

In der nächsten Stufe der Selbstkonzeptgenese beginnen die Kinder die vorher isolierten Konzepte zu koordinieren und damit erste rudimentäre Generalisierungen zu bilden. Harter nimmt an, dass Kinder im Vorschulund frühen Grundschulalter das Selbstkonzept nach Kategorien geordnet repräsentieren und infolgedessen bereits bereichsspezifische Selbstkonzeptfacetten besitzen. Diese Annahme konnte in der Wissenschaft bestätigt werden (Marsh/Craven/Debus 1991; Eccles et al. 1993). Kinder dieser Altersgruppe können nun gegenteilige Attribute wie „gut“ und „schlecht“ als eine Dimension mit zwei Polen, also als Gegenteilpaar, begreifen. Harter betont aber, dass durch das noch immer vorherrschende „Alles-oder-Nichts Denken“ ein Kind in der eigenen Vorstellung nicht gut und schlecht gleichzeitig sein kann. Selbstbeschreibungen werden in dieser Phase weiterhin unrealistisch positiv vorgenommen (vgl. Kapitel 2.4.2).

Abb. 2.2: Verlauf der Selbstkonzeptgenese nach Harter (Harter 1998, S. 568)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 In der vorliegenden Arbeit werden Fähigkeitsselbstkonzepte, akademische Selbstkonzepte sowie schulische Selbstkonzepte als Synonyme verwendet und es wird nicht auf den englischen Begriff „academic self-concept“, wie ursprünglich bezeichnet (vgl. Shavelson et al. 1976), zurückgegriffen.

2 In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe „Selbstkonzept“ und „Selbst“ synonym verwendet, wenngleich in anderen theoretischen Fassungen zwischen beiden Begriffen unterschieden wird (vgl. Markus 1977).

3 Da das Fähigkeitsselbstkonzept in dieser Arbeit Untersuchungsgegenstand ist, wird das Konstrukt im folgenden Kapitel detaillierter dargestellt und hier auf eine ausführlichere Darstellung verzichtet.

4 In der Arbeit von Shavelson et al. spricht man von „academic self-concept“. In vorliegender Arbeit werden die Begriffe „Fähigkeitsselbstkonzepte“ und „akademische Selbstkonzepte“ verwendet und stehen als Synonym für den von Shavelson et al. (1976) geprägten Begriff.

5 In der Originalarbeit von Marsh, Byrne und Shavelson werden diese beiden Konstrukte folgendermaßen benannt: „math/academic self-concept“ (mathematisches Fähigkeitsselbstkonzept) und „verbal/academic self-concept“ (verbales Fähigkeitsselbstkonzept) (vgl. Marsh/Byrne/Shavelson 1988).

6 Marsh konnte in Untersuchungen nachweisen, dass es empirische Zusammenhänge zwischen verschiedenen schulischen Selbstkonzeptfacetten nur dann abbildet, wenn wenige, d.h. die im Modell postulierten, Selbstkonzeptfacetten untersucht werden. Sobald die Auswahl größer ist (Marsh untersuchte mit dem ASDQ 13 bzw. 16 Selbstkonzeptfacetten), sind die beiden übergeordneten Selbstkonzeptfacetten (mathematisches und verbales Selbstkonzept) nicht mehr ausreichend (vgl. Marsh 1990a). Zusätzlich wären ein übergeordnetes Selbstkonzept in den Domänen Sport und Musik/Kunst notwendig. Für die vorliegende Untersuchungsfrage ist dies jedoch nicht von Belang.

7 Die Annahme der isolierten Repräsentationen konnte in der Wissenschaft widerlegt werden (vgl. Marsh/Ellis/Craven 2002).

Ende der Leseprobe aus 100 Seiten

Details

Titel
Fähigkeitsselbstkonzepte von Kindern im Anfangsunterricht
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
100
Katalognummer
V121335
ISBN (eBook)
9783640250639
ISBN (Buch)
9783640250721
Dateigröße
1042 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fähigkeitsselbstkonzepte, Kindern, Anfangsunterricht
Arbeit zitieren
Louise Steinert (Autor:in), 2008, Fähigkeitsselbstkonzepte von Kindern im Anfangsunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121335

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