„Schlager vom Fließband“

Zur Geschichte der Tin Pan Alley


Seminararbeit, 2003

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Entstehung des Begriffs

2. Historische Zusammenhänge
2.1. Entwicklung der Popular Song Industry
2.2. „Konsum“ populärer Musik im Amerika des ausgehenden 19. Jahrhunderts
2.3. Ein kurzer Überblick über die musikalischen Einflüsse in den damaligen USA
2.3.1. Minstrel Shows
2.3.2. Ragtime
2.3.3. Die amerikanische Operette
2.3.4. Die Vaudeville Show

3. Formen der Vermarktung
3.1. „Song Plugging“
3.2. Einsatz kompositorischer Mittel
3.3. Verkaufszahlen und Urheberrecht

4. Die bedeutendsten Komponisten und ihre bekanntesten Songs

5. Zusammenfassung

6. Literatur

7. Anhang

1. Entstehung des Begriffs

Als das amerikanische „Music Publishing Business“ ein noch relativ junges, aber bereits in stetigem Wachstum befindliches Geschäft war, wurde der junge Songwriter Monroe H. Rosenfeld im Jahre 1899 vom „New York Herald“ beauftragt, einige Artikel zu diesem Thema zu verfassen.

Bei seinen Recherchen besuchte er unter anderem auch die Büros des Harry von Tilzer in der 28. Straße 42 West im Bereich um die 5th Avenue. Beim Verlassen eines dieser Büros vernahm er die Geräuschkulisse vieler gleichzeitig (aber unkoordiniert) erklingender Klaviere aus den Gebäuden der anderen dort ansässigen Musikverlage und verglich diesen Eindruck mit dem Aneinanderschlagen von Blechtöpfen oder auch Zinn-Pfannen.

In den daraufhin zwischen 1900 und 1903 veröffentlichten Artikeln benutzte er diesen Vergleich, indem er den Verlagsdistrikt als Tin Pan Alley bezeichnete, was man in die deutsche Sprache sinngemäß mit „Zinn-Pfannen-Gässchen“ übersetzen könnte.

Damit hatte er den Begriff für ein Phänomen geprägt, auf dessen Ursprünge und Entwicklung in den folgenden Abschnitten weiter eingegangen werden soll.

2. Historische Zusammenhänge

2.1. Entwicklung der Popular Song Industry

Die ersten Verlage, die sich auf die Vermarktung populärer Musik spezialisiert hatten, siedelten sich zwischen 1880 und 1885 im damaligen New Yorker Vergnügungsviertel zwischen dem Union Square und der 14. Straße an. Dafür stellvertretend werden hier T.B. Harms, Willlis Woodward & Company sowie M.Witmark & Sons erwähnt.

Als sich zwischen 1890 und 1900 die Theater und Restaurants verstärkt im Bereich um die 27. und 28. Straße zwischen der 5th Avenue und dem Broadway konzentrierten, zogen auch die Verlagshäuser in diese Gegend um.

Wie sich herausstellen sollte, entwickelte sich dieses Geschäft zu einem Wachstumsmarkt, und so kamen zu den bereits erwähnten Verlegern noch die Folgenden hinzu: Stern & Marks, Shapiro-Bernstein, Broder & Schlam, Charles K. Harris sowie Jerome H. Remick & Company.

Um für ihre Kompositionen höhere Gewinne zu erzielen, entschieden sich einige Komponisten zum Selbstverlag ihrer Werke. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Song „After the Ball“ von Charles K. Harris.

Dieser veröffentlichte den Titel im Jahre 1892 selbständig, nachdem er von den bereits erwähnten M.Witmark & Sons für das vorher bei ihnen verlegte „When the sun has set“ eine Gewinnbeteiligung von lediglich 84 Cent[1]erhalten hatte.

Harris verkaufte von „After the Ball“ 5 Millionen Exemplare und konnte vom Gewinn seinen eigenen Verlag gründen.

2.2. „Konsum“ populärer Musik im Amerika des ausgehenden 19. Jahrhunderts

Wenn wir heute von der Musikindustrie sprechen, verbinden wir damit wie selbstverständlich die Vorstellung von Tonträgern wie der Compact Disc und den dazugehörigen Abspielgerä- ten, von Video-Clips auf den gängigen Musik-Fernsehkanälen und den Möglichkeiten der neuesten Multimedia-Technologien.

Wie hat man sich jedoch die Situation um 1880 vorzustellen?

In den Jahrzehnten nach dem blutigen Sezessionskrieg (1861 – 1865) und der damit verbundenen Abschaffung der Sklaverei erwachte bei der amerikanischen Bevölkerung nach und nach wieder das Bedürfnis nach Zerstreuung und Unterhaltung.

Thomas A. Edison hatte das Prinzip der Schallplatte in Form von Staniolwalzen zwar bereits 1877 zum Patent angemeldet, von einer allgegenwärtigen Verfügbarkeit des Mediums war man aber noch weit entfernt, und auch die Qualität des Aufgezeichneten ließ noch sehr zu wünschen übrig.

Um die neuesten Schlager und Gassenhauer zu hören, ging man in Revuen und Musiktheatervorstellungen, die in Theatern und sogenannten Variety-Halls aufgeführt wurden.

Das Publikum wollte die Ohrwürmer gerne nachsingen, sich dazu selbst am Klavier begleiten oder begleiten lassen. Dazu wurden die Songs als sogenannte sheet music veröffentlicht. So bezeichnete man gedruckte Einzelausgaben die auf Sheets (sinngemäß: Notenblättern) erschienen und in der Regel für Klavier und Gesang arrangiert waren. Nachweislich nahm der Verkauf von Klavieren an private Haushalte in jener Zeit zu.

Auf diesem Weg konnte die Musik unter der Bevölkerung verbreitet werden, auch ohne dass jeder unbedingt die zum Song gehörige Show besuchen musste.

Die Grundlage für ein Verlagswesen war geschaffen, das sich vollständig auf den Bereich der Unterhaltungsmusik konzentrieren konnte; so, wie es im vorhergehenden Abschnitt bereits beschrieben wurde.

2.3. Ein kurzer Überblick über die musikalischen Einflüsse in den damaligen USA

Um sich die Entwicklung der Tin Pan Alley und ihrer Vermarktungsstrategien nur annähernd vorstellen zu können, ist es notwendig, den kulturellen Nährboden etwas näher zu betrachten, auf dem die Veröffentlichung und der Vertrieb von populärer Unterhaltungsmusik zu einer so einflussreichen künstlerischen und wirtschaftlichen Macht heranwachsen konnte.

Sowohl die Vermischung der Lebensformen von Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen, als auch die bereits erwähnten Ergebnisse des Bürgerkrieges führten zu neuartigen Aufführungsformen und Musikstilen, die hier kurz beschrieben werden sollen.

2.3.1. Minstrel Shows

In Anlehnung an die fahrenden Spielleute (franz.: ménestrels, engl.: minstrels), die im Frankreich und England des 14. Jahrhunderts die Ritter bei ihren Sängerwettstreiten begleiteten, nannten sich in Nordamerika umherziehende Bänkelund Moritatensänger Minstrels. Durch Einflüsse aus den Südstaaten und der dort zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch existierenden Sklaverei entwickelten sich daraus kleine Programme, in denen weiße Solisten sich als Schwarze verkleideten und schminkten und im „Negerslang“ singend und sprechend die Kultur der Afroamerikaner nachahmten.

Die Veranstaltungen wurden immer umfangreicher. Man trat auf Bühnen auf, sang Lieder, die vornehmlich vom Banjo begleitet wurden, tanzte dazu und karikierte in kleinen Sketchen das Alltagsleben.

Bis 1850 wurden die dann offiziell so bezeichneten Minstrel Shows zu einer der populärsten Formen der musikalischen Unterhaltung.

In den darauf folgenden Jahren nahm – nachdem die Veranstaltungen zu sehr ins Obszön- Frivole abgeglitten waren – der Einfluss europäischer Kultur zu. Auch aus religiösen Gründen heraus waren nun Pantomime, Commedia dell’arte, das Melodram und die Farce gefragt.

Um hier eine gewisse Chronologie der für die Entwicklung der Tin Pan Alley entscheidenden Strömungen einzuhalten, macht es Sinn, den Bereich der durch den Bürgerkrieg ins Stagnieren geratenen Bühnenunterhaltung vorübergehend zu verlassen, um sich einer Kunstform zuzuwenden, die sowohl auf Stilistik aber auch auf Vertrieb und Vermarktung der amerikanischen Unterhaltungsmusik einen großen Einfluss haben sollte.

2.3.2. Ragtime

Dass die Minstrel Shows eine ganze Reihe von Elementen übernommen hatten, die aus dem kulturellen Leben der afroamerikanischen Sklaven stammten, wurde bereits erwähnt.

Dazu gehörte ganz entscheidend der so genannte Cakewalk – ein Rundtanz, der auf den Plantagen des amerikanischen Südens entstanden war. Bei Tanzwettbewerben in denen dieser Stil getanzt wurde, soll es als Siegertrophäe einen Kuchen (engl.: cake) gegeben haben; daher wohl auch der Name.

Ein wichtiges Element dieses Tanzes war der synkopierte Rhythmus, der als typisch für das Lebensgefühl der „Neger“ angesehen wurde.

Der Cakewalk wurde zwischen 1870 und 1880 zu einer regelrechten Modeerscheinung, und so kam es in dieser Zeit auch zu ersten Veröffentlichungen von gedrucktem Notenmaterial bekannter Melodien dieser Art.

Da nun wie erwähnt die Bühnenshows immer mehr von europäischen Einflüssen geprägt wurden], blieb es nicht aus, dass diese Aspekte auch in die Musik einflossen. Elemente der europäischen Marsch-, aber auch Salonmusik traten hinzu, man spielte die „zerrissenen“ Rhythmen vornehmlich auf dem Klavier, und es wurden erste Songs speziell für dieses Instrument komponiert – zumeist von Schwarzen.

Hierbei handelte es sich historisch gesehen um eine neue Qualität, denn eine Kunstmusik, die den Traditionen der Afroamerikaner entstammte und in eigens für das Klavier entwickelten, gedruckten Fassungen erschien, hatte es bis dahin nicht gegeben. Der Name für diese neue Form wurde auch gefunden – man nannte sie bezugnehmend auf ihre abgehackt bzw. zerrissen wirkenden Melodielinien Ragtime.

Wichtige Formelemente waren die Dominanz des 2/4 Taktes und die Festlegung auf sechzehn- beziehungsweise zweiunddreißigtaktige Themen. Speziell letzteres sollte auch für spä- tere Tin-Pan-Alley-Kompositionen typisch bleiben.

Neu war auch, dass die Ragtimekomponisten namentlich bekannt waren – der bedeutendste Vertreter war sicherlich Scott Joplin.

[...]


[1] andere Quellen: 95 Cent

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Details

Titel
„Schlager vom Fließband“
Untertitel
Zur Geschichte der Tin Pan Alley
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Institut für Musik)
Veranstaltung
Proseminar „Geschichte der populären Musik“
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
13
Katalognummer
V121287
ISBN (eBook)
9783640257874
ISBN (Buch)
9783640259533
Dateigröße
699 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Popular Song Industry, amerikanische Operette, Minstrel Show, Ragtime, player rolls, Tin Pan Alley, Cakewalk, ASCAP, Song Plugging
Arbeit zitieren
Stefan Huth (Autor:in), 2003, „Schlager vom Fließband“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121287

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