Cinema Novo - Glauber Rocha "Terra em Transe"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

31 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Politik

III Cinema Novo
1. Die Anfänge
2. Cultura popolar
3. Suplementos literários
4. Chancadas
5. Kritiker des Cinema Novo
6. Die Filmclubs
7. „Rio, 40 graus“
8. Das Programm des Cinema Novo
9. Probleme der Filmemacher
10. Ziele des Cinema Novo

IV Terra em Transe

V Glauber Rocha
1. Glauber Rocha als Kritiker
2. Glauber Rocha als Regisseur

VI Schluß

Literaturverzeichnis

I Einleitung

Die Filme der 50er Jahre fielen in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich aus. So waren in den USA die MGM-Musicals erfolgreich, während in Frankreich Truffaut und in Italien Fellini schöpferisch tätig waren.

Brasilianische Filme finden in Deutschland wenig Anklang, abgesehen von dem Erfolgsfilm „Cidade de Deus“, bei dem viele jedoch nicht einmal wußten das er brasilianisch war. Teils weil ihre Problematik wie Hunger, Armut oder der Kampf gegen die Vorherrschaft fremder Kulturen heute nicht mehr aktuell sind und teils weil diese Filme einfach nicht verbreitet genug sind, als daß man einfachen Zugang zu ihnen hätte.

Allein die Schwierigkeiten den Film überhaupt zu beschaffen spricht für den geringen Bekanntheitsgrad des Films. Um so interessanter ist es sich einmal mit einem „neuen“ Film zu beschäftigen, aus einer Zeit in der Regisseure aktiv waren, die bei uns bekannter sind, wie Fellini oder Truffaut. Obwohl die Filme Brasiliens in einem völlig anderen Umfeld entstanden können manche Motive gefunden werden mit denen sich auch der europäische Film dieser Zeit beschäftigte. Andere Motive scheinen uns überzogen oder sehr fremd, vor allem die afrikanischen Elemente oder die, bei denen die „Rückständigkeit“ deutlich wird wirken aus heutiger Sicht etwas befremdlich.

II Politik

Brasilien hatte durch den Militärputsch 1964 einen schweren Schlag in seinen sozialen und kulturellen Bewegungen erhalten. Dennoch blieben die meisten Regisseure des Cinema Novo in Brasilien und flüchteten nicht ins Exil. Viele von ihnen griffen zu einem metaphern- und anspielungsreichen „tropikalischen“ Stil um ihre Kritik an den herrschenden Zuständen in Symbolismen und Metaphern, Allegorien und historischen Anspielungen zu verstecken, die jedoch wahrscheinlich nur ein Teil des Publikums verstand (www.lateinamerikanachrichten.de/?/artikel/404.html).

Ein zentraler Begriff der öffentlichen Debatte zwischen 1954 und 1964, der Zeit des Cinema Novo, war „ Desenvolvimentismo “, der für ein bestimmtes künstlerisches Konzept stand. Brasilien definierte sich in diesem Zeitraum stark über die Bedeutung der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung. Der Begriff der „ brasilianidade “ war aber schon in den 30er Jahren aufgetaucht und wurde nun wieder aufgegriffen und vertieft. Dabei gingen die Künstler von der neuen „ cultura popular “ aus, die einen Gegensatz zur Kultur der brasilianische Elite darstellen sollte (Cinema Novo S. 11). Entscheidend für die kulturelle Entwicklung war auch der Prozeß des „ Nationbuilding “, bei dem Brasilien versuchte, unabhängig von Europa oder den USA, eine eigene Identität und damit auch Kultur zu schaffen und zu finden.

Der Begriff „ Desenvolvimentismo “ besteht hauptsächlich aus dem Wort „ desenvolvimento “ (Entwicklung), das in den 50er und 60er Jahre als Synonym für „Fortschritt“ und „Modernisierung“ galt. „Entwicklung“ bezeichnete einen Modernisierungsprozeß in dem sich Wirtschaft und Gesellschaft befanden (Cinema Novo S. 182). Dabei geht es weniger um ein inhaltliches Konzept als um eine strukturelle Veränderung innerhalb der brasilianischen Gesellschaft, die sich in der Phase der Demokratisierung befand bei der nicht-staatliche Institutionen einen zunehmend stärkeren Einfluß auf die Politik ausübten. Eine dieser Institutionen davon war das Cinema novo (Cinema Novo S. 195/196). Dessen Vertreter waren also Bestandteil der politischen Öffentlichkeit, welche gegen die Regierung zwischen 1954 und 1964 eigene Gesetze artikulierte und sich als Mitträger der öffentlichen Meinung „als die einzig legitime Quelle dieser Gesetzte zu behaupten lernt“ (Cinema Novo S. 211). Auch die Regierung sah die „Rückständigkeit“ als statischen Zustand, der von der Vergangenheit Brasiliens als Kolonie herrührte. Dieser Begriff wurde durch „Entwicklung“ ersetzt um Mobilität und Transformation zu suggerieren.

Dieses Modell vereinte die Ideenebene und deren staatliche Umsetzung in sich. Daher ist es weniger eine „Ideologie“, sondern eher ein Phänomen der gesellschaftlichen Partizipation und der im untersuchten Zeitraum zum Ausdruck kommenden Demokratie (Cinema Novo S. 184 - 187).

In den 1950er Jahren wurde das Thema „Entwicklung“ zu einem internationalen Forschungsgegenstand, der in verschiedene Richtungen untersucht wurde, unter anderem die wirtschaftlichen Strategien, „ Nationbuilding “ und ein demokratischer Staat sowie die Veränderung innerhalb traditioneller Gesellschaften (Cinema Novo S. 24).

Die Jahre 1954 bis 1964 waren von Optimismus durch den wirtschaftlichen Aufschwung aber auch von einer Unzufriedenheit aufgrund gesellschaftlicher Probleme geprägt, denn nicht jeder profitierte von diesem Aufschwung. Vielen Menschen ging es immer noch so schlecht wie davor oder gar noch schlechter.

Unter der Regierung Kubitscheks konnte eine relativ stabile demokratische Ordnung geschaffen werden was offiziell Pressefreiheit garantierte. Die Politisierung und der Kampf für die Meinungsfreiheit führte in den 50er Jahren zu einer Umfunktionierung der Presse (Cinema Novo S. 19).

Das Cinema Novo war ein Element dieser Entwicklung und stellte einen Ausdruck größerer Selbstbestimmung der verschiedenen Gesellschaftsgruppen dar. Kubitschek machte aus dem Thema „Entwicklung“ ein Programm (Cinema Novo S. 144). Das bedeutete also nicht nur das Engagement für soziale und wirtschaftliche Modernisierung des Landes - wie zum Beispiel durch das Cinema Novo – sondern einen selbstbestimmten und gestalteten Geschichtsprozess und die Schwierigkeit diesen umzusetzen (Cinema Novo S. 152). Die Filmemacher beschäftigte auch die Frage inwieweit das brasilianische Cinema Novo eine wirtschaftliche Bedeutung hatte (Cinema Novo S.27). In Zusammenhang mit dem wirtschaftlich-industriellen Aufschwung der Nachkriegszeit, vergleichbar mit dem deutschen Wirtschaftswunder, blühte auch die Kunst auf, da die Menschen nun wieder Zeit und Muße für die „schönen Seiten des Lebens“ hatten. Aber unter der Diktatur von Vargas hatten die verschiedenen Kunstrichtungen kaum Entfaltungsmöglichkeiten.

Präsident Kubitschek dagegen half dem brasilianischen Film, da er den Filmproduzenten die Möglichkeit eines Kredits bei der Banco do Brasil gab. Sowohl er als auch sein Nachfolger Jânio Quadros setzten sich für den brasilianischen Film ein. Der erste Film des Cinema NovoRio, 40 graus “ hatte noch mit der Zensur zu kämpfen, die damals der Polizei unterlag, womit die Grundlagen der Demokratie, die offiziell herrschte, ignoriert wurden. Im Zusammenhang damit wurde der Vorwurf laut, daß ein Polizeichef die künstlerische Qualität eines Films nicht berurteilen könne, da er zu große Unkenntnis auf dem künstlerischen Gebiet habe. Erst als sich verschiedene Richter und der Justizminister für die Freigabe des Filmes aussprachen, was zeigt, in wie hohe Sphären der Politik diese Problematik reichte, wurde er freigegeben. Allerdings gab es zuvor noch das Problem, daß sich keiner in der Zensurbehörde dafür zuständig fühlte. Schließlich widerrief das Justizministerium die Zensur. Diese Freigabe war ein wichtiger Schritt zu einer demokratischen Öffentlichkeit (Cinema Novo S. 62 - 76).

Die damalige Elite Brasiliens war stark nach Europa und in die USA hin orientiert, was immer noch eine Restwirkung des ehemaligen Kolonialsystems war, alle Vorstellungen und Werte und sämtliche Ausdrucksformen wurden davon dominiert. So blieb die brasilianische Geschichte statisch, da sie sich nicht aus sich selbst heraus entwickeln konnte, sondern sich immer noch fremdbestimmen ließ. Erst in den 50er Jahren fanden die Intellektuellen zu ihrer Selbstbestimmung, was eine Neudefinition des Kulturbegriffes nötig machte und das Selbstbewußtsein gegenüber einer eigenen künstlerischen brasilianischen Ausdrucksform mitbegründete.

1963 stellte Maurice Capovilla fest, daß trotz aller bildungspolitischen Maßnahmen der Regierungen Kubitschek, Quadros und Goulart die Schule für eine Mehrheit der Bevölkerung immer unzugänglicher wurde, weshalb auch der Versuch den Filmgeschmack der Schule zu beeinflussen, und den Schülern Filmästhetik nahe zu bringen, nur wenig Erfolg hatte. Trotz der vordergründigen Unterstützung der Filmindustrie durch die Regierung fehlte diese Unterstützung, sowohl die des Bundesstaates São Paulo als auch die der Staatsregierung, bei dem Aufbau der Kinemathek. Und als es am 28 1. 1957 in der Kinemathek brannte kam von den versprochenen 20 Millionen Cruzeiros nichts an, obwohl sogar Spenden aus dem Ausland eintrafen. Die Unterstützung von politischer Seite kann also als gering bezeichnet werden.

1961 wurde das CPC (Centro Popular de Cultura) gegründet, dessen Mitglieder das Ziel hatten den „ideologischen Kampf“ in der Gesellschaft zu bestärken um die Kunst auch dem „ povo “ zugänglich zu machen und die Bewußtseinsbildung gegenüber der eigenen sozialen Realität zu fördern. Aber nicht jeder Künstler schloß sich dem CPC an, so gehörte unter anderen Glauber Rocha zu den Außenseitern. Rocha begründete diese Entscheidung damit, daß das CPC die Individualität der Kunst und ihrer Persönlichkeit unterdrückte. Es ging ihm nicht um die Einreihung in eine kulturpolitische Front, die das CPC in seinen Augen war, sondern darum einen persönlichen Ausdruck für die aktuelle gesellschaftspolitische Situation des Landes zu finden (Cinema Novo S. 124 - 139).

Einige Filme des Cinema Novo nahmen indirekt kritischen Bezug zur offiziellen Entwicklungspolitik, indem sie die politischen Aktivitäten von Fischern und Arbeitern zeigten, die mit der Unterdrückung durch Polizei und Staatsmacht zu kämpfen haben, dazu gehören „ Barravento “ von Glauber Rocha oder „ Assalto ao Trem Pagador “ von Roberto de Faria (Cinema Novo S. 147).

Vom Nachfolger Kubitscheks, Jânio Quadros, sind nur wenige Äußerungen über die Kulturpolitik erhalten, er war allerdings nicht einmal ein Jahr an der Regierung. Immerhin war eine seiner ersten öffentlichen Reden als Präsident der Kultur gewidmet – nämlich dem Film. Sie wurde in allen Feuilletonbeilagen der Tageszeitungen abgedruckt und als wichtig eingestuft. So erschien sie unter anderem am 10. 1. 1960 im Metropolitano unter dem Titel: „ Jânio promete estrutura vásica ao cinema nacional “. Inhaltlich ging es um ein umfangreiches Netzwerk von Institutionen und gesetzlichen Neuerungen um aus dem brasilianischen Film einen wichtigen wirtschaftlichen Sektor zu machen.

Noch unter Getúlio Vargas fand die Filmkonferenz 1952 in São Paulo und Rio de Janeiro statt, die mit der 1960 organisierten Convenção Nacional de Critica Cinematográfica in São Paulo fortgesetzt wurde. Dort wurden unter anderem die Forderungen nach einer staatlichen Filmpolitik laut. Unter Kubitschek entstand 1956 nach dem Muster São Paulos eine Kommission mit dem Ziel, die Filmindustrie in Brasilien zu fördern und damit ein neues lukratives Berufsfeld zu schaffen. Unter Quadros sollte die Banco do Brasil 60% der Entstehungskosten brasilianischer Filme decken. Es wurde gesetzlich festgelegt, daß ein Kino dem Filmproduzenten pro Ausstrahlung einen Gegenwert von fünf Eintrittskarten übergeben sollte. In der Praxis war es jedoch so, daß viele Kinobesitzer sogar von den Produzenten einen Betrag verlangten, der eine Absicherung gegen Verluste darstellte.

Verantwortlich für die auswärtige Kulturpolitik war das Departamento Cultural, das nicht nur zur Verbreitung des Cinema Novo in Europa beitrug, sondern auch die Ausbildung der brasilianischen Filmemacher organisierte. So kümmerte sich Arnaldo Carrilho um die Sparte Film. Ihm war es zu verdanken, daß Glauber Rochas „ Deus e Diabo na Terra do Sol “ 1964 noch auf europäischen Filmfestivals zu sehen war, obwohl sich die Militärdiktatur in Brasilien schon installiert hatte. Vertreter dieser Diktatur versuchten die Teilnahme des Films an den Festivals zu blockieren, da er nicht das Bild Brasiliens darstellte, das sich die Militärrepräsentanten erhofften. Nicht zuletzt waren es die gewonnenen Preise des Cinema Novo im Ausland, die zu seinem Erfolg in Brasilien beitrugen (Cinema Novo S. 172 - 180).

Letztlich läßt sich sagen, daß die Regierung und die Bewegung des Cinema Novo weniger miteinander als gegeneinander gearbeitet haben, weil zu viele gegensätzliche Ansichten darüber bestanden, wie der Entwicklungsprozeß gestaltet werden sollte. Daher waren die Vertreter des Cinema Novo dem Staat und seiner Kulturpolitik gegenüber kritisch eingestellt. Die Präsidenten, die in diesem Zeitraum regierten, äußerten sich jedoch nicht ablehnend zum dem Cinema Novo. Die Haltung der Regisseure gegenüber den Präsidenten war ambivalent. Auf der einen Seite hatten sie viele Zukunftsperspektiven mit ihnen gemeinsam, auf der anderen Seite sahen sie, daß sich an der Armut vieler Menschen in Brasilien nichts gebessert hatte. Vor allem der Zeitgeist des Aufbruchs und Neuanfangs innerhalb der demokratischen Öffentlichkeit, des wirtschaftlichen Wachstums und eines Partizipationsschubs in der Bevölkerung beeinflußte sie nachhaltig. Allerdings unterschied sich ihre Denkweise vom Zeitgeist der Regierung in Bezug auf eine angemessene Entwicklungsstrategie für Brasilien. Trotz ihrer öffentlichen Entwicklungsdebatte und Teilnahme am Kulturleben befanden sich die Vertreter des Cinema Novo in einer gesellschaftlichen Außenseiterposition (Cinema Novo S. 215 - 216).

[...]

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Cinema Novo - Glauber Rocha "Terra em Transe"
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Fachbereich für Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft)
Veranstaltung
Brasilianische Kulturgeschichte der 50er und 60er Jahre
Note
3,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
31
Katalognummer
V121254
ISBN (eBook)
9783640257669
ISBN (Buch)
9783668094598
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cinema, Novo, Glauber, Rocha, Terra, Transe, Brasilianische, Kulturgeschichte, Jahre
Arbeit zitieren
Diplom-Übersetzerin Greta Kessler (Autor:in), 2006, Cinema Novo - Glauber Rocha "Terra em Transe", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121254

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