Das Engagement der serbischen Widerstandsbewegung "OTPOR" - Ein Patentrezept für erfolgreiche demokratische Revolutionen?


Hausarbeit, 2006

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung und Fragestellung

II. Demokratische Revolutionen und Zivilgesellschaft
1. Demokratische Revolution: Begriffsklärung
2. Zivilgesellschaft und demokratische Systemtransformation
3. Zusammenfassung

III. Otpor als zivilgesellschaftlicher Akteur der serbischen Revolution
1. Die Entstehung der Organisation
2. Theorie und Strategie von Otpor
2.1. Otpors Vorbild: Die Theorie des gewaltlosen Widerstandes nach Gene Sharp
2.2. Otpors Rolle beim Sturz von Slobodan Milosevic

IV. Der Einfluss von Otpor auf nachfolgende Revolutionen
1. Die Rosenrevolution in Georgien
2. Die Orangene Revolution in der Ukraine

V. Bewertung des Engagements von Otpor
1. Die Bedeutung für die serbische Revolution
2. Die Bedeutung für die Entwicklung von Zivilgesellschaft und Demokratie

VI. Zusammenfassung der Ergebnisse

VII. Quellen- und Literaturverzeichnis.

I. Einleitung und Fragestellung

Seit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in Mittel-, Südost- und Osteuropa vollzieht sich in den betroffenen Staaten einer der umfangreichsten politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozesse. Viele mit diesem Prozess der demokratischen Systemtransformation verbundene Phänomene, seien es ethnische Konflikte oder das Entstehen neuer autoritärer Systeme, wurden seitdem in Medien, Politik und Wissenschaft teils kontrovers diskutiert. Besonders die „farbigen Revolutionen“ beschäftigen vermehrt die Experten. In der Tat weisen die von unten erzwungenen Regierungswechsel in Serbien (Oktober 2000), Georgien (November 2003) und der Ukraine (Dezember 2004) augenscheinlich erstaunliche Parallelen auf. Vereinzelt wurde in diesem Zusammenhang schon von einer zweiten Demokratisierungswelle gesprochen und der Begriff demokratischen Revolution rückte wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Viele sahen in den Revolutionen auch den Beginn einer Bildung neuer zivilgesellschaftlicher Strukturen in den postkommunistischen Ländern.

In der folgenden Arbeit soll deshalb das Engagement eines zivilgesellschaftlichen Akteurs der serbischen Revolution des Jahres 2000 genauer betrachtet werden, das der serbischen Studenten- und Jugendbewegung Otpor (dt.: Widerstand). Die Mitglieder dieser Organisation beeinflussten nicht nur den Sturz von Slobodan Milosevic, sondern ihre Strategie sollte auch nachfolgende Ereignisse in anderen Staaten Osteuropas prägen. Zentraler Aspekt der Arbeit ist die Frage, warum es Otpor gelang, dem serbischen Regime zu trotzen und die eingeschüchterte Bevölkerung gegen die Machthaber zu mobilisieren, und ob die Strategien Otpors als Patentrezept für erfolgreiche demokratische Revolutionen gelten können. Nicht zuletzt soll dabei auch die Wirkung der Organisation auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Serbien untersucht werden. Nachdem zu Beginn terminologische Fragen zu demokratischen Revolutionen und die Bedeutung von Zivilgesellschaften dargelegt werden, beschäftigt sich die Arbeit ausführlich mit der Strategie und Methoden von Otpor in Theorie und Praxis. Auch der Einfluss auf andere Widerstandsbewegungen in Georgien und der Ukraine soll untersucht werden. Die Analyse und Bewertung des Engagements von Otpor soll helfen, eine Antwort auf die gestellten Fragen zu finden. In der Literatur wurden die farbigen Revolutionen erst in wenigen ausführlichen und analytischen Werken behandelt. Im Falle von Serbien beschäftigt sich ein großer Teil der wissenschaftlichen Literatur noch mit den Problemen der Balkan-Kriege. Das Ende der Ära Milosevic wird oft nur am Rande behandelt. Ausführlichere Analysen, auch über Otpor, finden sich z. B. bei Florian Bieber in seinem Werk „Nationalismus in Serbien vom Tode Titos bis zum Ende der Ära Milosevic“. Auch die Revolutionen in Georgien und der Ukraine wurden aufgrund des noch relativ kurzen Zeitraums nur in wenigen Werken wissenschaftlich behandelt. Hier wären im Falle von Georgien das Buch von Jonathan Wheatley („Georgia from National Awakening to Rose Recolution“) und für die Ukraine die Analyse von Florian Strasser („Zivilgesellschaftliche Einflüsse auf die Orange Revolution“) zu nennen. Oft taucht in der Literatur die Kontroverse auf, ob es sich bei den angesprochenen Revolutionen tatsächlich um nationale Ereignisse oder um von Außen beeinflusste Phänomene handelt. In den Kapiteln über den Einfluss Otpors auf andere Revolutionen wird auch diese Kontroverse behandelt.

II. Demokratische Revolutionen und Zivilgesellschaft

1. Demokratische Revolution: Begriffsklärung

Trotz der Renaissance des Revolutionsbegriffs seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Mittel- und Osteuropa ist die genaue Definition des Begriffs bis heute umstritten. Die Unterscheidung zwischen Bezeichnungen wie Revolte, Putsch, Aufstand, Umsturz oder Revolution erweist sich als schwierig. Ob Ereignisse wie in der DDR, Polen oder Ungarn 1989 als Revolution bezeichnet werden können hängt größtenteils davon ab, wie weit oder eng dieser Begriff ausgelegt wird.1 Für die nachfolgenden Betrachtungen ist es deshalb wichtig, zunächst die Auslegung der Begriffe „Revolution“ und „Demokratische Revolution“ festzulegen.

Um den Revolutionsbegriff auf die Ereignisse in Serbien anwenden zu können, ist eine weite Auslegung des Begriffs erforderlich. Nach Charles Tilly kann demnach „jede plötzliche, weitreichende, vom Volk erzwungene Veränderung des Herrschaftssystems“2 als Revolution bezeichnet werden. Allerdings muss diese Veränderung nicht zwangsläufig mit physischer Gewalt durchgesetzt werden, wie die Analyse des Engagements von Otpor während der serbischen Revolution zeigen wird, aber sie muss durch das Volk gegen den Willen des herrschenden Regimes durchgesetzt werden. Des Weiteren sind für eine Revolution die spezifischen Phasen von „revolutionärer Situation“ und „revolutionärem Ergebnis“ charakteristisch. Eine „revolutionäre Situation“ zeichnet sich demnach durch die Existenz mindestens zweier konkurrierender Machtblöcke und der anschließenden Mobilisierung eines wesentlichen Bevölkerungsteils aus.3 Bei ausreichender Mobilisierung kann es schließlich zu einem Macht- bzw. Regimewechsel kommen, welcher nach Tilly als „revolutionäres Ergebnis“ bezeichnet wird.4 Revolutionen können dann als „demokratisch“ angesehen werden, wenn sich im Zuge dieses Regimewechsels das politische und gesellschaftliche System eines Staates in Richtung einer pluralistischen und rechtstaatlichen Demokratie entwickelt, also der Prozess einer demokratischen Systemtransformation eingeleitet wird. Das „revolutionäre Ergebnis“ einer demokratischen Revolution muss nicht zwangsläufig eine Demokratie nach westlichem Vorbild sein, jedoch müssen nachhaltige Entwicklungen in diese Richtung erkennbar sein.5 Demokratische Revolutionen zeichnen sich durch massive Proteste des Volkes sowie durch ihren in der Regel relativ gewaltlosen und Schichten übergreifenden Charakter aus.6 Legt man diese Auslegung der Begrifflichkeiten zugrunde, so können die Ereignisse in Serbien vom Oktober 2000 eindeutig als „demokratische Revolution“ bezeichnet werden.

2. Zivilgesellschaft und demokratische Systemtransformation

Nicht nur der Begriff der demokratischen Revolution rückte durch die rasanten politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in den Staaten Mittel- und Osteuropas wieder in den Fokus, auch das Konzept der Zivilgesellschaft wurde wieder belebt. Da Otpor vornehmlich als Studenten- und Jugendbewegung in Erscheinung trat und als solche ihre politischen Forderungen an die staatlichen Eliten richtete, muss die Organisation als zivilgesellschaftlicher Akteur aufgefasst werden. Vor einer genaueren Analyse und Bewertung des Engagements von Otpor ist es deshalb notwendig, kurz auf die Zusammenhänge zwischen der Entwicklung von Zivilgesellschaften und von demokratischer Systemtransformation einzugehen.

Die Vorstellung von einer mündigen und aktiv am politischen Geschehen beteiligten Bürgerschaft, also einer funktionierenden Zivilgesellschaft, hat Ende der Siebziger und in den Achtziger Jahren entscheidend zur Formierung des Widerstandes gegen die kommunistische Ordnung in Mittel- und Osteuropa beigetragen.7 Das zivilgesellschaftliche Engagement der Bürgerbewegungen, z.B. in Polen oder in der DDR, begünstigte und beschleunigte den Aufbau demokratischer Gesellschaften in den jeweiligen Staaten und mobilisierte die Bevölkerung zum Protest.8 Die Gründe für den radikalen Umbruch in den sozialistischen Staaten lagen somit überwiegend in der sukzessiven Entstehung einer kritischen politischen Öffentlichkeit. Nicht die politischen Eliten, sondern die Bevölkerung lieferte den entscheidenden Anstoß zum Aufbegehren gegen das herrschende Regime.9 Diese Entwicklung einer zivilgesellschaftlichen Kultur war und ist enorm wichtig für die nachfolgende Konsolidierung und Stabilisierung eines demokratischen Systems. Für stabile demokratische Verhältnisse reicht die Etablierung demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen nicht aus, vielmehr ist für einen auf Dauer erfolgreichen Transformationsprozess auch die Schaffung eines demokratischen Bewusstseins sowohl bei den Führungseliten als auch beim Bürger unverzichtbar.10 In vielen Staaten wird die Entwicklung einer solchen Zivilgesellschaft jedoch erschwert durch Faktoren wie eine schwache Wirtschaft, fehlende soziale Sicherungssysteme, eine starke Polarisierung der Bevölkerung oder Korruption.11 Dies war eine wahrscheinliche Ursache für die Entstehung neuer autokratischer Herrschaftssysteme in einigen postsozialistischen Staaten im Laufe der Neunziger Jahre. Auch das Milosevic-Regime in Serbien zählte zu dieser Kategorie. Für die Mobilisierung der serbischen Bevölkerung gegen dieses Regime war also auch der Entwicklungsgrad der Zivilgesellschaft in Serbien, für die wie keine andere Organisation Otpor stand, entscheidend.

3. Zusammenfassung

Zusammenfassend sollen noch einmal die beiden Thesen formuliert werden, die der folgenden Analyse des Engagements der studentischen Protestbewegung Otpor zugrunde liegen. Erstens: Bei den Ereignissen, die im Herbst 2000 in Serbien bzw. Jugoslawien zum Sturz von Slobodan Milosevic führten, handelte es sich um eine demokratische Revolution. Eine weite Auslegung des Revolutionsbegriffs lässt diese Einordnung zu. Zweitens: Für eine erfolgreiche demokratische Systemtransformation ist die, zumindest angefangene, Entwicklung einer funktionierenden Zivilgesellschaft eine wichtige Vorraussetzung.

III. Otpor als zivilgesellschaftlicher Akteur der serbischen Revolution 2000

1. Die Entstehung der Organisation

Der Balkan galt in den Neunziger Jahren als ein Musterbeispiel für den „Clash of Civilizations“. Ungelöste ethnische Konflikte, ein zerfallender Staat und Nationalismus verhinderten einen erfolgreichen Demokratisierungsprozess.12 In dem von Kriegen zerstörten Serbien (bzw. Bundesrepublik Jugoslawien) gab es immer wieder vereinzelte Proteste gegen Machthaber Slobodan Milosevic, diese waren jedoch kaum organisiert und wurden lediglich von einem kleinen Teil der Bevölkerung unterstützt. Dennoch brachten die Proteste eine gesellschaftliche Grundstimmung der Unzufriedenheit zum Ausdruck und seit Mitte der Neunziger Jahre bekam Milosevics Machtbasis zunehmend Risse, v. a. bei Jugendlichen und Studenten begann sich eine Protestkultur zu entwickeln.13

Bei den durch die umstrittenen serbischen Kommunalwahlen 1996/97 ausgelösten Anti- Regime-Protesten verfolgten die politische Opposition und Studentenbewegungen noch unterschiedliche Ziele. Zwar bildete die Forderung nach Anerkennung der Ergebnisse der Wahlen eine gemeinsame Grundposition, darüber hinaus wollten die Studenten jedoch ihre Forderungen nicht mit einer direkten Unterstützung der Opposition verknüpfen. Zu groß war zu diesem Zeitpunkt noch das Misstrauen in die politischen Eliten, sowohl gegenüber dem Regime als auch gegenüber der Opposition. Auch der serbische Nationalismus spielte bei den Studentenprotesten 1996/97 noch eine tragende Rolle. So wurde Milosevic beispielsweise nicht vorgeworfen, dass er Serbien in mehrere Kriege gestürzt hatte, sondern dass er diese nicht gewonnen hatte.14 Dies änderte sich mit der Gründung der Studenten- und Jugendorganisation Otpor (dt.: Widerstand) 1998. Die Organisation entstand zunächst als Reaktion auf das Universitätsgesetz desselben Jahres, welches die Autonomie der Universitäten beseitigte. Das primäre Ziel war deshalb zunächst die Wiedereinführung der Universitätsautonomie, aber auch der Rücktritt von Machthaber Milosevic.15 Bis zum Oktober des Jahres 2000 sollte Otpor das erreichen, was zuvor Kriege, Proteste und Interventionen des Westen nicht geschafft hatten: Die Einigung der Opposition, eine Mobilisierung der Bevölkerung gegen das Regime, die Schaffung einer politischen Alternative und schließlich den Sturz von Milosevic sowie die Einleitung eines Demokratisierungsprozesses. Doch warum war diese Organisation so erfolgreich? Im Folgenden soll dieser Frage mit Hilfe einer Analyse der Strategie von Otpor nachgegangen werden.

2. Theorie und Strategie von Otpor

Nach dem Kosovo-Krieg 1999 geriet die Studentenorganisation zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit, sowohl in Serbien selbst, als auch im Westen. Otpor konnte schnell ein öffentliches Profil entwickeln, welches die Aktivisten zu einem ernst zu nehmenden Gegenspieler des Regimes werden ließ. Unterstützt wurde die Bewegung unter anderem von Stiftungen und NGO’s aus den USA und Europa, wie z.B. die George-Soros-Stiftung oder Freedom-House.16 Anfang 2000 reisten Otpor -Aktivisten nach Budapest, wo der pensionierte US-General Robert Helvey Seminare zu den Methoden des gewaltlosen Widerstandes organisierte.17 Diese Methoden beruhten auf den Veröffentlichungen des US-Politologen Gene Sharp, der mit seinen Theorien zur Funktionsweise von Diktaturen sowie über deren Beseitigung durch gewaltlosen Widerstand quasi eine Anleitung für die Mitglieder von Otpor lieferte und so zur Symbolfigur der Organisation wurde.

[...]


1 Vgl. Tilly 1993, S. 23.

2 Ebd., S. 23.

3 Vgl. ebd., S. 30ff.

4 Vgl. ebd., S. 38ff.

5 Vgl. Thompson 2004, S. 1.

6 Vgl. ebd., S. 1.

7 Vgl. Mackow 1999, S. 16.

8 Vgl. Ottersbach 2003, S. 201f.

9 Vgl. ebd., S. 206ff.

10 Vgl. Rosa 2005, S. 8.

11 Vgl. ebd., S. 12.

12 Vgl. Thompson 2004, S. 84.

13 Vgl. Bieber 2005, S. 378f.

14 Vgl. ebd., S. 383ff.

15 Vgl. ebd., S. 387f.

16 Vgl. Schmidt (26.09.2006), S. 1f.

17 Vgl. Dell’Arciprete (26.09.2006), S. 1.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Das Engagement der serbischen Widerstandsbewegung "OTPOR" - Ein Patentrezept für erfolgreiche demokratische Revolutionen?
Hochschule
Universität Regensburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
23
Katalognummer
V121118
ISBN (eBook)
9783640249954
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
22 Einträge im Literaturverzeichnis, davon 6 Internetquellen.
Schlagworte
Engagement, Widerstandsbewegung, OTPOR, Patentrezept, Revolutionen
Arbeit zitieren
Michael Bartmann (Autor:in), 2006, Das Engagement der serbischen Widerstandsbewegung "OTPOR" - Ein Patentrezept für erfolgreiche demokratische Revolutionen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121118

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