Cleavage-Theorie

Klassische und neue Cleavages und ihr Bedeutung für Parteiensystem und Wahlforschung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Cleavages
1.1 Definition
1.2 Cleavagetheorie nach Lipset und Rokkan
1.2.1 Das AGIL-Schema als Ausgangspunkt für Lipset und Rokkan
1.2.2 Die vier Cleavages nach Lipset/Rokkan
1.2.3 Entstehung von Parteien
1.3 Bedeutung der Cleavagetheorie für die Wahlforschung

2 „Neue Cleavages“ und das Parteiensystem der BRD
2.1 Die neuen Modelle
2.2 Konfliktlinien und Parteiensystem der BRD

3 Schluss

Einleitung

Als Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan 1967 ihr Buch „Cleavage Structures, Partysystems and Voter Alignments“ veröffentlichten, eröffneten sie der Sozialforschung völlig neue Möglichkeiten. Nicht nur, dass sie mit ihrem Cleavage Ansatz ein sozialstrukturell basiertes Erklärungsmodell für die Entstehung der Parteiensysteme Westeuropas lieferten, sie schufen damit gleichzeitig ein neues Instrument für die Wahlforschung, welches eine makrosoziologische Untersuchung von Wahlverhalten ermöglichte.

In dieser Hausarbeit werde ich zunächst definieren, was sich hinter dem Begriff des „Cleavages“ verbirgt, ehe ich den Ansatz von Lipset und Rokkan en détail erkläre. Anschließend werde ich mich mit den so genannten neuen Cleavages auseinandersetzen und dazu unterschiedliche Modelle aus der jüngeren Vergangenheit beleuchten. Abschließend werde ich versuchen diese theoretischen Gebilde mit Leben zu füllen, indem ich das deutsche Parteiensystem und die in Deutschland in der Vergangenheit, als auch in der Gegenwart relevanten Cleavages kurz als Beispiel heranziehe.

1 Cleavages

1.1 Definition

Cleavage (engl. für Spaltung),

in der Politikwissenschaft verwendet im Sinne von Konfliktlinie, die die Befürworter und Gegner bei einer politischen Entscheidung trennt.“ (Pappi 1998, S.95)

Gemäß dieser Definition, mit der Franz Urban Pappi seinen Artikel in Nohlens Lexikon der Politik einleitet, beschreiben Cleavages Konflikte in der politischen Arena. Lipset und Rokkan, sowie etliche andere führende Sozialwissenschaftler (Falter, Kitschelt, Knutsen, Scarbrough) definieren Cleavages nicht als politische, sondern als sozialstrukturell begründete Konflikt- bzw. als politisierte soziale Spannungslinien. Demnach handelt es sich nicht bei jedem politischen Konflikt zwangsläufig um ein Cleavage. Falter führt an, dass der Cleavagebegriff insbesondere in der englischsprachigen Literatur häufig für Konfliktlinien verwendet wird, die nicht die Merkmale aufweisen, die sie als Cleavage im klassischen Sinn klassifizieren bzw. bleiben diese Konflikte den Beweis von Cleavageeigenschaften schuldig. Als Beispiele für einen solch schwachen Cleavagebegriff nennt er den so genannten Geschlechter-Cleavage, sowie solche Konflikte, die nicht genuin sozialstrukturell begründet sind, sondern das ganze Spektrum politischer Konflikte umfassen. (vgl. Falter 2005, S.150)

Falter konkretisiert die Definition von Cleavages, indem er drei Elemente benennt, die seines Erachtens für Cleavages konstitutiv sind: Ein sozialstruktureller, ein institutioneller und ein Werteaspekt.

Der sozialstrukturelle Aspekt bildet die Grundlage. Es besteht eine soziale Spaltungslinie von relativer Stabilität, welche die Gesellschaft in objektiv identifizierbare Gruppen aufteilt, z.B. Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Trennungslinie zwischen diesen Gruppen sollte sich an sozialstrukturellen Charakteristika festmachen, die bestenfalls intergenerational, mindestens jedoch intragenerational stabil bleiben, so dass sich der Interessengegensatz festigen kann. Der kulturelle Aspekt bedeutet, dass zwischen den entstandenen Gruppen Uneinigkeit in Form eines Wertekonflikts darüber herrscht, was für eine Gesellschaft/ Gesellschaftsform angestrebt werden soll. Entscheidend sei des Weiteren die Wahrnehmung der Gruppen als solche, sowohl die Eigenwahrnehmung (Identifikation mit der eigenen Gruppe), als auch die Fremdwahrnehmung durch klare Positionierung in der Wertefrage. (vgl. Falter 2005, S. 147f) Gemeinsame Positionen entstehen am besten, wenn die Mitglieder einer Gruppe ihre sozialen Kontakte auf das innere der eigenen Gruppe beschränken. Probates Mittel war die Schaffung gruppenexklusiver Parallelorganisationen. So neigten beispielsweise Kirchenbewegungen, ähnlich wie auch die sozialistischen Parteien, dazu, ihre Mitglieder zu isolieren, indem sie Schulen und Jugendzentren eröffneten und Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Sportvereine und Zeitungsverlage gründeten. (vgl. Lipset/ Rokkan 1967, S. 15) Die Bedeutung kultureller Aspekte für die Stärke eines Cleavages veranschaulicht Falter in einer Gegenüberstellung der zwei großen Cleavagetypen, den kulturellen und den materiell bedingten Konfliktlinien. Während bei kulturellen Cleavages der Konflikt für die Mitglieder der beteiligten Gruppen von vornherein Sinn hat, muss bei materiellen Cleavages die Sinnstiftung erst noch geleistet werden. Da der Sinn eines Konfliktes gleichzeitig dessen Motor ist, sind Konflikte kulturellen Ursprungs stärker und von größerer Dauer. Zudem mag das vergleichsweise hohe Konfliktpotenzial kultureller, wertebezogener Cleavages auch darin begründet sein, dass sie im Gegensatz zu materiellen Verteilungskonflikten nur schwerlich mit Kompromissen beizulegen sind. (vgl. Falter 2005, 149) Das dritte konstitutive Element eines Cleavages betrifft seine institutionelle Dimension. Um politische Bedeutung zu erlangen muss ein sozialer Konflikt durch die sozialen Gruppen artikuliert werden können. Dies setzt die Schaffung sozialer Großorganisationen voraus. Prinzipiell können Interessengruppen wie beispielsweise Gewerkschaften diese Aufgabe erfüllen. Bei Wahlen sollten die Gruppeninteressen jedoch von Parteien vertreten werden, entweder durch eine eigene Partei oder durch den Schulterschluss mit bereits bestehenden politischen Parteien. (vgl. Falter 2005, S. 149) Dazu aber mehr unter Punkt 1.2.3

1.2 Cleavagetheorie nach Lipset und Rokkan

Lipset und Rokkan haben mit ihrer Theorie eine historische Genealogie der europäischen Parteiensysteme generiert. Die Cleavagetheorie Lipsets und Rokkans knüpft dabei an Talcott Parssons Paradigma von Austauschprozessen von gesellschaftlichen Systemen, dem sog. AGIL-Schema an.

Sie haben vier grundlegende Konfliktlinien ausgemacht, deren Konstellation die unterschiedlichen Parteiensysteme in den europäischen Staaten bedingt und auf denen die Bindung bestimmter Gruppen an bestimmte Parteien beruht. Diese Spannungslinien sind das Resultat entscheidender historischer Ereignisse, wie der gesellschaftlichen Modernisierung, der Reformation, der Französischen Revolution und der industriellen Revolution. Lipset/Rokkan fassen die Cleavages, die historischen Schlüsselereignisse und resultierende Themen in einer Tabelle zusammen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Lipset/Rokkan 1967, S.47)

1.2.1 Das AGIL-Schema als Ausgangspunkt für Lipset und Rokkan

Nach diesem Schema gibt es vier Subsysteme, in denen sich die einzelnen Akteure bzw. Gemeinschaften bewegen:

- Wirtschaft (Adaption) = A
- Politisches System (Goal attainment) = G
- Gemeinschaft, Öffentlichkeit (Integration) = I
- Haushalte (Latent Pattern Maintenance) = L

Zwischen diesen vier Subsystemen gibt es wiederum sechs Linien des Austausches, die jeweils zwischen einem Paar verlaufen:

- A – G (zwischen Wirtschaft und politischem System): Ressourcenmobilisierung
- G – I (zwischen politischem System und Gemeinschaft, Öffentlichkeit): Politische Unterstützung
- I – L (zwischen Gemeinschaft, Öffentlichkeit und Haushalten): Loyalität, Solidarität, Engagement
- L – A (zwischen Haushalten und Wirtschaft): Arbeits-/Konsummarkt
- A – I (zwischen Wirtschaft und Gemeinschaft, Öffentlichkeit): Standards der Verteilung
- G – L (zwischen politischem System und Haushalten): Legitimation

(vgl. Lipset/Rokkan 1967, S.7)

Lipset/Rokkan interessieren sich aus Sicht eines Politikwissenschaftlers im Wesentlichen für drei Aspekte und dort auch nur für bestimmte Austauschprozesse:

Erstens für die Beziehungen zwischen I und G, also für den Austausch zwischen der Gemeinschaft und dem politischen System, soweit diese die Entwicklung eines Systems konkurrierender Parteien voranbringen. Zweitens für den Austausch zwischen I und L, also zwischen Gemeinschaft, Öffentlichkeit und Haushalten, insofern diese Mitgliedschaften, Identifikation und Mobilisierungsbereitschaft zwischen Parteien und Einzelpersonen/Haushalten deutlich werden lassen und drittens und letztens für die Beziehungen zwischen L und G, den Haushalten und dem politischen System, aber nur soweit, wie diese in Wahlen und der formalen Repräsentation finden. (vgl. Lipset/Rokkan 1967, S.8)

Ausgehend von diesem Schema Parssons formulieren Lipset/Rokkan vier Aufgaben:

1. Betrachtung der internen Struktur des I-Quadranten (Gemeinschaft, Öffentlichkeit) in einer Auswahl territorial begrenzter Gesellschaften: Welche Konfliktlinien haben sich in einer nationalen Gesellschaft in der Frühphase der Konsolidierung herausgebildet und welche entstanden in den folgenden Phasen der Zentralisierung und des wirtschaftlichen Wachstums?

2. Vergleich bestimmter Sequenzen von Austauschprozessen zwischen I und G (Gemeinschaft, Öffentlichkeit und politisches System) um Regelmäßigkeiten im Prozess der Parteienbildung aufzuspüren: Wie fanden vererbte Konfliktlinien politischen Ausdruck und wie haben die räumliche Organisation des Nationalstaates, die Gewaltenteilung zwischen Regierenden und Repräsentanten sowie die Ausweitung von Beteiligungsrechten und der Mitsprache die Entwicklung von Allianzen und Gegnerschaften unter den politischen Strömungen beeinflusst und schließlich zur Herausbildung eines ausgeprägten Parteiensystems geführt?

3. Betrachtung der Konsequenzen dieser Entwicklungen für die Austauschprozesse zwischen I und L (Gemeinschaft, Öffentlichkeit und Haushalten): Welche Identitäten, Solidaritäten, Gemeinsamkeiten an Erfahrungen und Schicksalen konnten von den Parteien verstärkt und nutzbar gemacht werden und welche mussten besänftigt oder ignoriert werden? Wo in der sozialen Struktur konnten die Parteien am leichtesten stabile Unterstützung mobilisieren und wo trafen sie auf die am undurchdringlichsten Barrieren des Misstrauens und der Zurückweisung?

4. auf die vorangegangenen Punkte stützt sich schließlich die Analyse der Austauschprozesse zwischen L und G (Haushalten und politischem System) im Ablauf von Wahlen und der Rekrutierung von Repräsentanten: Inwieweit spiegeln Wahlverteilungen strukturelle Konfliktlinien in einer bestimmten Gesellschaft wider; wie wird das Wahlverhalten durch die Begrenzung an Alternativen im Parteiensystem beeinflusst; und inwieweit werden die Belehrungs- und Mobilisierungsanstrengungen durch die Entwicklung einer neutralen Wahlmaschinerie, die Formalisierung und Standardisierung der Verfahren und die Einführung der geheimen Wahl erschwert?

(vgl. Lipset/Rokkan 1967, S.8) Diese Fragen bemühen sich Lipset/Rokkan zu beantworten, indem sie Konfliktlinien suchen, ihren Ursprung bestimmen und ihren Einfluss auf die Gesellschaft, das politische System und die Parteienbildung analysieren.

1.2.2 Die vier Cleavages nach Lipset/Rokkan

Abbildung 1: Die vier Cleavages in Parssons AGIL-Schema

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Cleavage-Theorie
Untertitel
Klassische und neue Cleavages und ihr Bedeutung für Parteiensystem und Wahlforschung
Hochschule
Universität Potsdam  (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Wahlsoziologie
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V121068
ISBN (eBook)
9783640243969
Dateigröße
637 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cleavage-Theorie, Wahlsoziologie
Arbeit zitieren
Dipl.-Pol. Björn Siebert (Autor:in), 2006, Cleavage-Theorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121068

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