Erklärt der Einfluss des Islam das Fehlen von Demokratie in der Arabischen Welt?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Erklärt der Einfluss des Islam das Fehlen von Demokratie in der arabischen Welt?

1.1 Einleitung

Für den weltweiten empirischen Trend zu mehr Demokratie auf Nationalstaatsebene, der Mitte der 1970er Jahre begann, prägte Samuel Huntington den Begriff „dritte Welle der Demokratisierung“.[1] Im Gegensatz zu den in dieser Hinsicht erfolgreichen Regionen, vor allem Lateinamerika, Süd- und Osteuropa, wurden andere Regionen jedoch nicht von dieser Dynamik erfasst. Hierzu zählen in erster Linie Afrika und die islamische - insbesondere die arabische Welt.

Gegenstand dieser Arbeit ist die Frage, ob die arabisch-islamische Welt aufgrund ihrer religiösen und kulturellen Prägung eine Sonderstellung („Exzeptionalismus“) einnimmt, oder ob die erklärungsrelevanten Faktoren bezüglich der Abwesenheit von Demokratie denen anderer Entwicklungsländer gleichen und dementsprechend auch verglichen werden können und sollten. Dies geschieht mit dem Ziel, eine Einschränkung und Spezifizierung der relevanten Indikatoren für diese Region zu ermöglichen.

Es wird die These vertreten, dass die Positionen von so genannten Orientalisten und „Neo-Orientalisten“[2], die ex post religiöse und religiös-kulturelle Erklärungen für den Status quo im arabischen Raum vertreten, nur begrenzt zu einem besseren Verständnis der Probleme beitragen, was insbesondere daran liegt, dass sie kaum messbare Indikatoren in ihren Analysen zur Verfügung stellen, auf denen weiterführende Untersuchungen fußen könnten. Außerdem sind viele dieser Ansätze simplifizierend, da sie auf einer monokausalen Betrachtungsweise basieren: „Die Geschichte der islamischen Welt weise eine Aufeinanderfolge von autoritärer und tyrannischer Herrschaft auf, die sich bis auf den heutigen Tag fortsetzte. In solchen Argumentationslinien wird stets vorausgesetzt, daß die politischen Entwicklungen der islamischen Welt durchgängig und vorrangig religiös bestimmt sind und alle Fehlerscheinungen eine ´islamische Ursache´ haben.“[3] Damit sei nicht gesagt, dass sämtliche relevante Faktoren, wie vor allem geschichtliche Hintergründe und externe Einflüsse keine Berücksichtigung in der Forschung finden sollten, aber dass Analysen, die nur auf sozio-kulturellen Argumenten beruhen, oftmals dazu neigen, reale Probleme – in diesem Fall in Gestalt des „Exzeptionalismus“ – eher zu verschleiern als zu erhellen. Folglich konzentriert sich diese Arbeit auf Ansätze, die messbare Indikatoren in den Fokus ihrer Untersuchungen gestellt haben.

1.2 Aufbau der Arbeit

Im Zentrum der Arbeit stehen zwei empirische Studien, die die These vertreten, dass der religiös-kulturelle Hintergrund nicht die wichtigste Variable darstellt, um das Fehlen von Demokratie im Nahen Osten zu erklären.[4]

Dem Ansatz von Ali Reza Abootalebi zufolge lassen sich einige der bei Lipset[5] in Bezug auf Demokratisierungsprozesse genannten Faktoren so operationalisieren, dass sie Rückschlüsse über die Art, beziehungsweise den Grad der Machtverteilung zwischen Staat und Gesellschaft und innerhalb der Gesellschaft selbst geben. Dies ist seiner Meinung nach der entscheidende Schlüssel zum Verständnis der Stabilität autoritärer Staaten – nicht nur in der arabischen Welt.[6] Er sieht die Konzentration auf religiös-kultureller Erklärungsmuster als nicht zielführend an, denn „(...) religions such as Islam play only an indirect role in the process of democratization in developing countries, including Muslim ones.“[7] Ferner steht er „cultural studies“ generell skeptisch gegenüber: „Altogether, the utility of cultural studies for the purpose of making generalizations about political systems and the nature of participation within different cultural contexts has been limited. This does not suggest totally discarding cultural explanations, but warns of ist limited utility in cross-national studies.“[8]

Einen solchen Ansatz, der die politische Kultur in den Mittelpunkt stellt, verfolgt Daniel E. Price in der zweiten Studie. Er versucht islamisch-politische

Kultur mittels eines Indexes zu operationalisieren, um auf diese Weise zu zeigen, dass sie nicht entscheidend zum Verständnis der Abwesenheit von Demokratie im Nahen Osten beiträgt. Die Frage, die seiner Arbeit zugrunde liegt, lautet wie folgt: „(...) as to whether Islam, when serving as a cultural and ideological basis for government, is associated with democratization or authoritarianism and arbitrary government.“[9]

Beide Ansätze lehnen die modernisierungstheoretische Prämisse einer der Demokratisierung vorausgehenden Säkularisierung für diese Region ab und sehen islamistische Gruppen als Teil der Zivilgesellschaft im Nahen Osten.

Dem Konzept der Zivilgesellschaft, das im dritten Teil der Arbeit untersucht wird, kommt in der Transitionsforschung als Gegenpol zum Staat eine besonders exponierte Bedeutung zu. In Abootalebis Ansatz ist die Stärke der Zivilgesellschaft in Bezug auf die Machtbalance zwischen dieser und dem Staat, zwei nicht immer entgegengesetzten Polen, von ausschlaggebender Bedeutung für die Überwindung autoritärer Systeme. Die Frage, ob Konzessionen von Seiten des Staates zu einer wirklichen Liberalisierung von Staat und Gesellschaft führen, oder ob sie lediglich systemstabilisierend wirken, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben, da hierfür eine eingehende Untersuchung der Politiken der arabischen Machthaber von Nöten wäre.[10] Es bleibt aber festzuhalten, dass Liberalisierung der erste Schritt in einem Demokratisierungsprozess sein muss, und dass ohne eine mit einer solche Liberalisierung verbundene Politisierung der Gesellschaft und eine Pluralisierung des politischen Systems das Bestehen eines autoritären Staates kaum gefährdet ist.[11]

Price, der die Bedeutung islamischer politischer Kultur, wie politischer Kultur allgemein, explizit betont, sieht zwar die ambivalente Wirkung, die von islamistischen Gruppen ausgehen kann, betont aber, dass man eine Marginalisierung dieser Akteure nicht zu einer Bedingung für Demokratisierungsprozesse machen kann: „It was shown that Islam plays a crucial part in political mobilization, as Islam is the most potent tool for organizing opposition to harsh, corrupt, ineffective, and authoritarian government in Muslim countries. At the same time many regimes also use Islam as a means of mobilizing the citizenry on their behalf.“[12] Trotz dieser Einschränkung, spielen seiner Auffassung nach islamistische Gruppen eine wichtige Rolle innerhalb der Zivilgesellschaft und vis-à-vis des Staates.

Die vorliegende Arbeit untersucht gemäß ihres Ansatzes keine Einzelfälle, sondern ist länderübergreifend konzipiert. Trotz dieser Beschränkung müssen generelle Beobachtungen bei ihrer Anwendung auf Einzelfälle immer auf die spezifische Situation der unterschiedlichen Geschichten, Herrschaftssysteme und sozial-strukturellen Gegebenheiten der einzelnen Staaten angewandt werden, um zu substanziellen Ergebnissen zu gelangen.[13]

Das Primat der westlichen Politik in der Region ist Stabilität, was in anbetracht des Status quo in gewisser Weise qua definitionem nicht deckungsgleich mit demokratischer Entwicklung ist. Die größte Sorge gilt in dieser Hinsicht einem weiteren Erstarken der Islamisten. Die Untersuchung externer Einflüsse und die Implikationen, die deren Ergebnisse für die westliche Politik gegenüber dieser Region hätten, würden allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es soll aber betont werden, dass `die` westliche Politik ihren Teil zum Erstarken undemokratischer Opposition und einer verbreiteten Diskreditierung westlicher Konzepte geleistet hat: „Official silence or economic and political support for regimes is read as complicity and a sign of the West´s ´double standard´ for the implementation of democracy. Regime repression and violation of human rights and a compliant U.S. or western policy towards such actions creates conditions that lead to political violence.“[14]

2. Die Situation: „The Democracy Gap“

Adrian Karatnycky von „Freedom House“, kennzeichnet die Situation in der islamischen Welt mit dem Begriff „democracy gap“: „In the 47 countries with an Islamic majority, only 11 (23%) have democratically elected governments, while 119 of the 145 non-Islamic states (76%) are electorial democracies. This means that a non-Islamic state is nearly three times more likely to be democratic than an Islamic state.“[15]

Besonders ernüchternd ist die Lage in der arabischen Welt; keines der 16 mehrheitlich arabischen Länder ist eine Demokratie: „Among the majority-Arab countries, one, Tunisia, has an authoritarian presidential system; one, Lebanon, has elements of a multiparty system circumscribed by Syrian influence; two, Lybia and Iraq, are one-party dictatorships; and four are states with a dominant ruling party that faces a thwarted and severely circumscribed political opposition (Algeria, Egypt, Syria, and Yemen). The eight remaining states are monarchies.“[16] Diese Klassifizierung ist mit Ausnahme des Irak, der infolge des Krieges von 2003 keinen souveränen Status besitzt, auch aktuell korrekt. Es stellt sich die Frage, ob oder inwieweit die Charakterisierungen „islamisch“ und „arabisch“ diesen Befund erklären. Diese Arbeit widmet sich dem `Faktor` Islam.

3. Zwei empirische Ansätze zur Bedeutung des Islam

3.1 Vorbemerkung

In der Demokratietheorie stehen sich die zwei grundlegenden Ansätze von Seymor M. Lipset[17] bezüglich der gesellschaftlichen Voraussetzungen von Demokratie und von Dankwart A. Rustow aus dem Jahr 1970, der primär auf die Dynamik demokratischer Übergänge gerichtet ist, „in einem produktiven Spannungsverhältnis“ gegenüber.[18] Im Kontext dieser Arbeit dienen sie als Folie für die Einordnung der Untersuchungsergebnisse.

Im Hinblick auf die gesellschaftlichen Voraussetzungen soll sie zu einer Eingrenzung beitragen, denn die Argumentation zielt darauf ab, religiöse und religiös-kulturelle Faktoren aus dem Kreis der wichtigsten Variablen zu eliminieren. Lipset selbst zitiert Samuel Huntington, der in der Literatur zur Demokratisierung 27 verschiedene erklärende Variable gezählt hat.[19] Obwohl man sich gerade bei Demokratisierungsprozessen, die sehr spezifisch zu untersuchen sind, hüten sollte, sich auf eine bestimmte Formel festzulegen, so ist dennoch festzuhalten, dass es das Ziel sein muss, die Variablen mit der größten Erklärungskapazität heraus zu destillieren, anstatt immer mehr möglicherweise positiv wirkende Faktoren zu addieren: „As Albert Hirschman has warned (...), the search for ever more numerous preconditions or prerequisites may end up by proving conclusively that development always will be impossible – and always has been.“[20]

[...]


[1] Samuel P. Huntington: The Third Wave. Democratization in the Late 20th Century, Norman 1991.

[2] Ein Überblick findet sich bei Renate Dieterich: Transformation oder Stagnation? Die jordanische Demokratisierungspolitik seit 1989, Hamburg 1999, S. 84, Fußnote 81 u. S.46, Fußnote 29.

[3] Dieterich, 1999, S. 63.

[4] Obwohl in beiden Werktiteln nur allgemein von „Islam“ die Rede ist, konzentrieren sich die Untersuchungen und Argumentationen auf den Nahen Osten.

[5] Seymour M. Lipest: Some Social Requisites of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy, in: American Political Science Review 53 (1959), S. 69-105.

[6] Ali Reza Abootalebi: Islam and Democracy. State-Society Relations in Developing Countries 1980-1994, New York/ London 2000, S. 13.

[7] Ebd., S.1.

[8] Ebd., S. 53.

[9] Daniel E. Price: Islamic Political Culture, Democracy, and Human Rights, Westport (CT)/ London 1999, S.1.

[10] Siehe dazu insbesondere Daniel Brumberg: The Trap of Liberalized Autocracy, in: Larry Diamond u.a. (Hg.): Islam and Democracy in the Middle East, Baltimore/ London 2003, S. 35-47.

[11] Dankwart A. Rustow: Transitions to Democracy. Toward a Dynamic Model, in: Comparative Politics Vol. 2, Nr. 3 (April 1970), S. 337-363.

[12] Price, 1999, S. 182.

[13] Rex Brynen/ Bahgat Korany/ Paul Noble: Conclusion: Liberalization, Democratization, and Arab Experiences, In: dies.: Political Liberalization & Democratization in the Arab World, Vol. 2, Boulder/ London 1998, S. 277.

[14] John L. Esposito: Islam and Civil Society, San Domenico 2000, S. 25.

[15] Adrian Karatnacky: The 2001 Freedom House Survey. Muslim Countries and the Democracy Gap, in: Journal of Democracy, Vol. 13, Nr. 1 (Januar 2002), S. 103.

[16] Ebd., S. 104.

[17] Lipset, 1959 u. The Social Requisites of Democracy Revisited, in: American Sociological Review, Vol. 59, Nr. 1 (1994), S. 1-22.

[18] Klaus Müller: Globalisierung, Bonn 2002, S. 33/ 34.

[19] Lipset, 1994, S.17.

[20] Rustow, 1970, S. 354.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Erklärt der Einfluss des Islam das Fehlen von Demokratie in der Arabischen Welt?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Theorien der Globalisierung
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
23
Katalognummer
V120951
ISBN (eBook)
9783640251704
ISBN (Buch)
9783640251803
Dateigröße
452 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erklärt, Einfluss, Islam, Fehlen, Demokratie, Arabischen, Welt, Theorien, Globalisierung
Arbeit zitieren
Magister Artium Timo Metzner (Autor:in), 2003, Erklärt der Einfluss des Islam das Fehlen von Demokratie in der Arabischen Welt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120951

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Erklärt der Einfluss des Islam das Fehlen von Demokratie in der Arabischen Welt?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden