Die Gründung der DDR: Regierungssystem und Verfassung


Hausarbeit, 1992

41 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

I. Der Gründungsprozeß der DDR
1.1. Verfassungstheoretische Grundlagen bis 1949
1.2. Realpolitischer Entwicklungsgang zur Konstituierung der DDR
1.2.1. Die "Deutsche Wirtschaftskommission" (DWK)
1.2.2. Die "Volkskongressbewegung" in der SBZ und die Bildung der "Provisorischen Regierung"

II. Die Verfassung der DDR vom 07.10.1949: formeller Anspruch und Verfassungswirklichkeit
II.1. Volksouveränität
II.2. Bürgerlich-demokratische Grundrechte und ihre Limitierung
II.3. Die soziale Komponente: Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaften
II.4. Wirtschaftsordnung

III. Staatsaufbau und Regierungssystem
III.1. Strukturelemente: Gewaltenkonzentration und demokratischer Zentralismus
III.2. Die formelle Allmacht der Volkskammer
III.3. Wahlen und Wahlmodus zur Volkskammer
III.4. Föderalismus in nuce: Länder und Länderkammer
III.5. Der Ministerrat: Das Regierungsorgan der Volkskammer
III.6. Der Präsident der Republik
III.7. Die legislative Komponente
III.8. Die judikative Komponente

IV. "Ideologische Okkupation":

Die Instrumentalisierung des Staatsapparates durch die SED

Anmerkungen

Literaturnachweise

I. Der Gründungsprozeß der DDR

1.1. Verfassungstheoretische Grundlagen bis 1949

Die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik vollzog sich aus den Strukturen der SBZ heraus auf dem Hintergrund der sich zunehmend verhärtenden Gegensätze zwischen den ehemaligen Alliierten der Anti-Hitler-Koalition.

Der Gründungsprozeß selbst geschah in mehreren politischund wirtschaftlich einschneidenden Etappen. Von entscheidender Bedeutung war dabei die enge organisatorische Zusammenarbeit von SED und SMAD, die besonders nach dem Scheitern der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz vom 06. - 07.06.1947 und der ablehnenden Haltung der Sowjetunion gegenüber dem Marshall-Plan (02.06.1947) die Situierung staatlicher Verhältnisse forcierte. Pläne für die Errichtung eines sozialistischen deutschen Staates existierten angesichts des nationalsozialistischen Eroberungskrieges gegen der Sowjetunion (SU) bereits in der Moskauer Exil-KPD. Deren Bündnisaufrufe, gerichtet an sämtliche antifaschistischen Deutschen, zielten mit Rücksicht auf den "sozial weithin unspezifischen Adressatenkreis"1 im Wesentlichen auf die Etablierung demokratischer Strukturen in einem Nachkriegsdeutschland ab. Das bürgerlich-demokratische Element sollte, so die taktische Überlegung, auch diejenigen bourgeoisen Bevölkerungsteile zum antifaschistischen Widerstand und zur späteren politischen Neugestaltung Deutschlands aktivieren, die sonst an weltrevolutionären Bestrebungen im Sinne des Sozialismus' nicht interessiert waren. Als entscheidend galt nach Dietrich Staritz der Versuch, durch die Bildung einer klassenübergreifenden Widerstandsfront unter "Einbeziehung des nationalen Bürgertums"2 und der SPD ein "Blocksystem" mit dem Ziel zu schaffen, demokratische Strukturen zu restituieren. Walter Ulbricht betonte am 01.08.1945:

"Nur die Schaffung einer wahrhaft kämpferischen Demokratie, die sich auf die feste Aktionseinheit von KPD und SPD und auf die Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien stützt, kann die Zukunft Deutschlands sichern."3

Diese taktischen Überlegungen, die auch in der Moskauer Exil-KPD virulent gewesen waren, standen zwar im Widerstreit mit den weltrevolutionären Vorstellungen der illegalen deutschen KPD, schlugen sich aber dennoch überaus deutlich im Gründungsaufruf der KPD vom 10.06.1945 nieder. So wirkten die Postulate und Zielsetzungen des Gründungsaufrufs der KPD eigentümlich zurückgenommen und auf den ersten Blick inkonsequent: Zwar wurden einerseits charakteristisch sozialistische Inhalte wie z. B. Enteignungen, "Liquidierungen des Großgrundbesitzes" und "Schutz der Werktätigen vor Unternehmerwillkür"4 propagiert. Während aber das sozialistische Element von seiner inhaltlichen Gewichtung her fast nur en passant behandelt wurde, thematisierte das Gründungspapier im Schwerpunkt tatsächlich die Einlösung klassisch bürgerlich-demokratischer Grundpositionen, die den sozialistisch anmutenden Passagen zweifelsohne die Schärfe nehmen sollten. In diesem Sinne versprach der Aufruf die "Herstellung der demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes"5 , worunter nicht nur individuelle Grundrechte wie die "Gleichheit aller Bürger ohne Unterschied der Rasse vor dem Gesetz"6 und Freiheit von Kunst und Wissenschaft subsumiert wurden, sondern auch die Rechtmäßigkeit "freier Gewerkschaften" und "antifaschistisch- demokratischer Parteien"7.

Nicht ohne Grund verwies die KPD in ihrem Gründungspapier also auf die (indirekt ihr zugedachte) Aufgabe, die bürgerliche Revolution von 1848 zu vollenden. In Anbetracht dessen stellte sie überdies fest, daß eine Transponierung des Sowjetsystems auf Deutschland zum aktuellen Zeitpunkt "nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland entspräche"8. Deutlich ist also die Absicht der KPD zu erkennen, das anvisierte bourgeoise Stimmpotential für ein gesellschaftsübergreifendes "Blocksystem" und schließlich die SPD für ein Zusammenwirken mit der KPD zu interessieren. Angesichts ihrer scheinbar gefährdeten Mehrheitsverhältnisse muß dieses Vorhaben als Versuch gewertet werden, sich eine Massenbasis in Deutschland zu verschaffen.

"Über die Bewußtseinslage der deutschen Bevölkerung machte der Moskauer KPD-Flügel sich keinerlei Illusionen. (...) Sie wußten, daß Nationalsozialismus, rassistische Deutschlandüberheblichkeit, Antisowjetismus die Köpfe der meisten ausfüllte. (...) In einer Übergangsphase,der antifaschistisch-parlamentarischen Demokratie, sollte die Partei Verhältnisse schaffen, die 'es erlauben, ihre Ansicht durchzuführen' (Marx). Und ihre Ansicht war und blieb Sozialismus."9

In dem Maße, wie der Fusionsprozeß zwischen SPD und KPD zur "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" forciert wurde, entwickelte sich mehr und mehr ein administrativer und organisatorischer Zentralismus mit prononciert sozialistischen Tendenzen heraus. Unter deutlicher Hilfestellung der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) ermöglichte dieser gesellschaftliche "Transformationsprozeß" (Staritz) den übrigen Blockparteien CDU und LDP kaum noch politische Handlungsspielräume; ein Faktum, das sich bereits während der Bodenreform und der Enteignung der Industrie abzeichnete, besonders deutlich aber in den organisatorischen Behinderungen der Blockparteien im Rahmen der Gemeindeund Landtagswahlen zutage trat10. Diesen zunehmend restriktiven politischen Kurs begründete die SED in ihrem Wahlaufruf zu den Gemeindeund Landtagswahlen vom August/Oktober 1946 einerseits mit dem notwendigen Ziel des Erhalts der "nationalen Einheit des deutschen Volkes" , das eine "Zersplitterung Deutschlands" nicht erlaube11, zum anderen mit der Sicherung demokratischer Grundprinzipien, die gegenüber der "Reaktion"12 geschützt werden müßten. Im Vergleich zum Gründungsaufruf der KPD vom Juni 1945 war allerdings auch eine deutliche inhaltliche und terminologische Akzentverschiebung in Richtung Sozialismus sichtbar geworden. So hieß es jetzt:

"Die SED ist die Partei des Sozialismus! Erst die Errichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung wird endgültig alle Lebensfragen unseres Volkes lösen, den Gegensatz zwischen Reichtum und Armut aufheben und dem ganzen Volk ein Leben in Glück und Wohlstand bringen."13

Der postulierte "Demokratismus" verfolgte demnach sowohl wahltaktische Gründe als auch das notdürftig verschleierte Bemühen der SED um eine politische Hegemonialstellung zur Konstituierung des Sozialismus qua talis .

Ähnlich dichotomisch zwischen Demokratieversprechen und sozialistischem Anspruch lavierend entpuppte sich der vom SED-Parteivorstand diskutierte Grundrechtekatalog vom 22.09.1946. Erich Gniffke , selbst Mitwirkender an der Debatte, nennt hier als inhaltliche Losungen rechtliche Gleichheit (Art. 4), individuelle Freiheitsrechte, wie Meinungsund Koalitionsfreiheit (Art. 5, 8), außerdem Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 17), die Förderung der mittelständischen Wirtschaft sowie Schutz des Privateigentums (Art. 12, 14)14. Der vom SED-Parteivorstand verabschiedete Grundrechtekatalog für das gesamte "deutsche Volk" galt als Diskussionsvorlage für den am 14.11.1946 ausgearbeiteten Verfassungsentwurf "für die Deutsche Demokratische Republik" und war maßgebend für die inhaltliche Ausgestaltung der ersten DDR-Verfassung vom 07.10.1949. Deutlich orientierte sich dieser Verfassungsentwurf an der Weimarer Reichsverfassung von 1919, jedoch mit dem Unterschied, daß einer Gewaltenteilung in Jurisdiktion, Exekutive und Legislative nach Weimarer Muster ebenso wenig entsprochen wurde wie der ernsthaften Einlösung föderalistischer und klassisch-demokratischer Staatsstrukturen15. Damit folgte die SED nun den politischen Leitlinien Walter Ulbrichts, der den trichotomisch gegliederten Gewalten der Weimarer Republik und ihrem Föderalismus aus Gründen mangelnder Effizienz und Stärke bei der nötigen Umbildung der Gesellschaft eine Absage erteilte. Nach seiner Auffassung bestand in der "Aufteilung Deutschlands in Länder und Provinzen, die selbständig wirtschaften" und damit "faschistischen und reaktionären Positionen in verschiedenen Gebieten Deutschlands" Vorschub leisten, die "Gefahr des Föderalismus"16. Stattdessen plädierte Ulbricht für eine Konzentration der Gewalten beim Parlament, um die Umstrukturierung von Wirtschaftsleben und Gesellschaft beschleunigen zu können. In einer Rede am 09.11.1946 in Leipzig explizierte er notwendige politische Entscheidungsstufen; eine davon thematisierte die Gewaltenkonzentration:

"Die zweite Frage wäre die Schaffung einer parlamentarischen Ordnung in ganz Deutschland, einer Ordnung, in der das vom Volk demokratisch gewählte Parlament die höchste Instanz ist und kein Reichsgericht, kein Staatsgerichtshof, keine Zweite Kammer und kein Präsident das Recht haben, die Beschlüsse dieses demokratisch gewählten Parlaments aufzuheben!"17

Nach Ulbricht hatte das Scheitern der Weimarer Republik "das Rückständige dieser Verfassung" bewiesen und durch die Gewaltenteilung der zunehmenden Desintegration der Republik mittels rechtsnationaler Kräfte Raum gegeben.18 Außerdem konzipierte der SED-Verfassungsentwurf die Neuinterpretation des Demokratiebegriffs im Sinne Ulbrichts zu einem Topos aktiver Mithilfe des Volkes unter Anerkennung des Führungsanspruchs der Partei am notwendigen Prozeß der gesellschaftlichen Umgestaltung. Erdmann resümiert, das der hier angesprochene "Demokratische Zentralismus" "(...) kein Formalprinzip der Willensbildung, sondern ein Realprinzip der Gesellschaftsveränderung"19 bedeutet. Zusammen mit den Inhalten der Weimarer Reichsverfassung, die trotz Ulbrichts Kritik als wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer einheitlichen demokratischen Verfassung angesehen und daher in weiten Teilen "bewußt nachgeahmt" wurde20, fanden die Ulbricht-Direktiven des Verfassungsentwurfs zwischen Dezember 1946 und Februar 1947 sowohl Eingang in die Länderverfassungen der SBZ als auch in die kommende Verfassung der "Deutschen Demokratischen Republik" vom 07.10.1949.

1.2. Realpolitischer Entwicklungsgang zur Konstituierung der DDR

1.2.1. Die "Deutsche Wirtschaftskommission" (DWK)

Bereits sehr früh begann die sowjetische Besatzungsmacht, durch die SMAD reprä- sentiert, mit dem Aufbau staatlicher Strukturen und Funktionen in der SBZ. Neben der äußerst raschen Bewilligung und Konstituierung von Parteien (dies geschah zwischen Mai und Juli 1945), bestimmte die SMAD am 27.07.1945, also während der Potsdamer Konferenz, mit dem Befehl Nr. 17 die Errichtung zentraler Verwaltungsstellen u.a. für die Bereiche Justiz, Finanzen, Arbeit, Brennstoffe und Industrie21, um einen möglichst geordneten infrastrukturellen und wirtschaftlichen Wiederaufbau zu gewährleisten. Eingesetzt wurden elf Zentralverwaltungen, die, vorwiegend mit Kommunisten besetzt22, jedoch ohne legislative Kompetenzen, nur Koordinationsstellen der entsprechenden Verwaltungsressorts bei der SMAD innehatten. Trotz dieser administrativen Abhängigkeit fungierten die zentralen Verwaltungsstellen als eine "Keimzelle für eine zukünftige deutsche Zentralregierung"23 ; eine Feststellung, die in weitaus stärkerem Maße auf die bald darauf erfolgte Einsetzung der "Deutschen Wirtschaftskommission" (DWK) zutraf. Die DWK, durch SMAD-Befehl Nr. 138 am 14.06.1947 gegründet, war das Koordinationsorgan für sämtliche wirtschaftspolitischen Aktivitäten in der SBZ, in dem sie Tätigkeitsfelder der ihr unterstellten Zentralverwaltungen nach monistischem Prinzip effektiver ausgestalten sollte.

Außerdem war die DWK die wirtschaftspolitische Antwort der SMAD auf die nach Ansicht der Sowjetunion gänzlich auf Spaltung Deutschlands ausgerichtete Politik der Westalliierten. Bereits die erfolgte Konstituierung eines einheitlichen westzonalen Wirtschaftsraumes, sc. der Bizone, und die Verkündung des Marshall-Plans am 05.06.1947, dessen Vollzug die Sowjetunion für ihre Einzugsgebiete in Osteuropa abgelehnt hatte24, galten als vorsätzliche Sabotage eines auch von der SED ständig propagierten deutschen Einheitsstaates. Es nahm daher nicht Wunder, daß die SED Bizone und Marshall-Plan gleichfalls verwarf: Die Bizone galt ihr als "Schritt zur Zerreißung Deutschlands"25 ; den Marshall-Plan brandmarkte sie zudem als "Weltmachtstreben des amerikanischen Monopolkapitals"26, dessen "Einmischung in die Souverä- nität der die Anleihen nehmenden Länder"27 das Außerkrafttreten ihrer wirtschaftlichen und politischen Kapazität bedeuten würde. Wurden den Westalliierten spalterische Tendenzen unterstellt, so war auch die Haltung der SBZ-Ministerpräsidenten während der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz vom 05.06. - 07.06.1947 in der Frage des deutschen Einheitsstaates recht fragwürdig. Die Teilnehmer aus der SBZ blockierten den Konferenzverlauf von Anbeginn mit der Bedingung, zunächst die Bildung einer deutschen "Zentralverwaltung" zu proklamieren, obwohl die Delegierten der SBZ, wie H. Weber anmerkt, Kenntnis darüber besaßen, daß allein die Besatzungsmächte zu deutschlandpolitischen Entscheidungen autorisiert waren, außerdem die Vertreter der französischen Zone strikte Weisung hatten, "keine politischen Fragen, sondern nur Probleme des Wiederaufbaus zu diskutieren"28. Damit war die Konferenz von vornherein faktisch gescheitert; der bayrische Ministerpräsident Ehard konstatierte laut Protokoll, "daß dieser Vorfall die Spaltung Deutschlands bedeute"29.

1.2.2. Die "Volkskongreßbewegung" in der SBZ und die Bildung der "Provisorischen Regierung"

Mit dem Scheitern der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz wurde die deutsche Wiedervereinigung von der SED und den Westparteien zwar weiterhin als Zielvorstellung projektiert, indessen verlor diese gesamtstaatliche Perspektive im Zuge des immer stärkeren Auseinanderdriftens von Westund Ostblock an Realität. Aufgrund dessen wurde die Idee der deutschen Einheit nun auf beiden Seiten massiv für die partikularen politischen Interessen und Motive "instrumentalisiert" (Weber), um der jeweiligen Klientel deutschlandpolitisch glaubwürdig zu erscheinen. Die Bekundungen zur Einigkeit Deutschlands deformierten so in der Folgezeit zu einem propagandistisch nützlichen, aber inhaltsleeren ceterum censeo , das nur die separatistischen Bestrebungen in Westund Ostdeutschland zu verdunkeln bemüht war. Neben der Herausbildung der bereits genannten "Deutschen Wirtschaftskommission" in der SBZ und des bizonalen Wirtschaftsrates am 25.06.1947 im Westen war es besonders die von der SED initiierte deutsche Volkskongreßbewegung in der SBZ, die sich mit den Schlagworten "Einheit" und "gerechter Friede" zwar als "Vor- parlament" und "legitimen Sprecher des gesamten deutschen Volkes" verstand30, aber unter dem Deckmantel proklamierter Einheit Gleichschaltung und SED-Hegemonie vorbereiten half.

Der nahezu gleichzeitig tagenden Londoner Außenministerkonferenz präsentierte der 1. Volkskongreß ein Manifest, das, die sowjetische Position stützend, einen zentralisierten deutschen Einheitsstaat unter Beteiligung aller Parteien vorsah.

Jedoch wurde dieser Vorschlag von den westlichen Verhandlungsteilnehmern in London abgelehnt, die für die Neugestaltung Deutschlands das bundesstaatliche Prinzip favorisierten31. Diese Ablehnung hatte schließlich zur Folge, daß der 1946 ausgearbeitete Verfassungsentwurf der SED, in dessen Präambel der Ausschließlichkeitsanspruch einer "demokratischen Volksrepublik" zum Erhalt der "nationalen Einheit"

und des "sozialen Fortschritts"32 betont wurde, nur noch für eine zu stiftende ostdeutsche Separatrepublik relevant war. Daher diente der Volkskongreß auch der nä- heren Ausarbeitung und Legitimierung einer tatsächlichen deutschen Teilstaatsverfassung auf der Basis der bereits bestehenden Länderverfassungen der SBZ, die dem SED-Verfassungsentwurf gemäß zugeschnitten waren.33 Diese verfassungstechnischen Zielvorstellungen gingen mit dem Bestreben der SED einher, mit der Volkskongreßbewegung ihren Herrschaftsanspruch in der SBZ nachhaltig zu bekräftigen und damit auch die stringente Entwicklung zu einem volksdemokratischen ostdeutschen Teilstaat zu dokumentieren. Die Mittel dazu waren radikale Gleichschaltung der sich gegen ihre Mitwirkung am Volkskongreß sträubenden oppositionellen bürgerlichen Parteien, vor allem der CDU. Von der SMAD angeregte Parteineugründungen und die Aufnahme von Massenorganisationen wie FDGB und FDJ in den "demokratischen Block" (1948) sollten die politischen Artikulationsforen des Bürgertums paralysieren und der SED eine Hegemonialstellung gewährleisten.34 Die Delegierten des nunmehr völlig von der SED beherrschten 2. Volkskongresses, der symbolträchtig auf den 17./18.03.1948 einberufen worden war, um deutlich an die demokratischen Inhalte von 1848 anzuknüpfen, bestimmten aus ihren Reihen einen "Deutschen Volksrat", bestehend aus 400 Mitgliedern, aus dem ein Volkskongreß- gremium unter der Leitung Otto Grotewohls die Ausarbeitung einer noch auf Gesamtstaatlichkeit ausgerichteten Verfassung für eine "Deutsche Demokratische Republik" übernahm.

Es ist bezeichnend, daß sich der 2. Volkskongreß unmittelbar an die Konferenz der drei Westmächte in London vom 26.02.-06.03.1948 anschloß. Dort betonten die Au- ßenminister noch einmal die Priorität der bundesstaatlichen Struktur für Westdeutschland, bereiteten das wirtschaftliche Aufbauprogramm in den Westsektoren vor, diskutierten die Angleichung der Wirtschaftspolitik von Bizone und französischem Sektor (Trizone) und schlossen gleichzeitig die Sowjetunion von der von ihr geforderten Mitsprache an der Ruhrgebietskontrolle aus. Zwei Tage nach der Einrichtung des "Deutschen Volkrates" beantwortete die Sowjetunion die Beschlüsse der

Londoner Konferenz mit ihrem Auszug aus dem Alliierten Kontrollrat, was spä- testens mit den getrennten Währungsreformen und der Berlin-Blockade im Juni 1948 zur endgültigen deutschlandpolitischen Frontstellung in West und Ost führte und die Staatsgründungsabsichten auf beiden deutschen Seiten beschleunigte.35

Während in den Westteilen Deutschlands auf der Basis der "Frankfurter Dokumente" ein "Parlamentarischer Rat" situiert wurde, nahm der Deutsche Volksrat am 22.10.1948 den Verfassungsentwurf des Verfassungsausschusses an, der sich merklich an dem SED-Entwurf von 1946 orientierte. Nach einigen textlichen Änderungen akzeptierte der Deutsche Volksrat diesen Entwurf und übersandte die nun ausgearbeitete Verfassung an den sich Ende Mai 1949 konstituierenden 3. Volkskongreß. Eine Woche nach der Verkündung des westdeutschen Grundgesetzes bestätigte der unter recht ominösen (weil offensichtlich manipulierten) Umständen gewählte 3. Volkskongreß am 30.05.1949 die Verfassung für einen ostdeutschen Teilstaat.36 Noch am gleichen Tag wählten die 153 Mitglieder des 3. Volkskongresses aus ihren Reihen einen 2. Deutschen Volksrat , bestehend aus 330 Delegierten, in dem die SED für sich 90 Sitze beanspruchte. Die Sicherung ihrer absoluten Mehrheit gelang der SED durch die Einschleusung der Massenorganisationen. Die SED-kontrollierten Organisationen erhielten 120 Sitze; mit jeweils 45 Sitzen für die LDP und CDU sowie je 15 Sitze für die "SED-Retortenprodukte"37 NDP und DBD war jede oppositionelle Tätigkeit der übrigen Parteien von Anbeginn zum Scheitern verurteilt.38 Unter diesen festgesetzten Mehrheitsverhältnissen trat der 2. Deutsche Volksrat am 07.10.1949 unter dem Präsidiat Wilhelm Piecks zusammen, setzte die neue Verfassung offiziell in Kraft und schuf damit die Deutsche Demokratische Republik . Gleichzeitig proklamierte der Deutsche Volksrat sich selbst zur "Provisorischen Volkskammer" des neuen Staates, die sich nach einjähriger Legislaturperiode durch Wahlen am 15.10.1950 zur regulären Volkskammer entwickeln sollte. Der Volkskongreß wiederum konstituierte sich als "Nationale Front" mit dem Ziel, ein "Bündnis aller politischen und sozialen Kräfte des werktätigen Volkes unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei" in West und Ost zu werden. Sie galt fortan ebenfalls als "Transmissionsriemen" der SED.39 In dieser Eigenschaft sorgte die Nationale Front u.a. für die ideologische Aktivierung der Staatsbürger bei legislativen Akten der Volkskammer und benannte die Kandidaten für die Wahlvorgänge in der Republik per Einheitsliste, was besonders für die Zusammensetzung der Volkskammer bedeutsam wurde.40

Am 10.10.1949 erfolgte die Bildung einer "Provisorischen Länderkammer", die, aus 34 Mitgliedern bestehend, am 11.10. gemeinsam mit der "Provisorischen Volkskammer" die SED-Vorsitzenden Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl an die Spitze der neuen Republik wählten: Pieck wurde Präsident der DDR, Grotewohl deren Ministerpräsident. Innerhalb der 14 Fachministerien, die ehemals die Hauptabteilungen der DWK darstellten, sicherte sich die SED die für den wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Strukturwandel maßgeblichen Ressorts; die Ministerien des Innern, der Volksbildung, der Industrie, Planung, Außenhandel und Justiz besetzten SED-Kandidaten. Die übrigen sieben Ressorts wurden unter LDP, CDU, Bauernpartei und NDPD aufgeteilt.

Otto Grotewohls Regierungserklärung vom 12.10.1949 rechtfertigte die "provisorische Regierung" und die Notwendigkeit der Existenz einer DDR mit der wirksamen Beförderung des "Kampfes zur Wiedervereinigung Deutschlands" und eines "demokratischen Neuaufbaus" .41 Angesichts der erstrebten deutschen Einheit sei es für die Zielperspektiven der DDR-Regierung opportun, eine "wirkungsvolle und starke Führung" zu besitzen, die in der Lage wäre, einen "neuen Weg" zu gestalten.42 Grotewohl charakterisierte diesen "neuen Weg" als "den Weg des Friedens und der Demokratie" , Begriffe, die auch Stalins Grußbotschaft zur DDR-Gründung prägten.43

[...]


1 Dietrich Staritz, Die Gründung der DDR. Von der sowjetischen Besatzungsherrschaft zum sozialistischen Staat; 2. Aufl., München 1987, p. 67

2 Staritz, op.cit., p. 68

3 Walter Ulbricht, Thesen über das Wesen des Hitlerfaschismus (1.8.1945), in: Ausgewählte Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, Berlin 1979, p. 101

4 Aufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands vom 11. Juni 1945, in: DDR-Dokumente zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik 1945-1985, Hrsg. Herrmann Weber, 3. Aufl. München 1987, p. 35 f.

5 loc.cit.

6 loc.cit.

7 Ibid., p. 34

8 loc.cit.

9 cf. Thomas Neumann, Die Maßnahme, der SED, Hamburg 1991, p. 28 Eine Herrschaftsgeschichte

10 cf. Staritz, op.cit., p. 142

11 Wahlaufruf der SED vom 7.10.1946, in: Dokumente der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. l, Berlin 1951, pp. 100ff.

12 cf. Herrmann Weber, Geschichte der DDR, 3. Aufl., München 1989, p. 138 f.

13 Wahlaufruf der SED vom 7.10.1946, in: op. cit., p. 103

14 Erich Gniffke, Jahre mit Ulbricht, Köln 1966, p. 209, spricht vergröbernd von Gleichheit und individuellen Freiheitsrechten. Die explizit dargestellten Grundrechte finden sich in dem Manifest: Die Grundrechte des deutschen Volkes (19.9.1946), in: Dokumente der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 1, Berlin 1951, p. 94 ff.

15 cf. Karl Dietrich Erdmann, Das Ende des Reiches und die Neubildung deutscher Staaten, 3. Aufl., München 1983, p. 218

16 Walter Ulbricht, Die Politik der KPD von 1935 bis zum Vereinigungsparteitag 1946 (Rede vom 19.4.1946), in: op. cit., p. 117

17 Walter Ulbricht, Wir gedenken zweier Revolutionen (Rede vom 9.11.1946) in: op. cit., p. 130

18 "Der historische Fehler der Regierungen und Koalitionsparteien der Weimarer Republik bestand darin, daß sie das verfaulende kapitalistische System retten wollten. (...) Die sogenannte Weimarer Demokratie war nichts anderes als eine getarnte Diktatur des Monopolkapitals, wobei die sozialdemokratischen Führer und die Führer der kleinbürgerlichen Parteien (...) dem Monopolkapital halfen, seine Macht zu erhalten." Walter Ulbricht, Thesen über das Wesen des Hitlerfaschismus, in: op. cit., p. 94

19 Erdmann, op. cit., p.325

20 cf. Siegfried Mampel, Herrschaftssystem und Verfassungsstruktur in Mitteldeutschland - Die formelle und die materielle Rechtsverfassung der "DDR", Köln 1968, p. 85

21 Weber, op. cit., p. 98

22 Ibid., p. 108

23 Ibid., p. 97

24 Erdmann, op. cit., p. 265 39

25 So lautet der Untertitel der "Stellungnahme des Zentralsekretariats vom 23. Juli 1947" zum "Zwei- Zonen-Wirtschaftsrat, ein Schritt zur Zerreißung Deutschlands", in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 1, Berlin 1951, pp. 204-209

26 cf. Protokoll der Verhandlungen des 2. Parteitages der SED vom 20.-24.9.1947, Berlin 1951, p. 242

27 Ibid., p. 245

28 Herrmann Weber, Von der SBZ zur "DDR", Bd. l: 1945-1955, Hannover 1966, p. 37

29 Erdmann, op. cit., p. 271

30 Ibid., p. 326

31 Ibid., p. 272f.

32 Entwurf einer Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik, in: Dokumente der SED, Bd. 1, Berlin 1951

33 Herwig Roggemann, Die DDR Verfassungen. Einführung in das Verfassungsrecht der DDR - Grundlagen und neuere Entwicklung, Berlin 1989, p. 39

34 cf. Herrmann Weber, Von der SBZ zur DDR, Bd.l: 1945-1955, Hannover 1966, pp. 38-44

35 Erdmann, op. cit., p. 276 f.

36 cf. dazu besonders: Siegfried Mampel, Die Verfassung der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Text und Kommentar, Frankfurt/Main und Berlin 1962, p. 9 ff. Außerdem: Weber, SBZ/DDR, p. 51

37 Dieser Begriff findet sich bei: Peter Joachim Lapp, Die Volkskammer der DDR, Opladen 1975, p. 15

38 Weber, SBZ/DDR, p. 51

39 Peter Christian Lutz/Johannes Kuppe, DDR-Handbuch, Köln 1975, p. 585

40 loc. cit.

41 Grotewohl zitiert nach: Weber SBZ/DDR, p. 52 f.

42 loc. cit.

43 DDR-Dokumente. Hrsg. H. Weber, p. 163 f.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Die Gründung der DDR: Regierungssystem und Verfassung
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Zur Gründung der Deutschen Demokratischen Republik
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1992
Seiten
41
Katalognummer
V120767
ISBN (eBook)
9783640247264
ISBN (Buch)
9783640246526
Dateigröße
620 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gründung, Regierungssystem, Verfassung, Gründung, Deutschen, Demokratischen, Republik
Arbeit zitieren
M.A. Frithjof Böhle-Holzapfel (Autor:in), 1992, Die Gründung der DDR: Regierungssystem und Verfassung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120767

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