Risikocontrolling im Rahmen der Erdgasbeschaffung eines Regionalversorgers


Diplomarbeit, 2008

61 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Marktstrukturen in der liberalisierten deutschen Gaswirtschaft
2.1 Die Liberalisierung und ihre Auswirkungen auf Transport und Handel
2.2 Produkte und Preisbildung an der Börse und im OTC- Handel
2.3 Portfoliomanagement im Erdgashandel

3 Notwendigkeit von Risikomanagement und -controlling im Erdgashandel

4 Ausgestaltung des Risikocontrollings im Erdgashandel
4.1 Risikoidentifikation
4.1.1 Durchführung einer Marktanalyse
4.1.2 Durchführung einer Portfolioanalyse
4.1.2.1 Ableitung der Marktpreisrisiken auf das Portfolio
4.1.2.2 Identifikation offener Mengenpositionen
4.1.2.3 Identifikation von Adressenausfallrisiken
4.1.2.4 Risiken aus der Marktliquidität
4.2 Risikobewertung
4.2.1 Bewertung von Marktpreisrisiken
4.2.1.1 Bewertung zu Marktpreisen
4.2.1.2 Berechnung von Risikokennzahlen
4.2.1.2.1 Berechnung der Volatilität
4.2.1.2.2 Value-at-Risk
4.2.1.2.3 Profit-at-Risk
4.2.2 Bewertung des Mengenrisikos
4.2.3 Bewertung der Adressenausfallrisiken
4.2.4 Bestimmung des Portfoliowertes und der Risikokapitalauslastung
4.2.5 Stress-Testing
4.3 Risikosteuerung und Überwachung
4.3.1 Steuerung von Marktpreisrisiken
4.3.1.1 Begrenzung der offenen Positionen
4.3.1.2 Steuerung über Limitsysteme
4.3.1.3 Optimierung durch derivative Finanzinstrumente
4.3.2 Steuerung von Mengenrisiken
4.3.2.1 Begrenzung der offenen Positionen
4.3.2.2 Optimierung durch derivative Finanzinstrumente
4.3.2.3 Aufbau und Nutzung von Flexibilitäten
4.3.3 Steuerung von Adressenausfallrisiken
4.4 Risikokontrolle
4.5 Risikoberichterstattung

5 Abschließende Bewertung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Risikomanagementprozesses

Abbildung 2: Lernkurve der Endverbraucher

Abbildung 3: Übersicht über wesentliche Konstanten

Abbildung 4: Nicht-parametrische VaR-Analyse

Abbildung 5: Absicherung durch ein Derivat

Abbildung 6: Kaufoption

1 Einleitung

Durch die fortschreitende Liberalisierung befindet sich der Markt für Erdgas im Umbruch. Bedingt dadurch, dass in der Vergangenheit Netz und Handel von Erdgas in einer Hand lagen, gab es natürliche (regionale) Monopole der großen Gaskonzerne und Regionalversorger. Heute ist der Markt durch staatliche Eingriffe geprägt. Das Gasnetz und der Gashandel müssen nach der Einführung des Energiewirtschaftsgesetzes und weiterer Gesetze organisatorisch und auch rechtlich getrennt betrachtet werden. Dies bedingt, dass nur noch das Gasnetz ein natürliches, allerdings staatlich reguliertes Monopol ist. Der Gashandel findet sich im freien Wettbewerb wieder. Durch das Aufbrechen dieser alten Marktstrukturen drängen neue Wettbewerber auf den Markt. Parallelen sind hier auf dem deutschen Strommarkt zu sehen, der einen ähnlichen Wandel vollziehen musste und sich immer noch stark in diesem Veränderungsprozess befindet.

All diese Veränderungen bewirken, dass Regionalversorger wie z.B. Stadtwerke umdenken und sich neu strukturieren müssen. Um weiterhin eine gewünschte Handelsmarge erzielen zu können, muss aufgrund der Homogenität und der damit verbundenen Ersetzbarkeit des Produktes vor allem eine Kostensenkungsstrategie verfolgt werden. Zur Verfolgung dieser Strategie sind mehrere Wege denkbar. Grundsätzlich kann entweder der Fixkostenblock des Unternehmens gesenkt werden oder man versucht, die variablen und damit vor allem die Bezugskosten zu senken.

Die Strategie der Fixkostensenkung kann zurzeit vor allem darin beobachtet werden, dass Gasversorger untereinander kooperieren oder sogar fusionieren und sich damit zu größeren Einheiten zusammenschließen um Synergiepotentiale auszuschöpfen.

Um die Bezugskosten und damit die variablen Kosten zu senken, bieten sich durch den Aufbau der neuen Markstrukturen ein Vielfaches mehr an Möglichkeiten als es zuvor gab. Früher war es üblich, dass Regionalversorger vollstrukturiert beliefert wurden, d.h. sie hatten nur einen Bezugsvertrag mit einem großen Anbieter, der sie immer und zu jedem Zeitpunkt mit der benötigten Menge an Erdgas belieferte. Die Kosten des Bezugs wurden in voller Höhe über Tarifpreiserhöhungen oder -senkungen an den Endverbraucher weitergegeben. Es bestand also ein sehr geringes Risiko. Durch den zunehmenden Konkurrenzdruck ist dies heute nicht mehr so möglich. Ziel der Unternehmen ist es nun, die Erdgasbeschaffung selbst zu strukturieren oder nur einen möglichst geringen Anteil strukturiert beliefert zu bekommen. Dadurch begründet sich die Notwendigkeit des Risikomanagements, welche im dritten Kapitel, im Anschluss an eine Einführung in die Strukturen des Erdgasmarktes, erörtert wird. Wie das Risikocontrolling in den Risikomanagementprozess einzuordnen ist, wird ebenfalls durch dieses Kapitel beschrieben.

Im Anschluss an diese Einleitung wird zunächst also einen Überblick über die Marktstrukturen, -teilnehmer und -abläufe sowie die zukünftige Entwicklung auf dem Erdgasmarkt gegeben, um die externen Einflussfaktoren auf die Erdgasbeschaffung zu beschreiben. Anhand dieser Beschreibung soll nicht nur ein grundsätzliches Verständnis der Marktstrukturen erreicht werden, sondern auch deutlich werden, welche Bedeutung das Risikocontrolling in diesem Prozess darstellt.

Risiken bestehen vor allem im Preis des Gases, der so genannten Commodity und dem damit verbundenen Preisänderungsrisiko, sowie in der Genauigkeit der Gasabgabeprognose an die Endverbraucher (Mengenrisiko). Risikominimierung wird häufig auch durch Absicherung mit Hilfe unterschiedlicher Terminprodukte durchgeführt. Risikoaufgeschlossene Unternehmen können allerdings bei guter Markteinschätzung Terminprodukte auch als Chance nutzten, um durch die starke Preisvolatilität hohe Gewinne zu erzielen.

Kapitel vier als Hauptteil dieser Arbeit beschreibt diese Chancen und Risiken. Hier wird dargestellt, wie das Risikocontrolling den Beschaffungsprozess kontinuierlich begleitet und die Aufgabe hat, Risiken zu identifizieren, zu bewerten, zu überwachen und das Risikomanagement bei der Steuerung dieser Risken zu unterstützen. Basis der unterstützenden Funktion im Bereich der Steuerung, ist auch die Abgabe von Handlungsempfehlungen durch das Risikocontrolling an die Entscheidungsträger. Aus diesem Grund sollen in dieser Arbeit auch die Möglichkeiten der Steuerung vorgestellt werden. Der Risikocontrollingprozess wird in diesem Kapitel Schritt für Schritt aufgezeigt, indem er in seinen einzelnen Bestandteilen mit erläuternden Beispielen dargelegt wird. Abschlie- ßender Teil dieses Kapitels ist die Risikoberichterstattung.

Das fünfte und letzte Kapitel beinhaltet eine Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen dieser Arbeit. Zudem wird ein Ausblick hinsichtlich des Risikocontrollings, vor allem in Hinblick auf die weitere Intensivierung des Wettbewerbs, gegeben.

Ziel der Arbeit ist es, einen systematischen Überblick über das Risikocontrolling als Bestandteil eines integrierten, erfolgsorientierten Risikomanagement in der Erdgasbeschaffung zu geben. Dies soll demzufolge die Notwenigkeit des Risikocontrollings eines Regionalversorgers in der Erdgasbranche demonstrieren und letztendlich deutlich machen, wie man mit Hilfe geeigneter Methoden diesen Risiken mit größtmöglicher Effizienz entgegentritt.

2 Marktstrukturen in der liberalisierten deutschen Gaswirtschaft

2.1 Die Liberalisierung und ihre Auswirkungen auf Transport und Handel

Durch den bereits in der Einleitung angesprochenen Liberalisierungsprozess, befindet sich der Erdgasmarkt in einer Phase des Umbruchs. Die betroffenen Unternehmen müssen umdenken, sich neu strukturieren und sind daher neuen, bisher unbekannten Risiken ausgesetzt.

Die Auswirkungen auf die Unternehmen sind umso größer, je geringer die Möglichkeiten des Unternehmens sind, Risiken rechtzeitig auf Dritte abzuwälzen. Vor diesem Hintergrund sind die Risiken für Unternehmen, die in einem monopolistisch geprägten Markt agieren, überschaubar und in ihren Auswirkungen eher gering. Dies galt in der Vergangenheit auch für Energieversorgungsunternehmen. Es reichte aus veränderte Rahmenbedingungen rechtzeitig bei der Preiskalkulation zu berücksichtigen. Grenzen bestanden hier allenfalls in der Einhaltung der Anforderungen von Preisgenehmigungsbehörden.1 Diese Marktbedingungen haben sich grundlegend geändert. Auslöser war die Einführung des Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 07.07.2005. Durch dieses und weitere Gesetz sind die monopolistischen Elemente auf dem Gasmarkt weitgehend gefallen. Die Bereiche Netz und Handel müssen seitdem organisatorisch und rechtlich getrennt betrachtet werden. Dies wird als „Unbundling“ bezeichnet. „Unbundling beinhaltet die Trennung bisher einheitlich ausgeübter Unternehmensfunktionen und auch die Trennung und Herausnahme von Teilen aus bislang einheitlich geführten, integrierten Unternehmen.“2

Damit soll sichergestellt werden, dass Versorger eigene Erdgasmengen nicht zu bevorzugten Konditionen durch das eigene Netz leiten. Die wichtigsten Ziele dieser Entflechtung werden in § 6 Abs. 1 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) beschrieben.3

Zu diesen Zielen gehören u.a.:

- Gewährleistung von Transparenz
- Diskriminierungsfreier Netzzugang Dritter
- Verhinderung von Quersubventionierung

Die Bundesnetzagentur wurde damit beauftragt als Regulator auf dem Markt tätig zu werden. Ihre Aufgabe ist es „eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, [sowie] die Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs“4 zu gewährleisten.

Das deutsche Gasnetz wurde zur Einrichtung eines, durch die Bundesnetzagentur entwickelten, Netzzugangsmodells in so genannte Marktgebiete aufgeteilt. Jeder versorgte Kunde wurde genau einem Marktgebiet zugeordnet. „Ein Marktgebiet ist ein vertikaler Verbund von Netzen/Teilnetzen verschiedener Netzbetreiber und erstreckt sich von den Einspeisepunkten der Fernleitungsnetzbetreiber bis zu den Ausspeisepunkten bei Letztverbrauchern. Jedes Marktgebiet wird von einem marktgebietsaufspannenden Netzbetreiber verwaltet.“5 Diese Netzbetreiber sind Transportgesellschaften, die im Zuge der Marktregulierung von den großen Importunternehmen wie E.ON Ruhrgas oder RWE gegründet werden mussten. Vor der Trennung von Netz und Handel befanden sich die Fernleitungsnetze im Besitz dieser Unternehmen. Bedingt durch die Marktregulierung wurden Tochterunternehmen wie z.B. E.ON Gastransport (EGT) oder RWE Transportnetz Gas gegründet die nun auch die Aufgabe des marktgebietsaufspannenden Netzbetreibers übernehmen. Diese Netzbetreiber sind für die Koordination aller Teilnetze der einzelnen, z.B. regionalen Netzbetreiber, innerhalb ihres Marktgebietes zuständig.

Handelsgeschäfte innerhalb eines Netzes werden dabei immer über den virtuellen Handelspunkt eines Netzes durchgeführt. Ein virtueller Handelspunkt ist ein, vom marktgebietsaufspannenden Netzbetreiber eingerichteter fiktiver Punkt, an dem Gas nach der Einspeisung innerhalb des Marktgebiets gehandelt werden kann. Funktion des Punktes ist es, die beschafften Mengen mit den gemessenen ausgespeisten Mengen in einem Bilanzkreis zu saldieren, um damit das physische Gleichgewicht herzustellen. In jedem Marktgebiet gibt es einen virtuellen Punkt, der vom jeweiligen marktgebietsaufspannenden Netzbetreiber gesteuert und überwacht wird.

In einem Bilanzkreis auftretende Differenzen werden vom Netzbetreiber durch so genannte Ausgleichsenergie ausgeglichen. Unter Berücksichtigung von im Voraus festgelegten Toleranzgrenzen müssen Händler dem Netzbetreiber, für die Inanspruchnahme von Ausgleichsenergie entschädigen. Da für diese Entschädigungszahlung sehr hohe Preise angesetzt werden, muss versucht werden dieses Risiko möglichst zu minimieren. Dies geschieht z.B. durch die Nutzung von Erdgasspeichern auf die im Verlauf dieser Arbeit noch eingegangen wird.

2.2 Produkte und Preisbildung an der Börse und im OTC- Handel

Handelsgeschäfte können sowohl an der Börse als auch börsenunabhängig abgewickelt werden. Nichtbörsliche Geschäfte, d.h. Geschäfte zwischen zwei Vertragspartnern ohne Einfluss einer Börse, nennt man OTC (Over-the-Counter)-Geschäfte. Diese sind langfristiger Natur.

Im deutschen Erdgasmarkt basiert die Gaspreisbildung auf dem Wettbewerb des Erdgases mit Substitutionsenergien. Wichtigste Substitutionsenergien sind im Wärmemarkt Erdöl bzw. Erdölprodukte. Im Kraftwerksbereich steht das Erdgas auch mit anderen Energieträgern, wie z.B. Kohle, im Wettbewerb. Nach dem Anlegbarkeitsprinzip bezahlen die Gasverbraucher einen Preis, der das Erdgas gegenüber den Konkurrenzenergien wettbewerbsfähig hält. In der Praxis bedeutet das „Anlegbarkeit“ genannte Prinzip faktisch eine Bindung der Gaspreise an den Ölpreis.6 Nach dem Prinzip des anlegbaren Preises kann eine Erdgasgesellschaft bspw. von einem Hausbesitzer den für den Heizenergiebedarf äquivalenten Ölpreis fordern, wobei Erdgas wegen seiner Handlingvorteile (Wegfall von Speichertank beim Hausbesitzer, rußfreie Verbrennung mit entsprechend geringerem Wartungsaufwand für den Heizkessel usw.) sogar geringfügig teurer sein kann bevor eine Brennstoffsubstitution erfolgt.7 Der anlegbare Erdgaspreis ist zwar nicht unbedingt identisch mit dem tatsächlichen Preis auf dem Markt, er dient aber als Basis bei Preisverhandlungen zwischen internationalen Anbietern und Einkäufern, die diesen Preis wiederum an ihre Kunden, wie z.B. Regionalversorger weiterberechnen.8

Bei nichtbörslichen-, also OTC-Geschäften werden häufig klassische Bezugsverträge für eine bestimmte Lieferdauer abgeschlossen. Der für die Gaslieferung zu zahlende Preis bzw. die zu zahlenden Preise werden in der Preisregelung vereinbart. Übliche Preisregelungen sind Arbeitspreisund Grundpreisregelung9 Grundpreise sind fixe Preise die z.B. in der Vorhalteleistung des Lieferanten, aufgrund der häufig stark schwankenden Abnahme, begründet liegen. Der Arbeitspreis in ct/kWh gilt für die in der jeweiligen Preisperiode abgenommene Menge. Die Preisanpassung erfolgt über Preisänderungsformeln. Diese Formeln haben häufig die Grundform:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Preisgleitklauseln spiegeln damit die Anlegbarkeit zum Konkurrenzbrennstoff Heizöl wider. So kann in der Formel schweres oder leichtes Heizöl eingesetzt werden, je nachdem welcher Brennstoff die eigentliche Konkurrenzenergie darstellt.10 Schweres Heizöl (HSL) wird in der Regel für Industriegaskunden vorgesehen, im Gegensatz zu Haushaltskunden bei denen leichtes Heizöl (HEL) den Konkurrenzbrennstoff darstellt.

Da HEL und HSL lediglich Umfragewerte des statistischen Bundesamtes darstellen und daher nicht am Markt gehandelt werden, werden von den Regionalversorgern zunehmend liquide, internationale, marktgehandelte Produkte wie Brent (Rohöl), Fueloil (Schweres Heizöl) und Gasoil (leichtes Heizöl) in den Preisformeln vorgesehen.

Dies geschieht auch, da die Absicherung von Verträgen mit HEL- oder HSL-Preisanpassung eine besondere Herausforderung darstellt, da die Indizierung auf nicht liquiden bzw. auf nicht vollständig transparenten Ölprodukten beruht.11

Der Preis für diese Produkte wird also anders als bei den Börsenprodukten, bei denen sich ein Marktpreis bildet, vertraglich an eine bestimmte Ölpreisnotierung gebunden.

Bei OTC-Geschäften, verbleibt das Kontrahentenrisiko, also das Risiko des Ausfalls von Lieferungen und Zahlungen, bei den Vertragspartnern und die Produkte sind nicht, oder nur wenig standardisiert. Als Vorteil der OTC- Produkte kann so also gesehen werden, dass sie flexibler gestaltet werden können als standardisierte Börsenprodukte. Nachteile, vor allem aus Sicht des Risikomanagements, ergeben sich aus ihrer geringen Liquidität und der Möglichkeit des Ausfalls von Vertragspartnern.

„Es ist sinnvoll, Börsenhandel in einer erweiterten Form als Synonym für die neueren, eher kurzfristig marktbezogenen ausgerichteten Transaktionen zu verwenden, die bewusst dem traditionell langfristig ausgerichteten Denken der Energiewirtschaft gegen- übergestellt werden.“12 Dies liegt vor allem darin begründet, dass der Börsenhandel sich erst mit Öffnung des Marktes langsam entwickelt hat. Gerade der zunehmende Handel mit Börsenprodukten stellt eine große Herausforderung für den Aufgabenbereich des Risikocontrollings dar und wird in dieser Arbeit an einigen Stellen behandelt.

Für einheitliche Produkte gilt ein einheitlicher Preis, wenn der Markt effizient und transparent ist, ansonsten gibt es Arbitragemöglichkeiten.

Arbitrage beinhaltet das risikolose Ausnutzen von Unterschieden zwischen Kassaund Terminkontraktpreisen bzw. zwischen identischen Kontrakten verschiedener Handelsplätze.13 Die Preisdifferenz bei unterschiedlichen Produkten wird bei liquiden Märkten durch Speicherund Transportkosten begrenzt. Aufgrund begrenzter Speicherbarkeit wird bei Erdgas jeden Tag ein separates Produkt angeboten. Diese Produkte werden am Spotmarkt („day-ahead“-Markt) gehandelt. Spotgeschäfte sind Kassageschäfte, bei denen Verpflichtung und Erfüllung entweder zeitlich zusammen fallen oder die Erfüllung mit nur geringer Verzögerung erfolgt. Der Spotmarkt ist der Referenzmarkt, da er die aktuelle Verfügbarkeit von Erdgas und den daraus resultierenden Preis anzeigt.

Längerfristige Geschäfte werden dagegen am Terminmarkt durchgeführt. Bei Termingeschäften erfolgt die Erfüllung später und nicht unmittelbar innerhalb weniger Tage. Der Preis für den Handelsgegenstand, also für die vereinbarte Gasmenge, steht hingegen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits fest. Die Funktion dieser Geschäfte besteht darin, sich gegen die Preisschwankungen am Spotmarkt abzusichern, oder darin, Gewinne durch Spekulation zu erzielen.

An den Energiebörsen wird Terminhandel, in der Form von Futures, sowie Spothandel durchgeführt. Futures sind immer Bandlieferungen und werden daher auch -

„Base-Futures“ genannt. Eine Bandlieferung ist die Belieferung eines Kunden mit Gas mit einer fest definierten Leistung rund um die Uhr über einen bestimmten Zeitraum. Bandlieferungen können für Saisons, Quartale und Monate oder für den Rest des laufenden Monats angeboten werden. Futures müssen dabei nicht zur physischen Lieferung führen, sondern werden häufig auch finanziell ausgeglichen. Dieser Vorgang wird cash-settlement genannt.

Der Börsenhandel zeichnet sich dadurch aus das die Vertragspartner in der Regel anonym handeln und die Produkte standardisiert sind. Der Vertragspartner der Händler ist die Börse, die damit auch das Kontrahentenrisiko übernimmt.

Die wichtigste europäische Energiebörse ist die APX Gas, an der man Produkte für die virtuellen Punkte „National Balancing Point“ (Großbritannien), „Zeebrügge Hub“ - (Belgien) und „Title Transfer Facility“ (Niederlande) handeln kann. Der Börsenhandel in Deutschland ist noch nicht sehr ausgereift. Die EEX (European Energy Exchange) mit Sitz in Leipzig ist bisher die einzige Energiebörse in Deutschland. Neben dem Handel mit Strom, Kohle und CO2-Emissionsrechten, wird bisher nur Erdgas für die zurzeit liquidesten Marktgebiete, welche EGT- H-Gas und BEB- H-Gas sind, gehandelt. Orte für die Lieferung des Gases sind sowohl bei Börsenals auch bei OTC- Geschäften immer die virtuellen Handelspunkte der einzelnen Marktgebiete.

Grundlage für alle Entscheidungen zum Kauf von Produkten oder dem Abschluss von Vollversorgungsverträgen ist die möglichst genaue Kenntnis des eigenen Gasbedarfs, um Handelsoptionen bewerten, planen und eingehen zu können. Dies ist auch Grundlage für Entscheidungen im Rahmen des Portfoliomanagements, welches im Folgenden erläutert werden soll.

2.3 Portfoliomanagement im Erdgashandel

„Die Portfoliotheorie, oft als Meilenstein der Finanztheorie bezeichnet, liefert einen

„quantitativen Ansatz zur Optimierung der Vermögensallokation.“14 Die Kombination nicht vollständig miteinander korrelierender Anlagealternativen in einem Portfolio bewirkt einen Diversifikationseffekt, der die Summe der Einzelrisiken (teilweise) neutralisiert.15 Die Beschaffung und der Absatz von Erdgas kann mit dem Portfoliomanagement aus der Finanzwelt verglichen werden. Da das Management eines Portfolios alle Beschaffungsund Absatzpositionen des Versorgungsunternehmens berücksichtigt, ist ein Portfolio „eine gedankliche Zusammenfassung der Kapitalanlagen und Vermögensteile … einer Institution zum Zweck der rechnerischen Zusammenfassung, Darstellung und Kontrolle finanzieller Eigenschaften des Portfolios und seiner Komponenten, vor allem der Werte, der Rendite sowie der Exponiertheit (Exposure) gegenüber Risiken. Die vom Investor gewünschten Merkmale Sicherheit, Rendite und Liquidität sollen durch das Portfolio insgesamt zustande kommen.“16

Die Produkte auf der Beschaffungsseite werden demzufolge den Verträgen auf der Absatzseite gegenüber gestellt. Gelingt es dem Versorger, den Vertrag mit seinen relevanten Bestandteilen an den Kunden weiter zu geben, spricht man von einem 1:1 oder auch back-to-back-Vertrag. Gelingt es ihm nicht, spricht man von einer offenen Position, die auf diese Weise ein Risiko darstellt.

„Die rechnerische Zusammenfassung (Simultanbetrachtung) der Eigenschaften einzelner Kapitalanlagen (Assets) als Portfolio ist die Grundlage für die Entscheidung über dessen Zusammensetzung. Besonders wichtig erscheint dabei die Berechnung der Diversifikation, weil sie vielleicht der wichtigste Grund für die Portfoliobildung darstellt.“17 Welchen Einfluss die Diversifikation auf das Gesamtportfolio hat wird in Kapitel 4.3.5. näher aufgezeigt.

Das Portfoliomanagement dient an dieser Stelle also als zentrale Schnittstelle zur Gegenüberstellung aller Positionen und damit zur Bewertung und Steuerung von Beschaffung und Absatz. Aufgabe der Beschaffung ist es daher, durch einen möglichst optimalen Einkauf von Produkten oder Absicherungsgeschäften zu versuchen, je nach Risikostrategie ein vorgegebenes Ergebnis zu erwirtschaften.

3 Notwendigkeit von Risikomanagement und - controlling im Erdgashandel

Jede unternehmerische Entscheidung ist mit Risiken verbunden, da die Auswirkungen dieser Entscheidungen in der Regel nicht vorhergesagt werden können. „Unter Risiko wird im allgemeinen eine Situation der Unsicherheit bezeichnet, in der erstens alle jene Entwicklungen oder Ergebnisse bekannt sind, die eintreten können, und zweitens den möglichen Ergebnissen Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können.“18 Risiko sollte einen wichtigen Faktor im Entscheidungsprozess darstellen, denn andererseits würden schlechte Entscheidungen ohne die Berücksichtigung von Risiken gemacht werden.19 Risiken werden in Kauf genommen, um Chancen wahrzunehmen und Erfolge zu erzielen; es gilt der Grundsatz: Keine Chance ohne Risiko. Für eine erfolgsund wertorientierte Unternehmensführung ist somit eine zielorientierte, bewusste und systematische Auseinandersetzung mit Risiken und Chancen erforderlich. Daher ist es notwendig, dass in jedem Unternehmen organisatorische Regelungen zur Erkennung wesentlicher Risiken existieren, um Unsicherheiten der künftigen Entwicklung rechtzeitig wahrnehmen zu können.

„Unter Risikomanagement wird ein systematischer, wertbeziehungsweise erfolgsorientierter Ansatz zur Analyse und zum Umgang mit Risiken verstanden.“20

Dabei resultieren Risiken ursachenbezogen aus der Unsicherheit zukünftiger Ereignisse. Dies geht regelmäßig mit einem unvollständigen Informationsstand einher und schlägt sich wirkungsbezogen in einer negativen Abweichung von einer festgelegten Zielgröße nieder. Produkte und Preisbildung auf dem Erdgasmarkt und das damit verbundene Portfoliomanagement haben entscheidenden Einfluss auf das Risikomanagement.

Um sich auf dem Markt behaupten zu können, ist eine schnelle, gezielte und angemessene Reaktion auf Veränderungen notwendig. Nur so können potenzielle Chancen erkannt und drohende Schäden abgewendet werden. Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit eines Risikomanagementsystems bereits aus unternehmerischer Sicht bestätigt. Zusätzlich existieren institutionelle Verpflichtungen, die die Unternehmen dazu veranlassen ein Risikomanagementsystem zu etablieren. Für börsennotierte, deutsche Unternehmen gilt das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), welches am 1. Mai 1998 in Kraft getreten ist. Es verpflichtet die Geschäftsführung börsennotierter Unternehmen zur Implementierung eines Risikomanagementsystems.21

Nach § 91 Abs. 2 Aktiengesetz (AktG) ist der Vorstand außerdem gesetzlich dazu verpflichtet, im Rahmen seiner organisatorischen Pflichten ein internes Risikomanagementund Überwachungssystem einzurichten, mit dem die den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen früh erkannt werden.22 Die Risiken, die sich aus der Erdgasbeschaffung ergeben, haben ein so erhebliches Ausmaß, dass sie den Fortbestand einer Gesellschaft gefährden können und müssen deshalb allein schon aus der gesetzlichen Perspektive gesehen, intensiv analysiert werden.

Der Nutzen der Einrichtung eines Risikomanagementsystems sollte dabei weit über die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen des KonTraG hinausgehen. „Risikomanagement erfüllt dann seinen Zweck, wenn das Unternehmen aufgrund von Risikotransparenz [dadurch] in der Lage ist, … den Unternehmenswert nachhaltig zu steigern.“23

Die Voraussetzung für Risikomanagement ist die Existenz einer Unternehmensstrategie, aus welcher sich neben Unternehmensauch Risikomanagementziele ableiten lassen.24 Dem eigentlichen Risikomanagementprozess vorgelagert ist deshalb die Risikostrategie, welche maßgeblich den Umfang und die Ausgestaltung des Risikomanagementsystems bestimmt. „Unter Strategie versteht man Maßnahmen zur Sicherung des langfristigen Erfolgs eines Unternehmens.“25

Die Unternehmensleitung erarbeitet hierzu strategische Vorgaben zum Umgang mit Risiken für die jeweiligen Risikobereiche, die dann als risikopolitische Grundsätze bzw. Risikostrategie festgeschrieben werden. Diese sind somit in der Unternehmensstrategie eingebunden.26

Im Hinblick auf die Gestaltung von Risiken bestehen prinzipiell drei Strategiealternativen. Die so genannte präventive Risikopolitik zielt darauf ab, Risiken aktiv durch eine Beseitigung oder Reduzierung der entsprechenden Ursachen zu vermeiden oder zu vermindern. Es wird versucht, die Risikostrukturen durch Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder der Tragweite einzelner Risiken zu verringern. Entscheidet sich ein Unternehmen wegen zu hoher Risikopotentiale dafür, bestimmte Aktivitäten aufzugeben oder anzupassen, so spricht man von Risikovermeidung. Risikovermeidung bedeutet häufig jedoch auch das potentielle Chancen vermieden werden. Von Risikominderung spricht man, wenn sich ein Unternehmen dazu entscheidet, Risiken auf Dritte (jedoch nicht Versicherer) über zu wälzen.27 Neben der Risikoüberwälzung ist die

Risikostreuung auch ein Teil der Risikominderungsstrategie. Die Risikostreuung basiert auf der Portfoliotheorie die bereits in Kapitel 2.3 vorgestellt wurde.

„Ziel des Risikomanagements ist es [aber] nicht, alle Risiken auszuschalten, sondern vielmehr eine Balance zwischen Chancen und Risiken zu erreichen. Dies kann auch bedeuten, dass sich ein Unternehmen Risiken aussetzt, um auch potenzielle Chancen zu realisieren. Ziel des Unternehmens muss es sein, mit einer Risikosteuerungsstrategie die Gesamtrisikoposition … zu verbessern.“28 Unter Berücksichtigung des Gebots der Wirtschaftlichkeit muss ein funktionsfähiges Risikomanagement sich auf die wesentlichen Risiken beschränken. Nur so kann es wirksam in die betrieblichen Abläufe integriert werden.29

Es ist notwendig, aufbauend auf einer Risikostrategie einen Risikomanagementprozess im Unternehmen zu integrieren. Die Aufgaben in diesem Prozess sind als Zyklus zu interpretieren und durch folgende Abbildung dargestellt.

[...]


1 Vgl. Becker, P.; Held, C.; Riedel, M.; Theobald C. (2001) S. 239.

2 Baur, J. F.; Pritzsche, K. U.; Simon, S. (2006), S. 3.

3 Vgl. http://bundesrecht.juris.de/enwg_2005/ 6.html , Stand 20.05.2008.

4 http://www.bundesnetzagentur.de/enid/fb815b28aa0d086aca4bf8a3d271be12,0/Ueber_die_Agentur , Stand 20.05.2008.

5 Bundesverband der Gasund Wasserwirtschaft (2007), S. 8.

6 Vgl. Schiffer, H.-W. (2005), S. 16.

7 Vgl. Hensing, I.; Pfaffenberger, W.; Ströbele, W. (1998), S. 84.

8 Vgl. Konstantin, P. (2007), S. 18.

9 Vgl. Specht, H. (2001), S. 74.

10 Vgl. Konstantin, P. (2007), S. 62 f.

11 Vgl. Schwintowski, H. (2006), S. 485.

12 Hensing, I.; Pfaffenberger, W.; Ströbele, W. (1998), S. 153.

13 Vgl. ders. (1998), S. 155.

14 Garz, H.; Günther, S.; Moriabadi, C. (1997), S. 17.

15 Vgl. Eller, R. (1998), S. 316.

16 Spremann, K. (2006), S. 5.

17 Spremann, K. (2006), S. 5.

18 Spremann, K. (2006), S. 91.

19 Vgl. Mun, J. (2004), S. 13.

20 Finke, R. (2005), S. 23.

21 Vgl. Denk, R.; Exner-Merkelt, K. (2005), S. 43.

22 Vgl. Seidel, U. (2002), S. 30.

23 ders. (2002), S. 43.

24 Vgl. Deutsche Revision AG (1998), S. 23.

25 Bea, F. X.; Haas, J. (1995), S. 46.

26 Vgl. Seidel, U. (2002), S. 60.

27 Vgl. Romeike, F.; Finke, R. B. (2004), S. 235 ff.

28 ders. (2004), S. 241.

29 Vgl. Becker, P.; Held, C.; Riedel, M.; Theobald C. (2001) S. 242.

Ende der Leseprobe aus 61 Seiten

Details

Titel
Risikocontrolling im Rahmen der Erdgasbeschaffung eines Regionalversorgers
Hochschule
Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Essen
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
61
Katalognummer
V120739
ISBN (eBook)
9783640248247
ISBN (Buch)
9783640248551
Dateigröße
790 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Risikocontrolling, Rahmen, Erdgasbeschaffung, Regionalversorgers
Arbeit zitieren
Ulrich Wember (Autor:in), 2008, Risikocontrolling im Rahmen der Erdgasbeschaffung eines Regionalversorgers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120739

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