Don Quijote und Daniel Quinn

Intertextuelle Bezüge auf Miguel de Cervantes Don Quijote in Paul Austers City of Glass


Seminararbeit, 2007

29 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. DREI SCHLÜSSELBEGRIFFE DER ERZÄHLTHEORIE NACH GÉRARD GENETTE
2.1. TRANSTEXTUALITÄT
2.2. FOKALISIERUNG UND STIMME
2.3. KOMMUNIKATIONSMODELL NARRATIVER TEXTE
2.4. METALEPSE UND MISE EN ABYME

3. PAUL AUSTER, CITY OF GLASS – ZUSAMMENFASSUNG DES INHALTS

4. INHALTLICHE BEZÜGE AUF DON QUIJOTE IN CITY OF GLASS
4.1. INTERTEXTUALITÄT IN FORM EINER EXPLIZITEN ANSPIELUNG
4.2. DER WAHN DER BÜCHER

5. STRUKTURELLE BEZÜGE AUF DON QUIJOTE IN CITY OF GLASS
5.1. DIE ERZÄHLKONSTELLATION – EIN SPIEL MIT DEN IDENTITÄTEN
5.2. ZUR METALEPSE
5.3. DIE BEDEUTUNGEN DER NAMEN

6. IMITATION UND TRANSFORMATION

7. FAZIT

1. Einleitung

Am 2. Januar 1492 kapitulierte der letzte Sultan von Granada, Muhammad XII alias Boabdil, vor den Reyes Católicos. Königin Isabella I von Kastilien und Kö- nig Ferdinand II von Aragonien beendeten damit ihren Rückeroberungszug der iberischen Halbinsel. Die Reconquista war vollbracht. Nur ein halbes Jahr später erließen die katholischen Könige das Alhambra-Dekret welches die Vertreibung aller Juden aus Spanien veranlasste. Etwa 180.000 Menschen verloren ihr Haus und ihre Heimat.

Nur drei Tage danach, am 3. August 1492, stach Cristobal Colón in Huelva in See. Zwei Monate später entdeckte er Amerika und Spanien stieg zur Weltmacht auf.

Im selben Jahr veröffentlichte Antonio de Nebrija die erste spanische Grammatik. Das ereignisträchtige Jahr 1492 läutete die wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit Spaniens ein. Es wurden die Weichen für das Siglo de Oro, das goldene Zeitalter für die spanische Kunst gestellt. Es ist die Epoche zwischen der spanischen Renaissance (15. und 16 Jh.) und dem Barock (17. Jh.), und literarisch gesehen wohl die produktivste Zeit Spaniens. Schwierig ist es jedoch, eine zeitliche Eingrenzung dieser Epoche festzulegen. Im Allgemeinen gilt das für die hispanische Geschichte so bedeutende Jahr 1492 als Beginn des Siglo de Oro und das Todesjahr des berühmten Dichters Calderón, 1681, als sein Ende; häufig wird die Zeitspanne aber auch lediglich auf 1550 bis 1650 begrenzt.

Neben Calderón, Lope de Vega und Francisco de Quevedo ist Miguel de Cervantes wohl der wichtigste Literat des Siglo de Oro. Sein zweiteiliges Werk El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha schrieb Geschichte und gehört noch heute zum Kanon der Weltliteratur. Als Cervantes 1605 den ersten Teil veröffentlichte, ahnte er wahrscheinlich kaum welche Resonanz sein Werk haben würde. Schon einen Monat später waren drei Raubkopien im Umlauf. Als einige Jahre später Alonso de Avellaneda eine Fortsetzung des Don Quijote schrieb, die der wahre Autor selbst nie vorgesehen hatte, publizierte Cervantes 1615 einen zweiten Teil in dem er sich nicht nur deutlich gegen den apokryphen Band ausspricht sondern auch jede Möglichkeit weiterer Fortsetzungen unterbindet.

Zur Zeit des Siglo de Oro war nicht nur Spanien sondern ganz Europa von einer Begeisterung für Ritterromane erfasst. Neben unzähligen besser oder schlechter geratenen Abenteuerromanen und Heldensagen wie beispielsweise der italienische Orlando furioso oder Las sergas de Esplandian ist die erfolgreichste Geschichte die des Amadis de Gaula. Sie ist der Idealtyp eines Ritterromans denn sie vermittelt eine hohe Moral und ein noch viel höheren Unterhaltungswert – genau das, was die Faszination der Ritterromane im 16. und 17. Jahrhundert ausmachte.

Der Don Quijote aber war von Cervantes ursprünglich als Satire auf eben diese Ritterromane gedacht. Doch der Autor schuf viel mehr als lediglich eine Kritik am Literaturgeschmack seiner Zeit. Don Quijote ist nicht nur voller intertextueller Anspielungen auf andere Ritterromane und somit eine Parodie auf die Abenteuerromane seiner Epoche, sondern dieses Meisterwerk kritisiert zudem die Politik seiner Zeit und den Konflikt der Religionen in Spanien im 16. Jahrhundert. Ausserdem ist es ein sehr philosophisches Werk. Es beschäftigt sich mit den Fragen des Konflikts zwischen Realität und Wirklichkeit, der Verlässlichkeit unserer Sinne und unseres Verstandes, mit dem Problem der Suche nach der Eigenen Identität, mit Formen von Idealismus und schafft ist dieses Meisterwerk auch noch eine sehr deutliche Darstellung der Gesellschaft zu Cervantes Zeiten.

Es ist kein Wunder, dass dieser eigentliche Hypertext – um mit Genettes Begriffen zu arbeiten – zu einem Hypotext geworden ist. Viele Werke haben Jahrhunderte später Elemente dieses Romans wieder aufgenommen und sie neu verarbeitet. Flaubert mit seiner bücherkranken Madame Bovary, Jorge Luis Borge in Gedichten wie Sueña Alonso Quijano oder El testigo, Thomas Mann mit seinem Essay Meerfahrt mit Don Quijote (1934) und viele andere Schriftsteller haben sich von Don Quijote inspirieren lassen.

In der vorliegenden Arbeit soll nun ein weiteres Buch betrachtet werden, dessen Bezug zum Don Quijote bis lang noch nicht ausführlich untersucht wurde: Paul Austers City of Glass, der erste Teil seiner New-York-Trilogie (1978). Paul Auster gab in einem Interview mit der Literatur-Zeitschrift „Am Erker“ zu:

Mein Lieblingsbuch allerdings ist Don Quixote. Obwohl ich von Cervantes wenig weiß, nie eine Biographie oder Ähnliches über ihn gelesen habe.1

Explizit bestätigte Paul Auster allerdings nie eine intertextuelle Beziehung zwischen Don Quijote und City of Glass. Dennoch, und gerade aus diesem Grund, möchte ich anhand dieser beiden Texte beweisen dass dem so ist, um damit auch zu veranschaulichen wie zeitlos und aktuell Cervantes Werk heute noch ist.

Dafür werde ich zunächst einige Begriffe von Gerard Genette klären, die mir für die folgende Untersuchung als besonders wichtig erscheinen. Anschließend werde ich die strukturellen und formalen Gemeinsamkeiten der beiden Romane herausarbeiten und dann auf den Inhalt eingehen. Ein Fazit wird die erarbeiteten Ergebnisse darstellen.

Ferner werde ich jedoch darauf verzichten müssen, den Inhalt des Don Quijote hier zusammenzufassen denn dies würde den Umfang dieser Arbeit ins Unendliche stürzen (abgesehen davon dass es wohl unmöglich sein sollte den Inhalt des Don Quijote in wenigen Worten zusammenzufassen). Ich werde also davon ausgehen dass dem Leser beide Bände des Don Quijote vertraut sind. Ein kurzes Resümee von City of Glass findet sich aber in Kapitel 3.

2. Drei Schlüsselbegriffe der Erzähltheorie nach Gérard Genette

In diesem Kapitel werde ich einige Grundbegriffe klären, die nicht nur für die folgende Untersuchung sondern auch für die Literaturwissenschaft allgemein von großer Bedeutung sind: ‘Transtextualität’, ‘narrative Ebenen’ und ‘Metalepse’. Gerard Genette ist einer der wichtigsten Literaturwissenschaftler unserer Zeit; er hatte großen Einfluss auf die Entwicklungen der Theorien des Erzählens und viele Termini wurden durch ihn neu geprägt.

2.1. Transtextualität

Transtextualität („transcendance textuelle du texte“2 ) bezeichnet Genette als das Durchscheinen eines Textes A (Hypotext) in einem Text B (Hypertext). Er unterscheidet fünf Arten von Transtextualität.

Die Erste ist die Intertextualität die Genette so definiert: „une relation de coprésence entre deux ou plusieurs textes“3 Sie ist also der Ausdruck für drei verschiede Arten von expliziten Erwähnungen des Hypotextes im Hypertext: Das Zitat, das Plagiat und die Anspielung. Bei der letzteren wird selten eine genaue Quelle angegeben, dennoch wird deutlich, dass sich hier auf einen anderen Text bezogen wird. Um die Aussage des Textes B zu verstehen ist es demnach notwendig den Hypotext zu kennen.

Die zweite Art von Transtextualität nennt Genette Paratextualität. Hier besteht die Beziehung zwischen Hypound Hypertext aus dem Paratext – d.h. Klappentext, Titel, Vorwort etc. Ein Beispiel hierfür ist der Titel Don Quijote de la Mancha: der Beiname de la Mancha bezieht sich auf verschiedene Hypotexte, denn er ist die parodistische Untererfüllung von Beinamen berühmter Helden anderer Ritterromane, wie de Gaula, de Aragon oder de Grecia.

Die dritte Form von Transtextualität ist die Metatextualität, also Texte die sich metasprachlich über einen anderen Text äußern wie beispielsweise Buchkritiken oder Sekundärliteratur.

Die umfassendste Art von Transtextualität ist jedoch die Hypertextualität. Mit diesem Terminus bezeichnet Genette nämlich die Umwandlung eines Hypotextes zu einem neuen Werk:

J’entends par là toute relation unissant un texte B (que j’appellerai hypertexte) à un texte antérieur A (que j’appellerai, bien sûr, hypotexte) sur lequel il se greffe d’une manière qui n’est pas celle du commentaire4

Text B ist also von A abgeleitet, wie beispielsweise Don Quijote von anderen Ritterromanen, namentlich von Amadis de Gaula. Durch die Veränderung der Gattung (vom Abenteuerroman zur Parodie) ist gewissermaßen ein neues Werk entstanden. Weiter werden zwei Formen von Hypertextualität unterschieden: die direkte Transformation („transformation simple ou directe“) und die komplexere Transformation („aussi une transformation, mais d’un procédé plus complexe“), die Genette auch als Nachahmung („imitacion“) bezeichnet. Bei der einfachen Transformation wird in Text B dasselbe gesagt wie in Text A, jedoch auf eine andere Art und Weise. Genette führt hier das Beispiel von Homers Odysse e als Hypotext und das Ergebnis seiner Transformation den Hypertext Ulysses von James Joyce auf. Die Handlung bleibt mehr oder weniger dieselbe, doch hat Joyce seinen Helden samt dem Geschehen in die Moderne versetzt. Der Inhalt bleibt also der gleiche, während sich jedoch die Form und der Zusammenhang verändern. Bei der Nachahmung bzw. komplexen Transformation hingegen wird etwas völlig anderes auf dieselbe Art und Weise gesagt. Mit anderen Worten: Der Inhalt ist ein völlig anderer, die Struktur, der Stil, die Erzählweise oder die Form des Hypotextes bleiben jedoch im Text B erhalten.

Genette bewertet diese zweite Form der Hypertextualität als anspruchsvoller als die direkte Transformation. Denn um einen Text A zu transformieren, sagt er, genüge das einfache Herausreißen einiger Seiten oder das Wegstreichen weniger Buchstaben. Der nachahmende Text hingegen muss das Vermögen besitzen, die Form des Textes A von seinem Inhalt zu trennen und auf einen neuen Inhalt zu projizieren.

Als letzte Art von Transtextualität nennt Genette schließlich die Architextualität. Architextuell ist der Bezug zweier Texte dann, wenn sie der gleichen Kategorie bzw. Gattung angehören. Demnach stehen alle Ritterromane untereinander in einem architextuellen Bezug, ebenso wie Dramen, Parodien, Detektivromane etc.

Es erscheint mir jedoch wichtig hier noch anzumerken, dass Genettes Versuch das Thema Transtextualität zu segmentieren und neu zu strukturieren nicht fehlerfrei bzw. lückenlos ist. Generell sollte man dieses Modell also nicht als dogmatisch betrachten. Dennoch denke ich, dass es ausreichend ist, um in der vorliegenden Arbeit den Zweck einer orientierenden Vorbzw. Grundlage zu erfüllen.

Für die folgende Untersuchung sind besonders zwei Arten von Transtextualität wichtig: die Intertextualität in Form einer Anspielung und die Hypertextualität.

Als Nächstes soll der Begriff der ‘narrativen Ebene’ geklärt werden; hierfür werde ich den kleinen Umweg über die Fokalisierung und die Stimme gehen.

2.2. Fokalisierung und Stimme

Genette legt großen Wert auf eine Unterscheidung von Stimme und Fokalisierung. Während erstere sich auf die Frage bezieht inwieweit der Erzähler an dem Erzählten beteiligt ist, meint die Fokalisierung die Perspektive des Erzählers, also die Frage aus welcher Sicht erzählt wird.

Bei der Fokalisierung unterscheidet er drei Arten: Die Nullfokalisierung ist die Erzählweise bei der der Erzähler mehr weiß als alle Figuren, er ist auktorial und hat die ‘Übersicht’. Bei der externen Fokalisierung weiß der Erzähler weniger als die Figuren der Geschichte die er erzählt. Er ist nur in Form einer ‘Außensicht’ beteiligt.

Bei der internen Fokalisierung hingegen ist die Sichtweise von Figur und Erzähler in etwa dieselbe. Der Erzähler ist aktorial, d.h. er erzählt aus einer Perspektive der ‘Mitsicht’. Bei der internen Fokalisierung kann es vorkommen, dass der Erzähler zu verschiedenen Zeitpunkten der Handlung bei unterschiedlichen Figuren ‘mitsieht’. Dies nennt Genette eine variable interne Fokalisierung. Wenn aber das gleiche Geschehen zum gleichen Zeitpunkt innerhalb der Narration aus verschiedenen Figurenperspektiven erzählt wird, nennt sich das multiple interne Fokalisierung. Eine Polymodalität liegt dann vor, wenn zwischen mehreren Fokalisierungstypen gewechselt wird.

[...]


1 Paul Auster interviewt von Joachim Feldmann und Georg Deggerich (Übersetzung), Am Erker 24, Münster (1992)

2 Genette, Gérard Palimpsestes. la littérature au second degré Paris: Collection Poétique, aux Éditions du seuil (1987), S. 7

3 ibid., S.8

4 ibid., S.11

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Don Quijote und Daniel Quinn
Untertitel
Intertextuelle Bezüge auf Miguel de Cervantes Don Quijote in Paul Austers City of Glass
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
“Romananalyse am Beispiel des Don Quijote“
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
29
Katalognummer
V120655
ISBN (eBook)
9783640250356
Dateigröße
579 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Quijote, Daniel, Quinn, Beispiel, Quijote“
Arbeit zitieren
Nora Haller (Autor:in), 2007, Don Quijote und Daniel Quinn, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120655

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