Die Verwandlung politischer Gewalt in Kunst: Die Symbolisierung von Faschismus und faschistischer Psychologie bei Thomas Manns „Mario und der Zauberer“


Seminararbeit, 2006

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Fragespezifische Textanalyse
2.1. Das Milieu des Ferienortes
2.2. Die Vorstellung des Zauberers Cipolla

3. Fazit

4. Bibliografie

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit untersucht „Mario und der Zauberer. Ein tragisches Reiseerlebnis“ von Thomas Mann.[1] Das Werk ist bereits wiederholt Gegenstand der einschlägigen Forschungsliteratur geworden, die sich dementsprechend auch einer großen und breiten Anzahl von Aspekten und Motiven, die die Mario-Geschichte prägen, widmet.[2] Neben einer Interpretation aus massenpsychologischer Perspektive gehört besonders der Ansatz, den Text zudem aus politischer Sicht zu analysieren, zu den Bearbeitungen, die am häufigsten aufzufinden sind. Dabei reicht die Spanne der vertretenen Thesen von einer Verkörperung Mussolinis durch den Zauberer Cipolla bis hin zu der Auffassung, das Werk sei lediglich schöne Literatur ohne einen politischen Hintergrund. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass Thomas Mann selbst seine Meinung diesbezüglich im Laufe der Jahre änderte.

Thomas Mann verfasste „Mario und der Zauberer“ im Spätsommer 1929 während eines Urlaubs an der Ostsee.[3] Der Inhalt der Geschichte enthält zum Teil autobiografische Züge und basiert auf einem Aufenthalt in Italien, den Thomas Mann drei Jahre zuvor unternommen hatte, zueinem Zeitpunkt, an dem Benito Mussolini, der „Duce“, bereits vier Jahre in Italien an der Macht war.[4] Auch die Darbietung des Magiers hat einen realen Hintergrund. Das Ende der Geschichte, in dem dieser ermordet wird, ist jedoch literarische Fiktion.[5]

Im Jahr 1930 wurde Mario erstmals in Deutschland veröffentlicht, zwar noch vor der Machtergreifung durch Adolf Hitler, jedoch inmitten der voranschreitenden Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes. Eine entsprechende politische Deutung wurde der Geschichte anfangs jedoch nicht zu Teil. Auch Thomas Mann wies – in den ersten Jahren – die Behauptung zurück, seiner Arbeit liege eine politische Motivation zu Grunde: „ […] ich möchte die Bedeutung […], doch lieber im Ethischen als im Politischen sehen.“[6] Obwohl ethische und moralische Aspekte eindeutig vorhanden sind, legt diese Arbeit den Schwerpunkt auf die politische Auslegung des Textes, ohne jedoch den symbolischen gehobenen Zeigefinger, die Moral der Geschichte zu verkennen, die sich letztendlich um den Missbrauch von Macht ansiedelt. In dieser Arbeit wird die These vertreten, dass im Besonderen durch den Zauberer Cipolla, jedoch auch im Allgemeinen eine Symbolisierung von Faschismus und faschistischer Psychologie,[7] nämlich die Verwandlung von (politischer) Gewalt in Kunst, in Schönes und Gutes, beschrieben wird.[8] Anhand einer chronologischen Bearbeitung von „Mario und der Zauberer“ soll dies im Folgenden dargelegt und erläutert werden.

2. Fragespezifische Textanalyse

Bei „Mario und der Zauberer. Ein tragisches Reiseerlebnis“ handelt es sich um einen Text, der der Gattung der Novellen zuzuordnen ist.[9] Er wird konstant von einem Ich-Erzähler vorgetragen. Diese Perspektive interferiert jedoch mit der eines implizierten Autors, es entsteht eine metafiktionale Ebene, in der sich dieser Autor als gedankliches Konstrukt wiederholt zu einem ebenso konstruierten implizierten Leser hinwendet: „Mögen Sie das? Mögen Sie es wochenlang?“ (S. 20), oder „[a]uch langweile ich Sie nicht mit der Schilderung dieser Versuche […]“ (S. 69), sind Beispiele für die so konstruierte Metaebene, auf der sich das Erzählen der Ereignisse abspielt. Neben der Funktion als literarische Kommunikationsinstanz ist der Ich-Erzähler jedoch gleichzeitig Ich-Figur, und damit ein Teil seiner Geschichte. Da die Erlebnisse als in der Vergangenheit liegend beschrieben werden, ist also eine Distanz zwischen der Erzähl-Zeit und der erzählten Zeit, also der Zeit in der das Erzählte erlebt wurde, vorhanden. Zeitweise jedoch verschwimmt diese Abgrenzung: Gleich zu Beginn der Novelle sind Erzähltes und Erlebtes identisch: „Die Erinnerung an Torre di Venere ist atmosphärisch unangenehm“ (S. 9). Insgesamt wird durch die Erzählsituation das Erzählte zuverlässiger, glaubwürdiger, wirklichkeitsrelevanter. Besonders mit Blick auf die inhaltliche Ebene scheint diese Rahmen gebende Konstruktion nachvollziehbar: Hypnose und Zauberei sind schließlich Cipollas wichtigste Macht verleihende Instrumente.

Inhaltlich lässt dich die Geschichte in zwei Segmente einteilen: Zum einen beschreibt der Erzähler Natur und Milieu des Ferienortes Torre di Venere. Zum anderen die Vorstellung des Zauberers Cipolla, der durch okkulte Praktiken und Hypnose die Menschen des Ferienortes in seinen Bann zieht. Beide Teile stehen miteinander in Verbindung, da die Merkwürdigkeiten und negative Erlebnisse sich in „diesem schrecklichen Cipolla“ (S.9) schließlich „auf verhängnishafte […] Weise zu verkörpern und bedrohlich zusammenzudrängen schien[en]“ (S. 9).

2.1. Das Milieu des Ferienortes

Das bereits im ersten Satz der Novelle beschriebene Unangenehme zieht kontinuierlich durch die Erzählung. Schließlich trägt schon der Untertitel zu der negativen Nuancierung der Geschichte bei. Aber auch die am Anfang genannten Emotionen „Ärger, Gereiztheit, Überspannung“ (S. 9), deuten auf einen unheilvollen Verlauf der Ereignisse hin. Die Stimmung wird als „eigentümlich bösartig“ (S. 9) beschrieben.

Der Erzähler ist mit seiner Familie angereist, dass es sich dabei um seine Frau und zwei Kinder handelt, erfährt man im Laufe der Geschichte. Die Familie fühlt sich „isoliert“ (S. 13), der Grund hierfür ist, dass der Ferienort und ihr Quartier, das Grand Hôtel, „in den Händen der florentinischen und römischen Gesellschaft“ (S. 13) ist, also hauptsächlich von Italienern bewohnt wird. Nationalismus, hervorgerufen zum einen durch die bloße zahlenmäßige Überlegenheit der Italiener, zum anderen aber auch durch deren Verhalten, bestimmt fortan den Aufenthalt und wird zu einem häufig wiederkehrenden Motiv. Besagte Isolation und Distanz der Erzählerfamilie zu den Einheimischen ist das Ergebnis dieser Tatsache. In ihrem Hotel wird die Familie nicht als Gast erkannt bzw. anerkannt, und darf beispielsweise nicht wie gewünscht auf der Veranda speisen (S. 14). Aus dieser Perspektive heraus beurteilt der Erzähler die folgenden Ereignisse, er bekommt dadurch, dass er kein Mitglied dieser Gesellschaft ist, eine gesonderte Stellung und kann die folgenden Ereignisse als Außenstehender betrachten und beurteilen, was im Folgenden auch geschieht.

Ein Konflikt zwischen der Familie und der Hotelleitung veranlasst diese schließlich zu einer Umquartierung in eine kleine familiäre Pension: Die Tatsache, dass eine adelige Familie in der Nähe logiert, die jedoch eine Ansteckungsgefahr durch die „Restspuren eines Keuchhustens“ (S. 15) der Kinder des Erzählers fürchtet, ist ein erstes Auftreten eines im zweiten Segment des Textes viel offensichtlicheren Motivs: Die Kapitulation bürgerlicher Aufgeklärtheit vor Irrglauben, also der Gegensatz von Rationalität und Irrationalität. Denn trotz der Diagnose eines Arztes, eines „loyale[n] und aufrechte[n] Diener[s] der Wissenschaft“ (S. 16), der die jegliche Ansteckungsgefahr ausschließt, wird die Familie von der Hotelleitung zum Auszug aus ihrer Wohnung und zur Umsiedlung in einen anderen Teil des Hotels gedrängt. Der Grund hierfür ist, dass die Gattin des in der Nachbarschaft residierenden Adeligen offensichtlich „der weit verbreiteten Meinung anhing, der Keuchhusten sei akustisch ansteckend“ (S. 15 – 16). Das unterwürfig-kriecherische Verhalten des Hotelpersonals, das ebenfalls die Ratio ignoriert und den Adel eindeutig den einfachen Gästen bevorzugt, bezeichnet der Erzähler als „Byzantinismus“ (S. 17). Dieser stellt einen weiteren Vorboten auf die kommenden Geschehnisse dar, und damit ein weiteres zentrales Motiv: Obrigkeitsgehorsam und Anpassung des Ortpublikums stehen individuellem und unangepasstem Verhalten der Erzähler-Familie gegenüber.

Das byzantinische Verhalten ist es schließlich, das die Familie zum Umsiedeln in die Pensione Eleonora veranlasst, die durch ein „freundlich privates Äußeres“ (S. 17) besticht und nach den Erlebnissen der Isolation und Missachtung im anonymen Grand Hôtel einen Rückzug ins Private, aber besonders eine Flucht vor der Masse möglich macht. Die Eigentümerin der Pension ist keine Ortsansässige und nur in der Feriensaison anzutreffen. Auch sie hebt sich von der restlichen Menschenmasse ab, scheint weltoffen, was sich durch ihre frühere Tätigkeit als Assistentin einer großen italienischen Schauspielerin begründen lässt. Dennoch zeigt der vorangegangene Vorfall auch im neuen Quartier Nachwirkungen. Auffallend ist, dass der Erzähler diese Ereignisse als einen „Zusammenstoß mit dem landläufig Menschlichen“ (S. 19) wertet, also das Verhalten offenbar als eine landesübliche, und damit italienische, gesellschaftliche Konvention beurteilt, die er als „naiven Mißbrauch der Macht“ (S. 19), „Ungerechtigkeit“ (S. 19) und „kriecherische[] Korruption“ (S. 19) empfindet. „Irritiertes Nachdenken“ (S. 19) ist die Folge. Als weiterer unangenehmer und störender Faktor wird die - für den Süden durchaus typische - Hitze beschrieben. Die „Schreckensherrschaft der Sonne“ (S. 20) steht mit „Unerbittlichkeit“ (S. 20) über allen vergangenen und folgenden Taten und Ereignissen. Der Erzähler findet sie als „stumpfsinnig“ (S. 21), erkennt zwar ihre Bedeutung für die Menschheitsgeschichte an, ist aber der Ansicht, die

[...]


[1] Mann, Thomas: Mario und der Zauberer. Ein tragisches Reiseerlebnis, 19. Auflage, Berlin 2004. Soweit nicht durch Fußnoten, sondern nur durch Seitenangaben gekennzeichnet, beziehen sich alle im Text verwendeten Zitate und andere Nachweise auf dieses Werk.

[2] Die wichtigsten Abhandlungen sind unter anderem Sautermeister, Gerd: Thomas Mann: »Mario und der Zauberer«, München 1981; Richter, Bernt: Psychologische Betrachtungen zu Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“, in: Georg Wenzel (Hrsg.): Vollendung und Grösse Thomas Manns; Beiträge zu Werk und Persönlichkeit des Dichters, Halle (Saale) 1962, S. 106 – 117; Eigler, Friederike: Die ästhetische Inszenierung von Macht: Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“, in: Helmut Koopmann/ Peter-Paul Schneider (Hrsg.): Heinrich Mann – Jahrbuch, 2/1984, Lübeck 1985, S. 172 – 183; Vaget, Hans: Mario und der Zauberer, in: Helmut Koopmann (Hrsg.): Thomas-Mann-Handbuch, 3. Auflage, Stuttgart 2001, S. 596 – 601; Böhme, Hartmut: Thomas Mann: Mario und der Zauberer; Position des Erzählers und Psychologie der Herrschaft, in: Helmut Koopmann (Hrsg.): Der schwierige Deutsche: Studien zum Werk Thomas Manns, Tübingen 1988, S. 166 – 189.

[3] Siehe Vaget, Hans Rudolf: Thomas-Mann-Kommentar zu sämtlichen Erzählungen, S. 222.

[4] Thomas Mann in »Lebensabriß« im Januar/Februar 1930, in: Wysling, Hans (Hrsg.): Thomas Mann, Teil II: 1918 – 1943, in: Rudolf Hirsch/ Werner Vordtriede (Hrsg.): Dichter über ihre Dichtungen, Band 14/II, München/ Frankfurt a. M. 1979, S. 366.

[5] Thomas Mann an Otto Hoerth am 12.6.1930, in: Wysling, Thomas Mann, S. 368.

[6] Thomas Mann am 15.4.1932 an Bedřich Fučík, in: Wysling, Thomas Mann, S. 370.

[7] Zu den Merkmalen von Faschismus vgl. Nohlen, Kleines Lexikon der Politik, S. 128 – 129, oder Elze, Reinhard/ Repgen, Konrad (Hrsg.): Studienbuch Geschichte; Eine europäische Weltgeschichte, Band 2, 5. Auflage, 2. Nachdruck der Sonderausgabe, Talheim 2003, S. 524 – 526.

[8] Vgl. u. a. die Thesen von Sautermeister, Gerd: Thomas Mann: »Mario und der Zauberer«, München 1981 oder Eigler, Friederike: Die ästhetische Inszenierung von Macht: Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“, in: Helmut Koopmann/ Peter-Paul Schneider (Hrsg.): Heinrich Mann – Jahrbuch, 2/1984, Lübeck 1985, S. 172 – 183.

[9] Dass es sich bei „Mario und der Zauberer“ um eine Novelle handelt, begründet z. B. Sautermeister durch das Vorhandensein von sieben Merkmalen: Es gebe erstens eine „unerhörte Begebenheit“, nämlich den Mord an Cipolla. Zweitens sei ein unerwarteter Wendepunkt in der Geschichte vorhanden, der durch den Mord an Cipolla geschehe, und drittens sei das Novellenmerkmal der „objektiven Merkwürdigkeit“, nämlich ein als wahr erzählter einmaliger Einzelfall, gegeben. Viertens sei durch en tödlichen Ausgang des Geschehens eine „formale Geschlossenheit“ zu erkennen. Fünftens schließe das Werk somit mit „innerer Logik“ ab. Der „kunstvolle[] Aufbau“ des Motivgeflechtes und ein „gesellschaftsbezogene[r] Anspruch“, der sowohl allgemeine Gültigkeit des Geschehens als auch unterhaltende Funktion gewährleiste, seien schließlich die letzten Merkmale, in denen eine Zugehörigkeit zur Gattung der Novellen zu erkennen sei. (Sautermeister, »Mario und der Zauberer«, S. 32 - 33).

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Verwandlung politischer Gewalt in Kunst: Die Symbolisierung von Faschismus und faschistischer Psychologie bei Thomas Manns „Mario und der Zauberer“
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien)
Veranstaltung
PS "Literatur der Weimarer Republik"
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
19
Katalognummer
V120397
ISBN (eBook)
9783640257553
ISBN (Buch)
9783640260737
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verwandlung, Gewalt, Kunst, Symbolisierung, Faschismus, Psychologie, Thomas, Manns, Zauberer“, Literatur, Weimarer, Republik
Arbeit zitieren
Nina Paulsen (Autor:in), 2006, Die Verwandlung politischer Gewalt in Kunst: Die Symbolisierung von Faschismus und faschistischer Psychologie bei Thomas Manns „Mario und der Zauberer“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120397

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